Kapitel 50 | Das Ritual
"Da wären wir also." Ori beäugte den Baumstumpf.
Zaeith schluckte schwer.
"Alles gut?"
"Alles bestens." Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, doch er war blass und seine Hände zitterten kaum merkbar. "Ich bin nur etwas...nervös..."
"Verständlich.", murmelte sie und drückte seine Hand. "Aber ich bin in der Nähe, wenn du mich brauchst."
"Danke dir..." Ein fast gehauchter Kuss landete auf ihrer Stirn, dann ging er zögerlich in das dornige Gebüsch, das an den Wegrändern wucherte, Ori folgte ihm, unterdrückte jedoch krampfhaft jeden Schmerzenslaut, wann immer sich ein oder mehrere messerlange Dornen in ihr Fleisch gruben und es teilweise sogar aufrissen, als bestünde ihre Rüstung aus nichts.
Doch Senzajin roch weder ihr Blut noch sein eigenes...denn seine Beine wurden unbemerkt von seinen Drachenschuppen geschützt.
Zudem war er noch kreidebleich, ein weiterer Grund für seine Unaufmerksamkeit.
Sie könnte sich selbst verarzten, während er mit dem Ritual beschäftigt war.
Sie erreichten nach dem schmerzvollen Weg endlich einen der drei Eingänge in die Höhle unter dem Baumstumpf.
Worgen und Nachtelfen gleichermaßen hatten sich hier zusammengefunden.
In der Mitte der Höhle befand sich Tyrande bei drei mystisch leuchtenden Becken und sah erwartungsvoll zu ihnen.
Während Zaeith noch immer hochnervös zu Tyrande ging und sie zaghaft fragte, ob und was er würde tun müssen, kam Genn zu Ori und führte sie vorsichtig zu einer Bank, wo sich zwei Druiden der Worgen zu ihnen gesellten.
"Diese Dornen waren schon immer eine fragwürdige Sache.", meinte Genn und beobachtete, wie Ori ihre Stiefel auszog, um den Druiden die Heilung zu vereinfachen, womit sie auch sofort begannen. "Ich weiß nicht, wann und warum sie gewachsen sind, aber da wir ja auch nur selten zurück in unsere Heimat kommen, wundert es mich nicht, dass sie weiter gewuchert sind."
"Tja, das nächste Mal springe ich einfach.", scherzte Ori und warf einen Blick in Zaeiths Richtung, der bereits in einem Runenkreis saß.
Während die Nachtelfenpriester den drei Becken mit seltsamen Singsang nähertraten, blieb Tyrande in Zaeiths unmittelbarer Nähe.
Die Worgen im Umkreis spannten sichtbar ihre Muskeln an, bereit zum Sprung.
"Warum tun sie das?", wandte sie sich fragend an den Anführer der Worgen.
"Für den Fall, dass Senzajin Amok läuft." Genn beäugte Tyrande mit hochgezogener Augenbraue. "Sie ist eine wichtige Persönlichkeit und steht im schlimmsten Falle einem verrückten Biest direkt vor dem Maul. Meine Krieger müssen so schnell wie möglich eingreifen."
"Verstehe..." Ori nickte dankbar den Druiden zu, als sie die Heilung beendeten, und schlüpfte wieder in ihre Stiefel. "Aber sie würden ihn nicht töten, oder doch?"
"Im Extremfall würden sie es versuchen, aber..." Genn schmunzelte. "...Senzajin ist das Gefäß eines Loa. Und selbst ein Gefäß stirbt nicht so schnell."
"Die Gefahr, dass Hakkar die Blutseuche auslöst, ist nicht gerade gering."
"In dem Fall hätten wir ein Problem...", gab Genn leise lachend zu und machte mit einer Geste klar, dass das Ritual sich dem Höhepunkt näherte.
Tatsächlich spürte selbst Ori, die mit solcher Energie noch nie etwas am Hut gehabt hatte, die gewaltige Macht Elunes.
Beinahe erdrückend füllte sie den Raum, sodass Ori schon bald außer Atem war, aber ob es an der vor Spannung angehaltenen Luft oder der übermächtigen Präsenz lag wusste sie selbst nicht zu sagen.
Senzajin erging es jedoch weit schlimmer.
Seine Arme waren deutlich am zittern, so deutlich angespannt, dass sie jede Muskelfaser auszumachen glaubte, doch er atmete schwer bis gar nicht.
Mit Sicherheit spielte er Berserker, um dem Druck zu wiederstehen.
Blut lief in Rinnsalen über seinen Körper, doch während Tyrande zufrieden lächelte, trat Genn besorgt vor.
Léena und Hireek hatten ihn offensichtlich gut genug aufgeklärt, um zu wissen, dass die entstehende Blutlache ihrer aller Tod sein würde, hatte Zaeith Hakkar nicht unter Kontrolle.
Für einen Moment wechselten Zaeiths Augen zwischen dem hellblau des Loa und dem blutrot des Elfen, doch mit einem weiteren Schub Elunes Energie fiel nicht nur Zaeith in sein eigenes brodelndes Blut, sondern auch die Augenfarbe zurück zu seinem blutrot.
Schuppen wucherten über seinen Körper, verschlossen die Wunden, nur um wieder zu verschwinden und die Wunden erneut aufzureißen.
Fell folgte, wurde getränkt mit Blut...und löste sich dann in schimmernden Staub auf.
Ein silbriger Sichelmond brannte sich über die verheilten Narben der alten Peitschenhiebe und Licht umfing Zaeiths Körper.
Als das Licht erstarb und Elunes Präsenz sich zurückzog, waren alle Wunden verheilt und Zaeith kroch mit zitternden Gliedern aus der Lache, um neben ihr zusammenzusacken.
Sofort sprang Ori auf und lief zu ihm.
Er lächelte schwach, nahm ihre Hand und drückte sie kraftlos an sein Herz.
Dann atmete er ein paar Mal tief ein und aus.
"Du kannst unmöglich hier schlafen." Das war nicht nur auf den harten Boden bezogen, sondern auch auf die Lache, die im schlimmsten Fall die Blutseuche auslösen konnte, sollte Hakkar auch nur seine Aura in Zaeiths Blut stecken.
"Wir haben vorgesorgt." Genn half Zaeith mit Ori auf die Füße und wollte ihn gerade einen Schritt voranführen, als ein lautes "Vater!" durch den Raum schallte und beide Elfen zusammenzucken ließ.
Es war nicht Alynas, da sie erstens klein, zweitens auf Nyanien war und überhaupt nur "Papa" sagte.
Ein leiser Verdacht beschlich Ori, und als Genn einen Schritt zurücktat, sodass sie und Zaeith freie Sicht auf die Person hatten, fielen Ori die Augen aus dem Kopf, während Zaeiths Gesicht an Farbe verlor und seine Augen glanzlos wurden.
In einem der Eingänge standen ein hochgewachsener Nachtelf mit nachtblauem Haar, eine pinkhaarige Nachtelfe mit zarten Libellenflügeln auf dem Rücken in den Armen, und vor ihnen eine junge, doch deutlich erwachsene, thalassisch aussehende Elfe mit ebenfalls pinken Haaren und roten Augen.
Kionan und Senan.
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