24.
Das Mittagessen hatte sie alleine zu sich genommen.
Lexa war froh, keinen ihrer Freunde angetroffen zu haben, denn so musste sie wenigstens niemanden anlügen und sich irgendwelche fadenscheinigen Ausreden zurecht spinnen.
Das die anderen Fraktionsmitglieder ihr aus dem Weg gingen, teilweise tuschelten und sie ständig zu beobachten schienen, ging ihr zwar gehörig auf die Nerven, aber selbst daran war sie inzwischen seltsamerweise gewöhnt.
Ihre Trainingsklamotten trug sie schon unter ihrer Uniform, den Rest hatte sie in einer kleinen Tasche bei sich.
Gleich nach dem Essen würde sie sich auf den Weg machen.
So wie sich das vorhin für sie anhörte, würde sie dieses Training wohl oder übel mit Eric abhalten müssen.
Es schien tatsächlich so, als ob er sie nicht mehr aus seinen Fängen lassen würde.
Hoffentlich würde er sie dieses Mal nicht wieder so triezen wie beim letzten Mal, nochmal hielt sie das nicht durch, noch immer zog der Muskelkater schmerzend durch ihren Körper.
Braves Mädchen.
Eric beobachtete Lexa, wie sie sich aufwärmte und anschließend an einen in der modernen Halle aufgehängten Boxsäcke abreagierte.
Hier, in einer schattigen Nische stehend, sah sie ihn aus ihrer derzeitigen Position nicht. Das kam ihm sehr gelegen.
Er beobachte gerne.
So konnte man sein Gegenüber viel besser studieren, Stärken und Schwächen ungefiltert erkennen und dadurch entsprechend für sich ausnutzen.
Er hatte genug gesehen.
Zielstrebig ging er von hinten auf die energisch Trainierende zu. Noch hatte sie seine Anwesenheit nicht bemerkt, schlug weiter auf ihren wehrlosen, ledernen Gegner ein.
Er konnte bisher keine Defizite bei ihrer Schlagtechnik ausmachen, sie war hervorragend ausgebildet und verstand ihr Fach. So etwas bekam er tatsächlich sehr selten zu sehen. In den letzten Jahren schien die Qualität der angehenden Soldaten immer weiter abzunehmen, ein weiterer Grund die Zügel in der Initiation etwas anzuziehen.
Als Ausbilderin dieser, war sie definitiv ein Gewinn.
Doch Four war selber Ausbilder und ein herausragender Kämpfer. Das musste sogar Eric zähneknirschend anerkennen. Gegen ihn in den Ring zu steigen und dann auch noch mit der Absicht zu gewinnen, würde für die Kleine schwierig bis unmöglich werden.
Ein beklemmendes Gefühl des Beobachtet-Werdens, kroch in Lexa hoch.
Irgendwer war hinter ihr.
Sie konnte spüren, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten, ihr alarmierter Körper fing an, Adrenalin auszuschütten.
Gefahr!
Blitzschnell drehte sie sich um, holte im selben Augenblick aus, die rechte Faust geballt, den linken Arm zum Blocken erhoben, doch der vermeintliche Angreifer war tatsächlich schneller.
Sofort ergriff Eric Lexas Faust mit seiner linken Hand, machte einen Ausfallschritt nach rechts und trat ihr mit dem linken Fuß ihr Standbein weg.
So ihrem Gleichgewicht beraubt, wankte sie erst, kippte aber nach einem kurzen Ruck von Eric nach vorne und wurde von ihm in einer unfassbar schnellen Bewegung auf die Knie gezwungen.
Sofort war er hinter ihr, griff mit der Rechten kräftig in ihren Zopf und zog ihren Kopf ziemlich unsanft nach hinten.
Mit seiner linken Hand drückte ihr anschließend unbarmherzig die Luft ab.
Schwarze Punkte tanzten schon vor ihren Augen und sie wusste nicht, wie sie sich aus dieser beschissenen Lage befreien sollte. Er zog so heftig an ihren Haaren, dass sie weder vor noch zurück kam, auch aufstehen war so quasi unmöglich.
Aber ihre Arme waren frei!
Mit aller Kraft rammte sie ihm ihren rechten Ellenbogen in seinen Oberschenkel, doch das schien ihn überhaupt nicht zu interessieren.
Nochmal traf sie ihn an derselben Stelle, doch er spannte den Muskel einfach an und zuckte noch nicht einmal.
Das konnte doch nicht wahr sein!
Die Luft ging ihr allmählich aus, wenn er nicht endlich losließ ...
Kraftlos sackte das Blondchen in sich zusammen.
Lektion Nummer eins: Drehe deinem Gegner nie den Rücken zu, behalte immer den gesamten Raum im Auge!
Eigentlich hatte sie es besser wissen müssen.
Jetzt lernte sie aber hoffentlich ihre Lektion und war in Zukunft nicht so unvorbereitet, wie gerade eben, dachte er sich.
Eric legte Lexa sachte auf dem kalten Betonboden ab, tastete nach ihrem Puls.
Alles ok, sie lebte noch.
Sein rechter Oberschenkel schmerzte, sie hatte ordentlich getroffen. Das würde ein hübsches Hämatom geben.
Aus seiner Hosentasche kramte er ein kleines Fläschchen und hielt es ihr unter die Nase, sofort schlug sie heftig blinzelnd ihre Augen auf und war für ein paar Sekunden völlig desorientiert.
Ihr Hals war stark gerötet, seinen eigenen Handabdruck konnte er gut erkennen.
Da würde sie noch länger was von haben.
Mit großen Augen sah sie ihn an, sagte aber keinen Ton.
Sie schien fast ein wenig eingeschüchtert zu sein und folgte jeder seiner Bewegungen mit einem Blick, den er nicht als ängstlich aber als alarmiert deutete.
Als ob sie jeden Moment mit einem erneuten Angriff seinerseits rechnen würde.
Er wandte sich wortlos von ihr ab, ging rüber zum Kampfring und dehnte sich.
Nur kurze Zeit später folgte sie ihm unaufgefordert, noch etwas wackelig, auf das gefederte Rechteck.
Jetzt stand sie ihm also gegenüber.
In einem Kampfring.
Sie musste lebensmüde sein!
Eric war die amtierende Nummer eins im Ranking, genau wie in jedem verdammten Jahr zuvor, seitdem er Anführer war.
Seine Brutalität war berüchtigt, seine Rücksichtlosigkeit bekannt, seine Kaltblütigkeit berühmt.
Er trug eine etwas weitere schwarze Hose als sonst und ein schwarzes Muskelshirt. Sein gesamter Körper war extrem austrainiert, Muskeln überall.
Ein Berg von Mann, der ihr da gegenüberstand.
Sein eiskalter, zu allem entschlossener Gesichtsausdruck machte ihn im Moment nicht unbedingt sympathischer oder zu einem leichteren Gegner.
Aber sie musste es zumindest versuchen, wahrscheinlich würde er ihr sonst den Einlauf ihres Lebens verpassen, oder ihr alle Knochen im Leib brechen.
Er war ihr haushoch überlegen, das machte er ihr vor wenigen Minuten unmissverständlich klar.
Angst hatte sie keine vor ihm, aber ungeheuren Respekt.
Doch auch durch diesen durfte sie sich keinesfalls lähmen lassen, wenn sie auch nur einen Hauch der Chance, gegen ihn haben wollte.
Zum wiederholten Male versuchte sie jetzt ihn anzugreifen, aber er blockte sofort und ohne jegliche Mühe, jeden ihrer inzwischen wahrscheinlich verzweifelt wirkenden Versuche, ihn zu treffen, zu greifen oder zumindest abzulenken. Wieder griff er mit seiner großen Hand nach ihrem Oberarm, mit der anderen ihre Hüfte und beförderte sie mit kleinstmöglichem Kraftaufwand auf die Matte.
Krachend landete sie wieder auf dem Boden der Tatsachen.
Wütend schlug sie mit der flachen Hand auf die Matte unter ihr und fluchte leise vor sich hin. Es musste doch verdammt noch Mal, einen Weg geben, diesem Muskelberg etwas anhaben zu können!
Jeder hatte eine Schwachstelle!
Auch ein Eric Coulter musste eine haben!
Fast schon mitleidig sah Eric mit verschränkten Armen auf sie herunter.
Er konnte ihr eigentlich keinen Vorwurf machen, sie hatte ihr Möglichstes versucht.
Aber er war fast einen ganzen Kopf größer, mindestens 35 Kilo schwerer und besaß definitiv mehr Kraft.
Er bezweifelte, irgendwann gegen sie kämpfen zu müssen und er wollte Four bluten sehen, also beschloss er erstmalig, sie genau darin unterrichten.
Noch niemanden zuvor gab er Privatunterricht im Kämpfen. Geschweige denn, hatte er jemandem gezeigt wie man ihn, Eric Coulter, zur Stecke bringen könnte.
Es war ein Wagnis, aber er war bereit dieses Risiko einzugehen und Lexa ein paar seiner Schwachstellen aufzuzeigen.
Er konnte nur hoffen, dass sie diese niemals gegen ihn verwenden würde.
Wenn sie in der Lage wäre ihren Ausbilder zu besiegen, würde sie Four in der Luft zerreißen, wenn es so weit war.
Er hatte noch vier Tage mit ihr. Schwierig, aber machbar.
Blondchen war intelligent und besaß das Privileg einer schnellen Auffassungsgabe.
Das würde sie schon schaffen.
Die Vorbereitung auf ihre kommende Verwendung konnte noch warten.
Schließlich waren ihre Ergebnisse ja eigentlich zufriedenstellend genug gewesen.
Lexa konnte kaum noch stehen, geschweige denn gehen.
Übersäht mit schmerzenden Prellungen und Schürfwunden. Und zu allem Überfluss, schmückte ein großflächiger Handabdruck ihres neuen Lehrmeisters ihren Hals.
Kurzum, sie wollte nur noch ins Bett.
Schon morgen früh sollte sie wieder in der Halle sein. Erbarmungslos würde dieser Irre sie dann weiter drillen...
Müde humpelte sie den Gang in Richtung ihres Schlafraumes entlang. Völlig neben der Spur bekam sie nicht mit, dass sich ihr ihr Kumpel Mike mit Tina im Schlepptau näherte. Erst im letzten Moment hob sie den Blick, da war es dann aber schon zu spät.
Tina schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
„Ach du Scheiße, wie siehst du denn aus?! Wer war das?!"
Ihre Freundin hatte natürlich sofort ihren roten Hals entdeckt und zog den Kragen von Lexas Jacke noch etwas tiefer.
Auch Mike war sofort auf 180.
„Was ist passiert? WER WAR DAS?"
„Nichts ist passiert, alles gut. Beruhigt euch wieder! Ich hab' nur trainiert." Umständlich versuchte sie ihren Hals wieder mithilfe der Jacke zu verbergen.
Beide sahen sie aber weder beruhigt noch in irgendeiner Weise besänftigt aus.
„Mit wem hast du denn trainiert? Mit einem Wahnsinnigen, oder wie?" Mike lachte gehässig auf. Wie nah er doch an der Wahrheit war...
Doch Lexa wank nur mit einem künstlichen Lächeln im müden Gesicht ab. „Harte Gegner erfordern härtere Maßnahmen."
Aber Tina war so einfach nicht abzuspeisen, wieder zog sie den Kragen der Ausbilderin zur Seite. „Das an deinem Hals, zeig mal her! Das sind Würgemale! Mit wem hast du 'trainiert'?" Sie ließ nicht locker, sah Lexa mit strengem Blick an.
Lexa sah keinen Ausweg mehr.
„Mit Eric", stammelte sie leise, sah dabei ertappt auf den Boden und wartete auf den jetzt mit Sicherheit folgenden Moralappell ihrer Freunde.
Beide sahen sie sprachlos, mit purem Entsetzen im Gesicht an.
„Bist du bescheuert? Du willst uns doch verarschen! Oder? Du verarschst uns? Sag, dass das nicht wahr ist!" Tina schrie ihre Freundin regelrecht an.
„Bitte Tina. Das darf niemand wissen! Bitte. Sei leiser. Er trainiert mich für den Kampf gegen Four. Du weißt doch, wie sie zueinanderstehen. Er will ihn verlieren sehen!"
Hoffentlich würden sie ihr das abkaufen. Um die Story noch ein wenig glaubhafter zu machen, fuhr sie fort. „Und was wäre für Four am Demütigendsten? Natürlich, wenn er gegen eine Frau, die zusätzlich auch noch eine Ausbilderin vom Zaun ist, verlieren würde!"
Ja, das klang doch einleuchtend. Das würden die beiden bestimmt schlucken.
In Mike arbeitete es, dass sah sie ihm an. Tina allerdings, naja, die tobte immer noch. Innerlich wie äußerlich.
„Bitte Tina, Mike, sagt es niemandem, auch Raphi nicht. Es gibt keinen besseren Trainer in der Fraktion als Eric, das wisst ihr selbst!"
Mike hatte inzwischen seine Stimme wieder gefunden,
„Da hast du Recht, ja, aber hast du dich schon mal im Spiegel angesehen? Er hat dich gewürgt! Man kann seinen Handabdruck noch sehen! Außerdem lässt du dich von ihm, für seine perfiden Spielchen einspannen."
Mit seinem Finger deutete er auf Lexas malträtierten Hals.
„Mike, er wird mich nicht umbringen, dann gewinnt Four nämlich den Kampf. Außerdem steigen damit meine Chancen auf einen Sieg. Ich meine, seien wir mal ehrlich – ich gegen Four ... Ich brauche seine Hilfe. Also ruhig Blut. Ich komm schon klar mit ihm. Du hast doch bestimmt Bier zuhause, lass uns zu dir gehen." Eigentlich war sie viel zu fertig, um jetzt noch einen Sit-in bei ihrem Kumpel zu machen, aber wer weiß, wann sie demnächst wieder die Zeit finden würde, mit ihren Freunden zusammen zu sitzen.
Müde setzte sie sich in Bewegung.
„Ich weiß nicht, mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass du mit ihm trainierst oder generell Zeit verbringst. Er macht nichts, was nicht auch ihm einen Vorteil bringt. Hast du dir das gut überlegt?" Mike sah ziemlich besorgt aus, ging jetzt neben Lexa her. Tina auf der anderen Seite, hatte sich mit dem Umstand, dass ihre beste Freundin jetzt auch privat Zeit mit diesem Scheusal verbrachte, auch noch nicht abgefunden. Sie war sauer, nicht nur weil Lexa anscheinend alle ihre Warnungen weiterhin in den Wind schoss, sondern auch, weil sie dabei zusehen musste und ihre Freundin nicht vor diesem Irren schützen konnte. Er hatte sie in seinen Fängen, alles, was jetzt noch möglich wäre, war Schadensbegrenzung. Warum war Lexa nur so schrecklich naiv? „Wie kam es überhaupt dazu? Hast du ihn gefragt?" fragte Tina ihre Freundin jetzt. Was sollte Lexa darauf antworten? Die Wahrheit? Naja, vielleicht ein bisschen davon. „War sein Vorschlag. Wie gesagt, er hat ja auch was davon. Und jetzt Themawechsel. Es reicht, wenn ich ihn den ganzen Tag um mich rumhabe, dann will ich nicht auch noch danach über ihn reden müssen!"
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Ich bin wieder daaa!
Heute mal ein etwas ruhigeres Kapitel. In der Zukunft wird es noch aufregend genug.
Ein großes DANKE!! an alle Leser und Sternchenverteiler, ihr seid die Besten!
Man liest sich, LG
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