Kapitel 37 | Ein kleiner Trupp
"Genau die hier." Grinsend griff Ori nach dem doppelklingigen Speer, dessen Heft von dunkelviolettem Leder umwickelt war und sich an beiden Heftenden um die jeweilige Klinge herum selbstständig gemacht hatte.
Wie Oktopusse bewegten sich die von Leere ummantelten Enden stets als gefährliche Waffen, zusätzlich zu den mit Widerhaken gespickten Klingen, welche offenbar frisch geschliffen worden waren.
Das einfallende Licht der mondsteinerbauten Ostfestung erzeugte eine wunderbare Reflektion.
"Sieht...ähm...alles andere als freundlich aus.", kommentierte Alath und zuckte zusammen, als sie sich ihm zufrieden lächelnd zuwandte. "Bitte nicht an mir ausprobieren!"
"Hatte ich auch nicht vor." Mit einem kurzen Nicken in Richtung Festungswache verließ sie die Waffenkammer und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. "Die Blutelfen werden die ersten sein und ich werde mich freuen, wenn sie leiden."
"Ori..." Alaths Stimme klang besorgt und niedergeschlagen, und sie wusste warum.
Sie wollte es sich nicht selbst eingestehen, doch im Grunde genommen hatte sie schon wieder verloren.
Ihr Wahnsinn war zurück, all ihr Hass, den sie vorher für ihre Eltern empfunden hatte, drehte sich nun gegen die Blutelfen.
Nach allem, wirklich allem, was sie für Zaeiths Rettung aufs Spiel gesetzt hatte, hatten dann doch diese thalassischen Bastarde dieses verdammte Spiel gewonnen.
"Ich gehe nochmal zurück und besorge mir eine Rüstung und eine kleine Truppe. Wollt ihr hier warten?" Sie steuerte direkt auf den violett schimmernden Fluss zu, warf jedoch einen Blick über ihre Schulter.
"Ich bleibe. Nur nimm am besten Alynas mit." Das kleine Mädchen schlief, als es in ihre Arme gelegt wurde.
Zaeith knurrte leise und bewegte den Kopf.
Also er würde auch warten.
Gut.
Mit einem Fuß warf sie ein Brett ins murmelnde Wasser, sprang leichtfüßig darauf und wenig später schoss sie auch schon davon, der Wind fauchte in ihren Ohren, das Wasser rauschte und dann...Stille.
Mit ein wenig Leerenenergie beförderte sie sich auf den Steg und das Brett zu allen anderen, danach stapfte sie auf den Dorfplatz, wo zum Glück in der Nähe Thanduril und Katlynn saßen.
"Ah, Orinyan!", begrüßte Katlynn sie freudig, verstummte jedoch, als sie starr in Thandurils Augen blickte.
"Du hast die Forschungsnotizen, ja?"
"Ja, warum?"
"Ich will, dass du eine Umkehr herausarbeitest.", sagte Ori knapp und ging an ihm vorbei zu dem Baum, in dem sich ihre Wohnung befand.
"Was für eine Umkehr?!", rief ihr Thanduril hinterher, doch sie knallte lediglich die Holztür hinter sich zu und eilte die Treppen hinauf.
Alynas wachte langsam auf und begann unverständliche Dinge vor sich hin zu brabbeln und griff nach Oris Tentakeln und zog daran.
Seufzend drückte diese ihr einen Kuss auf die Stirn. "Du bist ein kleines Engelchen, Alynas, aber ich habe gerade keinen Nerv dafür..."
Die Kleine lachte leise und zog erneut an dem Tentakel.
Ihr Mund öffnete sich und ihre ersten Worte trieben ihr einen seltsamen Schmerz ins Herz.
"Papa...", gurgelte Alynas und strampelte mit den Beinchen. "Wolf...wo?"
Ohne Zweifel, sie lernte schnell und merkte Dinge, die andere ihres Alter nicht einmal so verstehen konnten.
Jedes andere Kind hätte Zaeith und den Wolf als verschiedene Personen gesehen...Alynas nicht.
Ori schüttelte den Kopf und klopfte bei Dhania an.
Die Tür wurde fast sofort geöffnet und ihre Schwester stand mit fragendem Blick vor ihr.
