Kapitel 18 | Erinnerungen
~Daelars Sicht~
Ori legte ihren Kopf an seine Schulter und seufzte.
Ein Schauer durchfuhr Daelar, bevor er seine Hand hob, um ihren Kopf zu streicheln.
Sie sah nur kurz zu ihm hoch, doch ihr Blick erschreckte ihn ein wenig.
Sie machte sich offenbar noch Sorgen um Senzajin.
Das könnte er ihr zwar nie verweigern, aber die Liebe, die samt Sorge in ihren Augen stand, galt keinesfalls ihm, sondern seinem Bruder, den er wohl vergessen hatte.
Das erinnerte ihn nur an das, was Senzajin vor seinem Verschwinden gesagt hatte. "Du hast damals nichts verstanden und heute tust du es immer noch nicht.", hatte er gesagt.
Und die Auflösung des Rätsels von Senzajins eher untypischen, unelfischen Namen hatte es nicht besser gemacht. Zudem war dieser hassende Elf sein Bruder.
Was hatte er denn getan, dass er den Hass seines jüngeren Bruders auf sich gezogen hatte?
Er sagte doch, er wäre eine Mutation, die durch ein Experiment in ihn gelangt sei. Senzajins Blick sagte mehr als nur deutlich, dass Daelar etwas damit zu tun hatte.
Er hatte eine Ahnung, über die er jedoch nicht weiter nachdenken wollte, denn sie versetzte ihm einen Stich im Herzen.
Das konnte nicht sein.
Er würde seinem Bruder keinen Forschern überlassen.
Er würde kein lebendiges Wesen in den qualvollsten Tod schicken, wenn die Qual überhaupt mit einem Tod endete.
"Du denkst zu viel.", murmelte Ori ihm zu und ihr Kopf rutschte kurz von seiner Schulter.
Daelar fing ihren Kopf ab und hob ihn für wenige Sekunden so an, dass er Oris Augen sehen konnte, bevor er ihren Kopf zurück auf seine Schulter bettete.
Diesmal las er Sehnsucht in ihren strahlenden Augen, Sehnsucht nach der Wärme, die bekanntlich nur von einer Person ausging.
Einer Person mit einem untypischen, unelfischen Namen.
"Kann sein.", gab er tonlos zurück und griff nach seinem Getränk. Zum Glück dieser "Dalaran Noir", wie alle den Wein nannten, dabei war das Getränk arkanisch violett und nicht schwarz.
"Was ist los mit dir?" Sie setzte sich wieder normal hin und sah ihm in die Augen.
Er wandte seinen Blick ab.
Er wollte nicht sehen, was sie fühlte.
Was sie für den fühlte, der ihn hasste.
Er würde ihn fragen müssen...er kannte den Grund für seinen Hass nicht.
"Nichts ist.", winkte er ab und nahm noch einen Schluck Alkohol zu sich.
Wie wunderbar benebelnd dieses Getränk war...
"Etwas ist.", widersprach ihm die schlanke Elfe, deren Gesicht ihn immer und immer wieder an eine andere Elfe erinnerten, doch er wusste nicht, an welche. Es gab zu viele Elfen... "Du hast mir in die Augen geguckt und warst wütend - oder bist es immer noch."
Sein Blick wanderte zu ihr.
Sie biss sich betreten auf die Unterlippe.
"Du willst es also wissen?" Daelar schüttelte kurz den Kopf, als ob er ein paar Gedanken oder ähnliches damit loswerden könnte. "Natürlich willst du. Ich denke einfach nach. Mein 'Bruder' hinterlässt Rätsel in meinem Kopf. Über ein paar werde ich ihn ausfragen müssen."
"Sicher?" Ori beugte sich vor und sah ihm weiter in die Augen. "Sicher, dass dich ein Gespräch mit Senzajin nicht noch mehr verwirren wird?"
"Ich nehme das hin, solange ich Antworten bekomme.", meinte Daelar, mied den Blickkontakt mit seiner Freundin allerdings immer noch. "Du musst ihm nur sagen, dass er antworten soll."
Ori schwieg.
Dann nahm sie blitzschnell sein Gesicht in ihre Hände und drehte es zu ihm. Ihre violett funkelnden Augen zogen seine Aufmerksamkeit auf sie.
Ungewollt las er wieder Gefühle - oder wollte es jedenfalls.
Erstaunlicherweise gab es keine Gefühle zu lesen.
Daelar blinzelte und sah erneut in ihre Augen.
Nichts änderte sich.
"Was ist mit deinen Augen...?", flüsterte er verwirrt.
Ori schwieg weiterhin.
Ein violettes Leuchten lockte seinen Blick nach unten.
Das Schimmern kam von einer Halskette, von dem Anhänger jedenfalls.
Der Anhänger hatte eine ovale Form, in deren Halterung ein schwarz-violetter Stein eingearbeitet war.
Der Stein leuchtete und Daelar war sich sicher, dass er das vorher nicht getan hatte.
Beinahe in den Bann des Steins gezogen, griff er danach und drehte den Anhänger ein wenig.
Ein paar thalassische Schriftzeichen auf der Halterungsseite, die stets verdeckt war, da sie ja auf Oris Brust lag, ließen ihn kurz schaudern.
"Dhania".
Das war eindeutig ein Name, aber Ori hieß Ori, warum hatte sie dann so eine Kette, auf der ein anderer Name stand?
Und warum sah Oris Schatten anders aus, solange er den Anhänger festhielt?
Es war zu kompliziert.
Ori ließ ihn los und riss den Anhänger aus seiner Hand, um ihn beschützend an ihre Brust zu drücken.
Ihr wilder Blick - ihre Augen waren wieder grün und voller Gefühle - forderte Antworten von ihm.
Ob er die geben konnte, war eine andere Frage.
"Was ist mit dieser Kette?" Er würde keine Antworten geben, wenn er keine bekam.
Er unterdrückte die Frage, warum er das Bedürfnis hatte, die Kette um seinen eigenen Hals zu hängen und die Person mit dem Namen Dhania zu küssen.
War nicht Ori seine Freundin?
Was bedeutete das alles?
"Was soll schon mit ihr sein? Es ist eine ganz normale Kette." Ori umklammerte die Kette noch immer wie einen Schatz, der davonfliegen könnte.
Vielleicht konnte sie es ja.
"So normal, dass sie für einen gewissen Zeitraum deine Persönlichkeit verändert.", erwiderte Daelar ironisch. "Wir können auch gerne woanders hingehen, wenn du es mir nicht hier sagen willst."
Ori musterte ihn schweigend.
Beinahe wie ein verschrecktes, in die Ecke gedrängtes Tier.
Daelar seufzte. "Hast du wirklich nichts zu sagen?"
Schweigen.
Sowohl Oris Blick, wie auch ihre Pose änderten sich nicht mehr als dass ihre Hände zu zittern begannen.
Erneut seufzte er, stand auf und wollte Ori hochheben, doch sie stand ruckartig auf und ging schnellen Schrittes Richtung Galerie.
Daelar holte sie erst auf der Treppe nach oben zu den Zimmern ein.
Ori weinte.
Ihr Blick zeigte Verzweiflung.
"Ori?" Er griff nach ihrem Arm, doch sie machte einen schnellen Schritt nach vorn, mit dem sie seiner Hand auswich. "Ori, was ist los?"
Die Elfe schwieg noch immer und betrat ihr Zimmer, wo sie sich auf ihr Bett fallen ließ.
Das Tablett, das sie nicht weggestellt hatten, klapperte und das leere Glas fiel um.
Daelar unterdrückte ein Seufzen, schloss die Tür und stellte dann das Tablett auf einen Tisch in der Nähe.
"Willst du schlafen?", wandte er sich dann leise an Ori.
Zum ersten Mal seit sie den Saal verlassen hatten, bekam er eine Antwort.
Ori nickte.
Sie wisperte auch irgendetwas, doch es war selbst für seine geübten Ohren zu leise.
"Was hast du gesagt?", fragte er vorsichtig nach.
"Ob du dich umdrehen kannst.", wiederholte sich Ori kaum hörbar, aber diesmal laut genug, um es zu verstehen.
"Wenn du es willst." Daelar drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und wandte sich ab.
Er entdeckte eine Tür hinter einem Vorhang, die aus Glas gemacht zu sein schien, und hinter ihr befand sich ein gewaltiger Balkon. Dieser war wohl der äußere.
Neugierig ging Daelar zu der Tür, öffnete sie und trat hinaus.
Während er die Tür anlehnte, erhaschte er einen kurzen Blick auf Ori.
Sie zog sich gerade ihr Oberteil über den Kopf und entblößte so schöne, helle und weich aussehende Haut...
Errötend wandte Daelar sich ab und entfernte sich von der Tür.
Der Balkon war größer als er erwartet hätte.
Die Violette Zitadelle hätte hier locker Platz gefunden.
Daelar grinste, als er sich an Dalaran erinnerte.
Eine großartige Stadt, allerdings waren die blauäugigen und -blütigen Hochnasen dort in Hülle und Fülle.
Zum Glück war Jaina nicht mehr persönlich anzutreffen...
"Daelar!" Oris Stimme war wie Musik in seinen Ohren, als sie ihn quer über den Balkon rief. "Du kannst zurückkommen, wenn du willst!"
Und wie er wollte.
Der Tag war zwar einfach gewesen, aber dennoch bevorzugte er die Pausen, die er bekam.
Er wandte sich um und ging gemütlich zurück.
Er konnte gerade noch sehen, wie sich Ori in Unterwäsche unter die Bettdecke legte.
Sie schien gerne so zu schlafen.
Daelar betrat das Zimmer leise und schloss die Glastür.
Ori lag mit dem Rücken zu ihm so weit am Rand ihres Bettes, dass sie wahrscheinlich ausdrücken wollte, dass er sich auf keinen Fall nahe zu ihr legen sollte.
Erneut unterdrückte er ein Seufzen, legte seine tiefschwarze Kleidung ab und legte sich an den anderen Rand des Bettes.
Erwartungsvoll sah er auf Oris Rücken, der halb von der Decke verdeckt wurde.
Überrascht bemerkte er ein paar Tätowierungen, die sich in winzigen Rechtecken, die alle zusammen vier Linien bildeten, sich in Form von Grashalmen über ihre Schulterblätter zogen.
Zwei auf jeder Seite und alle "Grashalme" begannen bei ihrer Wirbelsäule.
Diese Tätowierungen kamen ihm bekannt vor.
Er glaubte, sie bei einer anderen Person schon mal im Gesicht gesehen zu haben...
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