Erinnerungen
Es war später Nachmittag, als Fabie und die Petit-Geschwister endlich zusammenfanden, um sich auf die Suche nach dem letzten Wunsch, die Brosche, von Madame Augustine zu machen.
"Haben wir denn irgendwelche Anhaltspunkte? Wie sah sie aus, hatte sie irgendwas auffälliges an sich?", wendete sich Lusanne an Fabie, als sie sich begrüßt hatten.
"Hmm, also Madame Augustine, eure Tante, hatte mir gesagt, dass die Brosche einen Rahmen aus Weißgold hat, einen Saphir in der Mitte hat, vermutlich, und eine Gravur besitzt:' Les fleurs ne poussent pas, elles prospèrent'.
"Was soll das denn heißen?", meldete sich nun auch der, etwas genervte, Philippe zu Wort. Daraufhin verdrehte Fabie, ebenso genervt, die Augen und sah Philippe mit einem Blick an, der ihm zu verstehen geben sollte, wie unnötig diese Frage in Fabies Augen erschien. "Kannst Du kein Französisch? Blumen wachsen nicht, sie gedeihen ist doch wohl nicht wirklich schwer, oder?"
Als die Situation wieder auszuufern drohte, mischte sich schließlich Lusanne mit ihrem streitschlichtenden Charme ein, der den Fabie so bewunderte. Nur wegen ihr lies sich schließlich auch Philippe auf die ganze Sache ein und die drei suchten nach weiteren Anhaltspunkten, zumindest versuchten sie es, aber sie hatten keine Ahnung wo oder wie sie beginnen sollten. Während Lusanne und Philippe sich gerade über verschiedene Broschenarten austauschten, kam Fabie jedoch auf eine Idee. Eine Idee, auf die sie alle eigentlich schon hätten kommen sollen. "Wie wäre es erstmal beim Antiquitätenhändler nachzufragen? Der hat oft auch Schmuckstücke, die keiner mehr wirklich braucht, da sie wertlos sind. Oder aber jemand verloren hat, was in unserem Fall zutreffen würde. Außerdem hätte die Brosche ja auch jemand stehlen können- "Und dieser jemand hätte die Brosche sicherlich für ein hübsches Sümmchen zum Verkauf angeboten!", beendete Philippe ihren Satz, voller unerwartetem Enthusiasmus war er sogar aufgestanden und strahlte in die Runde. "Genau.", völlig verdattert starrte Fabie ihn an, während er sich, etwas peinlich berührt, wieder auf einen der Stühle im Café niederließ.
"Stimmt, ihr habt vollkommen Recht! Los, zum Antiquitätenhändler!", Lusanne sprang auf, nahm aber sogleich wieder Inne und drehte sich zu Fabie um. "Äh, wo genau ist denn dieser Antiquitätenhändler, liebe Fabie?"
Nachdem Lusanne und Philippe ihn mit der Hilfe von Fabie fanden, und sie sich auf den Weg gemacht hatten, trafen sie bei einem beschaulichen, verstaubten Laden ein, welcher selbst wie eine Antiquität wirkte. Der Eingang war eine schäbige Holztür und ein großes, ebenso hölzernes Schild prangte über ihr: "Antiquetés de totes sortes". Tausende alte Bücher, Vasen, Küchenutensilien, Instrumente mit kaputten Saiten, Teeservices, Porzellantassen, sowie dutzende Ketten, Ringe und Broschen fielen ihnen in die Augen, als sie den Laden betraten und warteten nur darauf entdeckt zu werden. Es lagen, wo man auch hinsah, verstreute Erinnerungen in der Luft, vielleicht hatte ein Kind einmal mit der kleinen Soldatenfigur, dort im Eck, gespielt, sie verloren, während seine Heimat von den Großen zerstört wurde. Und dieses Teeservice, welches schon in unzähligen Haushalten gewesen war, hatte sicherlich auch schon das ein oder andere Familiendrama miterlebt. Alles in diesem Geschäft erzählte eine einzigartige Geschichte. "Alles auf dieser Welt erzählt seine eigene Geschichte.", kam Fabie zum Entschluss, als sie sich genau über dies alles Gedanken machte. Vielleicht etwas zu laut, denn Philippe drehte sich zu ihr und musterte sie misstrauisch. "Was? Darf man etwa nicht laut denken?", erwiderte Fabie daraufhin zickig, was die Aufmerksamkeit eines kleinen dürren Mannes, etwa sechzig Jahre alt, mit kurzem weißen Haar und einer Lesebrille auf der markanten Nase auf sie zog. "Kann ich etwas für euch tun?", erkundigte sich dieser, offensichtlich der Ladenbesitzer, jetzt bei ihnen. Fabie räusperte sich, dann wanderte ihr Blick, wie von alleine zu Lusanne, welche ihr auffordernd zunickte. "Wir suchen eine Brosche, welche Ma- äh, mir verloren gegangen ist. Vielleicht haben sie da ja etwas in den letzten Tagen verkauft bekommen.", sie wusste zwar nicht warum, aber sie erwähnte das Aussehen, vor allem die Gravur, extra nicht vor dem Antiquitätenhändler.
"Also, ich habe in den letzten Wochen nur eine alte Porzellantasse aus der Bellé Epoque und eine Messingkette verkaufte bekommen, wenn ihr wollt...", er deutete mit einem Kopfnicken auf eine Truhe voll mit jeder menge wertlosen Sachen und einem Schild, auf dem : "-50%" geschrieben stand. "Nein, danke!", wollte Fabie abwinken, doch Lusanne redete ihr dazwischen. "Oh, diese Tasse ist wirklich wunderschön! Wie viel verlangen sie dafür?"
"Äh, also ich sag mal so viel wie auf dem Preisschild steht. Die Hälfte davon habe ich schon abgezogen.", er lächelte ihr freundlich zu, doch in seinem Blick konnte Fabie noch etwas anderes mitspielen sehen, sie wusste nur nicht was. Vielleicht bildete sie sich ja auch manches einfach nur ein, aber ihr fiel oft noch etwas anderes als nur Freundlichkeit in dem Blick der Menschen auf. Schnell wandte sie sich ab, bevor der Verkäufer noch etwas von ihrem Stieren bemerkte.
Ein wenig später, die drei hatten sich noch kurz im Geschäft umgeschaut, waren sie zurück ins Café gegangen, in dem Lusanne auch gleich das erste mal aus ihrer neugekauften Tasse trank. Fabie suchte angestrengt nach irgendeiner belanglosen Frage, um die Stimmung etwas aufzulockern und das unangenehme Schweigen zu durchbrechen. Schließlich fand sie eine.
"Wie lange wollt ihr eigentlich hier bleiben?", Philippe und Lusanne warfen sich wieder einen dieser Blicke zu, bevor sie Fabies Frage beantworteten. "Also, wir dachten da so an eine Woche. Wir haben eh gerade keine wirklichen Pflichten in Deauville und Paris gefällt uns eigentlich ganz gut. Vielleicht bleiben wir ja auch einfach hier.", antwortete Lusanne, während sie sich mit ihren beiden Händen an der Tasse festhielt, in der sich warmer Kamillentee befand. "Habt ihr denn überhaupt so viel Geld?", stellte Fabie, vielleicht etwas voreilig, fest, doch dieser Aspekt war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen. "Wir sind neunzehn, arbeiten schon seit vier Jahren und haben etwas gesparrt, eigentlich verdienen wir schon seit wir fünfzehn sind unser eigenes Geld.", sagte Philippe hastig, ohne Fabie eines Blickes zu würdigen. "Wir sind aus dem Waisenhaus weggelaufen.", beendete Lusanne seine sperrige Erklärung mit einem Augenzwinkern, was Fabie zu verstehen gab, was er gemeint hatte. "Ach, wir haben übrigens auch in einem Wirtshaus gearbeitet. Ist zwar nicht dasselbe wie hier aber so ähnlich!", Lusanne strahlte Fabie an. Diese verstand sofort worauf sie hinauswollte.
"Wenn ihr länger hier bleiben wollt, wir können immer neue Kräfte gebrauchen.", erwiderte sie freundlich, dann stand sie schließlich auf. "Aber, so leid es mir tut, jetzt bin ich ehrlich gesagt ziemlich müde und ihr sicher auch.", Fabie hoffte, dass sie nicht unhöflich rüberkam, aber sie brauchte jetzt wirklich etwas Zeit für sich, auch wenn das mit dem Müde-Sein vielleicht etwas geflunkert war. "Aber klar, doch! Treffen wir uns morgen wieder? Wir haben ja schließlich noch etwas zu erledigen.", zwinkerte ihr Lusanne zum Abschied zu. Philippe folgte ihr nach ein paar Minuten, in denen sie sich für den nächsten Nachmittag wieder im Café Bleu verabredeten, durch die Tür und Fabie hatte nun endlich Ruhe. So sympathisch ihr die Geschwister auch waren, zumindest Lusanne, irgendwie stimmte etwas nicht mit ihnen. Wie können sie einfach so untertauchen? Wurde das Waisenhaus nicht schnell aufmerksam auf zwei Jugendliche, die weggelaufen waren? Nachdenklich schaute sie ihnen noch kurz hinterher, anschließend ging sie auch auf ihr Zimmer, leise damit Paul sie nicht hörte. Es war schon spät und auch, wenn der Eiffelturm Fabie beschützendes Licht spendete, sie konnte einfach nicht einschlafen. Ihr Kopf drohte zu platzen von den ganzen Fragen, die sie plagten.
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