#62 Die Ruhe nach dem Sturm
,,Heeeeello!~", hinter uns trällerte die helle Stimme von Han, der ungesehen, aber gut gehört von hinten auf mich und Felix zurannte und uns beide stürmisch umarmte. Seine Arme hatte er um unsere Schultern gelegt und zu sich herangezogen, womit er nun in der Mitte ging und uns ein Stückchen schneller in Richtung der großen Eingangstüren unserer Schule schob. ,,Wir kommen noch zu spät ihr Trödeltäubchen!", gerade wollte ich etwas Freches entgegnen, wurde aber von Minho seinem schneidenden Blick unterbrochen, der am Eingang bereits auf uns wartete. Er jagte mir ein wenig Angst ein, weswegen ich es doch sein ließ, unseren mittlerweile guten Freund zu ärgern.
Ein Gedanke, der mich aber so schnell lächeln ließ, wie mir Minho die Worte aus dem Mund riss.
Es waren inzwischen einige viele Wochen vergangen, seit wir Felix von seinem Leid erlöst hatten. Ab diesem Tag änderte sich Han sein Interesse für uns plötzlich schlagartig, womit zuerst niemand von uns wusste umzugehen. Am aller wenigsten meine beiden besten Freunde Changbin und Jeongin, denen ich wegen Mr. Hamster, der seitdem jeden Tag bei uns abhing, eine Erklärung schuldig war.
Dabei verhielt ich mich genauso, wie man es nur allzu gut von mir kannte. Mein Plan war es Felix und mich so lange geheim zu halten, bis ich herausgefunden habe, was meine beiden Kumpanen von homosexuellen Pärchen halten, wobei ich natürlich kläglich scheiterte. Auch wenn ich mir vorgenommen hatte, mich nicht für einen meiner Mitmenschen zu verstellen, wollte ich zumindest eine Reaktion von ihnen abschätzen können. Hätte mir aber jemand vorher gesagt, dass all meine Sorgen unberechtigt waren, hätte ich gar nicht erst so ein Theater veranstaltet.
Aber was hatte ich auch anderes erwartet. Sie sind nicht umsonst meine besten Freunde.
Weder Changbin noch Jeongin konnten verstehen, warum ich so einen Zirkus um die Thematik veranstaltete. ,,Solang du nicht meinen Arsch willst ist alles gut. Der ist für Changbin haha!", genau erinnere ich mich noch an Jeongins Worte, die Changbin veranlassten sein ein wenig angewidert Gesicht zu verziehen, wonach aber auch er in das Lachen einstieg. Von dem Jüngsten war es nur ein Scherz, wenn auch ein ziemlich schlechter, was mich dennoch beruhigte und sogar auch dazu animierte meine Stimme in lauten Gelächter ausbrechen zu lassen. Er versicherte mir, dass er in mir immer noch den verpeilten Chan sieht und das sich nichts zwischen uns ändern würde, weswegen ich an diesem Tag sogar fast in der Schule losgeheult hatte. Ich war diesen Menschen einfach unfassbar dankbar. Mir war ein riesiges Privileg zuteil geschrieben, dass ich diese beiden meine Freunde nennen durfte.
Sie meinten zwar sich daran gewöhnen zu müssen, wenn sie mich und Felix zusammen sehen werden, was sie aber schon auf die Reihe bekommen würden. Viel mehr gab es da nämlich etwas ganz anderes, was beide dazu veranlasste mich für meinen "wilden Geschmack", wie sie meine Sexualität beschreiben, abzustrafen. Noch am selben Tag, wo sie die Vermutung aufstellten, ich sei mit Sicherheit verliebt, schlossen sie eine Wette. Eine Wette darum, wer wohl das Mädchen sei, an die ich mein Herz verloren hatte, wobei natürlich keiner auf das richtige Pferd gesetzt hatte.
Warum auch, Felix ist immerhin ein Mann.
