57.
Dunkelheit lag über dem Verlassen wirkenden Gelände der Ferox, als Lauren von dem Zug, aus dem sie gerade gesprungen war, auf das Haupttor zuschritt.
Eiskalter Nieselregen klatschte ihr ins Gesicht, frierend zog sie sich ihre Kapuze noch tiefer ins Gesicht.
Fast einen ganzen Monat hatte sie bei den Ken verbringen müssen. Nicht nur wegen des komplizierten Bruches ihres Ellenbogens.
Die anschließende Reha, um wieder genügend Muskeln aufzubauen, nachdem sie ihren Arm für eine Zeit lang hatten ruhigstellen müssen, war unumgänglich gewesen.
Während sie sich bei den Gelehrten von ihrer OP erholte, hatte sie die niederschmetternde Nachricht erreicht, dass sie ihren Job als Initiantenausbilderin los war.
Und dass ausgerechnet an dieses Miststück vom Zaun, die ihr diesen ganzen Dreck eingebrockt hatte.
Jetzt blieb ihr nur als freie Ausbilderin anzuheuern und zu hoffen, genügend zahlende Kundschaft zu generieren, um sich über Wasser halten zu können. Allein der Gedanke daran, in Zukunft schwabbelige Büroangestellte oder faule Hilfsarbeiter betreuen zu müssen, ließ ihr die Galle aufsteigen.
Um sich bessere Chancen zu verschaffen, hängte sie bei den Ken gleich eine Schulung zur Ernährungsberaterin mit dran. Hoffentlich bekam sie die immensen Kosten dafür, später auch wieder rein.
Da sie diese Weiterbildung ohne jede Empfehlung oder Bewilligung ihrer Anführer antrat, musste sie die anfallende Summe dafür, komplett selbst stemmen.
Diese verdammte Lexa, war von heute auf morgen im Hauptquartier aufgetaucht und hatte ihr gewohntes Leben rücksichtslos auf den Kopf gestellt.
Jetzt war sie selbst nur noch eine gewöhnliche Ausbilderin, die sich mit zahlender Kundschaft abmühen musste.
Ihre hohe Stellung innerhalb der Hierarchie der Fraktion und ihr enger Kontakt zur Elite waren fürs Erste dahin. Alles nur wegen dieser blonden Zaunsoldatin, die meinte, sich ins gemachte Nest setzen zu können.
Aiden hatte ihr bei einem seiner Besuche erzählt, dass dieses Weib jetzt auch noch ihre Wohnung bezogen hatte. War das zu fassen? Das war ihr Rückzugsort gewesen! So hart hatte sie jahrelang gearbeitet, Erics Launen und all seine Erniedrigungen ausgehalten, um an diese Stellung und eben auch an diese Unterkunft zu kommen. Nur damit jetzt irgend so eine dahergelaufene Versagerin ihr alles wegnahm!
Sie traf Aiden des Öfteren bei den Ken an. Zwar wunderte es sie, was er so oft bei seiner alten Fraktion zu schaffen hatte, aber er hielt sie auf dem Laufenden. Diese Informationen waren ihr wichtiger gewesen. Ob Eric nun davon wusste, was sein Assistent dort trieb oder nicht, war ihr in dem Moment egal.
Schließlich erkundigte sich dieser nicht ein einziges Mal nach ihr. Und das nach all den Jahren, in denen sie erfolgreich zusammengearbeitet hatten.
Stattdessen kümmerte er sich nur noch um diese verdammte Lexa.
Wenn sie nur den Namen dieses völlig überschätzten Miststücks hörte, ging ihr das Messer in der Tasche auf. Diese Person machte sich jetzt ein feines Leben in ihrer Wohnung und auf ihrem Posten. Wahrscheinlich musste sie nur mit den Wimpern klimpern, schon würde ihr Coulter Gewehr bei Fuß stehen.
Wie hatte sie sich nur so in dem Anführer täuschen können?
Sie selbst schaute er nie nur mit dem Arsch an, egal wie sehr sie sich die Mühe machte, ihm zu gefallen.
Ihr Verhältnis war schon immer von Höhen und Tiefen geprägt gewesen, aber sie arbeiteten meistens reibungslos zusammen. Manchmal war er sogar zuvorkommend gewesen und sie meinte auch, dass es da ab und an gewisse Momente gab.
Aber jetzt hatte sich da diese Blondine dazwischen gezeckt und machte sich zweifellos an Eric ran. Das durfte sie nicht zulassen, unter keinen Umständen!
Zwischenzeitlich betrat sie das Hauptquartier mit ihrer großen Tasche in der Hand. War auf dem Weg durch die Grube, in Richtung der Treppen, die sie in den fünften Stock bringen sollten.
Ihr war eine neue Wohnung zugeteilt worden. Im hinteren Teil des Stockwerkes der Ausbilder.
Diese Räumlichkeiten waren zwar wesentlich kleiner und auch bei weitem nicht so schick ausgestattet wie die Appartements der höhergestellten Ausbilder, aber immerhin kegelte man sie nicht aus dem elitären fünften Stock.
