Ein Wiedersehen
Der dunkelblaue Sternenhimmel erstreckte sich über Yorknew City und unter ihm schienen die Lichter der Stadt in all ihrer Pracht. Dieses wunderschöne Ereignis, war jedoch nur möglich, wenn man es von oben betrachtet.
Zitternd griff er hinüber zu dem Skalpell und nahm es von dem Tablet, auf dem es lag. Unter dem Mundschutz den er trug, erschien es ihm so, als würde er durch seine Nervosität kaum noch zu Atem kommen. Mehrere Leute sahen ihm zu, wie er gerade einen Kaiserschnitt an einem schwangeren Patienten durchführte. Oder eher gesagt, wie er es versuchte! Es war Leorios erster Kaiserschnitt und auch insgesamt seine erste Geburt gewesen, die er vollbringen sollte. Er hatte vorher nur ein-zwei Male zugesehen, aber jetzt?! Zwar war ihm bewusst, was er tun sollte, jedoch stellte er sich dümmer als sonst an. Keineswegs wollte er, dass seine Patientin stirbt, weshalb er sein Bestes tat. Neben ihm schallte immerzu das EKG ( Elektrokardiogramm) , welches die Herzsequenz aufnahm. "Solange es nicht schneller wird, ist ja noch alles in Ordnung" , dachte er und versuchte sich innerlich zu beruhigen. Mithilfe von Hebamme hebte er das Baby aus der Gebärmutter und die Nabelschnur wurde durchtrennt. Weitere vier Minuten war auch noch alles in Ordnung, bis das Kardiogramm anfing schneller zu piepen. Leorio geriet in Panik. Er war doch sowieso schon so nervös und jetzt wurde alles noch schlimmer. Man hörte ernste Befehle, das Schreien des Babys, das schrille Piepen und dann – Stille.
Das einzige Geräusch was noch erklang, war das, des Kardiogramms. Die Mutter war tot. Leorio hatte versagt. Er hatte einen Patienten, ein Menschenleben verloren. Nun lastete der Tod dieser verstorbenen Mutter auf seinen Schultern. Er hatte sich nicht genügend angestrengt und nun war es zu spät. Das Kind war nun ein Waise. Der Vater war nicht auffindbar und das andere Elternteil hatte er gerade verrecken lassen. Das war allein seine Schuld.
Kurze Zeit später entschied er sich dafür raus an die frische Luft zu gehen, und um etwas zu spazieren, um sich ein bisschen abzulenken. Der Wind pfiff um ihn herum und er steckte seine Hände in seine Manteltaschen. Er hatte gerade ein armes kleines Baby zum Waisen gemacht, zwar nicht beabsichtigt, aber er tat es. Wie konnte er sich denn noch länger Arzt nennen, wenn er Menschen nicht das Leben rettete?! Was war er dann noch? Ein Hunter? Nein. Nicht länger mehr, hatte er den Job bei den Zodiacs angenommen. Also war er nur noch ein Niemand. Ein Niemand, der versuchte anderen Menschen das Leben zu retten. Und scheiterte.
Er ließ sich auf einer Bank nieder, auf die er Sicht auf die Straße hatte, wenn da nicht diese komische kleine Hecke im Weg wäre. Er würde seinen Job aufgeben müssen. All die langen Jahre, die er mit dem Lernen dieses Berufes verbracht hatte, waren umsonst! All die Mühen, die er sich gemacht hatte, um all das hier zu erreichen, in den Wind geschmissen!
Er blickte auf den dunklen Kiesboden vor sich, von dem nicht allzuviel zu erkennen war, da die nächste Laterne um einiges entfernt war. Leorio seufzte, ... ziemlich lange. Dann sah er wieder auf und blickte den fahrenden Autos entgegen, die an ihm vorbeizogen, oder zumindest die obere Hälfte, die zu erkennen war.
Und dann geriet etwas völlig anderes in sein Sichtfeld. Eine Person, die er überall wiedererkennen würde, selbst bei diesem trüben Licht. Kurz rief er ihren Namen und machte mit einem Winken auf sich aufmerksam. Die Person blieb stehen und blickte in seine Richtung. Sie kniff die Augen zusammen, um denjenigen der ihr wank, in der Dunkelheit besser zu identifizieren. Sie ging außen, um die Hecken herum und blieb vor Leorio stehen. Der 25-jährige richtete sich auf und blickte zu ihr runter. So gut wie möglich versuchte er sich nichts von seinen Zweifeln anmerken zu lassen.
" Kurapika, so spät noch unterwegs?" fragte Leorio lässig und zwang sich zu einem Lächeln. Kurapika musterte ihn ausgiebig und antwortete zögernd: " Ja, andererseits wundert es mich, dass du zur selben Zeit traurig auf einer Bank sitzt." Wie konnte er?! Er hatte ihn doch gar nicht gesehen! Hätte Leorio ihn nicht gerufen, würde er doch jetzt gar nicht hier stehen! Oder hatte er es durch seiner Aura gespürt?!
Kurapika fuhr fort: " Dein Schweigen und dein verblüffter Gesichtsausdruck zeigen mir, dass du es nicht verstanden hast. Leorio, denkst du ich hätte dich schon nicht vorher bemerkt? Eine so kummerhafte Aura kann man gar nicht unbemerken."
" Also hast du mich ignoriert?!" fragte er entsetzt und leicht gereizt nach.
