Kapitel 26 | Die Leere
Für die ersten Momente umgab sie Finsternis - oder einfach nichts.
Man konnte nichts sehen oder man konnte das Nichts sehen, auch wenn man das nicht wirklich sehen nennen konnte, denn wenn man das Nichts sah, sah man nichts, konnte also nichts sehen...
"Sind deine Gedanken auch so verwirrend?", hörte sie Senzajins Stimme fragen.
"Mit dem nichts sehen oder dem das Nichts sehen, das man aber nicht sehen nennen kann, weil we-"
"Ja ja, genau das." Er lachte leise. "Vielleicht ist das genau das, wogegen sich die Leerenelfen tagtäglich und sogar nachts herumschlagen müssen."
"Das Nicht-Verrückt-Werden?" Ori spürte Senzajin auf einmal wieder. "Die Armen."
Auf einmal tauchte ein wenig Licht auf, violettes, aber es beschien etwas.
Etwas, auf dem sie lagen.
Eine schwebende Insel, auf der sich erstaunlicherweise ein Obstbaum befand.
"Wo sind wir denn hier?" Ori kämpfte sich aus seinen Armen und stand auf. "Ich dachte nicht, dass das möglich wäre..."
"Was? Wir sind in der Leere, da gibt es nichts." Senzajin setzte sich auf. "Für mich ist alles noch schwarz...und ich spüre nichts."
"Nicht?" Ori trat zu ihm und hielt ihm drei Finger vor die Augen. "Wie viele Finger zeige ich dir?"
"Uhmmm..." Er zog die Schultern hoch und legte den Kopf schief. "Vier?"
"Nein, drei." Sie drehte seinen Kopf zu sich und sog scharf die Luft ein. "Kein Wunder, dass du nichts siehst! Die Leere hat sich auf deinen Augen abgesetzt!"
Tatsächlich lag eine violette Schicht über seinen grünen Augen, deren eigentliche Farbe leicht durch den Leerenschleier durchschimmerten.
"Und warum fühle ich nichts?"
"Da fragst du mich was..." Ori tastete ihn ab. "Wirklich gar nichts?"
Senzajin schüttelte den Kopf.
"Das ist nicht gut..." Sie legte sich einen Arm um die Schultern und sah ihn besorgt an. "In Ordnung, beweg dich einfach, wie du normal gehen würdest. Vertrau mir, ich werde dich nicht fallen lassen."
"Von wo solltest du mich denn fallen lassen?" Er lachte leise.
"Von einer Insel."
"Was ist unter uns?"
Ori lachte. "Nichts."
Senzajin grinste. "Oder das Nichts?"
"Keine Ahnung, ich kann nichts sehen."
Er schüttelte amüsiert den Kopf. "Hören wir auf damit, nichts und das Nichts ist doch das gleiche."
"Sicher?", hakte Ori grinsend nach.
"Lass mich, sonst denke ich zu viel!" Er lachte.
Ihr Gesicht verdüsterte sich. "Denken müssen wir so oder so. Nämlich darüber, wie wir hier wieder herauskommen."
"Urghs.", machte Senzajin mit knartschiger Stimme, die locker einem Gnom hätte gehören können. "Denken."
Ori lachte und im nächsten Moment rutschte sie aus.
Ein kurzer Schrei entfuhr ihr.
"Ori, ist alles in Ordnung?" Senzajins Bewegungen sagten, dass er wohl nach ihren Händen greifen wollte, doch da er weder sehen noch fühlen konnte, blieb der Versuch erfolglos.
"Ja, alles gut." Sie rappelte sich wieder auf und betrachtete das Loch, in das einer ihrer Füße gerutscht war. "Ich glaube, ich habe eine Höhle gefunden..."
"Das klingt doch schonmal gut." Senzajin lächelte erleichtert.
"Jetzt müssen wir nur hoffen, dass sie unbewohnt ist...und sicher." Ori rutschte weiter in das Loch, das steil nach unten verlief. "Auf jeden Fall sieht es aus, als wären wir nicht die ersten..." Sie änderte ihre Meinung, als sie die Höhle sah. "Und das sind wir auch nicht." Sie sah vorsichtig um sich. "Hallooo?"
Keine Antwort.
"Ist hier jemand?" Ori trat weiter hinein. "I-" Ihr Satz wurde von einem Schrei verschluckt.
"Shhh, meine Güte, schrei doch nicht gleich so.", sagte der Elf leise und trat zur Seite. "Ihr schlaft hier."
"Tha-Tha-" Ori stotterte. "Thalan?!"
"Ja, was ist los?" Der Leerenelf sah sie unschuldig an.
"Bist du nicht tot?", fragte Senzajin misstrauisch.
"Ein Elf, der tot aussieht, ist es nicht immer. Ori hat dein Gift doch auch überlebt." Thalan stützte ihn auf der anderen Seite und führte ihn zu einem weich aussehenden Bett. "Mich in die Leere zu werfen war dumm, aber gleichzeitig auch meine Rettung. Denn die Leere heilt mich ja."
"Verstehe." Senzajin sank in die Kissen, doch wie erwartet spürte er es nicht. "Na ja, egal. Laut Dhania ist man für mehrere Monate hier, aber so lange ohne so wenige Wahrnehmungen wird das nicht nur unangenehm, sondern auch lebensgefährlich. Was soll ich solange machen?"
"Liegen bleiben und dich nicht bewegen.", meinte Ori und streichelte seine Wange. "Mehr kann man wohl nicht tun."
"Aber bedenke, er fühlt weder dass er liegt noch dass er sich bewegt.", erinnerte sie Thalan. "Ihn kurzfristig einzuschläfern wäre vorteilhafter."
"Nur wenn er zustimmt." Ori ließ ihre Hand sinken und funkelte Thalan streitlustig an, sagte jedoch nichts.
"Es ist besser als monatelange Langeweile.", grinste Senzajin. "Wenn kein Risiko besteht, wäre ich einverstanden."
"Ein Risiko besteht...", druckste Thalan herum.
"Sprich nicht um den heißen Brei herum und sag es." Oris strenge Stimme bewegte etwas in dem Leerenelf.
"Dass er erst auf Azeroth wieder aufwacht."
"Damit kann ich leben.", meinte Senzajin leichthin, doch Ori sah, dass seine Hände zitterten.
"In Ordnung." Thalan legte seine Hand auf seine Stirn. "Vorerst letzte Worte?"
Ori umgriff eine von Senzajins Händen fester. "Ich strenge mich an, damit wir so schnell wie möglich hier rauskommen."
"Dann bis bald." Senzajin lächelte schwach. "Meine Ori."
Sie lachte leise. "Mein Senzajin."
"Zaeith.", verbesserte er sie leise.
"Mein Zaeith.", wiederholte Ori genauso leise, dann nickte sie Thalan zu.
Von einer Sekunde auf die nächste erschlaffte Senzajins Körper, dann zog Thalan seine Hand zurück. "Wie es aussieht hast du eine Menge vor dir, Ori." Sein Blick lag kurz auf ihrem Bauch, doch dann wandte er sich wieder ab. "So viel zu tun..."
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