#59 Der Plan
Einen letzten Kuss gab es für mich, bevor wir gemeinsam die Wohnung verließen, um zur Schule zu fahren. Wie gestern würden sich unsere Wege trennen, wenn wir an der U-Bahnstation aussteigen, damit uns niemand zusammen sieht.
Ein paar Tage lang müssten wir diese Spielerei noch durchziehen, bevor wir in der Schule offiziell Freunde sind. Für diesen Status haben wir beide uns gestern Abend entschlossen, damit wir uns nicht gänzlich verstecken müssen. Allerdings freundet man sich nicht einfach von heute auf morgen an. Oder zumindest nicht so sehr, dass direkt der eine bei dem anderen übernachtet. Darum werde ich meinen Freunden heute erzählen, dass mich vorgestern Felix angeschrieben hat, mit dem ich damit seit dem Projekt das erste Mal wieder Kontakt hatte. Eine anlaufende öffentliche Verbindung würde außerdem auch gut dem Plan von Han und Minho in die Hände spielen, den wir heute durchziehen wollen.
Die Lehrer würden damit merken, dass Felix nicht mehr allein ist, was ihm ein bisschen Schutz in der ganzen Sache bietet. So würde uns der Direktor auch einfacher glauben, dass wir von dem Geheimnis wissen, oder beziehungsweise woher wir das eigentlich wissen.
Es war also zum Vorteil aller, am meisten aber für Felix.
Der hatte mir gestern Abend erzählt, dass er mit mir zum ersten Mal im Leben sowas wie einen Freund hatte. Dabei meinte er aber nicht die romantische Beziehung zwischen uns, sondern die freundschaftliche Ebene, auf die wir uns zwischenzeitlich befanden, als wir an der Hausaufgabe gearbeitet haben. Zuerst verstand ich nicht wie er das meinte, bis er weiter ausholte und mir offenbarte, wie seine Schulzeit vor unserem Kennenlernen aussah.
Der Grund, warum er anderen Schülern Essen gekauft hat, war der, weil er darauf hoffte, dass jemand mit ihm Zeit verbringen würde. Entgegen seiner Hoffnung passierte das aber nicht. Sie ließen sich zwar allerlei bezahlen, blieben aber immer nur kurze Augenblicke bei ihm. Aufgefallen war mir das nie, weil ich in den Pausen immer schwer mit meinen Freunden beschäftigt war. Nur das er ab und an Essen kaufte sah ich, weil ich es sehen wollte.
Immerhin war das einer der Mittel, mit denen ich mir meine Hirngespinnste aufbaute, was zu meiner Annahme führte, das er mehr als genug Geld haben muss. Dass das nicht stimmt weiß ich inzwischen und nun auch was der wahre Hintergrund ist. Einer, der kaum trauriger sein könnte, wäre nicht noch mehr in Felix seiner Vergangenheit abgegangen. Sehr viel erzählte er mir jedoch nicht, weil er glaubt, dass es nicht gut wäre mir an einem Abend sein gesamtes Leben nachzuerzählen.
Trotzdem reichte das, was ich bis hierher wusste.
Noch nie hatte er Freunde, was sich bald ändern würde. Ich bin zuversichtlich, dass meine ihn mit offenen Armen empfangen werden, sobald sie ihn erstmal kennenlernen. Und wenn das erstmal so weit ist, werden sie ihn auch nicht mehr gehen lassen. Genauso wenig wie ich.
Bis dahin müssten wir aber erstmal andere Dinge aus seinem Leben schaffen, wofür heute der Tag gekommen wäre. Den ganzen Vormittag saß ich nervös zappelnd auf meinem Sitzplatz, wo ich nicht eine ruhige Minute fand. Han hatte mir schon zwischendurch immer geschrieben, dass ich mich zusammenreißen soll, um möglichst wenig Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, was leichter gesagt als getan war. Es war eine schlechte Angewohnheit meinerseits, mit meinen Beinen zu wackeln, wenn ich etwas angespannt war, weswegen ich damit auch meinen Freunden auffiel. Ihnen erzählte ich wieder was vom Pferd, indem ich behauptete, dass ich mich heute mit dem Mädchen treffen würde, was mich erst abblitzen hat lassen. Somit hatte ich auch den ganzen Nachmittag frei, den ich bei meinem Bruder verbrachte.
Auch wenn es mir unangenehm war - ich musste zu ihm gehen. Bei Felix hatte ich keine dunklen Klamotten, die nicht zu auffällig sind, weswegen mir Wonho welche aus der Wohnung meiner Mutter besorgen musste. Denn die wollte mich immer noch nicht bei sich haben, geschweige denn mich für einen flüchtigen Moment sehen. Ob sich das nochmal ändern würde wusste ich nicht und auch mein Bruder konnte mir keine Einschätzung dazu geben. Darum schwiegen wir dieses Thema auch tot, genauso wie das Thema Geld, was ungeklärt im Raum stand. Selbst Hyungwon, der sich auch in der Wohnung befand, sprach nicht darüber.
Naja, genau genommen sprach er gar nicht. Zumindest nicht mit mir.
Er war immer noch sauer, duldete mich aber trotzdem. An seiner Stelle hätte ich mich wahrscheinlich gar nicht erst hereingelassen, weshalb ich umso mehr wertschätzte, dass ich hier sein durfte. ,,Du kommst morgen also nochmal vorbei?", bereit nach ein paar Stunden wieder zu gehen, stand ich mit geschultertem Rucksack und einer Sporttasche im Flur, wo ich ein paar letzte Worte für heute mit meinem Verwandten wechselte. Hyungwon beobachtete uns beide ganz genau und lauschte jedem meiner Worte, was mich etwas nervös werden ließ.