" So in der Art, ich kümmere mich nicht um fremde Menschen, anderseits wusste ich auch nicht, dass du es bist, der auf der Bank sitzt.", antwortete er und setzte sich, " also, was ist nun? Möchtest du mir denn nicht sagen, was dir wiederfahren ist?"
Hat er gerade wirklich...? Kurapika hatte gerade wirklich gefragt, ob er ihn seine Probleme erzählen wollte! Leorio war sprachlos und überrascht, diese Seite kannte er gar nicht von seinem Freund. Zumindest hatte er diese Fürsorge ihm entgegen noch nie gesehen. Oft sorgte Kurapika sich um Gon und Killua, aber um ihm!? Das war ihm neu!
Langsam ließ er sich neben den blondhaarigen jungen Mann nieder und schwieg erstmals.
" Ich werde es aber nur ein einziges Mal erzählen. Es ist furchtbar." entschied Leorio und schloss kurzzeitig die Augen. Kurapika nickte mit einem »Einverstanden«
" Ich hatte vor weniger als einer Stunde einen Einsatz. Ich sollte als leitender Arzt ein Kind zur Welt bringen. Es war meine erste Geburt und gleichzeitig mein erster Kaiserschnitt und......ich habe versagt. Das Kind kam als Waise zur Welt und das ist meine Schuld, da ich mich nicht genug angestrengt habe, um seine Mutter am Leben zu erhalten. Wie soll ich mich denn noch länger Arzt nennen, wenn ich den Menschen nicht helfen kann?!" erzählte er und erneut sackte Leorio wieder in sich ein. Kurapika betrachtete ihn mitleidig und suchte nach Worten. So betrübt hatte er den Schwarzhaarigen noch nie gesehen. Vorsichtig schob er seinen Oberkörper so dicht an die Lehne der Bank, damit er ihn anblicken konnte.
"Leorio, sieh mich an! Du hast dein Bestes gegeben und man kann nicht immer den Menschen helfen. Das ist leider nun mal so, aber wenn du es mal anders betrachtest, hast du ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Ist das nicht die Hauptsache?" meinte er und brachte ein leichtes Lächeln über die Lippen. Leicht sauer antwortete der 25-jährige:
" Nein Kurapika, ist es nicht! Ich habe ein Menschenleben verloren, ich habe in meiner Pflicht als Arzt versagt! Was ist wenn ich diesen Job jetzt aufgeben muss! Die ganzen Jahre, die ich für diesen Beruf gelernt habe waren umsonst! Nun lasten zwei Tode auf mir und ein schlechtes Gewissen, wie du es dir nicht vorstellen kannst!"
Kurapika legte seine beiden Hände auf seinen Oberschenkel und drückte leicht mit seinen Handflächen etwas hinein. Er sah ihn kalt an. "Leorio, schrei mich nicht an! Du hast nicht alles umsonst gemacht! Du bist ein Arzt und du hast schon oft Menschen das Leben gerettet! Mir sogar schon mehrere Male! Erinnerst du dich noch, als wir in dem Zeppelin waren, als mir schwarz vor Augen wurde? Du warst es, der sich um mich gekümmert hatte. Oder in der Himmelsarena, nachdem ich mit dem Blut von diesen On-Typen infiziert wurde? Du warst es, der mir geholfen hatte das durchzustehen. Hättest du nicht das Messer auf diesen einen On- Kerl geworfen, dann wäre es zu Ende für mich gewesen. Verstehst du es jetzt?! So oft hast du dich schon für andere Menschen eingesetzt, ohne, dass du es bemerkt hast." Er hatte Recht. Ohne ihn würde Kurapika jetzt niemals neben ihm sitzen.
" Ähm... Kurapika?", fing er langsam an. Der Blonde nickte als Antwort und sah ihn an.
" Könntest du bitte deine Hände von meinem Bein nehmen, so langsam tun deine Knöchel weh..." entgegnete er und sofort zog Kurapika seine beiden Hände zurück. Leorio musste über seinen Gesichtsausdruck lachen.
" Ja, ja, sehr witzig Leorio!" sagte der Kurta sarkastisch und blickte ihn entnervt an. Der Arzt lachte weiter und kurz nachdem er aufhörte, sah er zu ihm hinunter. Er meinte lächelnd: " Bald nimmt das Rot auf deinen Wangen noch denselben Farbton an, wie deine Augen!"
" Was?!"
Geschockt wich Kurapika zurück und ihm stand das Wort »Beschämen« reichlich ins Gesicht geschrieben. Leorio plazierte seine Hand auf seiner rechten Schulter und zog ihn hinüber. " Das macht doch nichts. Wie soll ich das erklären? Beschämen ist eine ganz alltägliche Emotion!" meinte Leorio grinsend. Empört und immer noch leicht gerötet antwortete der Kuruta: " Vielen Dank Herr Professor! Das hätte ich auch gewusst!"
Kurapika stand auf und schaute auf Leorio hinab. " Ich muss dann. Und denk daran Leorio, wie oft du schon Menschen geholfen hast!"
Kurz bevor der Schwarzhaarige noch irgendwas sagen konnte, ging Kurapika schon. Leorio stand auf und rief ihm seinen Namen hinterher. Der Blonde wandte sich ein letztes Mal zu ihm und wartete. " Danke!" Kurapika lächelte, ehe er verschwand. Leise wiederholte er abermals seine Worte:
" Danke... Kurapika..."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro