29.
„Boah, hier bist du! Hier ist alles so verwinkelt und dunkel und alle drei Meter will jemand wissen, was ich hier zu suchen habe." Schimpfend und vor allem abgehetzt schmiss Raphael seine mitgebrachte Sporttasche Lexa zu Füßen, die schon ungeduldig auf ihn gewartet hatte.
„War bei mir nicht anders, hab mich auch verlaufen. Aber jetzt bist du ja endlich da."
Raphi kniete vor ihr und kramte in seiner Tasche nach dem Tape und der Watte, um ihre Knöchel zu polstern.
„Hast du gewusst, dass man nur zu dir reinkommt, wenn man vorher angemeldet wurde? Hab schon damit gerechnet, dass die mich wieder rauswerfen!"
Lexa grinste.
Das hatte sie nicht gewusst, aber sie konnte sich denken, wer ihn auf die Liste gesetzt hatte, damit er zu ihr hinter, in die Katakomben kommen konnte.
Wenigstens hatte sie daran gedacht, Plätze für ihre Freunde zu reservieren, fast wäre es in all dem Vorbereitungsstress unter gegangen.
Noch rund 60 Minuten.
Ihr Herz raste jetzt schon!
Sie musste sich unbedingt beruhigen, den Fokus nicht verlieren, runterkommen.
Sie schloss ihre Augen und versuchte, sich nur auf ihre Atmung zu konzentrieren.
Einatmen.
Tief sog sie den Sauerstoff in ihre Lungen, entspannte ihren Bauch und schloss ihre Augen, zählte bis 6.
Halten 1-2-3.
Ausatmen.
1-2-3-4-5-6, langsam und kontrolliert ließ sie die Atemluft durch den Mund wieder entweichen.
Lexa war komplett in ihre Atemtechnik versunken, Raphael verband ihr gewissenhaft die Fäuste.
Kein Wort wurde gesprochen.
Die Anspannung lag förmlich greifbar über dem kleinen Nebenraum, irgendwo im hinteren Bereich des Fightclubs.
Ein lautes Klopfen, gefolgt von einer unbekannten Stimme, zerriss die Stille plötzlich.
„10 Minuten, macht euch bereit!" Der Kopf des Hellblonden schnellte zur Richtung, aus der das Klopfen gekommen war.
„Aber wir haben doch noch mehr als 20 Minuten! Warum sollen wir schon raus?!"
Lexa wollte sich von Raphaels aufkommender Hektik nicht anstecken lassen und blieb die Ruhe selbst.
Mit wieder geschlossenen Augen antwortete sie ihm betont entspannt.
„Ganz ruhig, wir müssen noch bis zum Ring laufen, hier hat alles einen ganz genau getimten Ablauf, die fangen nicht ohne mich an",
„wie du nur so ruhig bleiben kannst..."
Kopfschüttelnd überprüfte er den Sitz seiner Arbeit, drehte und wendete ihre bandagierten Hände und erhob sich dann.
Es wurde Zeit.
Drei große, breite Ferox warteten auf der anderen Seite der Türe, zwei liefen vorneweg, Raphael blieb an ihrer Seite, dahinter bildete der Dritte die Nachhut.
Ein riesiger, dunkler Vorhang wurde von der anderen Seite mittig geöffnet.
Sofort empfing sie ohrenbetäubender Lärm, grelles Scheinwerferlicht blendete sie für einen kurzen Moment.
Lexa versuchte weiterhin die Ruhe zu bewahren und sich nicht von der Betriebsamkeit hinter den Kulissen, aus dieser bringen zu lassen.
Ihr Tross stoppte kurz vor Erreichen des Vorhangs.
Eine Ferox mit bunt gefärbten Haaren, Headset und einem Tablet in der Hand, hielt sie auf. Sie schien auf irgendetwas zu warten. Von rechts kam im Laufschritt ein weiterer Ferox auf die Gruppe zu, in seiner Hand eine Kamera, hinter ihm ein weiterer, derjenige der für die Beleuchtung zuständig war.
Siedend heiß fiel es Lexa ein, sie hatte gar keine Einlaufmusik ausgewählt! Hoffentlich lief jetzt kein Mist, wenn sie auf dem Weg zu dem wichtigsten Kampf ihres Lebens war.
Das Licht auf den vollbesetzten Rängen erlosch, nur der erhöht stehende Ring und der Weg dahin waren bunt erleuchtet.
Jetzt wechselte das Licht der Scheinwerfer zu hellem und dunklerem Lila, passend zum Rang, der jetzt einlaufenden Lexa.
Die Lichtkegel zuckten über die vollbesetzten Ränge und verharrten dann am Ring und dem Weg dorthin.
Lexa konnte durch den Lärm der Zuschauer Synthesizer-Klänge hören.
Synthesizer?
Oh Mann, warum hatte sie nicht an die Auswahl des Songs gedacht?
Jetzt kroch doch die bisher erfolgreich verdrängte Nervosität in ihr hoch.
Unsicher huschte ihr Blick zu den kreischenden Ferox links und rechts von ihr.
Jetzt erkannte sie das Lied, sie hatte es schon ewig nicht mehr gehört, es war noch aus der Zeit vor dem Krieg.
Einer der wenigen Songs, die die Zeit überdauert hatten.
Und er gefiel ihr, genau genommen war er sogar perfekt für diesen Anlass, dem Moment und für sie!
Wer auch immer ihn für sie ausgewählte, diesem grandiosen Fraktionsmitglied schuldete sie definitiv ein Bier!
Von den treibenden Beats angestachelt, tobte die Menge als Lexa mit ihrem Anhang in Richtung des Ringes schritt. Beruhigt, dass das Musikstück wohl den Geschmack der Massen traf, betrat sie nach der Absegnung durch den Ringrichter die gefederte Matte.
Sie hatte erreicht, was sie sich schon immer erträumte.
Aber sie durfte sich jetzt nicht ablenken lassen.
Nicht den Fokus verlieren, im Tunnel bleiben!
Der Song lief noch eine kurze Zeit, dann folgte die Einlaufzeremonie für Four.
Lexa sah nicht zu, sie blieb in Bewegung, nutze den noch leeren Ring für letzte Aufwärmübungen.
„Was glaubst du? Hat sie überhaupt eine Chance?"
Max, der neben Eric in einer separaten, über den Zuschauerplätzen der anderen Fraktionsmitglieder angelegten Loge für die Anführer saß, sah skeptisch auf den Ring herunter.
Alle Führer waren anwesend.
Die vorangegangenen Kämpfe waren unterhaltsam gewesen, dementsprechend war die Stimmung gelöst und locker.
Vielleicht etwas zu locker für Erics Geschmack, dieser war nämlich schwer genervt von seinem IT-Kollegen.
Dieser hatte definitiv schon zwei, drei Gläser zu viel Alkohol intus und benahm sich wie ein pubertierender Jugendlicher.
Erst schleppte er irgend so eine Schlampe mit hier hoch und dann machten sie auch noch hemmungslos rum, als wären sie in einem schäbigen Nachtclub, irgendwo bei den Fraktionslosen. Wenn nicht endlich Max einschritt, würde er dies tun und dieses unwürdige Weibsstück eigenhändig übers Geländer schmeißen.
Und Maddox, diesen faulen Nichtsnutz, gleich hinterher.
Was dieser privat trieb war ihm egal, aber als Anführer sollte er ein Vorbild sein und sich nicht öffentlich aufführen, wie ein geiler Bock.
Geladen blickte Eric über seine linke Schulter nach hinten zu den zweien und hoffte, dass sein eindeutiger Blick die beiden zu Vernunft bringen würde.
Vergebens, diese hatten nur noch Augen für sich.
Er erhob sich, packte die Halbnackte kurzerhand an ihren schwarzen Haaren und zerrte sie grob von Maddox runter, der sofort protestierend einschreiten wollte.
Ein vernichtender Blick seines Vorgesetzten reichte allerdings, um ihn noch in derselben Sekunde von dieser Schnapsidee abzubringen.
„Verpiss dich in das Loch, aus dem du gekrochen bist!"
Eric machte, der sich vor Schmerzen krümmenden, unmissverständlich klar, dass sie sofort zu verschwinden hatte. Augenblicklich suchte sie stolpernd das Weite, nachdem er sie grob von sich stieß.
Jetzt wendete er sich mit erhobenem Finger dem Asiaten zu, funkelte diesen wütend an.
„Von jemandem in deiner Position, erwarte ich professionelles Verhalten und kein Rumgehure in aller Öffentlichkeit! Sollte ich dich noch mal, mit einer deiner billigen Nutten außerhalb deiner Wohnung antreffen, wird das für dich und deinen verlausten Anhang ein Nachspiel haben!"
Hilfesuchend sah Maddox zu Max, doch dieser machte keinerlei Anstalten, seinen Untergebenen in Schutz zu nehmen.
Er wusste, wie Eric zum Thema Prostitution stand und auch, was er vom Rumgemache vor aller Augen hielt.
Dieser stand immer noch drohend vor dem IT'ler, als sich Max nach hinten wandte, um Eric darauf aufmerksam zu machen, dass der Kampf gleich begann.
In Erics Kopf schwirrte immer noch Max Frage, ob er meinte, dass Lexa tatsächlich eine Chance hatte diesen Kampf gegen Four zu gewinnen.
Er wusste das die Wettquoten gegen Lexa sprachen. Sie war klare Außenseiterin.
Aber er wusste auch um ihre Stärken und er hatte sie ausgiebig auf das Kommende vorbereitet. Jetzt lag es an ihr, das Gelernte umzusetzen und Fours Schwächen schonungslos auszunutzen.
Eric ließ seinen Blick über die aufgepeitschten Menge wandern. Die Einlaufmusik, die er für Lexa ausgewählt hatte, erfüllte seinen Zweck, wie er zufrieden feststellte.
Der dunkle Summton dröhnte durch die Halle, jetzt gab es kein Zurück mehr.
Eric sah jetzt aufmerksam zum Ring herunter, nichts konnte ihn mehr von dem Geschehen in diesem ablenken.
Beide Kontrahenten tänzelten abwartend um den jeweils anderen herum.
Keiner wollte seine Deckung aufgeben um dann den unvermeidlichen Konter zu kassieren.
Als erster fasste sich Four ein Herz, setzte zu einer Geraden mit der Führhand an, um Lexas Deckung zu öffnen und ihr dann eine Gerade mit seiner Schlaghand zu verpassen, doch genau das hatten Lexa und er unzählige Male trainiert.
All die blauen Flecken an Lexas Unterarmen zeugten davon.
Eric sah mit einer gewissen Portion Stolz, wie gut das Blondchen Four in Schach halten konnte und das Gelernte verinnerlicht hatte.
Four war viel zu leicht zu durchschauen, er hielt immer noch an seinen altbekannten Techniken fest.
Je weiter der Kampf voranschritt, umso deutlicher konnte Eric sehen, wie gut ihre vergangene Arbeit fruchtete.
Sie war wirklich eine ausgezeichnete Schülerin.
Lexa blieb weitestgehend passiv, ließ Four die Arbeit machen und wartete auf Fehler.
Zwar musste sie auch immer wieder Treffer einstecken, die sie so manches Mal heftig durchrüttelten, aber ihre Deckung war makellos und das Blocken der Tritte, sah aus seiner Sicht auch äußerst effektiv aus.
Kurz sah der Anführer auf die Uhr über dem Ring, die die bisher verstrichene Zeit anzeigte.
Bereits über acht Minuten.
Er gab Four noch höchstens zwei Minuten, dieser atmete bereits durch den Mund, also ging ihm allmählich die Puste aus.
Der Stiff versuchte es mittlerweile mit Kicks und Tritten, aber Lexa war schneller, antwortete ihm direkt, sobald er seine Deckung vernachlässigte.
Immer wieder wich sie ihm flink aus, machte ihm die Wege lang.
Für einen Außenstehenden sah es bestimmt aus, als würde sie ihm davonlaufen, aber das war reines Kalkül.
Sobald der Stiff an die Grenze seiner Kondition angelangt war, würde sich ihre Chance auftun.
Das Blondchen wirkte noch frisch und hochkonzentriert, gleich würde der Moment der Wahrheit kommen.
Genau in dieser Sekunde drehte sich die Ausbilderin einmal um ihre eigene Achse, machte in der Drehung einen Ausfallschritt zur Seite und knallte dem überraschten Four die Rückseite ihrer geschlossenen Faust gezielt gegen den Nasenrücken. Augenblicklich schoss Blut aus dessen Nase und lenkte ihn kurz ab, was dazu führte, dass er seine Deckung weiter sinken ließ.
Das wusste Lexa sofort zu nutzen. Mit Genugtuung sah Eric zu, wie Lexa in den kommenden Sekunden förmlich explodierte.
Erst ein linker Jab, dann eine rechte Gerade, die ihr Ziel voll traf, dann holte sie für einen gezielten linken Haken aus, auch dieser traf perfekt.
Der jetzt folgende rechte Aufwärtshaken traf die empfindliche Kinnspitze des Brünetten passgenau.
Mit wackeligen Knien legte er den Rückwärtsgang ein, doch Lexa war nicht mehr zu stoppen.
Wie sie es von ihrem Anführer lernte, ließ sie nicht von ihrem Gegner ab, setzte sofort nach, holte nochmals mit der Rechten aus und traf wieder voll ins Schwarze.
Four taumelte leicht vornüber gebeugt ein Stück nach links, sofort riss Lexa ihr Knie nach oben und traf ihn heftig an der Stirn.
Die Halle grölte laut auf.
Ein Faustschlag auf den Hinterkopf, brachte den völlig überwältigten Four schließlich zu Boden.
Doch dort angekommen, ließ die Blonde immer noch nicht von ihm ab.
Weiter schlug sie rücksichtlos, wie im Rausch auf ihn ein.
Anerkennend und auch mit einem gewissen Stolz, sah Eric grinsend dabei zu, wie der Ringrichter sich zwischen die beiden warf und Lexa von dem mittlerweile wehrlosen Four wegzerrte.
Es war kaum zu fassen, Blondchen hatte dem lästigen Stiff nach Strich und Faden den Arsch versohlt!
Vor dem Kampf hatte er noch Zweifel gehabt.
Seitdem er sie gestern Abend im Flur zurechtwies, war sie erneut zu einer stillen Altruan mutiert.
Es war ein ewiges hin und her mit ihr.
Es kam ihm so vor, als hätte sie plötzlich Angst vor ihm, was ihn wunderte. Er war nicht besonders grob gewesen, hatte sie weder verletzt noch beleidigt.
Er ahnte zwar inzwischen, wo ihr Verhalten herrührte, aber trotz allem machte es die Arbeit mit ihr zu einem wahren Hindernislauf.
Noch hatte er sich den Stick, den er von Janine erhielt, nicht angesehen. Vielleicht fand er darauf weitere Erklärungen für ihre massiven Gemütsschwankungen.
Wenn das so weiterging, würde das seine Arbeit mit ihr erheblich erschweren.
Er war nicht ihr Kindermädchen, auf sensible Phasen ihrerseits, würde er definitiv keine Rücksicht nehmen. Natürlich war ihm klar, dass das, was ihr widerfahren war, sie nachhaltig geprägt haben musste, aber sie durfte sich davon nicht ihr Leben lang beherrschen lassen.
Lässig lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, sah zu Max und beugte sich anschließend zu ihm.
„Ich denke du kannst alles Nötige in die Wege leiten. Sie wird es schaffen."
Das Gesicht des Schwarzen verzog sich zu einem breiten Grinsen, nickend klopfte er Eric auf die Schulter und stand dann applaudierend zusammen mit ihm auf, um gemeinsam mit der euphorischen Menge, der überraschenden Gewinnerin zuzujubeln.
********************************
Ach der arme, arme Four...
Ich gebe eine Runde Mitleid aus, wer ist dabei?
;-)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro