31.
Dicke Flocken schwebten langsam Richtung Boden, die Schneedecke wurde kontinuierlich höher.
Seit Tagen schneite es jetzt schon ohne Pause, das komplette Leben der Fraktionen war quasi zum Erliegen gekommen.
Dick eingepackt standen die Wachen in ihren Unterständen, selbst die Fraktionslosen hatten sich in irgendwelche, dunklen Löcher verkrochen.
Der Zugverkehr war seit zwei Tagen schon eingestellt, die Altruan kamen mit dem Freiräumen der Gleise, einfach nicht mehr hinterher, obwohl ihnen vom Rat hunderte Fraktionslose zur Unterstützung zugeteilt worden waren.
Eric riss sich genervt von dem trostlosen Anblick los, der sich ihm von seinem Bürofenster aus bot. Seine tägliche Joggingrunde hatte er erneut in der Halle absolvieren müssen und ein Ende dieses Mistwetters war nicht in Sicht.
Kurz sah er zu der Uhr auf seinem Schreibtisch.
Er hatte David zu einem Gespräch einbestellt und dieser würde jeden Moment eintreffen.
Gestern musste er das Training mit Lexa abbrechen, sie war noch nicht in der Lage adäquate Leistung zu erbringen.
Ihre rechte Hand war nicht zu gebrauchen und bei dem Rest ihrer Verletzungen sah es nicht besser aus.
Besonders ihr Auge machte ihm Sorgen. Es war immer noch blutunterlaufen und geschwollen. Den Kampf nach hinten zu schieben war keine Option, er konnte es nicht riskieren, dass seine Einmischungen aufflogen.
Er musste dieses Problem diesmal anders lösen.
Das Risiko das Lexa den Ring mit bleibenden Schäden, oder sogar tot verlassen würde, war ihm zu hoch.
Es klopfte.
Wie zur Hölle sollte sie den morgigen Abend überleben?
Skeptisch besah Lexa sich ihren geschundenen Körper im Spiegel. Überall blaue Flecken, ihre Hand tat immer noch weh, eine Faust zu machen, war fast unmöglich.
Ihr Auge sah schlimm aus, jede Berührung schmerzte und sie sah auf diesem auch nur Verschwommen.
Jeden Tag war Dr. Jenner gekommen und hatte nach ihr gesehen.
Jeden Abend bekam sie Infusionen und Eric jagte ihr zusätzlich noch eine Spritze in den Bauch.
Wer weiß, was er ihr da verabreichte, sie bezweifelte, dass es Medikamente waren, die auch die 'normalen' Ferox bekamen. Sie hatte allerdings mittlerweile gelernt, nicht nachzufragen.
Von ihm bekam sie sowieso nie Erklärungen, egal was sie fragte. Außerdem war sie froh wenn er wieder weg war. Es lag jedes Mal eine nicht definierbare Anspannung über dem Raum, wenn er ihre Wohnung betrat. Und dass er ihr dabei so nah kam, machte es nicht besser.
Aber trotz allem ging es ihrem Körper immer noch beschissen.
Vielleicht sollte sie akzeptieren, dass ihre Reise hier zu Ende war.
Jetzt konnte sie eigentlich nur noch hoffen, dass David ihr schnell die Lichter ausblies und es nicht zu schmerzhaft für sie werden würde.
Lexas Einlaufmusik dröhnte durch den bis auf den letzten Zentimeter mit Ferox gefüllten Fightclub.
Die Luft war stickig und es roch nach Schweiß und Alkohol. Ekelhaft.
Wenigstens riss sich Maddox heute am Riemen.
Eric wollte nicht hier sein, er wusste wie dieser Kampf ausgehen würde und es passte ihm überhaupt nicht.
Neben ihm nahm schwerfällig Richard Platz.
Der Alte hatte seinen Kampf natürlich verloren und war somit nicht mehr unter den zehn Besten der Fraktion vertreten.
Eine Blamage sondergleichen.
Nicht nur für den grauen Logistiker, sondern auch für die gesamte Fraktion.
Er beachtete ihn nicht weiter, für ihn war Richard überflüssig wie Fußpilz.
Max saß wie jedes Mal links von ihm, mindestens genauso angespannt, wie er selbst.
Das nervöse Kauen auf der Innenseite seiner Wange verriet ihn. Auch dem Schwarzen war klar, dass das hier, wie ein Gang zum Scharfrichter für die Ausbilderin war.
Lexa lief ein, das Humpeln war zum Glück verschwunden.
Noch bevor Raphael aufgetaucht war, spritzte Eric ihr noch ein starkes Schmerzmittel. Nicht ohne heftige Diskussionen mit Lexa im Vorfeld - aber in solch desolatem Zustand, hätte sie unmöglich diesen Kampf antreten können.
Ob sie diesen Fakt schlussendlich einsah oder nicht, war ihm egal.
David folgte.
Im letzten Tournament hatte er seinen Gegner fast umgebracht, eine Woche später fanden Wachen dessen Leiche am Fuße der Schlucht.
Er war beim Kampf derart schwer verletzt worden, dass er keine Alternative mehr für sich sah.
Eric hoffte inständig, dass sich David an deren Abmachung hielt und Lexa in einem Stück und so schnell wie möglich, den Ring verließ.
Der Ansager brüllte die obligatorischen Infos in die Menge. Eric spürte, wie seine Handflächen schwitzig wurden.
Eigentlich hatte er mit Nervosität sonst keine Probleme, so schnell brachte ihn nichts aus der Ruhe.
Aber diesmal war es anders, er konnte das Kommende nicht mehr kontrollieren und das brachte ihn ungewollt aus der Fassung.
Eine für ihn ungewohnte Situation, er erkannte sich selbst kaum wieder.
Max wollte irgendwas sagen, aber Erics Blick spuckte Gift und Galle, besser man ließ ihn in Ruhe. Wahrscheinlich hoffte dieser genauso wie er, dass dieser Kampf kurz und schmerzlos von statten gehen würde.
Sein Blick glitt zurück zum Ring, der Ansager war verschwunden, das Unvermeidliche begann.
Sofort ging die Ausbilderin auf den riesigen Profikämpfer los, kam aber nicht weit.
Sie wurde sofort von ihm abgefangen und heftig auf den Mattenboden geschleudert.
Zwar rappelte sie sich schnell wieder auf, aber prompt bekam sie einen kräftigen Tritt in den Bauch ab.
Krachend landete seine Rechte anschließend in ihrem Gesicht.
Augenblicklich öffnete sich ein Cut über ihrer Augenbraue und blutete stark. Zu allem Übel, hatte er die noch nicht vollständig verheilte Augenhöhle getroffen.
Sie taumelte.
Max schielte zu Eric, der wirkte äußerlich emotionslos wie immer.
Max traute sich gar nicht mehr hinzusehen, jedes Mal, wenn er es doch tat, bereute er es sofort wieder.
Der fromme Wunsch, dass David die Sache schnell zu Ende bringen möge, schien nicht in Erfüllung zu gehen.
Lexa war schon jetzt schwer gezeichnet, dabei waren erst knapp vier Minuten vergangen.
Blut überall, aber sie hielt sich wacker auf den Beinen.
Noch.
Neben ihm wurde Eric allmählich unruhig.
Er kannte ihn seit dessen Initiation, noch nie hatte er ihn so aufgewühlt gesehen.
Sein Nachfolger schäumte geradezu vor Wut. Zwar sagte er keinen Ton, aber das brauchte er auch nicht. Der angespannte Kiefer und der zu einem schmalen Strich zusammengepresste Mund, sprachen Bände.
Der einseitige Kampf lief immer noch, es war erschreckend.
Max hoffte inständig, dass Lexa endlich von diesem Berserker ausgeknockt werden würde, er wollte sich das nicht mehr länger mit ansehen.
Vor allem hatte er aber Sorge, dass die Blonde so schwer verletzt werden würde, dass sie für ihre künftige Verwendung nicht mehr infrage kam.
Es war doch schon alles vorbereitet. Einen adäquaten Ersatz zu finden, war in der kurzen Zeit so gut wie unmöglich.
Auch Eric hatte anscheinend genug davon zuzusehen, wie seine Schülerin fast totgeprügelt wurde. Er verließ fluchtartig die Tribüne und rief anschließend mehrere Wachen zu sich, verschwand dann mit ihnen in der tobenden Menge.
Tina wollte nicht mehr hinsehen. Heiße Tränen liefen ihr links und rechts die Wangen runter.
Hinter Raphaels Rücken kauernd, versteckte sie ihr Gesicht und hielt sich die Ohren zu.
Konnte nicht endlich jemand eingreifen?!
Kaum, dass sie kurz über die Schulter ihres Kumpels sah, musste sie schockiert mit ansehen, wie Lexa abermals schwer zu Boden ging.
David stieg ungehindert über sie und schlug mit beiden Fäusten brutal auf die mittlerweile wehrlose Frau ein.
Tina zuckte bei jedem Treffer zusammen, bekam Lexa überhaupt noch mit, was dieser Wahnsinnige da tat?
Die Brünette hoffte, dass ihre Freundin mittlerweile bewusstlos war. Das wäre wirklich das Beste, was ihr in dieser momentan ausweglosen Situation passieren konnte.
War das da drüben nicht Eric?
Ja, da stand er!
Umgeben von unzähligen Wachen stand er unmittelbar vorm Ring und stierte den Ringrichter giftig an.
Wenn jemand diesen ungleichen Kampf beenden konnte, dann er! Tina riss sich von Raphael los, der schon ahnte, was Tina vorhatte und versuchte sie festzuhalten.
Entschlossen stürzte sie auf den Anführer zu, aber die Wachen um ihn herum, ließen sie nicht zu ihm durch.
„ERIC! MACH DAS ER AUFHÖRT! ER BRINGT SIE UM!"
Langsam wendete er ihr den Kopf zu, sie konnte die blanke Wut in seinem Gesicht sehen.
Was da gerade im Ring passierte, schien auch nicht in seinem Sinne zu sein.
„ERIC! BITTE!"
Laut schluchzend, flehte sie den blonden Anführer an.
Endlich hatte der Ringrichter ein Einsehen und schritt ein.
David würdigte sein regungsloses Opfer keines Blickes mehr und ließ sich lautstark von seinen Anhängern für sein blutiges Werk feiern.
Tina versuchte wieder an den Wachen vorbeizukommen, aber diese bildeten eine regelrechte Mauer um den einzigen Zugang zum Ring.
Sie konnte sehen, wie Eric den neben der scheinbar bewusstlosen Lexa knienden Ringrichter grob zur Seite schubste und sie sofort auf seine Arme nahm.
Ohne auf den Summton zu warten, der den Kampf offiziell beendete, trug er die Blutüberströmte aus dem Ring.
Die schwer bewaffneten Wachen bildeten eine undurchdringliche Gasse und schützten beide so auch vor neugierigen Blicken.
Tina rannte ihnen hinterher. Es war ihr egal, ob sie von ihm angeschnauzt werden würde oder ob die Wachen sie würden wegtragen müssen. Sie musste wissen, was mit Lexa war.
Eine Wache hatte Eric schon vorausgeschickt, bevor der Kampf überhaupt vorbei gewesen war.
Er wollte, dass in der Krankenstation der Schockraum, inklusive Personal Gewehr bei Fuß standen, wenn er mit Lexa eintraf.
Auf Station angekommen, wurden sie schon von Dr. Jenner und seinem Team erwartet.
„Wie sieht es aus?"
Sofort schob er Eric eine Liege entgegen, damit er die immer noch bewusstlose Ausbilderin darauf ablegen konnte.
„Beschissen!"
Anders konnte man die derzeitige Situation, beim besten Willen nicht beschreiben.
Am liebsten würde er sofort wieder zurück in die Arena stürmen und David die Lichter persönlich auspusten.
Sie hatten eine Abmachung gehabt!
Jetzt musste er hoffen, dass das Blondchen nicht unter seinen Händen wegstarb.
„Sie blutet stark, wir müssen sie sauber machen, ich kann die einzelnen Wunden nicht sehen!" May tat ihr Möglichstes, um unter all dem Blut Lexas Gesicht wieder zum Vorschein zu bringen.
Aber was Eric da sah, hatte mit dem ursprünglichen Antlitz der Ausbilderin nicht mehr viel zu tun.
Tumult brach vor der geschlossenen Tür des Krankenzimmers aus.
Eric erkannte Tinas Stimme und auch einer von Lexas Kumpels war wohl vor der Tür. Hysterisches Rumgeheule konnte er jetzt, in dieser sowieso schon angespannten Situation, wirklich nicht gebrauchen.
Hoffentlich brachten seine Wachen die Lage vor der Tür schnell unter Kontrolle und Lexas Freunde zum Schweigen.
Der Arzt wirkte besorgt, an Eric gerichtet sagte er „sie hat mehrere Knochenbrüche, unzählige Hämatome, tiefe Platzwunden, ich vermute ein Schädel-Hirn-Trauma und sie reagiert kaum noch. Sie muss so schnell wie möglich zu den Ken!"
Seufzend wollte Eric sein Tablet aus der Tasche ziehen, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als er seine blutverschmierten Hände bemerkte. Er sah sich nach einer Waschmöglichkeit um, aber zur Not mussten ihm Papierhandtücher reichen.
„Macht sie bereit, ich kümmere mich darum."
Er verließ zügig den Schockraum, um den Ken Bescheid zu sagen und dafür zu sorgen, dass ihr die Maximalversorgung zuteilwurde, obwohl sie eigentlich nicht den entsprechenden Rang dafür inne hatte. Aber sofort wurde er von einer aufgelösten Tina in Beschlag genommen, die wissen wollte, wie es um ihre Freundin stand.
Auch Raphael war bei ihr, versuchte sein Möglichstes Lexas Freundin zu beruhigen, was ihm aber nicht einmal ansatzweise gelang.
„Warum sind die immer noch hier?", fuhr er grob die Wache neben sich an, diese suchte händeringend nach einer passenden Ausrede, stotterte aber nur eingeschüchtert vor sich hin.
Tina ließ ihm keine Ruhe, immer wieder redete sie auf ihn ein und hing an ihm.
Er hasste es, so belagert zu werden, vor allem jetzt! Er hatte jetzt keine Zeit für ihr hysterisches Gejammer!
Ohne die Beiden eines weiteren Blickes zu würdigen, bog er ums nächste Eck und startete den Videoanruf beim diensthabenden Chefarzt der Ken.
Raphael hatte dem blonden Anführer ansehen können, dass dieser im Moment keinen Nerv für dieses Theater hatte.
„Tina! Jetzt beruhige dich, sonst wirft er uns raus! Warte, bis er fertig ist, bitte!" Der Hellblonde bekniete sie regelrecht, damit sie endlich Ruhe gab.
Endlich kam Eric zurück, erst jetzt fiel Lexas Kumpel auf, wie blutverschmiert dieser war. Hände, Uniform, sogar im Gesicht des Anführers klebte Lexas Blut.
Er selber hatte es nicht gesehen, aber Tina erzählte ihm, dass Eric Lexa persönlich hertrug.
Dieser Arsch war anscheinend doch nicht ganz so empathielos wie gedacht. Raphael sah Eric dabei zu, wie dieser zügig wieder in Richtung des Raumes ging, in dem Lexa behandelt wurde.
Kurz vor der Tür hielt er aber inne und sah auf deren Freunde, die ihn erwartungsvoll anblickten.
„Sie wird zu den Ken verlegt. Mehr kann ich im Moment nicht sagen."
„Wird sie wieder?" Schniefend fragte Tina bei Eric nach.
Kurz sah Eric zu Raphael, dieser bemerkte, wie sehr der Anführer mit sich rang. Eigentlich wollte er ihr keine Antwort geben, gab sich aber einen Ruck und sah dann zu Tina.
„Sie ist schwer verletzt, bei den Ken bekommt sie die bestmögliche Behandlung."
„Warum hast du überhaupt zugelassen, dass sie gegen dieses Monster kämpfen musste?!"
Raphi ahnte, dass diese Frage kommen würde.
Er stellte sich gedanklich auf das folgende Donnerwetter ein, aber Eric sah Tina nur mit eiskaltem Blick an und öffnete wortlos die Tür zum Schockraum, in dem er anschließend ohne ein weiteres Wort, verschwand.
Zurück blieben eine aufgelöste Tina und ein besorgter Raphael, dem es mehr schlecht als recht gelang, die Schluchzende zu beruhigen.
Er hatte Eric noch nie so gesehen. Er wirkte fast so, als ob er sich Sorgen um Lexa machen würde. Raphi hielt es nie für möglich, dass Coulter Anteil am Leid, eines anderen Menschen nehmen würde.
Vielleicht hatte er ihm doch Unrecht getan?
War er am Ende gar kein solch unbarmherziges Scheusal, wie er immer glaubte?
Grübelnd reichte er Tina ein weiteres Papiertuch und kaute gedankenverloren auf seiner Lippe herum.
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