32.
Ein Funkspruch der diensthabenden Wache des Haupttores erreichte ihn. Schnaufend gab er seinem Vorgesetzten durch, dass der Hubschrauberlandeplatz jetzt frei geräumt war.
Eric hatte Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen, damit die Ken bei diesem schlechten Wetter, trotzdem einen Helikopter schickten.
Sämtliche Wachen, die im Moment nicht unbedingt gebraucht wurden, verdonnerte er zum freischaufeln des Landeplatzes und der Pilot würde irgendwann bestimmt auch einen Gefallen von ihm einfordern. Ganz zu schweigen von den Rechtfertigungen vor den Ken, warum er für eine halbtote Ausbilderin, so einen Aufriss veranstaltete.
Er war mittlerweile zurück im Schockraum.
Er war es nicht gewohnt, hilflos rumzustehen, ohne Einfluss auf die momentane Situation nehmen zu können.
Lexa musste inzwischen von Maschinen beatmet werden. Dr. Jenner hatte sie in ein künstliches Koma versetzten müssen.
Er fühlte sich fehl am Platz, hier mitten in dem Gewusel aus Ärzten und Krankenpflegern.
Zur Untätigkeit verdammt, konnte er nur zusehen, wie ihr Blut weiter von der Pritsche, auf der sie lag, auf die hellen Fliesen darunter tropfte.
Eric machte sich unbewusst Sorgen. Das war eine Menge Blut. Es sammelte sich inzwischen in mehreren großen Lachen unter der Pritsche, dazwischen aufgerissene Verpackungen von Schläuchen und Kanülen, die jetzt überall in seiner Auszubildenden steckten.
Sie atmete, zwar unterstützt durch ein Beatmungsgerät, aber immerhin. Aber sie sah schlimm aus. Sehr schlimm.
Hoffentlich schaffte sie es.
Wieder knisterte sein Funkgerät, riss ihn aus den für ihn ungewohnten, Gedanken. Der Hubschrauber war gelandet.
Sofort kam Bewegung in den Raum.
Selbst nachdem mittlerweile Stunden vergangen waren, in denen er persönlich sichergestellt hatte, dass Lexa bei den Ken die bestmögliche Versorgung bekam, war seine Wut auf David noch nicht einmal ansatzweise verraucht.
Ganz im Gegenteil.
Auch die anklagenden Worte ihrer Freundin spukten ihm weiterhin im Kopf herum. Sie hatte Recht. Warum hatte er das zugelassen? Er hätte doch damit rechnen müssen, dass Lexa ihrem Gegner nicht einmal im Ansatz gewachsen war.
Was, wenn sie diesen Kampf nicht überleben würde?
Er war ihr Ausbilder und sie nicht irgendeine unwichtige Initiantin, bei der es egal wäre, ob sie hintenüberfiele. Würde sie jetzt draufgehen, hätte nicht nur er ein Problem, sondern die gesamte Führungsriege der Fraktion.
Kaum das er zurück im Ferox Hauptquartier war, machte er sich sofort auf die Suche nach diesem dreckigen Bastard.
In dessen Wohnung war er schlussendlich fündig geworden.
Als Anführer konnte er jede Wohnung ungefragt betreten, aber selbst, wenn er die Tür eingetreten hätte, hätte das besoffene Stück Scheiße, den Blonden nicht bemerkt.
Stattdessen weckte er, den nach bestialisch Alkohol und Schweiß stinkenden, schlafenden Kämpfer, mit einer krachenden Rechten auf.
Dieser wusste gar nicht, wie ihm geschah, schon fing er sich die nächste ein.
Polternd stürzte er aus seinem Bett, auf den kalten Betonboden und sah seinen Anführer rasend vor Wut vor sich stehen.
Dieser kniete sich jetzt zu dem Blutenden hinunter und kam dessen Gesicht gefährlich nahe.
„Du hast einen direkten Befehl missachtet."
Beängstigend ruhig sprach er zu dem vor ihm Sitzenden, der sofort unkontrolliert zu zittern begann.
„Du erinnerst dich, was auf Befehlsverweigerung steht?"
Ein diabolisches Grinsen huschte über Erics Gesicht, welches sich nur Sekundenbruchteile später, wieder in eine dunkle Fratze des Hasses und der Rache wandelte.
Dafür, dass seine designierte Ausbilderin bei den Ken gerade um ihr Leben kämpfte, würde dieser Schweinehund bezahlen!
Fast schon hysterisch, stammelte David eine fadenscheinige Ausrede zusammen.
„Ich, ich habe es versucht! Sie ... Sie ging einfach nicht KO! Du hast es doch gesehen! ... Das Weib, sie stand einfach immer wieder auf!"
Gespielt mitleidig, sah Eric den sonst so aufgeplusterten Profikämpfer an.
„Man sollte meinen, dass gerade du wüsstest, wie man jemanden effektiv aus dem Kampf nimmt. Ich habe dich wohl überschätzt. Wird nicht noch einmal passieren."
Damit stand er auf und trat dem noch immer am Boden sitzenden, ohne Vorwarnung, mit voller Kraft gegen den Kiefer.
Etwas Weißes flog in hohen Bogen zu Boden, zusammen mit Blut vermischtem Speichel, der wie Gischt aus dessen Mund stob. „Steh auf!", brüllte Eric ihn an, doch dieser rührte sich nicht, starrte nur mit angsterfülltem Blick zu dem großen Blonden hoch.
Dunkles Blut, das aus einer tiefen Platzwunde an dessen linken Auge lief, vermischte sich mit hellem, welches vermengt mit Speichel, von seiner bebenden Unterlippe tropfte.
Jetzt war es mit Erics Beherrschung endgültig vorbei, er packte den lethargischen David an seinem ekelhaft verschwitzten Unterhemd und riss ihn brutal auf die Beine.
Bevor dieser überhaupt reagieren konnte, kassierte er mehrere heftige Faustschläge von einem Eric, der inzwischen vor lauter Raserei Rot sah. Als ob der massige Profi eine Puppe wäre, wurde er von seinem Anführer durch seine Wohnung geprügelt. Eric kannte kein Erbarmen.
Vor Angst und Schock gelähmt, kam von dem Kämpfer so gut wie gar keine Gegenwehr mehr.
Dass er von ihm anschließend halb tot zur Schlucht geschliffen wurde, bekam David dann genauso wenig mit, wie dass er sich vor lauter Angst sogar einnässte.
Am nächsten Morgen wurde Davids unansehnliche Leiche von zwei Wachen am Fuße der Schlucht gefunden.
Unzählige schaulustige Ferox sahen mit an, wie der siegreiche Kämpfer von gestern, von mehreren Helfern in einen schwarzen Leichensack gehievt wurde, um ihn anschließend zum feroxeigenen Krematorium zu bringen.
Unter den geschockten Zuschauern stand auch Raphael, zusammen mit seiner Freundin Mira, die erschüttert eine Hand vor den Mund hielt.
„Er hat es nicht anders verdient." Raphael konnte kein Mitleid für das Ableben Davids empfinden. Im Gegenteil, er sah darin die gerechte Strafe für denjenigen, der Lexa gestern so zurichtete. „Glaubst du, er ist gestoßen worden?"
Die kleine Dunkelblonde sah fragend zu ihrem Freund hoch. „Definitiv."
Der plötzliche Tod Davids, machte in der Fraktion schnell die Runde.
Die wildesten Theorien wurden aufgestellt, doch das Eric der Verantwortliche hierfür war, hielt sich am hartnäckigsten.
Schließlich hatte jeder inzwischen mitbekommen, dass er Lexa auf seinen Armen aus dem Ring trug.
Solch ein barmherziges Verhalten hatte man - gerade von ihm - am wenigsten erwartet.
Dieses führte aber im Nachhinein zu heftigen Spekulationen, bis in die höchsten Reihen der Ferox.
Es war Mittag, der Speisesaal voll besetzt, die Stimmung angespannt. Ein Fraktionsmitglied war gestorben und der Verantwortliche hierfür noch nicht gefunden.
Alle Gespräche verstummten augenblicklich, als Eric Coulter mit versteinerter Miene den Saal betrat.
Seine aufgeplatzten Knöchel der rechten Hand waren nicht zu übersehen, er versteckte sie nicht, versuchte es nicht einmal.
Sollte doch jeder wissen, dass er es gewesen war, der David auf dem Gewissen hatte.
Er bereute nichts.
Wortlos setzte er sich zu den anderen Anführern an den Tisch. Sämtliche Augenpaare waren auf ihn gerichtet, als er sich seine Mahlzeit zusammenstellte.
Mit einem Blick der einen vor Kälte zusammenzucken ließ, sah er sich kurz am Tisch um.
Ertappt widmeten sich die anderen wieder ihrem Essen, zogen schnell die Köpfe ein, nur Max aß ungerührt weiter.
Und doch stand die eine, alles beherrschende Frage im Raum. Warum?
Warum hatte er, noch bevor der Kampf überhaupt offiziell beendet gewesen war, den Ring betreten? Warum kümmerte er sich um diese Ausbilderin, obwohl sie von ihrem Gegner fertig gemacht worden war?
Und warum musste David daraufhin sterben?
„Wie geht es Lexa?", fragte ihn Lucien leise von der Seite, darauf bedacht keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Wer weiß, wie die anderen Anführer geradezu Coulter standen. Bisher hatte noch keiner von ihnen, dieses heikle Thema angeschnitten. Das Eric Davids Mörder war, stand für die anderen und auch Lucien, aber bereits unumstößlich fest.
„Unverändert."
„Hast du nach dem Essen eine Minute?"
Eric hob seinen Kopf bedrohlich langsam in Luciens Richtung.
Was glaubte dieser Armleuchter eigentlich, wer er war, dachte sich Eric.
Der Kahlköpfige war für die Strafverfolgung zuständig, aber nur außerhalb des Ferox Gebietes. Hier hatte er dahingehend nichts zu melden.
Eric war für die innere Sicherheit verantwortlich. Somit könnte nur sein Vorgesetzter Max, ihm etwas anhaben.
Doch dieser würde einen Teufel tun und ihn für Davids Tod zur Rechenschaft ziehen.
Der schneidende Blick, der Lucien traf, ließ ihn augenblicklich seinen letzten Satz bereuen.
Im Raum war es immer noch still. So still, dass jeder der anwesenden hören konnte, was Eric jetzt laut zu Lucien sagte.
„Befehlsverweigerung."
Eric hob herausfordernd seinen Kopf, sah kurz in die Runde.
Ja, alle hatten es gehört. Hoffentlich wusste jetzt jeder, was ihm blühte, wenn er einen direkten Befehl von ihm verweigerte.
Um welchen Befehl genau es sich handelte, musste die Herde nicht wissen.
Nur das sie gefälligst zu folgen hatten, wenn er führte.
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