"Ich wollte dich nur bitten, dich vorerst um Alynas zu kümmern.", beantwortete sie ihre unausgesprochene Frage und hielt ihr das Baby entgegen. "Ich muss noch einmal nach Azeroth."
"Puh, wenn du meinst..." Dhania strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Nur bleib da nicht zu lange, sonst sieht Alynas noch mich als Mutter."
Ori schmunzelte und wandte sich dann einfach ab, um in ihre eigene Wohnung zu gehen.
Sie hatte auf der Suche nach Zutaten für Zaeiths Lieblingsspeise eine Abstellkammer gefunden, in der all ihre Sachen aus der Ostfestung eingelagert waren, unter anderem auch ihre silber- und violettfarbene Rüstung, die sie passend zum Speer angefertigt hatte, wobei sie als Schurkin nicht einmal Kettenträgerin war, doch das Gen der Windläufer reichte auch so weit, dass sie zweifellos mit Jägertalenten geboren wurde.
Seufzend drückte Ori die Türklinke herunter, lehnte den Speer im Flur gegen die Wand, woraufhin die kleinen Ledertentakel sich in diese bohrten, und drückte dann die Wandtür am Ende des Flures auf.
Bevor sie ihre eigene Rüstung erblickte, fiel ihr Blick auf die rot-schwarze Blutfangrüstung, die Zaeith zu tragen pflegte.
Mit zitternden Händen ergriff sie das weiche Leder und strich über die silbernen Verzierungen, während sein altbekannter Duft in ihre Nase stieg und ihr die Tränen in die Augen trieb.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie den Brustschutz von der Stuhllehne nahm und ihn an sich drückte.
Ummantelt von seinem Duft und endlich mit etwas, das einen Teil von ihm in sich barg, wollte sie diese Kammer nie wieder verlassen.
Es sei denn, Zaeith würde kommen und sich beschweren, dass er sich gefälligst für eine Mission fertig machen wollte und er dafür seinen Brustschutz benötigte.
Doch leider - und sie wusste, dass dem so war - würde er nicht hereinkommen, sich erst recht nicht beschweren, geschweige denn sprechen.
Ja, seine Mutation hatte ihm seine Stimme geraubt.
Sie würde sie nie wieder hören, sein elfisches Ich nie wieder sehen, außer in ihren Träumen.
"Ori..."
Sie zuckte zusammen und stellte ihre Schluchzer ein.
War...Hatte...Hatte Zaeith gesprochen?
Sie zog lautstark die Nase hoch und nuschelte dann: "Bin in der Abstellkammer."
Schritte ertönten, fast unhörbar durch ihr pochendes Herz, kamen näher und dann...stand Thanduril vor ihr.
Mit bitterem Blick musterte er sie, als würde er mit ihr leiden, doch das konnte er nicht, denn er hatte Katlynn. Und sie lebte unverändert.
"Wo ist Zaeith?", fragte er leise, kniete sich vor sie und wischte ihr sachte eine Träne von der Wange, jedoch erfolglos, da seine Erwähnung wieder neue über diese laufen ließ. "Ori, was ist passiert? Wenn du nichts sagst, kann ich auch nicht helfen."
Sie atmete tief durch und Zaeiths Geruch wieder ein und legte dann den Brustschutz zurück auf die Stuhllehne. "Ich ziehe mich jetzt um und dann zeige ich es dir. Wird informationsreicher sein."
"Wie du meinst." Thanduril verließ die Kammer und setzte sich mit dem Rücken zu ihr auf das Sofa.
Ori entledigte sich also ihrer ohnehin recht knappen Rüstung, zu der Dhania sie überzeugt hatte, und legte sich die Kettenrüstung an.
Auf ihrer vom Weinen erhitzten Haut war jedes einzelne Rüstungsteil eiskalt und sie war dankbar für jeden Zentimeter, der nicht von Kette bedeckt war.
Und davon gab es viel.
Doch das schützte sie nicht weniger, denn die Rüstung war von Khadgar höchstpersönlich verzaubert worden, sodass sich ein magischer Schutz über ihrem gesamten Körper ausbreitete, sobald sie nur eines der Rüstungsteile berührte.
Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf Zaeiths Rüstung und dem Gedanken, diese auf keinen Fall zu waschen, schloss sie die Tür und trat zu Thanduril. "Ich werde ein paar Fluchkinder rekrutieren. Das, was ich vorhabe, kann ich nicht alleine durchziehen."