Darum forderten sie ein, dass ich ihnen die Wettschulden des jeweils anderen geben soll, weil sie wegen mir keine natürliche Chance hatten, was ich natürlich nicht tat. Auch nicht auf ihr Argument hin, dass ich durch Frau Kim doch reich geworden bin und sie die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hatte. Neben der Tatsache, dass das mit dem Reichtum absolut nicht stimmte, weil ich all mein Geld abgeben musste, war es sowieso nicht für sie bestimmt. Außerdem ärgerten sie mich ständig mit dieser Fotosache, weswegen ich ihnen nicht mal einen Cent gegeben hätte, wäre ich dadurch Milliardär geworden. Für die Zurückhaltung und all die Lügen hatte ich aber den besten Grund.
Felix, mein langhaariger Schönling.
Ich trug sein Geheimnis mit mir herum, bis ich selbst zu genau diesem wurde. Zu Zeiten, wo all dieser Stress meinen Alltag bestimmte, blieb mir nichts anderes übrig, als das Spinnennetz aus Lügen und Intrigen zu spinnen, indem ich mich selbst über die Zeit immer mehr verfing. Nun ist dieses Netz aber Geschichte. Der fallende Umhang vor unseren Heimlichtuereien eröffnete für Felix neue Türen, der plötzlich Menschen um sich herum hatte, die ihn anfingen zu mögen. Menschen, die ihn niemals verlassen werden, da war ich mir sicher. Zumindest bei Changbin und Jeongin.
Han und Minho konnte ich hingegen immer noch nicht so richtig einschätzen. Besonders Minho nicht.
Er war oft ruhig und schien nie so richtig begeistert von dem Werdegang zu sein, wobei ich mich manchmal bei dem Gedanken erwischte, dass er mit mir und Felix, oder mehr wegen dem was wir miteinander haben, ein Problem hat. Nicht, dass es mich wundern würde. Jedoch ärgerte es mich ein bisschen. Während Han sich bemühte zu uns zu gehören, wobei er jeden Tag ein bisschen mehr an die größer gewordene Gruppe wuchs, schien Minho sich dahingehend zu bemühen, genau das Gegenteil zu erreichen. Felix spekulierte, dass es Eifersucht sein könnte, weil wir immerhin Minhos besten Freund vereinnahmen.
So würde ich das aber nicht betiteln, womit wir verschiedene Meinungen hatten. Han hatte sich ganz von alleine aus heiterem Himmel zu uns gesellt. Immer war er es, der zu uns kam, nie anders herum. Dabei konnte sich keiner von uns so richtig erklären, woher dieses plötzliche Interesse kam, was er uns auch nie wirklich beantworten wollte, oder konnte. Changbin und Jeongin waren sich darum zu Anfang nicht einmal sicher, ob sie mit jemandem wie ihm Zeit verbringen und abhängen möchten, auch wenn sich ihre abwehrende Haltung über die Zeit änderte, womit er mehr und mehr Teil des Freundeskreises wurde. Trotzdem sind sie immer noch ein wenig skeptisch gegenüber manchen Aussagen und Witze eingestellt, was mehr als verständlich war. Immerhin war Han teilweise Schuld daran, dass die gesamte Situation überhaupt so übergekocht ist, wofür ich ihm mittlerweile unendlich dankbar bin.
Mit seinen fragwürdigen Aktionen und komischen Ideen schenkte er Felix die Freiheit und verhalf mir dazu, etwas rückgängig zu machen, was ich drohte, mit voller Wucht an die Wand zu fahren. Er gab mir etwas mehr Geld von dem Verkauf der Bilder, nachdem ich ihm noch einmal die Sache mit Hyungwon und Wonho erzählt hatte. Nur deswegen konnte ich ihnen etwas oben drauf geben, was mein großer Bruder zunächst gar nicht annehmen wollte. Er war zu stolz, um Geld von seinem kleinen Schützling zu bekommen. Aber auch ich war inzwischen zu stolz, um meinem Bruder nicht auch mal etwas zu schenken.
,,Was seufzte so hm?", es war Changbin, der mit mir die nötige Ablenkung vom Unterricht gefunden hatte, was ihm früher oder später sicherlich noch auf die Füße fallen wird. ,,Ich hab nur nachgedacht und -", etwas zuckte ich zusammen, als uns eine dritte Stimme dazwischen redete. ,,Achja, woran denken wir denn, wenn denn nicht an den Unterricht?", es war unsere Lehrerin, die mich unterbrochen hatte und nun erwartungsvoll anstarrte.
Sie ist jung, aber eine waschechte Spießerin. So eine, wie man sie nur zu gut aus Bilderbüchern kennt. Bei der Optik angefangen, was sich zieht bis zur letzten kleinen Geste.
Sie trägt ihre tiefschwarzen mittellangen Haare immer zu einem engen Pferdeschwanz zusammengebunden, der sogar so streng sitzt, dass nicht das kleinste Haar von ihrem Kopf absteht. Ihre scharfen Augen schmücken an den Seiten ein kurzer schwarzer Lidstrich, der dezent genug ist, um nicht zu sehr aufzufallen, jedoch ausreichend ist, um ihre fiesen Blicke mit der perfekten Note zu untermalen. Auf ihrer Nase sitzt eine eckige Brille, über die sie jedes Mal hinwegschaut, wenn sie sich von etwas gestört fühlt. Dieser suchende Blick, nach der Quelle des Störenfriedes, brennt dabei immer so sehr, dass selbst die Schüler, die nicht einmal gemeint sind, ihn spüren können. Selbst ihre Augenbrauen sind so perfekt gemacht, dass sie einen besser richten, als jeder Strafrichter es wahrscheinlich könnte. Ihren Mund hingegen schminkt sie mit einem leicht rosafarbenen Lippenstift, den sie mutmaßlich trägt, damit sie sich an ihren eigenen Worten nicht schneidet.
Dort hört ihr strenges Image jedoch nicht auf.
Atmet jemand bloß zu laut, seufzt sie einem mindestens genauso laut entgegen. Sprechen wir im Unterricht, gibt es direkt Einträge und wenn wir einschlafen eine kleine Extraaufgabe. Changbin hat gerade an dem Schlafverbot richtig zu nagen, bisher aber geschafft eine Zusatzaufgabe zu vermeiden, wofür er aber Einträge sammelt, wie manch einer Briefmarken. So tat er es auch gerade wieder. ,,Boah ich hasse die.", er war leise genug, als das sie ihn nicht verstand, aber nicht leise genug, als das sie ihn nicht hörte. Damit rasselte der nächste Vermerk unter seinem Namen ins Klassenbuch, was mich hingegen Changbin seiner Erwartung lächeln ließ.
Denn anders als er hasse ich sie nicht. Im Gegenteil. Ich bin richtig froh darüber sie haben zu können, weil sie wegen eines "besonderen Zwischenfalls" Herr Jung ersetzen musste. Hans verrückter Plan trug also Früchte, die gar nicht süßer hätten sein können. Denn durch sein Wegbleiben verstummten auch immer mehr die Gerüchte, die um Felix und dem armen Mädchen unserer Klasse kursierten. Mit seinem Verschwinden, das leider viel zu lange gedauert hatte, veränderte sie sich schlagartig. Plötzlich fing sie einfach im Unterricht an zu weinen und wirkte auf der anderen Seite manchmal sogar etwas abwesend. Sie verhielt sich unglaublich komisch, seit der Widerling kein Teil der Schule mehr ist. Es gab Momente, da dachte ich sogar darüber nach, dass sie vielleicht etwas für diesen perversen Lehrer übrig hatte und die Gerüchte um sie herum eine ganz andere Wahrheit verbargen. Dadurch aber, dass sich auch dieser Zustand von ihr wieder veränderte, verwarf ich diesen Gedanken. Über die Zeit schien sie erleichterter, besonders in dem Fach, in dem wir gerade gefangen sitzen. Irgendwas sagte mir, dass wenn sie lächelte, sie es anders tat als zuvor.
Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro