13.
Seit dem Moment, in dem einer der Wachen Lexa in ihrer Zelle ablieferte, saß Eric in einem der kleinen Nebenräume des Gefängnistrakts an einem der Rechner und hatte ein Auge auf sie.
Die Ausbilderin hatte seine Nachricht entdeckt und er hoffte, dass sie so schlau war und den kleinen Zettel anschließend verschwinden lassen würde.
Er musste trotz allem vorsichtig sein.
Irgendwas war hier los und solange er noch nicht genau wusste, was es war, musste er dafür sorgen, dass sich Lexa in Sicherheit befand und nicht mit den aktuellen Geschehnissen in Verbindung gebracht wurde.
Aber er musste vorausdenken.
Bis er noch nicht genau wusste, was hier gespielt wurde, würde sie in Haft bleiben müssen. Aber er konnte sie nicht ewig da unten lassen. Vor allem würden früher oder später Fragen über ihren Verbleib gestellt werden.
Das war nur ein Problem von vielen, welche er noch lösen musste.
In kaum mehr als zwei Wochen trafen die ersten Initianten ein - ihm lief die Zeit davon.
Dieser ganze Mist der letzten Tage und Wochen, war ganz sicher kein Zufall mehr.
Irgendwer hatte seine Finger im Spiel und er musste so schnell wie möglich rausfinden, wer diese Ratte war.
Tief durchatmend, wechselte er die Kamera.
Nachdenklich sah er seinem Verdächtigen zu, wie dieser in seiner Zelle auf und ab tigerte.
In wenigen Minuten würde er ihm gegenübersitzen.
Hoffentlich war er kooperativ, umso schneller hatten sie beide die Sache hinter sich.
*
Durch eine Glasscheibe hindurch, beobachtete Lucien den vermuteten Täter in dem kahlen Verhörraum. Nur ein Tisch und zwei Stühle befanden sich darin - alles aus blankem Metall.
Dieser konnte Lucien nicht sehen, die Scheibe war auf dessen Seite verspiegelt.
Vor etwa zwanzig Minuten brachte der für die Inhaftierung zuständige, ihn vom Zellentrakt im vierten Untergeschoss, hier hoch ins Zweite. Die eng gefesselten Hände machte er an einem am Tisch festgeschweißten Ring fest. Die Fesseln an den Beinen, verband er mit den dafür vorgesehenen Ösen am Boden.
Der Glatzköpfige sah besorgt auf seine Uhr, gleich würde Eric eintreffen.
Seine dunklen, fast schwarzen Augen sahen wieder zurück zu dem Verdächtigen.
Dieser saß zusammengesunken auf seinem Stuhl und ließ den Kopf hängen.
Mehrfach hatte er Lucien gefragt, warum er denn hier sei, weshalb er inhaftiert wurde. Aber Lucien durfte nichts dazu sagen. Er war im Moment nur für die Inhaftierung zuständig, alles andere hatte Eric an sich gerissen. Und Lucien würde einen Teufel tun und sich dessen Anweisungen widersetzen.
Nach der Sache mit Edgar konnte er von Glück reden, nur mit einem im wahrsten Sinne des Wortes, blauen Auge davon gekommen zu sein.
Er kannte Erics Verhörmethoden zu Genüge. Natürlich ging auch Lucien alles andere als zimperlich mit unkooperativen Verdächtigen um, aber Eric war da nochmal eine ganz andere Hausnummer.
Er hoffte nur, dass Eric sich diesmal besser unter Kontrolle hatte als beim letzten Mal.
Schon weil sich sonst auf langer Sicht, selbst schaden würde.
Er hörte die Stimme des Anführers, er war also eingetroffen.
Lucien nahm seinen Blick von der Person in dem beklemmenden Raum ihm gegenüber und hoffte, dass alles glatt laufen würde.
*
Schwungvoll öffnete Eric die Tür zu dem kleinen Raum, in dem der Verdächtige auf dem fest im Boden verschraubten Stuhl saß.
Kurz hob dieser den Kopf.
So etwas wie Hoffnung flackerte kurz in den Augen des vermeintlich Schuldigen auf.
Aber diese erlosch ebenso so schnell wieder, wie sie aufgekommen war.
Eric war nicht als sein Anwalt hier, sondern als Kläger.
Sein kalter, distanzierter Blick stellte dies augenblicklich klar. Und solange der Kerl unter Verdacht stand, war der zweithöchste Mann dieser Fraktion sein größter Feind.
Ruhig setzte sich der blonde Anführer an den Tisch. Legte sein mitgebrachtes Tablet ab und lehnte sich zurück.
Blickte ihn währenddessen ausgiebig an. Er achtete auf jede noch so kleine Regung seines Gegenübers.
Zwinkerte der andere ungewöhnlich schnell, wie ging dessen Atmung?
Was tat er mit seinen Gliedmaßen?
Alles war wichtig, jedes noch so kleine Detail.
Der Verdächtige wirkte einigermaßen ruhig. Nicht so locker, dass man meinen könnte, all das interessiere ihn nicht.
Aber auch nicht übermäßig nervös, wie er sein müsste, um dadurch Erics Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Eric griff nach schier endlosen Sekunden wortlos nach seinem Tablet, tippte auf eine Videodatei, die sich daraufhin augenblicklich öffnete.
Der Anführer drehte seinen elektronischen Helfer auf der Tischplatte, zu seinem an den Handgelenken gefesselten Gegenüber. Dieser beugte sich neugierig nach vorne, um besser sehen zu können. Dabei schabten seine Handschellen gut hörbar, über den Tisch.
„Bist du das?“ Fragte Eric ihn emotionslos.
„Ja, das bin ich.“ Kam es fast tonlos von dem Gefesselten.
„Wann war das?“
„Ich weiß es nicht. Wo wurde das aufgenommen?“ Diese leise aber mit festem Unterton gesprochene Nachfrage ließ Eric aufhorchen, er antwortete dem anderen wahrheitsgemäß.
„Heute Mittag im Verbindungsgang zwischen den Lagerhallen und dem Gebäude der Waffenentwicklung.“
Er wartete ab, was der potentielle Täter dazu zu sagen hatte.
„Ich bin ab und an dort unterwegs. Aber heute nicht.“
Eric legte den Kopf schief, sah den anderen durchdringend an.
Kein Zittern war in dessen Stimme zu finden, kein Zögern.
„Und doch wurdest du gefilmt, als du heute Vormittag diesen Gang entlang gegangen bist.“
Der Verdächtige sah seinen Anführer fragend an.
„Nein, heute war ich nicht dort“, er überlegte, fuhr dann fort: „Ich glaube, dass ich gestern zuletzt in diesem Flur war. Ich wollte die Bestellung machen, aber das Intranet hat gesponnen. Ich musste zu den Jungs rüber gehen und persönlich fragen, was sie brauchten.“
Eric sah sein Gegenüber forschend an. Ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Sein durchdringender Blick wurde ohne Scheu erwidert, er sah keine Zweifel in den Augen seines Gegenübers.
„Wann genau war das?“, hakte er mit monotoner Stimme nach.
„Am Abend. Es war schon fast dunkel, aber genau weiß ich es nicht mehr.“
Die Handschellen klapperten laut, als der Gefangene sich mit einer Hand über die Stirn rieb.
Plötzlich sah er auf.
„Es muss kurz vor Fünf am Abend gewesen sein. Danach habe ich nämlich Feierabend gemacht.“
Eric dachte nach.
Wie Puzzleteile fügte sich allmählich ein etwas klareres Bild zusammen. Noch konnte er nicht sagen, was dieses Bild ihm zeigte, aber umso mehr Teile er dem ganzen hinzufügen konnte, desto deutlicher wurde es.
„Was hast du danach gemacht?“, fragte er nach. Er kannte die Antwort bereits, aber er wollte es aus seinem Mund hören.
„Ich war bei meinem Kumpel. Wir haben noch was getrunken.“ Ertappt senkte er den Blick. Eigentlich war es den Ferox untersagt, unter der Woche Alkohol zu konsumieren. Nur eine der strengen Regeln, die Coulter in den letzten Jahren etabliert hatte. Und dessen einschüchternde Autorität erstickte jedwede Auflehnung gegen die neuen Gesetze, im Keim.
„Bei wem? Wart ihr allein?“
„Ich war bei Mike, Lexa und Mira waren auch da. Später kam auch noch Tina. Wir haben ihre Rückkehr von den Ken gefeiert.“ Eric sah ihn zweifelnd an.
Warum hätte er tun sollen, was im zulasten gelegt wurde?
Was war sein Antrieb?
Welchen Nutzen würde er daraus ziehen können?
Nichts passte zusammen.
Der Gefangene sah flehend zu seinem Anführer.
„Eric, warum bin ich hier? Ich habe nichts getan. Kannst du mir helfen? Bitte?“
Doch Eric hatte sich schon erhoben, drehte sich zu dem Hellblonden um und sah ihn durchdringend an.
„Im Moment kannst du dir nur selbst helfen, Raphael.“
Dann verließ er zügig und ohne sich noch einmal umzudrehen den Verhörraum.
*
Einige Zeit nach dem Verhör befand sich Eric allein in seinem Büro.
Seit Stunden schon, durchforstete er Akten, Videoaufzeichnungen und Führungszeugnisse. Bisher aber ohne nennenswerten Erfolg.
Es war schon spät in der Nacht. Müde schielte er zu der Uhr schräg neben sich. 01:39 zeigte ihm die digitale Anzeige an.
Seine Augen brannten und er hatte Hunger. Das Frühstück war die letzte Mahlzeit gewesen, die er zu sich genommen hatte.
Es wäre besser, wenn er mal eine kurze Pause einlegte und einen Happen aß. Vielleicht sortierte sich dann auch das Chaos in seinem Kopf wieder ein bisschen.
Er wählte Aidens Pager in der Rufanlage aus und wartete darauf, dass dieser reagierte.
Nur wenige Sekunden später gab er ihm durch, dass die Nacht für ihn nun vorbei wäre.
Bis der Hempfling mit seinem Essen eintraf, ging Eric nochmals alles an Indizien und Informationen durch. Sah sich alle Hinweise, die er bisher gesammelt hatte, zum wahrscheinlich hundertsten Male an.
Was wäre Raphaels Motiv?
Was versprach er sich von dieser Aktion?
Lexas Kumpel war bisher kaum negativ aufgefallen.
Seine Akte war im Vergleich zu anderen nicht allzu dick. Geborener Candor, Initiation in Lexas Jahrgang und hatte diese als viertbester abgeschlossen.
Danach Ausbildung bei der Instandhaltung der Einsatz – und Transportfahrzeuge.
Er galt als zuverlässig, loyal und belegte stets ein gutes Ranking beim Tournament.
Zwar gab es auch Einträge wegen Prügeleien, Trunkenheit oder ungebührlichen Verhalten, aber das schob Eric auf jugendlichen Leichtsinn. Seit Jahren hatte er sich schon nichts mehr zu Schulden kommen lassen.
Die Vorkommnisse während seiner und Lexas Initiation standen natürlich nicht in seiner Akte, dafür hatte Lucien damals gesorgt.
Somit war es Eric weiterhin ein Rätsel, warum Lexas Freund diesen Feueralarm hätte auslösen sollen. Es machte einfach keinen Sinn. Es würde nur negative Konsequenzen für den Mechaniker nach sich ziehen. Außerdem war es schon reichlich naiv, sich dabei auch noch filmen zu lassen.
Wo er schon beim nächsten Punkt war.
Wie konnte es sein, dass der blasse Ferox von einer Kamera von vorne erfasst worden war und in dem zweiten Video von hinten? Wo war der Mittelteil?
Jeder, wirklich jeder einzelne verdammte Feuermelder in dieser Fraktion wurde 24 Stunden am Tag gefilmt. Aber Eric konnte keine Aufzeichnung von diesem hier finden.
Kein Beweis, der Raphael zweifelsfrei als den Schuldigen festnagelte.
Es klopfte an der Tür, sein Essen war da.
Allem Anschein nach, hatte Aiden keine Zeit damit verschwendet, sich noch einmal im Spiegel anzusehen, bevor er in die Kantine gegangen war. Wild standen dessen dünne Haare zu allen Seiten ab, seine Uniform war unordentlich und zerknittert. Dinge, die Eric auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Egal welche Tages- oder Nachtzeit, die Uniform musste akkurat sitzen. Erstrecht bei dem Assistenten eines Anführers.
Er wartete, bis sein verschlafener Gehilfe sein Essen vor ihm abstellte. Konfrontierte ihn dann aber umgehend mit seinem ungepflegten Erscheinungsbild. Verlegen stand dieser danach vor seinem Boss und schob sich unsicher seine Brille auf der Nasenwurzel zurecht.
Eric sah ihm an, dass er etwas sagen wollte, aber nicht mit der Sprache rausrückte. Er gab ihm noch ein paar Sekunden, dann wurde ihm die Warterei zu dumm.
„Was willst du sagen?“
Ertappt sah ihn Aiden an. Mit zitternder Stimme fing er an rumzudrucksen.
„Diese brünette Freundin von Lexa Davis ...“ Er brach mitten im Satz ab, als ob ihm der Mut verlassen hätte.
„Ja? Was ist mit ihr?“ Eric half ihm ungeduldig auf die Sprünge. Die Erwähnung Tinas ließ ihn neugierig werden.
„Sie fragt in der gesamten Fraktion nach Lexa und noch jemandem. Einem Freund oder so. Sie macht alle ganz verrückt. Ich dachte, das solltest du wissen.“
Nickend nahm Eric diese Info zur Kenntnis. In seinem Kopf ratterte es, doch nach außen hin, blieb er gelassen.
„Ist noch etwas?“
Wieder rückte der dürre Assistent nicht sofort mit der Sprache raus und trat von einem Fuß auf den anderen.
„Spiel hier nicht die Dramaqueen, rede!“ Eric nervte dieses Getue.
Endlich bekam die unscheinbare Gestalt vor ihm die Zähne auseinander, „an dem Tag als Lexa die Inventur im Initianten Schlafsaal durchführen sollte ...“
Auffordernd, mit erhobenen Augenbrauen wartete Eric darauf, dass sein Assistent endlich zur Sache kam.
Warum war dieser Armleuchter gleich wieder sein persönlicher Sekretär? Ach ja. Der IQ.
Eric schrieb in Gedanken ein Memo an sich selbst: nächstes Mal lieber jemanden mit weniger Intelligenz, dafür aber mit mehr Verstand einzustellen.
„... da ist sie anschließend zu einer Party gegangen. Der blonde Mann den ich im Auge behalten sollte, war auch dabei. Sie sind danach zusammen in ihre Wohnung gegangen. Sie wirkten sehr vertraut.“
Langsam hob Eric den Kopf, seine Gesichtszüge wurden hart.
„Das hat sich inzwischen geklärt.“ Die Unterhaltung war hiermit für ihn beendet und er deutete unmissverständlich zur Tür.
Aiden gehorchte sofort und verließ so schnell wie möglich dessen Büro.
Noch ein paar Sekunden lang sah Eric auf die verschlossene Tür, durch die gerade sein Assistent verschwunden war.
Seine Gedanken rasten.
Mit einem Mal war seine Müdigkeit wie weggeblasen, energisch schob er das eingeschweißte Tablett mit seinem Essen zur Seite und tippte wild auf die vor ihm liegende Tastatur ein.
Wieder hatte er ein fehlendes Puzzleteil gefunden.
Jetzt musste er nur noch die Stelle finden, an die es perfekt passen würde.
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