Kapitel 11 | Ein neuer Neuanfang
Ein Schrei ertönte genau vor Oris Zimmertür.
Die Elfe zuckte zusammen und sah erschrocken zu der Tür, während Thalan fluchend an Dhanias Brustplatte herumhantierte, was ihm dadurch erschwert wurde, dass Ori sich mit aller ihrer recht wenigen Kraft gegen seine Hände wehrte.
Drei Minuten hatte sie geschafft, dem Leerenelf die Zeit zu rauben, die er mit ihr geplant hatte.
Bis der Assassine ihre Rüstung abgelegt hatte, würde schon jemand kommen.
Senzajin war offenbar von dem Bannkreis getroffen worden, denn seine schmerzerfüllten Schreie dauerten noch eine Weile an.
Aber dann ertönten Schritte, viele Schritte.
Eine Gruppe kam.
Sie halfen Senzajin.
Ori seufzte erleichtert, als seine Schreie verstummten.
"Was denn, so groß ist deine Sorge um ihn?" Thalan atmete spöttisch aus. "Er gilt als tot, du kannst ihn nicht heiraten."
"Das hatte ich auch nicht vor." Erneut schlug sie seine Hände zur Seite und funkelte ihn herausfordernd an. "Jch habe schon jemand anderen gefunden."
"Was...?" Thalan hielt inne und starrte ihr ungläubig in die Augen. "Wer...?"
Ori wollte gerade antworten, das würde er schon sehen und müsse es akzeptieren, schließlich konnte man niemandem Liebe aufzwingen - doch dann wurde die Tür eingetreten und Senzajin stolperte herein.
Seine glühenden Adern machten dem Leerenelf klar, dass er gerade Berserker spielte.
Geschockt bemerkte Ori die Auswirkungen, die der Bannkreis auf Senzajins Rüstung und auch ihn gehabt hatte.
Überall, selbst in den Schulterstücken, prangten Löcher, deren Ränder von kochendem Blut angesenkt worden waren.
Das Blut floss noch immer.
"Du kleine miese Ratte..." Senzajins Stimme zitterte, klang jedoch genau so wie Deathwings. Rau und hallend.
Sein Hand tastete nach einem Dolch, doch er schien zu schwach, den festzuhalten, denn er trat sofort zurück, die Hand vom Dolch nehmend.
Zum ersten Mal sah Ori, wie er sich seine eigene Schwäche gestand.
"Alles in Ordnung, Ori?" Katlynns Gesicht lugte hinter der Ecke hervor.
"So gut wie es einem mit einem wahnsinnigen Elf auf meinem Bett gehen kann.", scherzte Ori. "Also eigentlich ganz gut."
"Glaub ich kaum." Thanduril schob sich an Katlynn und Senzajin vorbei ins Zimmer und zeigte auf Thalan, der sich erstaunlicherweise nicht mehr bewegt hatte, und murmelte etwas. Nach ein paar Sekunden fiel er bewusstlos auf den Boden. "Ich bin sicher, man kann diese ganze Misere verhindern, wenn man ihm das Gedächtnis löscht..."
"Gute Idee." Ori setzte sich auf und wechselte Dhanias Plattenrüstung wieder zu ihrer Lederrüstung. "Also, du hast nur drei Minuten gebraucht, Senzajin?"
"So kurz wie möglich. Dieser Elf..." Senzajin schüttelte sich Kapuze und Maske aus dem Gesicht. Eine lange Wunde zog sich von links auf Senzajins Stirn über den Nasenrücken bis über die rechte Wange. Dort endete der Kratzer, schließlich war dort auch Ende vom Gesicht. "...der war zwar betrunken, aber dennoch ziemlich stark. Ich will nicht wissen, was er kann, wenn er nicht betrunken ist."
"Er hatte Glück, dass gerade ein Späher gekommen ist und ihm geholfen hat.", murmelte Thanduril. "Ohne den Späher wäre vielleicht gar nichts von Senzajins Gesicht übrig geblieben."
"Ich gebe zu, dann hab ich ihn selbst unterschätzt." Ori rutschte an Thalan vorbei von ihrem Bett und trat zu Senzajin. "Du solltest am Besten direkt zu Filian. Hoffen wir, dass wir sie nicht überfordern."
"Ich helfe ihr.", meldete sich Katlynn.
"Du sollst nur in die Kammer gehen, wo die Späher immer warten. Wir haben ein paar mehr gefangen, damit sie keinen Zusammenhang finden zwischen dir und ihm.", erklärte ihr Senzajin und wurde schon von dem Pärchen weggeführt.
Ori lächelte schwach und sprang einfach über die Brüstung im Flur, denn direkt unter ihm befand sich die Galerie.
Sie kam lautlos auf und ging genauso leise über die kalten Fliesen bis hin zu der Tür, die nach unten und in die Leere führte.
Sie ging die Stufen lautlos hinunter, stolz darauf, endlich ihrem eigenen Wahnsinn entkommen zu sein.
Dann trat sie in die Kammer, ihr Gesicht bereits von ihrer Maske bedeckt.
Sie erkannte Daelar, bevor sie auch nur sein Gesicht sah.
Der Waldläufer schien nervös, denn seine auf dem Rücken zusammengebundenen Hände bewegten sich unruhig.
Für einen Moment genoss sie den Anblick seines muskulösen Körpers und versuchte, sich ihn in schwarzen Sachen vorzustellen.
In ihrer Vorstellung betonte die schwarze Kleidung seine Muskeln weit besser als seine momentane Kettenrüstung.
Ori schüttelte den Kopf.
Sie musste jetzt neutral und kalt wirken...
"Neue Gefangene?" Ori ließ ihren Blick über die fünf Blutelfen - drei von ihnen männlich, zwei weiblich - gleiten.
Nach einer Weile kniete sie sich vor einen Elf, Daelar um genau zu sein, drehte sein Gesicht ein wenig hin und her und nickte dann. "Gehirnwäsche. Bei allen."
"Ihr ähnelt Eurer Schwester wohl nur vom Aussehen her." Daelar sprach ein ganz anderes Thema an.
Wut flackerte in seinen Augen auf, offenbar wegen seiner Niederlage, und Enttäuschung, dessen Grund Ori nicht in seinen Augen erörtern konnte. "Wie bedauerlich. Ich verstehe nicht, warum ihr getrennte Wege geh-"
"Dhania ist tot." Die drei Worte schossen aus ihr heraus wie aus einer Pistole und ließen ihn so verstummen.
Doch diese Worte trafen nicht nur ihn.
"Warte. Wie?" Ungläubig starrte er sie an. "Vor weniger als einer Stunde war sie noch bei mir..."
"Das war nicht Dhania." Ori wollte sich nicht verraten, also fügte sie hinzu: "Das war nur eine Illusion."
Daelar schwieg.
"Ihr könnt gehen.", wandte Ori sich dann an die Späher. "Lasst keine einzelne Erinnerung zurück. An nichts. Benutzt die höchste Stufe, die ihr benutzen könnt, ohne sie zu töten."
Die Späher nickten stumm und griffen nach den Elfen.
Hinter ihrer Maske grinste sie, als sie die entsetzten Mienen ihrer baldigen Schüler sah, als sie wieder auf die Füße und in einen anderen Raum gezerrt wurden.
Kaum hörte sie, wie sich die Tür schloss, aktivierte sie ihre Leerensicht, eine Art Bildschirm, die ihr die Sicht auf die Folterkammer erlaubte.
Sie genoss den Anblick von Daelar, als ihm seine Rüstung vom Leib gerissen und dann durch eine eng anliegende schwarze Hose ersetzt wurde.
Den anderen Gefangenen erging es ähnlich.
Dann wurden alle fünf auf die vorhandenen fünf Folterbänke geschnallt.
Ihre Fesseln waren aus Eisen und leiteten Strom also sehr gut.
Diese von Leere durchzogene Welt hatte auch ihre Nutzen: der einzigste Leerenelf und den wenigen Spähern erzeugte Strom durch Reibung der Leere.
Irgendwie schien die Leere für Leerenelfen stets Formen zu haben, in diesem Fall eventuell sogar die Form von Atomen.
Ori sah, wie die Gefangenen sich verkrampften und bevor einer von ihnen schreien konnte, beendete sie die Leerensicht und wandte sich ab und wieder der Galerie zu.
Sie würde ihr Zimmer schon ein wenig einrichten, bevor die Späher Daelar hineinbrachten...
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