Kapitel 21 | Die Kette einer anderen
("Pull a gun" ~ Qawi Kamri)
"Wie, du weißt Bescheid?" Thanduril sah ihn verwirrt an und stand schon auf, um zwischen die Zwei zu gehen, die ihn nicht zu bemerken schienen.
"Wie?" Ori schauderte. "Es ist erst dein zweiter Tag hier..."
"Ich kenne eine wundervolle Elfe, die mir über Nacht meine Erinnerungen wiedergebracht hat." Daelar beugte sich vor und nahm die Kette. "Sogar die, die ich wirklich mal wegen der Leere verloren habe."
"Wen?", fragte sie leise und sah zu, wie Daelar die Kette in einen seiner Beutel an seinem Gürtel steckte.
"Der Name steht auf der Kette." Daelar sah sie herausfordernd an. "Der Grund dafür, dass du die Leiche deiner Schwester nicht findest ist einfach, dass sie schon wieder lebt."
Oris Augen weiteten sich.
Dann schüttelte sie den Kopf. "Das kann nicht sein! Sie ist tot! Ich habe sie sterben sehen-"
"Aber sie wurde doch von der Leere verschlungen, bevor sie wirklich tot war, nicht wahr?", unterbrach sie Daelar.
"Woher weißt du das...?", gab Ori ihre indirekte Bestätigung.
"Seelenverwandtschaft kann man spüren." Daelar wandte sich wieder ab und seinem Essen zu.
Lautlos rappelte sich Ori auf und trat unbemerkt hinter Daelar.
Mit den geübten Fingern einer Diebin - die sie als Kind schon war - griff sie nach der Kette, von der einige Kettenglieder über den Rand des Beutels hingen, und zog sie vorsichtig heraus.
Als ihren Finger den kühlen, pulsierenden Stein umfassten, machte sie schnell einige Schritte von Daelar weg.
Das gewohnte Gefühl von Liebe trat nicht mehr auf, und Ori hoffte, dass es so bleiben würde.
Sie hatte Senzajin verletzt, ihm Schmerzen bereitet.
Viel zu oft.
Viel schlimmer als jede Folter, jedes Experiment, das je an ihm durchgeführt wurde.
Sie sollte damit aufhören.
Eine leichte Bewegung der Luft sagte ihr, dass Daelar aufgestanden war.
Ori beschleunigte ihren Gang zur Tür, doch als ein Gefühl ihr sagte, dass Daelar sich unmittelbar hinter ihr befand, zückte sie einen ihrer Dolche und fuhr herum.
Der ehemalige Waldläufer stand tatsächlich direkt hinter ihr und wurde daher von Oris geschärften Dolch verletzt.
Ein langer, blutiger Schnitt zog sich über Daelars Oberkörper, von seiner linken Schulter bis hin zum Ende seiner Rippknochen.
Unbeeindruckt davon, griff er nach Oris Kette.
Doch die Assassine wich zurück und verließ den Saal sprintend.
Die Treppe hoch, zu Senzajins Zimmer und dann...
Ori gab einen überraschten Laut von sich, als jemand sie anrempelte und in den wunderbar duftenden Raum stieß.
Sie fiel auf den Boden, wurde grob wieder auf die Füße gezerrt und an den Türrahmen aus schwarzem Holz gedrückt.
Wenig später landeten die Lippen eines Elfs auf ihren.
Ori schluckte schwer.
Daelar.
Er löste sich zum Glück schnell von ihr und grinste spöttisch. "Jetzt hast du es runtergeschluckt."
"Was?"
"Das wird dir Senzajin sicher besser erklären können.", erwiderte dessen Bruder und Ori merkte noch, wie ihre Knie einknickten, dann erfasste sie die schwarze Welt der Bewusstlosigkeit.
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~Daelars Sicht~
Senzajins Gift wirkte.
Dass man so leicht Zugriff zu dem vielseitigen Gift hatte, wunderte Daelar nur wenig, schließlich war das hier eine seperate Welt, die niemand kannte.
Verräter wurden nicht erwartet.
Aber jetzt war er einer.
Er verstand nicht, was er hier machte, einen Streit über eine Kette zu führen, die höchstwahrscheinlich nicht mal besonders war.
Aber Dhania war immer im gewissen Abstand von ihr geblieben.
Außerdem befand sich ein Teil ihrer Seele in dem Stein.
Ori wusste es nicht, aber das war der Grund, für den Daelar die Kette für besonders hielt.
Die Elfe vor ihm sackte nach unten und ihre Augen schlossen sich.
Daelar ließ sie auf den Boden fallen und hob sie erst hoch, nachdem er ihre Kette um seinen Hals gehängt hatte.
Dann trug er sie zu dem Bett seines Bruders und legte sie auf eine Stelle, wo keine Bettdecke lag.
Dort nahm er erstmal Oris Dolche und ihr anderes Arsenal, das sich sogar in ihren Stiefeln befand, und auch Senzajins winzige Waffenkammer in Form einer Schublade wanderte in Oris Zimmer.
Zum Schluss versiegelte er die Glastür, das Fenster und die Zimmertür von Senzajins Zimmer mit teuflischen Siegeln.
Er mochte nur wie ein Waldläufer aussehen, aber er war dennoch - dank seiner Freunde - zu einem winzigen Teil ein Hexenmeister.
Und Leerenelfen konnten erstmal nichts tun. Blutelfen könnten haarig werden, aber Ori hatte keine Blutelfen in unmittelbarer Nähe, von Senzajin mal abgesehen - und der war nicht hier.
Zufrieden mit seinem kurzfristig eingerichteten 'Gefängnis' betrat Daelar Oris Zimmer, ging durch die Glastür auf den Balkon und umgriff den mysteriösen Stein.
Sein Blick streifte die leerenverseuchte Umgebung, ein Anblick, dem er Silbermonds güldenen Straßen auf keinen Fall vorzog.
Eine Bewegung einer schwarzen Pfütze aus Leere am östlichen Rande des Balkons ließ ihn aufmerken.
Eine Gestalt formte sich aus der Pfütze.
Eine Leerenelfe.
Dhania.
Sie trug nichts.
Daelar wandte sich mit heißen Wangen ab und wartete auf ein Zeichen, dass er sich wieder umdrehen dürfte.
Er bekam es indirekt.
Der Stein der Kette hörte auf zu pulsieren. Die Kühle wich einer eisigen Kälte.
Überrascht ließ Daelar die Kette fallen, doch Dhania fing sie auf.
"Daelar, diese Kette ist wichtig.", erinnerte sie ihn, blieb aber dennoch hinter ihm. "Oh, und...ähm...könntest du so stehen bleiben? Die Leere lässt sich gerade nicht weben..."
"Du meinst, du kannst dir keine Kleidung aus Leere weben?" Allein bei der Vorstellung schoss ihm mehr Blut in die Wangen.
"So kann man es sagen, denke ich." Dhania strich ihm kurz über ein Schulterblatt, dann schien sie wegzurennen.
Daelar sah starr auf die Welt vor sich unterhalb des Balkons.
Es war eine Wüste, hätte er gern gesagt, doch das stimmte nicht ganz.
Eine Wüste aus Leere, sollte man sagen.
Denn Wälder, Seen und Flüsse existierten noch, ebenso wie die Dörfer um die Festung herum.
Am Horizont ragten Berge in die Luft.
Daelar gab es ungern zu, aber diese Welt war bewohnbar und in gewissen Dingen Azeroth an Schönheit weit überlegen.
"Die goldenen Felder von Nyanien", hatte Katlynn einen Teil der Natur beschrieben.
Golden waren Azeroths Felder wenn überhaupt einmal nur in Westfall gewesen.
Aber Westfall war nur noch eine halb verbrannte Öde.
"Fertig.", ertönte Dhanias Stimme leise von hinten und Daelar wandte sich um.
Die Leerenelfe trug amüsanterweise das zerschnittene schwarze Oberteil, eine lange, eng anliegende schwarze Hose und schwarze Stiefel und Handschuhe. Alles aus Leder.
"Steht dir sehr gut.", schmunzelte Daelar und zog seine Seelenverwandte in seine Arme.
Irgendwie duftete sie, als hätte sie Parfüm aufgetragen.
Aber sie duftete nach Quel'Thalas, nach dem goldenen Wald und den bunten Blumen. Nach dem Elrendar, der besonders schön war, bevor er durch die Todesschneise lief. Nach dem Holz und Stroh, mit dem die Waldtrolle und die Amani ihre Häuser im gefallenen Tor'Watha gebaut hatten.
Dhania kicherte leise.
"Ist etwas?", fragte Daelar überrascht und sah zu ihr hinunter.
"Du atmest so tief ein." Dhania lächelte amüsiert. "Gefällt dir der Duft?"
"Gefallen ist gar kein Ausdruck.", grinste Daelar und lehnte sich an die Brüstung. "Auch wenn mir kein besserer einfällt."
"So so.", meinte Dhania nur und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Einer ihrer Finger malte wieder Formen auf seine Brust.
Schweigen.
"Und was ist jetzt mit Ori?", fragte sie dann nach einer Weile.
"Sie ist für den Moment weggetreten.", erwiderte Daelar. "Sie wird spätestens dann aufwachen, wenn Senzajin in einer Woche wieder da ist."
"Ein guter Zeitpunkt.", murmelte Dhania und schrieb Oris Namen auf seine Brust. "Halte dich bei Senzajin bitte zurück. Er ist der Seelenverwandte von Ori und daher wichtig."
Daelar nickte nur.
Das erinnerte ihn nur daran, dass er es doch gewesen war.
Er hatte seinen Bruder an Forscher gegeben.
Er hatte seinen Bruder in den qualvollsten Tod geschickt.
Es war ein Wunder, dass Senzajin überhaupt noch lebte.
Für wie lange noch war eine andere Frage...
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