47.
Eric bemerkte sehr wohl, auf welche Art Lucien ihn ansah.
Abschätzend, bewertend.
Er lag auf der Lauer, damit er den erhofften, schwachen Moment seines Vorgesetzten, ja nicht verpasste.
Dieser kahle Trottel glaubte wohl tatsächlich, dass er Eric Coulter, jetzt zum emotionalen Wrack mutieren würde.
Eher würde die Hölle zufrieren. Stoisch behielt er seine gewohnte, ausdruckslose Maske auf.
Absolut niemand besaß das Recht darauf zu erfahren, was tatsächlich gerade in seinem Kopf vorging.
Er würde diesen menschlichen Abschaum mit Namen Edgar Winston finden.
Und wenn er dafür die komplette Stadt auf links drehen und jeden einzelnen, dreckigen Fraktionslosen, persönlich die Haut abziehen musste!
Dieses verlauste Stück Dreck, würde elendig verrecken!
Er würde nicht eher ruhen, bis er ihn gefunden und seiner gerechten Strafe zugeführt hatte!
Er selber, hatte wirklich verdammt viel Dreck am Stecken und seine Hemmschwelle, was Gewalt in jeglicher Form anging, lag nicht unbedingt hoch.
Aber selbst ein Eric Coulter zog rote Linien.
Es gab Dinge, die er nicht zuließ oder tolerierte.
Das, was dieser Winston Lexa antat, gehörte dazu.
Bei Vergewaltigungen ließ er keine Ausreden der Welt gelten.
Nichts konnte eine solch verabscheuungswürdige Tat relativieren.
Nur der Tod des Täters, kam als Reaktion in Frage.
Nach dem gestrigen, völlig aus dem Ruder gelaufenen Training, war Lexa ohne Umwege hoch in ihre Wohnung gegangen.
Da sie nicht wusste, was momentan müder war, ihr Körper oder ihr Geist, fiel sie sofort in ihr Bett und hatte anschließend geschlafen wie eine Tote.
Jetzt, nach langer Zeit mal wieder richtig ausgeschlafen, stand sie zusammen mit Tina in der Schlange für das Frühstück an. Sehnsüchtig schielte sie zum Rührei, nahm sich dann aber eine kleine Schüssel und schaufelte sich stattdessen missmutig, die von Eric befohlene Getreideflockenmischung hinein. Vielleicht schmeckte dieses Zeug ja mit Joghurt. In Fruchtjoghurt war leider Zucker enthalten, also blieb nur die ungesüßte Variante.
Honig als Süßungsmittel war erlaubt, also musste dieser als Geschmackskorrektur herhalten.
Kaum, dass sie sich setzten, sah Tina schon argwöhnisch zu ihrer Freundin rüber.
„Was in aller Welt isst du da?“
Das vor Ekel verzerrte Gesicht der Brünetten, sprach Bände.
„Gesund und so. Meine letzte Fitnessanalyse war nicht die beste. Zu viel Körperfett.“
Schon wieder eine Lüge.
Sie hatte es so satt.
Wann würde Eric sie endlich erlösen und ihre Ernennung bekannt geben?
Tina sah sie immer noch so an. „Du? Zu viel Körperfett? Ja klar. Was bin ich dann? Adipös?“
Lexa grinste, verkniff sich aber den bissigen Kommentar, der ihr auf der Zunge lag.
Tina war alles andere als übergewichtig, aber sie besaß sehr wohl Rundungen.
Zu Lexas Leidwesen aber an den richtigen Stellen.
Zu gerne würde sie auch weiblichere Kurven haben, aber sie war schon immer mehr der athletische Typ gewesen.
Sie musste sich wohl oder übel damit abfinden, dass ihr Körper nie als kurvig bezeichnet werden würde. Mit ihren schmalen Hüften und breiten Schultern, konnte sie die Kerle höchstens im Ring beeindrucken.
Aber sie hatte sich inzwischen mit ihrem kastigen Körperbau arrangiert, es blieb ihr schlussendlich sowieso nichts anderes übrig.
So wie es früher vor dem großen Krieg gewesen war, als sich Menschen freiwillig unters Messer legten, um sich optisch verbessern zu lassen, war es heute nicht mehr. Die nur begrenzt vorhandenen Ressourcen, durften nicht für solche Eitelkeiten einzelner verschwendet werden. Solch überflüssige Eingriffe waren schon seit dem Bestehen der Fraktionen bei Strafe verboten. Während sie sich fragte, was sich die damalige Bevölkerung wohl alles hatte aufhübschen lassen, fiel ihr Blick zum Eingang.
Die plötzliche Stille im Raum nahm Erics Eintreffen schon vorweg.
Kurz trafen sich ihre Blicke, seiner fiel anschließend prüfend auf die Mahlzeit, die noch fast unangetastet vor ihr stand.
Ohne eine weitere Regung setzte er anschließend den Weg zu seinem Tisch fort.
Lexa atmete durch.
Diesmal hatte sie hoffentlich alles richtig gemacht.
Es gab also keinen Grund, sie wieder wegen einer Verfehlung rund zu machen.
Die Ausbilderin hatte ihr gegebenes Versprechen nicht vergessen. Sie musste sich zusammenreißen, wenn sie vorankommen und vor allem, ihre Ruhe vor ihm haben wollte.
Auch wenn es ihr verdammt schwerfiel, immer wieder die Klappe zu halten, sein Gemeckere und die ständigen Schikanen tatenlos hinnehmen zu müssen.
„Wem schenkst du dieses Jahr eigentlich etwas zum Fest?“
Lexas Freundin biss von ihrem Toast ab und wartete auf deren Antwort.
Der unvermittelte Themenwechsel Tinas, ließ Lexa innerlich durchatmen.
„Weiß ich noch nicht. Mir wurde noch niemand zugeteilt. Dir?“
„Ich hab´ gestern Abend die Mail bekommen. Sie heißt Leah, ist wohl ´ne Kollegin von Mike. Steht auf Handarbeiten und so‘n Mist. Ich hab´ keine Ahnung, was ich der schenken soll.“
Lexa sah ihre Freundin fragend an.
„Du bist doch die geborene Amite, dir fällt schon was Mundgeklöppeltes ein.“
„Na danke auch für deine tolle Inspiration. Bringt mich echt weiter.“
Nachdem sie ihren Bissen heruntergekaut hatte, sprach sie weiter.
„Wie läuft deine Weiterbildung? Bist ja ziemlich eingespannt deswegen, wir sehen dich kaum noch. Besonders nachdem dich Coulter letztes Mal weggeschliffen hat, wie einen räudigen Hund. Weshalb eigentlich?”
Fieberhaft dachte Lexa nach, sie konnte ihrer Freundin unmöglich die ganze Wahrheit sagen.
Sie brauchte schnellstens eine plausible Erklärung, für Erics Ausraster.
“Ich war so dämlich und hab das Training geschwänzt. Er hat es natürlich sofort herausgefunden, das Resultat hast du mitbekommen.”
Tina schien Lexas Lüge nicht aufzufallen, denn sie sprach weiter.
“Deswegen musst du jetzt auch Strafdienst in der Küche ableisten, oder?”
Ertappt schielte Lexa zu ihr rüber. “Woher weißt du davon?”
Tina grinste, “von Pete, denn seine Freundin arbeitet in der Küche und die hat ihm davon erzählt. Das Eric dich persönlich zu Agnes in die Küche gebracht hat und du seitdem jeden Abend dort bist.” Lexa seufzte, sie hatte gehofft, dass ihre Strafmaßnahme nicht die Runde machen würde, aber dem schien wohl nicht so.
“Also, was machst du bei dieser Weiterbildung die ganze Zeit? Und warum macht das Eric eigentlich? Hab´ noch nie mitbekommen, dass er seit neuesten auch Weiterbildungen leitet.“
Lexa blieb ihr Müsli fast im Hals stecken.
Was in aller Welt, sollte sie jetzt antworten?
Tina wartete immer noch auf eine Antwort, sah sie weiterhin fragend an.
Fieberhaft dachte Lexa nach.
Ein Räuspern hinter der Ausbilderin unterbrach die angespannte Stille.
„Du denkst an den Lehrgang, der in zehn Minuten beginnt? Noch einmal zu spät kommen, und du schrubbst den Schießraum mit deiner Zahnbürste!“
Coulter stand plötzlich hinter Lexa und sah sie gebieterisch, von oben herab, an.
Rettete ihr gerade Eric Coulter vor ihrer Freundin den Arsch?
Völlig perplex sah sie ihm hinterher, nachdem er sich nach seinen Worten sofort umdrehte und wieder zurück an seinem Platz ging.
„Ich glaube, ich sollte los … ich melde mich bei dir.“
Schnell verabschiedete sie sich von Tina, bevor diese sie noch weiter mit bohrenden Fragen in die Bredouille bringen konnte. Zwar musste sie jetzt mehr als 30 Minuten totschlagen, bis ihr Unterricht bei Four begann, aber wenigstens war sie den entlarvenden Fragen Tinas entkommen.
Und sie wusste jetzt, dass Eric ihre Gespräche belauschte.
Es war so, wie er sagte. Er war immer in ihrer Nähe, selbst wenn sie nicht damit rechnete.
Nach einem stressigen, perfekt von Eric durchgetakteten Tag, stand Lexa schwer schnaufend, die Arme in die Seiten gestemmt, in der großen, unterirdischen Trainingshalle.
Sie war fast fertig mit ihrem Programm.
Unauffällig schielte sie zu der Überwachungskamera, die fast unsichtbar unter der dunklen Decke hing.
Letztens leuchtete ein rotes Lämpchen, erst dadurch hatte Lexa überhaupt erst bemerkt, dass sie heimlich von Eric überwacht wurde.
Aber zu ihrer Verwunderung war das Lämpchen jetzt aus.
Hatte er tatsächlich einen Gang zurückgeschaltet und ließ sie zumindest zeitweise in Ruhe?
Die Ausbilderin war positiv überrascht.
Anscheinend hielt auch er sich an ihre Abmachung.
Es waren noch drei Tage bis zum Fest, auch Lexa hatte inzwischen erfahren, wem sie ein Geschenk machen musste.
Wie es der Zufall wollte, einer Wache vom Zaun.
Sie kannte ihn nicht.
Nur seinen Namen und dadurch, dass in der Mail ein kurzer Steckbrief enthalten war, ein paar seiner Vorlieben.
Er war ein leidenschaftlicher Koch, was Lexa nicht unbedingt weiterhalf.
Sie konnte weder kochen, noch interessierte sie sich dafür. Ihr täglicher Aufenthalt in der Küche half ihr da auch nicht weiter, aber immerhin war sie inzwischen Expertin im Schrubben von übergroßen Töpfen.
Grübelnd saß sie mit Mike in der Grube und sinnierte mit ihm, über das bestmögliche Präsent für den Unbekannten.
Mike war natürlich auch jemand zugeteilt worden, aber er hatte dieses Jahr Glück gehabt. Das Los entschied, dass er jemanden beschenken durfte, den er auch persönlich kannte. Dieser Umstand machte die Sache für ihn erheblich leichter.
“Wer hat diesen Mist eigentlich erfunden? Diese sinnlose Hin und Her Schenkerei, ist doch völlig überflüssig. Besonders, weil du die Leute nicht mal kennst, für die du das Zeug besorgen musst.”
Mike schimpfte jedes Jahr aufs Neue, über die alte Tradition. Wurde nicht müde, die Unsinnigkeit dieser, zu betonen. “Ich weiß es nicht, anscheinend ist das schon seit hunderten Jahren so. Soll die Zusammengehörigkeit steigern und so. Fest steht, ich muss meine Bestellung bis heute Abend aufgeben, sonst habe ich nichts, was ich verschenken kann. Also hilf mir denken und hör auf zu motzen.”
Mike zog ein Gesicht, gab aber endlich Ruhe. Zumindest hoffte Lexa es, aber als er dann erneut das Wort ergriff, bemerkte sie, dass es wohl noch mehr gab, was ihm zu diesem Thema auf der Seele brannte.
“Schenken die Anführer sich eigentlich auch was?”
Nicht schon wieder dieses leidige Thema, dachte sich Lexa und konnte sich ein genervtes Augenverdrehen nicht verkneifen. “Woher soll ich das wissen, Mike? Frag doch einen von ihnen, vielleicht geben sie dir Auskunft.”
“Na du bist doch so dicke mit ihnen. Hab´ eben gedacht, du weißt das.”
Seufzend ignorierte Lexa Mikes bissigen Kommentar und widmete sich wieder dem Programm auf ihrem Tablet, auf dem sie Waren der verschiedenen Fraktionen einsehen und auch bestellen konnte.
Sie hatte etwas Vielversprechendes gefunden und tippte auf das Symbol, dass ihren Kauf bestätigte.
Wenigstens war das jetzt erledigt. Die Sendung würde den Empfänger pünktlich zum Fest erreichen, somit war diese Pflicht getan und sie konnte sich entspannt auf die kommende Feier freuen.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Grinsend gab sie einen Suchbegriff in das dafür vorgesehen Feld ein und wartete auf die Resultate.
Ein paar Sekunden später war eine weitere Bestellung unterwegs, allerdings diesmal zu ihr, ins Hauptquartier.
Am Tag des großen Festes hatte sie keinen Unterricht bei Four, musste aber in der Küche zum Dienst erscheinen.
Da es jedes Jahr abends ein üppiges Festessen für alle Fraktionsmitglieder gab, war entsprechend viel zu tun und jede helfende Hand wurde gebraucht. Lexa stellte sich auf eine lange, arbeitsreiche Schicht ein.
Zu gerne würde sie wissen wollen, wie lange sie noch dort Dienst schieben musste, aber sie traute sich nicht bei Eric oder diesem Mannweib Agnes nachzufragen. Sie hatte wenig Kontakt mit ihr, wechselte bisher kaum ein Wort mit ihr.
Generell beschränkte sie den Umgang mit ihren Kollegen auf ein Minimum.
Ihr war es unangenehm, dort immer wieder aufschlagen zu müssen.
Jeder von ihnen wusste natürlich, dass sie Strafdienst ableisten musste. Doch keiner hatte bisher nachgefragt warum.
Lexa hoffte, dass es auch so blieb. Natürlich bekam sie das Gerede mit, welches unvermeidbar aufgekommen war, nachdem Eric sie persönlich in der Küche ablieferte.
Aber sie äußerte sich nicht dazu, weshalb auch.
Es hatte doch eh keinen Zweck, die Leute dachten, was sie denken wollten.
Da machte es keinen Unterschied, ob sie intervenierte.
Eric bekam sie in den letzten Tagen kaum zu Gesicht, auch ließ er sie mit Mails in Ruhe.
Sie hatte ihm schließlich auch keinen Grund geliefert, wegen dem er sie hätte aufsuchen oder maßregeln müssen.
Dafür hatte sie endlich mehr Zeit für sich und fühlte sich von ihm auch nicht mehr so arg kontrolliert wie vorher.
Alles in allem lief es momentan gut, so konnte es weitergehen.
Eric hatte Besuch von Lucien.
Seit ihrem klärenden Gespräch vor ein paar Tagen war dieser Stammgast in Erics Büro.
“Hast du ihn inzwischen ausfindig machen können?”
Lucien fragte bei Eric nach, wie weit dieser bisher mit der Suche nach Edgar gekommen war. Insgeheim hoffte er, dass Erics Suche im Sande verlaufen würde. Er hatte große Bedenken, ob es denn das Richtige war, was Eric da tat.
Aber wenn sich dieser einmal etwas in den Kopf setzte, war es ein Ding der Unmöglichkeit, ihn davon wieder abzubringen.
Wie ein abgerichteter Köter, biss er sich fest und ließ nicht mehr locker, bis er sein Ziel erreichte.
“Meine Leute haben Kontakt zu Fraktionslosen, die behaupten ihn zu kennen. Es scheint, als ob er lebt und sich zuletzt in einem unterirdischen Tunnelsystem mit anderen eingenistet hat. Wahrscheinlich ehemalige U-Bahn-Schächte. Sobald er zweifelsfrei identifiziert wird, werde ich den Zugriff befehlen.” Lucien nickte.
Das war schnell gegangen.
Fast schon zu schnell für seinen Geschmack.
Wie Eric aber so zügig an diese Informationen gekommen war, wollte er lieber nicht wissen.
Auch nicht, wie viele Fraktionslose er für diese Auskünfte schon hatte foltern oder töten lassen.
Coulter machte bei solchen Sachen kurzen Prozess.
Entweder man tat freiwillig, was er verlangte, oder man musste mit den Konsequenzen leben.
Ob Mann, Frau oder sogar Kind. Eric ging ohne zu zögern über Leichen, um seine Ziele zu erreichen.
Wieder musste er an seinen ehemaligen Schützling Lexa denken.
Ob sich diese überhaupt bewusst war, wer Eric Coulter wirklich war?
Wie er sein konnte?
Der junge Anführer war in der Position, ihr noch wesentlich schlimmeres Leid zuzufügen, als es Edgar damals getan hatte.
Nur mit dem Unterschied, dass Eric damit davonkommen würde. Der egozentrische Blonde war unantastbar und Coulter wusste nur zu gut, dass er dieses Schlupfloch auch vollumfänglich ausnutzen konnte.
Lucien war es ein Dorn im Auge, tatenlos mitansehen zu müssen, dass Lexa ahnungslos, viel zu engen Umgang mit diesem Ungeheuer pflegte.
Schon einmal hatte er sie im Stich gelassen, noch einmal würde es ihm nicht passieren.
Er musste ein waches Auge auf sie haben.
Und vor allen Dingen auf Coulter.
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