Alles war ruhig, kein einziger Ferox trieb sich um diese Uhrzeit in den leeren Gängen herum.
Die Uhr zeigte kurz nach Mitternacht, die meisten lagen in ihren Betten oder schoben Nachtdienst.
Gerade als Lauren im Begriff war die Biegung hoch zum Treppenabsatz des vierten Stockes zu nehmen, hörte sie Geräusche über sich. Sofort hielt sie in der Bewegung inne und sah neugierig nach oben.
Das war doch Eric, der da aus dem Eingangsbereich des fünften Stockwerks trat!
Sie erkannte ihn sofort. Es gab keinen Zweifel, er war es.
Lauren bewegte sich keinen Millimeter und beobachtete ihren ehemaligen Kollegen dabei, wie er jetzt die Stufen zum sechsten Stock erklomm und in Richtung seiner eigenen Wohnung abbog.
Was hatte Eric, um diese Uhrzeit im Gang der Ausbilder zu suchen?
Lauren beschlich sofort ein Verdacht.
Bestimmt war er bei dieser Lexa gewesen. Somit behielt sein Assistent doch Recht mit seinen Aussagen, dass da was lief zwischen den beiden.
Die Brünette schnaubte vor Wut. Ihre Hand schloss sich fester um den Griff ihrer Tasche.
Ihre Knöchel traten weißlich hervor, die feindseeligen Gedanken in ihrem Kopf gewannen die Überhand.
Dieses übergriffige Weibsbild würde sich noch wünschen, draußen bei ihrem siffigen Zaun geblieben zu sein!
Seit zwei Tagen hatte Eric Lexa schon nicht mehr persönlich angetroffen. Vielleicht sollte er mal nach ihr sehen und nicht ständig nur am Bildschirm verfolgen wie sie trainierte und durch die Gänge zu ihrem Unterricht mit Four ging.
Nach ihrem kurzen Gespräch auf dem Dach hatte er sie zu ihrer Wohnung begleitet und war im Anschluss in seine eigene gegangen.
Alles, was gesagt werden musste, war gesagt worden.
Worte allein, waren nicht ausschlaggebend.
Kurz war ihm der Gedanke gekommen, bei ihr zu bleiben, aber diesen verwarf er schnell wieder.
Sie könnte es falsch verstehen und er musste die Distanz zwischen ihnen wahren. Er war ihr Anführer, nicht ihr Psychiater, der ihr das Händchen hielt.
Äußerlich wirkte sie seither wie sonst auch. Nichts verriet, wie es in ihrem Inneren aussah.
Er war kein guter Zuhörer, aber vielleicht war es tatsächlich besser, die Lage bei ihr zu sondieren.
Gleich war ihr Unterricht bei Four beendet. Eric beschloss, sie abzupassen und ihr ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
Da kam sie. Den Blick nachdenklich auf den Boden gerichtet, ihr Gesicht ausdruckslos.
Sie wirkte nach außen hin ruhig, vielleicht etwas abgespannt, aber definitiv nicht besorgniserregend. Eric trat aus dem Türstock, an dem er lehnte und ging Lexa entgegen. Erst spät nahm sie seine Anwesenheit wahr, hob überrascht ihren Kopf. Sah ihn emotionslos mit müdem Blick an.
Eric deutete auf einen Nebengang, sie folgte ihm anstandslos. Hier war es ruhiger und es gab nicht so viele Zuschauer.
"Wie geht es dir? Du siehst müde aus." Eric versuchte so einfühlsam, wie es ihm möglich war, mit der Ausbilderin zu sprechen.
"Alles gut. Du brauchst die keine Sorgen machen, ich halte mich an alles."
Lexa war nicht mehr dieselbe. Er hatte das Gefühl, dass es ihr schlechter ging, als sie vorgab.
"Das meine ich nicht. Wie geht es DIR?" Eric wiederholte seine Frage, es war aufrichtiges Interesse.
Er brauchte sie zu hundert Prozent fit, vor allem mental.
"Ich komme klar. Kann ich weiter? Ich habe Hunger."
Schon trat sie zur Seite weg, mit der Absicht zu gehen.
Aber Eric war mit ihrer Unterhaltung noch nicht am Ende. "Stehenbleiben! Ich sehe dir an, dass du nicht klarkommst. Sprich mit mir."
Lexa sah ihn nicht an, stierte in den Boden. Eric erkannte sofort, dass sie mit den Tränen kämpfte.
Wenn sie jemand so sah, würde ihr dieser erneute Fauxpas das Genick brechen.
Schnell zog er sie zur Seite, entriegelte wahllos die Tür links von ihm. Ohne auf ihre Reaktion Rücksicht zu nehmen, schob er die Ausbilderin in die kleine Putzkammer, die sich dahinter befand.
Zu spät realisierte er, dass gerade diese Räumlichkeit wohl die unpassendste war, die er hätte auswählen können. Aber jetzt standen sie in dieser höchsten vier Quadratmeter messenden, vollgestellten Kammer und er musste zusehen, dass er das Blondchen wieder beruhigt bekam.
Leichter gesagt als getan.
Diese hatte dummerweise direkt bemerkt, in welche Schuhschachtel er sie bugsiert hatte, und sah sich hektisch um. "Schau mich an." Eric erkannte sofort, dass Lexa kurz davor war eine Panikattacke zu erleiden und tat sein Möglichstes, um die Blonde zu beruhigen. Tatsächlich hob sie den Kopf und sah ihn mit unsteten Blick an.
Ihre dunkelblauen, sonst so wachen Augen schwammen in Tränen. Schon rann ihr eine Einzelne die Wange herab und tropfte von ihrem Kinn.
Diese Situation war beschissen.
Eric wusste nicht, wie er seine Schülerin beruhigen sollte, ohne sie beide dabei in eine noch unmöglichere Lage zu bringen. Jedweder Körperkontakt schied schon im Vorhinein kategorisch aus.
Irgendwann hatte er einmal etwas von einer speziellen Atemtechnik gelesen, die angeblich helfen sollte. „Atme ein. Jetzt halte die Luft an ..." Eric zählte in Gedanken bis sechs, "... atme ganz langsam wieder aus. Nochmal."
Endlich schien sie die Kontrolle über sich selbst wiederzuerlangen. Nach einer Weile versuchte er erneut mit ihr über ihre Verfassung zu sprechen.
"Lexa, es ist unerlässlich, dass du mir absolut vertraust. Jetzt und in Zukunft, auch wenn es dir schwerfällt."
Hastig wischte sie sich die Tränen aus ihrem blassen Gesicht.
"Warum ist das so wichtig, Eric? Was hast du mit mir vor? Was ist hier los?"
Er hatte mit diesen Fragen gerechnet, aber er konnte und vor allem durfte ihr keine Auskunft geben. "Das erfährst du früh genug. Was passiert ist, ist passiert. Befreie dich von den Gedanken daran. Du wirst ein neues Leben beginnen. Akzeptiere diese Veränderung und mach weiter. Aber du musst endlich begreifen, dass ich dir nichts tun werde. Ich brauche dein Vertrauen, ohne das wird es nicht gehen." Beschwörend sah er seine Untergebene an. Wartete auf ihre erhoffte Antwort.
"Ich will dir vertrauen können, das will ich wirklich, Eric. Aber ich habe unglaubliche Angst, dass du es ausnutzt und mir wehtun wirst."
Eric verstand ihren Einwand. Noch während er sich ermahnte, es nicht zu tun, hob er seine Hand und Strich ihr eine Träne von der Wange. „Das werde ich nicht tun. Ich verspreche es dir."
Dafür, dass er grundsätzlich nie Versprechungen machte, fiel es ihm jetzt erstaunlich leicht, gerade ihr dieses zu geben.
Er verfluchte seine plötzliche Emotionalität und bemühte sich, wieder rational zu denken und vor allem zu handeln.
Lexa brachte ihn dazu, Dinge zu tun und zu sagen, die er noch im gleichen Moment zutiefst bereute. Wie ferngesteuert musste er sich selbst dabei zusehen, wie er agierte wie ein hormongesteuerter Idiot.
Nicht fähig, seine Handlungen vorher abzuwägen. Geschweige denn, seinen Kopf und Körper unter Kontrolle zu behalten.
Es war erbärmlich.
Ein Augenpaar behielt die Tür, durch die Coulter mit der Ausbilderin verschwunden war, akribisch im Blick.
Was taten die Beiden da drinnen nur so lange?
Natürlich. Es lag auf der Hand.
Die Person die unentdeckt in der dunklen Nische stand, veränderte ihre Position leicht, sah auf seine Armbanduhr.
In weniger als einer viertel Stunde war ein Termin bei Max angesetzt. Für einen Quickie befanden sich die beiden schon zu lange in der Putzkammer.
Des Wartens überdrüssig, schlüpfte die Person aus seinem Versteck und machte sich auf den Weg.
Er hatte genug gesehen.
In Kürze würde seine Zeit kommen. Ein paar Dinge mussten noch erledigt werden, aber dann war es endlich so weit.
Dann hatte sich dieses leidige Thema hoffentlich bald erledigt.
Die Zeit arbeitete für ihn und seine Agenda, nichts würde ihn aufhalten können.
Die Helfer um ihn herum machten ihre Arbeit gut, alles lief nach Plan.
Ein schiefes, wissendes Lächeln stahl sich auf sein verschlagenes Gesicht.
Es reichte nicht bis zu seinen Augen. Hinter den dicken Brillengläsern versteckte sich weiterhin der perfide Blick einer falschen Schlange.
Das Opfer im Blick.
Bereit, es unbemerkt in die Falle zu locken.
*************************
Jungs, Mädels und alle anderen, es ist so weit.
Nächste Woche habe ich noch ein emotionales Nachwort für euch, dann werde ich dieses Buch auf "abgeschlossen" stellen können.
Meine Güte, ich habe es geschafft! Mein erster Roman und dann sogar gleich beendet und das auch noch mit solchem Erfolg! Das habe ich nur euch zu verdanken!
Ihr seid die Besten!!!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro