13.
Es war 18 Uhr.
In vier Stunden würde sie im Ring stehen. Dann würde sich entscheiden, ob sie die letzten fünf Stunden sinnvoll genutzt, oder völlig vergeudet hatte.
Rick hatte ihr die ganze Zeit beigestanden, bei der Analyse von Laurens Videos, die von ihr, während den Kämpfen aufgenommen wurden.
Beim Sparring, als Rick Laurens Kampftechniken förmlich zerpflückte, um Lexa Möglichkeiten aufzuzeigen, ihre Gegnerin zu besiegen.
Jetzt saßen beide am Hallenboden und hingen ihren Gedanken nach, weiterhin auf der Suche nach Möglichkeiten, Lexas Kontrahentin am effektivsten aus dem Tournament zu befördern.
„Wir sollten duschen und dann allmählich zum Essen gehen. Du brauchst Energie für heute Abend, keine Wiederrede!"
Mahnend hob er den Zeigefinger und deutete mit dem Kopf in Richtung der Duschräume.
Endlich hatte er mehr Zeit mit der Ferox verbringen können. Er hoffte, dass sie heute Abend den Kampf für sich entscheiden würde, schließlich war ihm sehr daran gelegen, die Blonde noch ein wenig länger, um sich zu haben.
Er sah ihr nach, als sie sich erhob, ihr Zeug zusammensammelte und in Richtung der Duschen ging.
Am liebsten würde er ihr folgen, aber sie hatte heute definitiv nicht den Kopf dafür. Sie würde ihn nur abweisen.
Er würde auf einen passenderen Moment warten müssen, einen, in dem sie den Kopf frei für solche Dinge hatte.
Lexa war nervös, und vielleicht auch deswegen hatte sie kaum einen Bissen herunterbekommen. Auf Drängen von Rick, hatte sie sich aber wenigstens noch einen Apfel und einen Proteinriegel mitgenommen. Eventuell konnte sie diese noch vor dem Kampf essen. Falls sie dann Appetit hatte, aber Lexa zweifelte stark daran.
Immer wenn sie aufgeregt war, war es für sie so gut wie unmöglich zu essen.
Sie bekam einfach nichts runter.
Auf dem Weg von der Kantine Richtung Schlafsaal, trafen die beiden dann auf Tina und Mike, überschwänglich wurde Lexa von ihrer Freundin begrüßt, Mike war in dieser Hinsicht zurückhaltender.
„Ich hab's gesehen, dachte erst ich hab mich verlesen oder so! Wieso musst du gleich gegen so eine starke Gegnerin ran?"
Tina wirkte besorgt, auch Mike kam, nachdem er kurz mit Rick gesprochen hatte, auf das Thema zu sprechen.
„Heute morgen stand da noch ein ganz anderer Name. Weißt du, warum du 'ne andere Gegnerin bekommen hast?".
„Um ehrlich zu sein, das frage ich mich schon, seitdem ich es gesehen habe. Erst dachte ich, dass sie sich vielleicht verletzt hat, aber sie hat heute Nachmittag gekämpft, also kann es das nicht gewesen sein."
Schulterzuckend wandte sie sich Rick zu, der jetzt auch das Wort ergriff.
„Also wenn du mich fragst, ich hätte da schon noch eine Idee, was der Grund für das ganze Hin und Her ist."
Lexa wartete gespannt auf dessen Vermutungen.
„Ganz ehrlich, ich denke da hat jemandem nicht gepasst, dass du einer Gegnerin gegenüberstehst, die dir vom Rang her nicht das Wasser reichen kann. Und dieser jemand hat dann kurzerhand beschlossen, dass er dir 'ne ebenbürtige Gegnerin gegenüberstellt."
Entschuldigend hob er die Hände und wartete ab, was die anderen wohl zu seiner Theorie sagen würden.
