43.
Es war ihr, als ob sich seine Anwesenheit jedes Mal wie ein dunkler Schatten über sie legte. Wie ein enger Würgegriff, aus dem sie sich nicht befreien konnte. Immer wenn er in ihrer Nähe war, schnürte er ihr die Luft zum Atmen ab, engte sie ein wie ein Korsett.
Lexa wollte nur weg von ihm und seinen unerträglichen Launen.
Vor Erics Büro angekommen, stand sie sich wie letztes Mal, die Beine in den Bauch. Wahrscheinlich ließ er sie jedes Mal mit voller Absicht warten, nur um sie zu ärgern.
Es war schon spät, wahrscheinlich gegen Mitternacht. Außer dem Wachmann, war niemand mehr in diesem Bereich der Fraktion unterwegs.
Lexa fühlte sich schmutzig und war nicht nur körperlich, völlig am Ende.
Es war nicht bei der einen, einzelnen Träne geblieben.
Dieses Monster hatte geschafft, was sie nicht für möglich gehalten hatte.
Während sie die Sportgeräte abbaute, waren schließlich alle Dämme gebrochen.
Sie war nicht mehr im Stande gewesen ihre Emotionen noch länger kontrollieren zu können. Die letzten Stunden waren zu viel gewesen.
Lexa hoffte inständig, dass Eric ihre verheulten Augen nicht bemerkte, wenn sie ihm gleich gegenüberstand.
Aber sie machte sich Illusionen, das war ihr eigentlich klar. Natürlich würde er sofort registrieren, dass sie sich hatte gehen lassen, sie schwach geworden war.
Sie hatte versagt.
Eine Ferox flennt nicht rum, wie ein Schwächling. Warum hatte sie sich nicht unter Kontrolle gehabt? Wie hatte es dieser Mann schaffen können, dass ihr die Contenance so entgleiten konnte?
Endlich durfte sie eintreten.
Leise schloss sie hinter sich die Tür und blieb mit dem Rücken zu dieser im Raum stehen.
Erics Platz am Schreibtisch war leer.
Unsicher sah sich Lexa um.
“Ich bin immer in deiner Nähe, auch wenn du mich nicht siehst.”
Vor Schreck zuckte die Ausbilderin zusammen, wich schnell nach links aus.
Grinsend, mit einer Tasse dampfenden Kaffee in der Hand, stand der blonde Anführer nur etwa einen Meter von ihr entfernt vor ihr.
Offenbar frisch geduscht und fit wie kurz nach dem Aufstehen. Konnte diesen Kerl denn gar nichts aus der Bahn werfen?
Er hatte sie gerade eben fast zu Tode erschreckt.
“Ich weiß, dass du mich ständig beobachtest und kontrollierst”, Lexa versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen, obwohl ihr das Herz bis zum Halse klopfte.
Sie spürte, wie leise Panik in ihr aufstieg.
Sie musste all ihre Willensstärke aufbieten, um wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben.
An seiner Tasse nippend, ging Eric langsam auf seinen Schreibtisch zu. Lehnte sich lässig gegen diesen und sah Lexa herausfordernd an.
“Und trotzdem verlässt du ohne Erlaubnis vorzeitig dein Training, triffst dich stattdessen mit deinen Freunden und säufst bis zum Morgengrauen. Ganz zu schweigen von deinem respektlosen Verhalten heute Abend, als du die Kamera bemerkt hast. Ach ja, und glaube nicht, dass ich deinen kleinen Heulkrampf gerade eben, nicht auch bemerkt habe.”
Abwartend sah er sie an.
Gerade als Lexa den Mund öffnen wollte, um ihm ihr Verhalten zu erklären, klopfte es laut an Erics Tür.
Herein trat eine kleine, schlanke Frau mit kurzen, weiß gefärbten Haaren. Max Assistentin.
Lexa hatte sie schon öfters zusammen mit dem obersten Anführer gesehen.
Sie schien in Eile zu sein, beugte sich nur halb ins Zimmer, behielt die Klinke der Tür, in der Hand.
„Eric? Wo bleibst du? Das Meeting hat schon angefangen, alle warten auf dich!“
Ein fragender Ausdruck huschte dem Blonden kurz über das sonst so kontrollierte Gesicht.
Ein seltenes Phänomen, welches Lexa mit Genugtuung beobachtete. Anscheinend vergaß also auch ein Eric Coulter mal etwas.
„Das Meeting ist doch erst morgen Nachmittag? Was redest du?“ Entgegnete er der ungeduldig wartenden Assistentin.
Diese schien über seine Belehrung nicht begeistert zu sein.
„Schau in deinen Terminplaner, es wurde vorgezogen. Aiden hat ihn bestimmt aktualisiert. Der ist übrigens auch da. Nur du nicht.“ Der genervte Tonfall in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Schon war die Kurzhaarige wieder verschwunden und die Tür fiel hinter ihr, laut ins Schloss.
„Du hast echt Talent darin, andere Leute auf die Palme zu bringen“, rutschte es Lexa heraus.
Doch kaum hatte sie die Worte gesagt, bereute sie diese sofort wieder.
Wie konnte sie nur so dumm sein, und laut aussprechen, was sie dachte? Und dann auch noch ausgerechnet vor Eric?
Am liebsten hätte sie sich geohrfeigt.
Erst war sie kurz vorm Hyperventilieren, weil er sie erneut zum Rapport einbestellte, und dann war sie so selten dämlich und riss wieder ungefragt die Klappe auf.
Geschockt von ihrem eigenen Verhalten, sah sie scheu zu Eric. Jetzt würde er ausrasten, da war sie sie sich sicher.
Aber ihr Vorgesetzter sah sie nur verdutzt an.
Anscheinend hatte auch er nicht mit einer solch leichtsinnigen Aussage gerechnet. Er hob ungläubig die Augenbrauen und setzte seine Tasse an seine Lippen, um zu trinken.
Das schiefe Grinsen, welches Lexa trotzdem mitbekam, konnte er damit aber nicht wie gewollt kaschieren.
„Einmal Candor, immer Candor, was? Was ist aus Fraktion vor Blut geworden?“
Mit dieser Art Reaktion hatte Lexa nicht gerechnet.
Mit Rumschreien, einer Strafe oder einer Belehrung, wie sich ihm gegenüber angemessen zu verhalten hatte, schon eher. Aber ein Grinsen und keinerlei Zurechtweisung?
Sie wartete ab.
Eine reumütige Entschuldigung lag ihr schon auf der Zunge. Aber wenn es diese nicht brauchte, würde sie auch nicht auf Knien rutschen.
„Du hast Glück, denn anscheinend muss ich weg.“
Er stellte seine leere Tasse ruhig auf dem Arbeitstisch hinter sich ab und fuhr nach einer kurzen Pause, fort.
Es schien fast, als ob er selbst noch nicht genau wusste, was er sagen wollte. Selbstsicher hob er aber nach einer Weile den Kopf ein Stückchen, sein Blick wurde wieder kalt.
„Dein Rumgezicke hat ab sofort ein Ende! Du tust, was ich dir sage, egal ob es dir passt, oder nicht! Das betrifft sowohl dein Training als auch deine Freizeitgestaltung.“
Drohend trat er wie in Zeitlupe auf sie zu. Weniger als eine Armlänge von ihr entfernt, blieb er stehen.
Kaum das Lexa ihren Mund öffnete, um etwas zu entgegnen, schnitt er ihr auch schon herrisch das Wort ab.
„Das ist ein Befehl! Rumgeflenne dulde ich nicht. Lerne deine Emotionen in den Griff zu bekommen!“
Er wandte sich von ihr ab, nur um sich anschließend wieder zu ihr umzudrehen.
„Und vor allem dein loses Mundwerk.“
Heiße Wut kroch in der Ausbilderin hoch.
Dieser Idiot meinte wirklich, dass er sie herumkommandieren konnte, wie er wollte!
„Habe ich denn gar kein Recht auf Privatleben? Du kontrollierst mich von früh bis spät, lässt mir keinerlei Freizeit mehr. Ich bin doch nicht deine persönliche Dienstmagd! Was hat das alles mit der Ausbildung zu tun, Eric? Was soll der ganze Scheiß?!“
Mit gerunzelter Stirn sah er Lexa an.
„Wie bitte? Was glaubst du, wen du vor dir hast? Deine Ausbildung kann erst beginnen, wenn ich mich auf dich verlassen kann, und das kann ich nicht, wie du gerade eben wieder eindrucksvoll bewiesen hast. Lerne gefälligst, dich unterzuordnen! Ich werde für dieses Mal vergessen, dass du wie eine devote Altruan rumgeheult hast, aber noch einmal lasse ich dir das nicht durchgehen. Genau wie deine ätzenden Stimmungsschwankungen. Und jetzt verschwinde, bevor ich es mir noch anders überlege!“
Seine laute, schneidende Stimme hallte durch sein Büro.
Erics fadenscheinige Argumentation machte Lexa rasend. Dazu kam, dass sie nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob er ihr die Wahrheit sagte. Irgendwas war hier nicht ganz richtig.
Er machte ein solches Tara um ihre Ausbildung, aber weshalb? Sie verstand den Sinn dahinter einfach nicht.
Lexa konnte ihn beim besten Willen nicht durchschauen.
Dieser Mann hatte seine Mimik und Gestik derart unter Kontrolle, sodass sie nur Vermutungen anstellen konnte. Aber so leicht ließ sie ihn nicht davonkommen. Mit verengten Augen und einem vor Sarkasmus triefenden Unterton, warf sie ihm ein „Ja, klar. Das mit dem Lügen, musst du noch üben, Coulter!“ vor die Füße und verschwand anschließend grußlos durch die Tür.
Falls er ihr tatsächlich etwas verheimlichte, würde er jetzt hoffentlich merken, dass sie ihn durchschaute.
Wenn er es nicht tat, hatte sie sich gerade total zum Deppen gemacht. Aber ab und an musste man eben volles Risiko gehen.
Dieses elende Weibsstück trieb ihn noch in den Wahnsinn!
Eric rieb sich mit Daumen und Zeigefinger genervt die Nasenwurzel.
Wenn das so weiter ging, würde sie ihm noch den allerletzten Nerv rauben.
Allerdings hatte er Max bei seiner Wahl zugestimmt und dieser hatte inzwischen schon alles Erforderliche in die Wege geleitet. Es gab kein Zurück mehr.
Er würde sich mit Lexa arrangieren müssen.
Und diese sollte endlich begreifen, dass sie sich ihm gefälligst unterzuordnen hatte.
Eigentlich wäre heute der Tag gewesen, an dem sie ihren Verwendungswechsel in der Fraktion bekannt geben wollten. Aber solange sich die Ausbilderin weiterhin so quer stellte, war daran nicht im Entferntesten zu denken.
Allmählich fingen die Probleme an, überhandzunehmen.
Und scheinbar war er derjenige, der sich um jedes einzelne davon zu kümmern hatte.
Er hatte eine kleine Niederlage einstecken müssen, denn anscheinend kaufte sie ihm nicht mehr ohne weiteres alles ab, was er ihr auftischte.
Er musste sich wirklich besser im Griff haben.
Aber wenigstens hatte er sie endlich so weit, dass sie ihre sonst so kontrollierten Gefühle nicht mehr im Zaum halten konnte. Auch sie würde irgendwann einsehen, dass er am längeren Hebel saß.
Auch bestens ausgebildete, ehemalige Candor, hatten auf lange Sicht, nicht die leiseste Chance gegen ihn.
Sein Plan war aufgegangen.
Er hatte sie, wo er sie haben wollte.
Sie stand am Scheideweg.
Nur hatte sie sich noch nicht entschieden, welchen Weg sie einschlagen würde.
Anscheinend musste er noch ein wenig nachhelfen, aber ein kleiner Schubs in die richtige Richtung, hatte schließlich noch niemandem geschadet.
Wut entbrannt, pfefferte Lexa ihre Tasche mit den Sportsachen in ihre dunkle Wohnung.
Sie konnte und wollte sich nicht beruhigen. Auch wenn ihr Streit schon mehr als 18 Stunden zurück lag.
‚Was glaubst du, wen du vor dir hast‘, äffte sie in Gedanken ihren Anführer nach.
Dieser Arsch!
Etwas von aufeinander verlassen quatschen und dann log er ihr anschließend dreist ins Gesicht. Sie hatte nicht um den Job als Ausbilderin der Initianten gebeten, er zwang sie schließlich dazu!
Und jetzt erwartete er auch noch, dass sie 24 Stunden am Tag, nach seiner Pfeife tanzte.
Das alles war doch eine Farce!
Er tat ja gerade so, als ob diese Ausbildung, der heilige Gral des Fraktionssystems wäre!
Sie hatte die Schnauze gestrichen voll, von diesem Mist.
Sollte er sich doch eine andere Dumme, für diesen völlig überbewerteten Job suchen!
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