,,Wenn das in Ordnung ist? Ich komm' dann auch nicht mit leeren Händen...", den Rest nuschelte ich vor mich hin, weil mich mein Gewissen nicht klarer reden ließ. ,,Hey, mach dir nicht so einen Druck. Wir freuen uns so oder so.", damit umarmte er mich und klopfte mir einmal auf meine Schulter, wonach ich mich vor Hyungwon tief verbeugte und somit verabschiedete.
Draußen atmete ich einen Moment durch und genoss die kühle Frühlingsluft in meiner Lunge, bevor ich mich in Bewegung setzte, um zum Treffpunkt zu fahren. Den ganzen Weg über war ich so nervös, dass ich unglaublich stark zu schwitzen begann. Umso glücklicher war ich über die Sporttasche voll mit Klamotten, die neben mir auf einem der vielen Sitze Platz gefunden hatte. Aus ihr kramte ich schonmal einen Kapuzenpullover, den ich gleich bei dem Treffen tragen würde.
Schon bei dem Gedanken daran, was wir gleich der Frau des Direktors geben würden, drehte sich direkt mein Magen um. Es ist schockierend, was es für Menschen gibt. Niemals hätte ich gedacht mit sowas in Berührung zu kommen und viel weniger Teil eines solchen Szenarios zu sein. Dabei fragte ich mich, wie häufig sowas eigentlich vorkommt und unentdeckt bleibt. Meiner Vermutung nach trifft es wahrscheinlich eher das weibliche Geschlecht, als Jungs und Männer, weswegen ich glaube, dass unser Fall schon selten ist. Eigentlich ein Gedankenspiel, das völlig überflüssig ist. Selbst wenn wir der einzige Fall wären, so wäre dieser eine schon zu viel.
So viel ist sicher.
Viel konnte ich darüber zum Glück auch nicht nachdenken. Inzwischen war ich an meiner Endstation angekommen und machte mich im Schutz der Dunkelheit, durch die untergehende Sonne, auf den Weg zur Schule, wobei ich noch ein Problem hatte, das es vorerst zu beseitigen galt. Da ich schlecht mit der Tasche in das Gebäude latschen kann, suchte ich mir einen nicht weit entfernten Busch, wo ich mein Gepäck verstaute. Damit hatte ich nicht nur Angst wegen der gleich stattfindenden Übergabe und Erpressung, sondern auch um meine Sachen, die nachher hoffentlich noch an Ort und Stelle sind.
Ein letztes Mal strich ich mir über meine mit Schweiß benetzte Stirn und fuhr durch meine dadurch leicht fettigen Haare. Leise flüsterte ich mir zur Motivation ein "you can do it" zu, wonach mich meine Füße zum Treffpunkt trugen, wo ich als Erstes aufschlug. Nur einen Augenblick später traf jedoch schon Han ein, der mich direkt fragte, was ich denn in der Tasche hätte, die ich eben versteckt habe.
Kriegt der denn wirklich alles mit?
,,Klamotten, aber woher...", flüsterte ich leise, wonach er offenbarte, dass er direkt hinter mir war, was ich nur mit einem kurzen Nicken unkommentiert stehen ließ, auch wenn ich immer noch ein mulmiges Gefühl hatte. Es ist einfach seltsam, dass er wirklich immer alles weiß. ,,Da ist Minho. Also los, lass uns Felix retten.", damit lenkte er meine Aufmerksamkeit auf sein Anhängsel, wonach er mir schelmisch zulächelte, was ich versuchte zu ignorieren. Mit weichen Knien folgte ich den Beiden in das Schulgebäude, was sich unglaublich falsch anfühlte.
Es fühlte sich an, als würden wir unbefugt in ein Haus einsteigen und gleich irgendwas klauen, oder vandalieren.
Darum und weil jeder unserer Schritte zwischen den hohen Wänden durch die Gänge hallte, verschnellerte sich mein Herzschlag kontinuierlich, was auch meine Atmung unweigerlich beeinflusste. Ein Grund für Han mich anzusprechen und sogar an beiden Schultern durchzurütteln. ,,Du musst dich in den Griff kriegen. Wenn du nicht runterkommst hat das voll die scheiß Wirkung. Du musst selbstbewusster aussehen, klar?", seine Worte beruhigten mich kein Stück, sondern verschlimmerten nur meine Angst. So sehr, dass ich das Gefühl hatte nicht einen Schritt weitergehen zu können. Alles in mir wehrte sich gegen unser Vorhaben, weswegen Han sogar überlegte das hier abzubrechen, oder mich nach Hause zu schicken. Minho beobachtete derweil die ganze Zeit nur wie Han immer aufbrausender wurde und mich damit mehr einschüchterte, bis er das richtige Druckmittel in den Raum warf. ,,Wenn dir Felix wichtig ist, dann reiß dich gefälligst zusammen und Han, bitte halt die Klappe.", sofort verstummte Han, der beschämt zu Boden schaute, was ich ihm gleichtat.
Genervt rieb er sich die Stelle zwischen seinen Augenbrauen und seufzte stark aus. ,,Kommt jetzt. Wir verspäten uns sonst noch.", der Paparazzi und ich nickten uns zu, wonach ich nochmal einen Schulterklopfer als Ermutigung bekam. Stark musste ich schlucken, als wir vor dem Direktorzimmer angekommen waren.
,,Bereit?", kam es von Minho. ,,Bereit.", dann von mir und Han.
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