Mike nickte und sprach aus, was wohl alle anderen auch dachten. „Das klingt plausibel. Aber wer? Wer kann das ändern?" „Einer der Anführer. Sonst niemand.", stellte Tina nüchtern fest.
Alle Augen waren jetzt auf Lexa gerichtet, die sowas in der Art schon vermutet hatte, aber trotz allem hoffte, dass sie falsch lag.
„Du solltest heute Abend Hackfleisch aus der anderen machen. Irgendwer von ganz oben will dich testen, Lexa."
Rick legte seiner vermeintlichen Kumpelin freundschaftlich seine Hand auf die Schulter und drückte sie kurz.
„Wir sehen uns später beim Haare machen, danach sind wir auf jeden Fall in der Halle. Wir versuchen ganz vorne zu stehen, du schaffst das Kleine!"
Tina nahm Lexa in die Arme und drückte sie fest an sich, sie hoffte so sehr, dass ihre beste Freundin heute Abend als Siegerin aus dem Ring steigen würde.
Rick lächelte Lexa noch kurz aufmunternd zu, aber die Einmischung der Elite passte ihm gar nicht.
Nachdenklich sah er ihr noch kurz nach, dann verabschiedete er sich von Lexas Freunden und ging weiter Richtung Grube. Er hatte eigentlich gehofft, mehr Zeit mit ihr verbringen zu können, aber ihre gesamte Aufmerksamkeit lag entweder auf dem Tournament oder auf den Anführern, die wie Schatten an ihr zu kleben schienen.
Ihm war nicht wohl dabei, es musste doch einen Grund für diese Geheimniskrämerei geben! Und wie konnte er unter diesen Umständen ihre Aufmerksamkeit gewinnen?
Die Zeit verging schneller als gedacht, schon war es spät abends und sie fand sich in einem Nebenraum der großen Trainingshalle wieder.
Von draußen hörte sie die dröhnenden Bässe der Musik wummern, Stimmengewirr drang von außen bis zu ihr durch.
Sie saß rücklings auf einem Stuhl, die Lehne zwischen ihren Beinen, und stützte ihre Unterarme auf eben dieser ab.
Unruhig wartete Lexa auf Raphael, der ihre Knöchel bandagieren wollte.
Es war wie eine Art Ritual für die beiden.
Seit der Initiation war es immer Raphael gewesen, der sich um ihre Bandagen kümmerte.
Endlich kam er wieder.
Sobald Lexa allein war, kroch die Nervosität wie ein achtbeiniges Monster in ihr hoch. In ihrem Kopf drehte sich ein unaufhörliches Gedankenkarussell, doch jetzt war endlich ihr Kumpel wieder bei ihr, der sie hoffentlich von ihren nagenden Zweifeln ablenkte.
Beide sprachen nicht.
Stille lag über dem Raum, der für die nächsten 60 Minuten ihr Rückzugsort war.
Nur die lauten Klänge von nebenan waren zu hören.
Der drahtige Blonde mit den wenige Millimeter kurz geschorenen Haaren, stellte sich ihr gegenüber, und begann ihre Hände zu verbinden.
Nach etwa 20 Minuten war er fertig und Lexa begann mit Dehnübungen, um danach mit immer schneller werdendem Schattenboxen weiterzumachen.
Noch immer sprach keiner von ihnen ein Wort.
Sie waren über die Jahre ein eingespieltes Team geworden.
Ihr Kampfoutfit hatte sie schon an, ein schlichter schwarzer Sport BH, die Schnürung hinten war in Lila, schließlich sollte immer zu erkennen sein, zu welcher Verwendung sie gehörte. Vorne in der Mitte der Brust prangte ein großes „I".
Dieses sagte den Zuschauern, dass sie eine Ausbilderin vom Zaun war. Auch ihre kurzen Shorts waren schwarz, mit lila Streifen an den Seiten.
Noch 10 Minuten.
Nur leise konnte man die Musik noch hören. Das Stimmengewirr von draußen war noch lauter geworden. Die Halle würde voll sein.
Kein Wunder, der kommende Kampf war der Hauptevent des Abends. Zwei Ausbilderinnen, aus den Top 20 der Fraktion, standen sich gegenüber.
So ein hochkarätiges Duell hatte es in diesem Tournament bisher noch nicht gegeben.
Noch 5 Minuten.
Raphael kontrollierte noch einmal ihre von Tina eng geflochtenen Haare und die Bandagen, dann sah er ihr ein letztes Mal eindringlich in die Augen, klopfte ihr mit beiden Händen fest auf die Schultern und drehte sie forsch in Richtung des Ausgangs.
„Los jetzt! Mach sie fertig!"
Lexa atmete tief durch, als Raphael die Tür öffnete und sie sachte aber bestimmt durch den Türrahmen schob.
Draußen angekommen, empfing sie sogleich der ohrenbetäubende Lärm hunderter Menschen. Es roch nach Schweiß und Blut und nach wenigen Sekunden dröhnte auch wieder Einlaufmusik aus den Boxen unterhalb der Hallendecke.
Statt der vorher vier aufgestellten Ringe, waren da nur noch zwei und nur einer davon wurde im Moment von Scheinwerfern beleuchtet. Auch waren beide Kampfringe mittlerweile erhöht worden, wahrscheinlich mithilfe irgendeiner Hydraulik unterhalb, so konnten die Zuschauer das Spektakel besser verfolgen. Außerdem war um die Matte inzwischen ein Käfig installiert worden, dieser hatte Ähnlichkeit mit einem Maschendrahtzaun, und sollte die Kämpfer in erster Linie davon abhalten von der Plattform zu fallen und so sich oder die Zuschauer zu verletzen.
Der andere Kampfring war von einer dunklen Plane abgedeckt, sechs Stühle standen darauf. An allen vier Ecken standen Wachen. Somit war klar, wer da sitzen würde.
Bisher sah sie nur Maddox, ein gebürtiger Ken, der für die IT und allem, was mit Technik im Hauptquartier und außerhalb dessen, zu tun hatte, verantwortlich war.
Er war Ende 20 und bereits seit 5 Jahren einer der sechs Anführer der Ferox.
Noch etwa 20 Meter bis zum Ring.
Links und rechts von ihr grölten laut Ferox, als sie Lexa einlaufen sahen.
Diese versuchte sich, auf einen imaginären Punkt in der Ferne zu konzentrieren, ihr Herz raste.
Noch 10 Meter.
Sie konnte ihre Freunde sehen. Sie standen direkt beim Ring, wie sie versprochen hatten, doch Lexa hatte jetzt keinen Gedanken dafür. Sie befand sich wie in einer Art Tunnel, setzte nur einen Fuß vor den anderen. Spürte Raphaels Hand in ihrem Rücken, der sie immer weiter voran schob.
Vor einer Art Ringrichter kam sie zum Stehen, zog ihre Schlappen aus und stellte sich aufrecht vor diesem auf.
Normalerweise arbeitete er im Fightclub, aber während des Tournaments achtete er hier auf die Einhaltung der wenigen Regeln. Routiniert tastete er ihre Haare und Bandagen ab.
Keinerlei Hilfsmittel oder gar Waffen, durften in den Ring gelangen. Lexa zeigte ihm noch kurz ihren Mundschutz und wurde dann vom Ringrichter abgenickt.
Mit nackten Füßen betrat sie nun den Ring und wartete hüpfend auf ihre Kontrahentin.
Diese betrat jetzt auch die Halle.
Lexa beachtete sie nicht weiter, konzentrierte sich lieber darauf, sich weiter anzuschwitzen und ihren Fokus zu behalten.
Lauren befand sich nun ebenfalls auf der Matte.
Überall war diese mit Blutspritzern und teilweise sogar eingetrockneten Blutlachen besprenkelt.
Makabre Hinterlassenschaften der vorangegangenen Kämpfe.
Erst jetzt bemerkte Lexa, dass die Sitzplätz auf dem gegenüber liegendem Ring inzwischen alle belegt waren. Alle Anführer waren anwesend.
Und einer stach besonders heraus.
Vielleicht weil er sie direkt ansah.
Mit eiskaltem, ausdruckslosem Blick.
Miesgelaunt wie immer.
Lexa fiel es wie Schuppen von den Augen.
Er war es gewesen, der ihre Gegnerin geändert hatte!
Trotzig reckte sie ihr Kinn nach oben und sah ihn herausfordernd an.
Dieser Mistkerl.
Was wollte er damit erreichen? Wollte er sie so schnell wie möglich aus dem Tournament fliegen sehen? Wollte er sie loswerden?
Sie hatte ihm doch nichts getan!
Jetzt erst recht! Dem würde sie es zeigen! So leicht ließ sie sich nicht aufs Abstellgleis verfrachten.
Lexa sah Eric direkt an, mit einem wissenden Blick, dem er nicht auswich.
Natürlich hatte er Lexa nicht aus den Augen gelassen und anscheinend war bei ihr endlich der Groschen gefallen, wer für die Änderungen der Kämpfe verantwortlich war.
Nach ihrer rotzigen Reaktion von gerade eben, sollte sie besser Taten folgen lassen, sonst würde das noch ein Nachspiel für sie haben.
Er nahm die Blonde weiterhin ungeniert in Augenschein.
Sie sah austrainiert aus, etwas zu dünn vielleicht, aber man sah ihr an, dass sie nicht aus Zucker war.
Lauren war ein paar Zentimeter kleiner und bestimmt auch ein wenig schwerer.
Im Großen und Ganzen waren sie sich aber ebenbürtig und genau deswegen hatte er diese Paarung gewählt.
Er war gespannt, wie diese Gegenüberstellung enden würde.
„50 Punkte auf Lauren! Wer ist die andere überhaupt?"
Maddox der kleine Asiate, rempelte Jacoby der neben ihm saß, unsanft mit seinem Ellenbogen an. Dieser betrachtete seinen Nebenmann nur abschätzig.
„Wenn du keine Ahnung hast, solltest du nicht wetten. ‚Die andere' ist die momentan Beste aller Ausbilder, die ich habe. Eure Kandidatin sollte froh sein, wenn sie in einem Stück da raus kommt!"
„Da nimmt aber jemand den Mund ziemlich voll, wenn das die Beste ist, die ihr da hinten am Zaun habt, dann wird mir so einiges klar!" Maddox lachte verächtlich ins Gesicht seines Anführer Kollegen.
Eric blickte missbilligend in die Richtung der beiden.
Wie konnte man in einer solchen Position sein und trotzdem so viel Scheiße labern?
Die Streithähne bemerkten den tadelnden Blick ihres Vorgesetzten und schwiegen sofort.
Besser war es für sie.
Langsam wurde es ruhiger in der Halle, das lag aber hauptsächlich an dem Ansager, der jetzt unüberhörbar in sein Mikrofon brüllte, wer sich da im Ring gegenüberstand. Jetzt wusste auch der letzte im Saal Bescheid.
Es ging los.
Jeder der sich jetzt noch im Ring befand, musste raus.
Nur noch Lauren und Lexa standen sich jetzt final gegenüber. Sobald ein lauter, dumpfer Summton ertönte, ging es um alles oder nichts.
Dieser würde erst wieder zu hören sein, wenn der Kampf entschieden war.
Egal wie.
Aufgabe, K.O. oder Tod.
Wobei ersteres extrem selten vorkam.
Gab man auf, wurde man nicht nur disqualifiziert, sondern auch von der ganzen Fraktion geächtet.
Der dunkle Ton hallte durch den Raum.
Alles oder nichts.
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