Schwächen
Kapitel 6
Veronika
Sie schmiss das Heft beiseite und fluchte innerlich, weil sie nur einen Absatz hatte richtig verstehen können und das, obwohl die Schüler links und rechts neben ihr, ihr schon verwunderte Blick zugeworfen hatten. Die Sätze waren kompakt und verschachtelt gewesen und ihr Gehirn machte damit genau das, was es immer mit Buchstaben tat: Sie verdrehen und es ihr damit fast unmöglich machte, sie zu verstehen. Sie hasste es einfach so dumm zu sein!
Aber was sollte sie schon machen? Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als das vor diesen Kunst-Typen zuzugeben und ihn zu bitten, es ihr mündlich zu erklären. Zudem war es doch egal was sie machte, oder? In dem Heft waren einige Abbildungen gewesen, die nun wohl genügen mussten, denn sie konnte sich nicht die Blöße geben, noch einmal, viel zu lange, auf dieselbe Seite zu starren.
Also griff sie nach dem Pinsel, tauchte in das Wasser und fing einfach an.
Zu Anfang dachte sie, dass es ganz gut würde, aber nach nicht mal einer viertelstunde, frustrierte sie einfach alles, weil sie nicht wusste, wann sie was anwenden sollte. Also griff sie wieder nach diesem blöden Heft und ermahnte ihr dummes Hirn, endlich einmal seine Arbeit zu machen und kniff die Augen zusammen.
Es klappe eine Weile. Lösungsmittel, Hintergrund, Vordergrund, Skizze... Dann begann alles wieder zu verschlimmern und wieder legte Veronika das Heft weg. Noch schlechter gelaunt als zuvor.
„Scheiße, du brauchst echt ewig, um so einen kleinen Absatz zu lesen. Ich dachte alle übertreiben..." sagte ein anderes Mädchen neben ihr und lachte sie aus, während Veronika die Zähne aufeinander biss, um darauf nicht zu reagieren.
Sie war in den letzten Wochen oft mit ihren schlechten Noten aufgezogen worden, man hatte sich auch offen über sie lustig gemacht, alles Dinge, die man sich früher nicht gewagt hatte, aber nun war sie fast bis an das Ende der Nahrungskette gefallen und einige Leute wagten es immer wieder. Dennoch genügte ein Blick in die Richtung dieser Kuh, neben ihr, und dieser verging das Lachen. Angst funktioniert noch immer wunderbar, hatte Veronika aber festgestellt. Gerade die, die früher unter ihr gestanden hatten, hatten immer noch Respekt und das war auch gut so. Veronika konnte immer noch Furcht einflößend sein, wenn sie wollte.
„Konzentriert dich auf deine eigene Arbeit!", forderte Mr Hitch das Mädchen neben ihr auf und Veronika nahm wieder den Pinsel in die Hand und versuchte ihr Glück. Krampfhaft und absolut nicht so, wie es wahrscheinlich sein sollte, was sie unfassbar sauer machte! Sie hasste Kunst! Sie hasste es so sehr!
Als die Stunde endete, warf sie den Pinsel regelrecht in die Schale und wollte einfach nur diese Malschürze loswerden und hinaus stürmen, aber da hatte sie die Rechnung ohne den Kunst-Idioten gemacht.
„Miss Woodhall? Sie sind heute dran mir beim Abräumen zu helfen", verkündete der Arsch und wie versuchte ihn mit ihrem Blick zu erdolchen. Aber Mr Hitch schien das nicht mal zu bemerken. Während die anderen den Raum verließen, begann der Lehrer damit, die Wassergläser zu einem Spülbecken am Rand des Raumes zu tragen und geschlagen, tat es Veronika ihm nach.
Während sie die verunreinigen Gläser holte und sie auskippte, spülte Mr Hitch sie notdürftig aus und stellte sie mit dem Kopf nach unten auf eine Ablage, über die ein Handtuch ausgebreitet war.
„Jetzt die Pinsel. Stelle die zurückgelassenen Staffeleien an Rand zum Trocknen, dann werden die Tische abgewischt", wies er sie an und Veronika brachte ihn schlecht gelaunt die restlichen Pinsel, warf sie in das Becken, dass die überschüssige Farbe nur so spritzte und begann dann die hässlichen Bilder an die Wand zu stellen. Nur ihr eigenes ließ sie direkt in die Tonne wandern, in denen bereits Essensrest vor sich hin gammelten. Dann nahm sie sich einen Lappen und wische die Tische ab, bis ihre Arme sie schmerzen und ihre Wut ihr alle Kraft geraubt hatte, um weiter so launisch sein zu können.
„Hast du Probleme beim Lesen?", fragte der Lehrer plötzlich neben ihr und sie zuckte zusammen, während sie vorgab, sich weiter auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
„Was geht es Sie an?", fragte sie zähneknirschend, aber der Kunst Typ schien sich von ihrer Laune nicht abschrecken zu lassen.
„Hast du mal mit einem der anderen Lehrer darüber gesprochen?" Wieder nur ein Schulterzucken von ihr.
„Was soll das schon bringen?"
„Es gibt Test, die du machten könntest und..."
„UND DANN?", unterbrach sie ihn lautstark.
„Was bringt es zu wissen, ob ich Legasthenikerin bin oder nicht? Kann keiner was dran ändern und interessieren tut es auch niemanden!", keifte sie weiter, ging zu einem Becken, wusch den Lappen aus und wollte noch die restlichen Tische sauber machen, doch da stand Mr Hitch plötzlich vor ihr und zum ersten Mal sah sie mehr in seinen Augen, als Ignoranz. Eigentlich konnte sie sich nicht daran erinnern, dass sie je jemand so angesehen hatte. Interessiert, ohne zu sie zu bedauern. Nicht mal von ihren Eltern.
„Es würde eine Menge ändern. Deine Noten fast vom Stand weg verbessern und die Sicht der anderen auf deine Leistungen. Du bräuchtest nur eine andere Lehrmethode."
„Wenn kümmert es, ob man mich für dumm hält? Niemanden. Die Lehrer nicht und meine Eltern erst recht nicht. Aber was jeden interessiert ist die simple Tatsache, dass mein Vater eine schwachsinnige Tochter hat. Und das wird niemals eintreffen. Ich bin lieber dumm, als behindert. Sparen Sie es sich einfach. Ich bin in paar Monaten eh weg und ich werde sicherlich nicht Ihnen auf der Tasche liegen. Kümmern Sie sich um Ihren Mist!", fauchte sie ihn an, warf ihn dann den Lappen gegen die Brust und verließ diesmal wirklich den Raum. Darauf geschissen!
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