"Was hast du denn vor?"
"Meinen Speer an Blutelfen ausprobieren.", erwiderte sie mit funkelnden Augen, die den Forscher zum Schweigen brachten, schnappte sich ihren Speer und stürmte die Wendeltreppen nach unten.
Thanduril folgte ihr nach unten und dann auch schon in Richtung Fluchkinder, doch als sie das merkte, fuhr sie herum und schüttelte den Kopf. "Benachrichtige deine Forscherlehrlinge, sie sollen anhand der Notizen eine Möglichkeit ausfeilen. Was ich meine, werden sie in den Notizen schon lesen können."
Thanduril nickte und eilte in die entgegengesetzte Richtung.
Sie hingegen wandte sich wieder den Bäumen zu.
Der Großteil der Fluchkinder lag in den Bäumen und wisperten leise miteinander, wenn sie nicht schliefen oder sich jedenfalls die benötigte Ruhe gönnten, während ein kleines Grüppchen aus drei Leuten in dem hohen Gras umherrollte.
Ein weiterer hing kopfüber und in flauschige schwarze Flügel gewickelt von einem Baum und beobachtete Ori aufmerksam, die daraufhin ihren Blick zu der letzten Person gleiten ließ.
Vor der Elfe mit rückenlangen geflochtenen schwarzen Haaren mit den schwarzen Wolfsohren und dem Wolfsschwanz wie auch den schwarzen Krallen, mit denen sie sich öfters am Wangenknochen kratzte, stand das gesamte Rudel, welches Zaeith hätte niemals treffen sollen.
Es schien, als kommunizierten sie miteinander.
Léena.
Zaeith hatte viel von ihr erzählt.
Neben Alath seine beste Freundin und die stärkste der Frauen, die in den Experimentierkerkern gesessen hatten.
Angeblich war das selbe Experiment von Zaeith an ihr fortgeführt worden, doch offenbar war sie nicht von demselben Fluch wie Zaeith betroffen.
Zudem galt sie mit Alath und Zaeith zu den stärksten ihrer Art und somit zum Anführer-Trio.
Ori zuckte zusammen, als sowohl Rudel als auch Wolfsfrau die Köpfe in den Nacken legten und ein einstimmiges Heulen ertönen ließen, jedoch nur kurz.
Zu Oris Verwunderung waren die Fluchkinder davon nicht aufgewacht oder anderweitig gestört worden.
Unter der nicht blutsverwandten Truppe aus über hundert Elfen herrschte reinstes Vertrauen, beinahe eine Familienatmosphäre, würden sie sich nicht nur unter ihresgleichen verlieben.
"Buh!" Ein Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren mit spektralen Wolfsohren wie auch einem spektralen Wolfsschwanz sprang von hinten vor sie und lachte herzlich, begleitet von zwei weiteren Stimmen, dessen Besitzer ihr sehr ähnlich sahen.
Ori schüttelte kurz den Kopf und signalisierte den drei Wolfselfen, dass sie gerade nicht in der Stimmung war, und stapfte an ihnen vorbei zu Léena.
Die Wolfsfrau drehte sich um, nicht etwa, weil sie sie hörte, sondern weil sie sie roch.
"Bitte, bitte.", hörte sie die ehemalige Blutelfe mit beruhigender Stimme sagen. "Mit der Einstellung kannst du nicht kämpfen."
"Huh?"
"Ich kann deine Tränen riechen.", erwiderte sie, stand auf und drehte sich um. "Du brauchst meine Hilfe?"
"Woher -"
"Oh, man hört es an der Art, wie du auftrittst. Also, wobei?"
"Zaeith ist ein Wolf geworden.", erklärte sie kleinlaut, doch ihr aufbrodelnder Hass ließ ihre Unsicherheit untergehen. "Ich dachte mir, du hast eventuell noch ein paar Dinge mit den Blutelfen zu...regeln. Ich jetzt auch. Alleine schaffe ich das allerdings nicht, und du bist eine von Zaeiths besten Freunden."
"Oh, bin dabei." Léenas ebenfalls ständig rote Augen funkelten amüsiert. "Ihr habt Quel'Thalas wunderbare Verluste zugefügt, doch eine Rechnung habe ich noch mit ihnen offen. Sie haben meinen unschuldigen Bruder getötet. Er war kein Fluchkind. Er stand nur auf meiner Seite."
"Töte einfach so viel du kannst. Und ich plane, mich zum Sonnenbrunnen zu begeben.", fügte Ori hinzu. "Bist du auch bei diesem Manöver dabei?"
"Ich sage dir mal etwas. Mein Motto." Grinsend klopfte ihr Léena auf die Schulter. " 'Alles, solange die Blutelfen leiden' ."
"Dann verlass ich mich auf dich. Kennst du noch ein paar Fluchkinder, die gesund genug sind, um uns zu unterstützen?"
"Hireek, wie er sich selbst nennt. Anspielung auf den Fledermausloa." Léena pfiff einmal laut durch die Finger und der Elf mit den Fledermausgliedern gesellte sich zu ihnen. Auch seine Augen waren rot, jedoch glühten sie nicht einmal ansatzweise. "Hireek, Ori braucht unsere Hilfe, um Silbermond und vor allem Quel'danas zu infiltrieren. Kommst du mit?"
"Wenn ich die Leichen mitbringen darf, gerne." Der Elf besaß eine tiefe, ungeheuerlich raue Stimme, dass Ori sich schon wunderte, dass er nicht husten musste. Vielmehr wunderte sie jedoch etwas anderes.
"Wartet mal. Ihr esst Leichen?"
"Na klar!" Die Fluchkinder sahen sie an, als wäre das ganz und gar nicht abartig. "Natürlich nur, wenn sie noch warm sind."
"Hast du je das Herz eines Blutelfen gegessen?", schwärmte Léena und Hireek wischte sich über den Mund. "Wahre Delikatessen!"
"Und das Gehirn erst!", fügte Hireek hinzu und die Wolfsfrau nickte heftig.
"Ich...ähm...ich hoffe, ihr lasst unsere Ordensmitglieder in Ruhe..."
"Ja, ja, die schon.", winkte Hireek ab. "Oh, Ori, hast du eigentlich ein Bild von Filian als Blutelfe?"
"In den Akten, ja, aber warum?"
"Äh...N-Neugierde."
"Alath hat uns empfohlen, reinblütig zu bleiben.", erinnerte ihn Léena und Hireek zuckte mit den Schultern. "Hab noch keine gefunden, die ich gerne anbeißen würde."
"Anbeißen?"
"Machen wir Fluchkinder so.", erklärte ihr Léena und linste an ihr vorbei zu einem Baum. "Wir sind ja jetzt eine neue Rasse, also haben wir uns Traditionen und eine Art Kultur ausgedacht, als die Forscher nicht da waren und Zaeith vor Schmerzen kaum still bleiben konnte."
"Verstehe. Na gut, wenn du so viel tragen kannst, dann bring die Leichen ruhig mit. Hauptsache, wir kommen jetzt los."
"Sehr gut.", meinte Hireek und flog mit laut schlagenden Flügeln Richtung Ostfestung.
"Ich lauf auch voraus!", grinste Léena und knurrte das Wolfsrudel an, woraufhin sich acht Wölfe zu ihr gesellten und dann waren sie auch schon verschwunden.
Ori seufzte und wandte sich dann Thanduril und Katlynn zu, die gerade an den Rand der Wiese getreten waren.
Mit einem Schattenschritt hatte sie die beiden auch schon erreicht. "Wir sehen uns bei der Ostfestung.", sagte sie nur, breitete ihre Leerenschwingen aus und ließ Boden und Dorf hinter sich.
Ihre Rüstung sollte nicht nass werden, außer von Blut.
•▪■▪•
"Ich war als Erste da!", war das erste, das sie hörte.
"Du hast aber auch Berserker benutzt!"
"Tja, selbst Schuld, wenn du nicht dran denkst!", neckte ihn Léena und Alath lachte.
Ihr erster Blick galt Zaeith, doch sobald er ihn erwiderte, wandte sie sich ab.
"Alle da?", fragte sie, und als Léena ihr mit einem Nicken bestätigte, dass auch alle Wölfe anwesend waren, wandte Ori sich dem Portal zu. "Dann gehen wir mal. Und bleibt einfach alle zusammen."
Nach einer gebrummelten Bestätigung aller trat Ori vor das Portal und mit dem nächsten Schritt durchquerte sie es.
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