7. Kapitel - Berg und Tal
Mit jedem Tag, der verging, fiel es Anne schwerer ihren Freunden ihr dunkles Geheimnis vorzuenthalten. Zum Schulabschluss im letzten Jahr hatte Dumbledore sie gefragt, ob sie dem Orden des Phönix beitreten wolle und sie hatte abgelehnt.
„Es ist vielleicht besser so", hatte der Professor ihr wohlwollend zugestimmt und ihr alles Gute für ihre angestrebte musikalische Laufbahn gewünscht. Sie war sich daraufhin wertlos vorgekommen. Zum ersten Mal hatte er ihr damit das Gefühl gegeben, dass sie ohnmächtig und für die weiteren Geschehnisse nicht von Bedeutung war.
Erneut musste sie nun das Bedürfnis hinunterschlucken, Lily und James einzugestehen, warum sie sich verbarg und aus welchem Grund sie um das Leben ihrer Freunde fürchtete, wenngleich ihr Destruiant sie selbst für den Moment vor ihrem machtgierigen und grausamen Vater schützte.
„Ehrlich", schlug James nun einen versöhnlicheren Ton an und ergriff beschützend Lilys Hand. „Du musst dich nicht um uns sorgen. Diese Last können wir selber tragen. Und jetzt iss ein Stück Schokolade, du siehst aus, als wärst du gerade einem Dementor begegnet...", scherzte er und sorgte damit für die dringend notwendige Aufheiterung.
„Danke", lehnte Anne zaghaft lächelnd ab. „Aber die Schokolade war für Euch gedacht. Ich darf sowieso nicht so viel davon essen, sonst passe ich am Sonntag nicht in mein Kleid!"
Lily schreckte auf. „Oh, apropos Kleid!" Schnell sprang sie auf und holte den Karton hervor, den sie mitgebracht hatte und den sie während des Essens vom Tisch genommen und dann vergessen hatte.
„Ich habe dir etwas mitgebracht", verkündete sie geheimnisvoll, stellte die Kiste vor sie hin und zückte den Zauberstab. Ganz langsam hob sich der Deckel und ein Kleid wand sich darunter hervor, wie eine beschworene Schlange aus einem Korb.
„Dein Brautjungfernkleid", rief sie stolz und sah die Freundin erwartungsvoll an.
Anne stand überrascht auf und besah sich das Kleid, das sich vor ihr entfaltet hatte und nun in der Luft ausgebreitet hängen blieb. Vorsichtig ließ sie ihre Finger über den glänzenden Seidentaft des Rocks und die glitzernden Stickereien auf dem Mieder gleiten und hielt danach ehrfürchtig inne.
„Gefällt es dir?", fragte Lily, zum Zerreißen nervös. Anne antwortete nicht. Sie warf der Freundin einen undefinierbaren Blick zu, der diese sehr erschreckte. „Anne", raunte sie und wiederholte drängend ihre Frage. „Gefällt es dir?"
„Es ist ...", setzte Anne verhalten an und wusste doch nicht, was sie dazu sagen sollte.
„Es ist wundervoll", warf James ungeduldig ein und drückte Lily beschützend an sich, die von Annes zurückhaltender Reaktion enttäuscht, den Tränen nahe war.
Sirius sprang ihm bei und legte Anne behutsam die Hand auf die Schulter. „Du wirst bezaubernd darin aussehen!"
Anne drehte sich um und sah Lily in die tränengefüllten Augen. Es schmerzte sie, der Freundin Kummer zu machen, aber das Kleid erinnerte sie so sehr an den Ball der 1000-Jahr-Feier, dass allein der furchtbare Gedanke an Eleanors gewaltsamen Tod an jenem Abend sie nun beherrschte.
„Es ist grün", flüsterte sie schwach und Lily machte große Augen.
Betretenes Schweigen setzte ein, während Lily sich haltsuchend an James klammerte und der wiederum fragende Blicke mit Sirius austauschte.
„Was hast du gegen grün?", rutschte es ihm verständnislos heraus. „Es ist die Farbe der Hoffnung."
Ausdruckslos starrte Anne das Kleid an. Lily wusste weder ein noch aus, sie hatte sich eine freudestrahlende Brautjungfer in moosgrün ausgemalt, mit Perlen verziert und mit zartrosa Blumen in der Hand. Stattdessen machte Anne ein Gesicht, als hätte sie ihr ein schlammbespritztes Quidditchdress vorgesetzt.
„Du kannst nicht ewig nur schwarz tragen", klagte sie leise und erregt. „Ich finde du hast nun lang genug um Professor Hawthorpe getrauert ..." Und dann fügte sie mit mühsamer Beherrschung hinzu: „Auf meiner Hochzeit will ich kein Trauerkleid sehen!"
Anne atmete tief durch, löste sich aus ihrer Gedankenstarre und griff dann versöhnlich nach Lilys Hand.
„Natürlich", sagte sie, als wäre nichts gewesen. „Meine Gedanken sind abgeschweift, tut mir leid. Ich werde jedes Kleid tragen, das du dir wünschst. Es ist wirklich wunderschön."
Annabel. Lilys Worte hatten das Bild von Voldemorts Vergehen an Eleanor vertrieben und ihr stattdessen jenes der jungen Hogwarts-Lehrerin vor Augen gerufen, die ihr Leben so entscheidend beeinflusst hatte.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen?!"
„Hallo Anne, ich freue mich auch dich zu sehen. Und danke der Nachfrage, aber es geht mir gut", sagte Hawthorpe spitzzüngig, nachdem die aufgebrachte Anne gleich am Sonntagabend in ihr Zimmer gestürmt war.
„Das ist nicht witzig!" Anne musste an sich halten, um sie nicht anzuschreien. „Wie konntest du die Stelle als Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste übernehmen? Du weißt, dass ein Fluch darauf liegt!" Unverhohlene Besorgnis sprach aus ihrem Blick und Annabel fühlte sich beinahe geschmeichelt von so viel Anteilnahme. Seufzend stand sie auf.
„Nun, sie war gerade frei", erwiderte sie ironisch und Anne platzte beinah vor Zorn. „Anne, ich bin erwachsen. Ich kann für mich selbst entscheiden."
„Ich bin jetzt auch erwachsen. Und ich sage dir, diese Entscheidung ist ein Fehler!"
Hawthorpe schmunzelte. „Du magst jetzt vielleicht volljährig sein. Erwachsen bist du deshalb noch lange nicht! Und du bist immer noch meine Schülerin. Noch ein ganzes Jahr lang."
Anne verzog das Gesicht. „Und was ist nach diesem Jahr?! Was wird dann aus dir?"
Hawthorpe lachte. „Die Frage sollte wohl vielmehr lauten, was wird dann aus dir? Ich werde hoffentlich die erste seit langer Zeit sein, die dieses Lehramt mehr als ein Jahr innehat."
„Das träumst du doch! Wenn du Glück hast, übernimmst du dann ein anderes Fach. Und wenn nicht ..." Sie hielt inne und sah die junge Lehrerin mit sorgenzerfurchter Stirn an.
„Und wenn nicht?", fragte diese und Anne fiel ihr stürmisch um den Hals.
„Daran will ich gar nicht denken", rief sie erstickt und vergrub ihr Gesicht in Annabels blondem Haar.
„Anne, mach dir nicht so viele Sorgen um mich. Davon hast du selbst genug", antwortete Annabel und zeigte auf einen zwei Tage alten Tagespropheten auf dem Tisch.
„Hast du von den toten Muggeln in Bakewell gelesen?", fragte Anne leise und sie nickte. „Glaubst du sie suchen immer noch nach mir?"
Hawthorpe sah ihr eindringlich in die Augen und ihr Blick wurde traurig und ernst. „Voldemort wird niemals aufhören nach dir suchen zu lassen, Anne. Nicht so lange er am Leben ist", flüsterte sie kopfschüttelnd. „Du wirst ihn vernichten müssen, wenn du dein Leben für dich haben willst."
Anne schwieg. Sie wusste es längst, aber nun hatte Annabel es ausgesprochen. Sie konnte sich nur von ihrem Vater befreien, wenn sie ihn vernichtete. Wie sollte sie DAS bewerkstelligen?
Hawthorpe drückte ihre Hand, wandte sich ab und zog sich zurück.
„Ich werde es versuchen ...", antwortete Anne tapfer und wandte sich zum Gehen, hielt jedoch vor der Tür inne. „Mit deiner Unterstützung, hoffe ich."
„Die hast du. Uneingeschränkt ...", bestätigte Annabel.
Am Tag ihrer Abschlussfeier in Hogwarts hatte Annabel grinsend gespottet, dass das Jahr nun herum und sie immer noch quicklebendig sei und dass Anne ihren Aberglauben an den Nagel hängen solle, ehe sie hinaus in die Welt ginge.
Ein paar Wochen später war sie tot gewesen. Ermordet von der Hand Voldemorts. Und Anne war im Sog der Trauer um ihre wertvollste Ratgeberin und treue Wegbegleiterin beinah ertrunken. Völlig aufgelöst war sie in die Staaten zu Hector gereist und erneut waren er und die Musik es gewesen, die sie wieder aufgebaut hatten. Hector, der ebenso wie sie um diesen wundervollen Menschen getrauert hatte. Sie hatten Annabel einen Song gewidmet, einen Teil ihres Schaffens, der nun auf ewig mit ihr verbunden war. Am Ende waren nur die schwarzen Kleider übrig geblieben, die Anne nicht mehr abgelegt hatte.
Lily war immer noch ein wenig misstrauisch aber im Großen und Ganzen hatten Annes Worte sie besänftigen können und als sie und James am späten Abend die Wohnung verließen, glänzten ihre Augen und ihre Wangen waren sanft gerötet, weil sie stundenlang in gemeinsamer Vorfreude auf eine rauschende Hochzeitsfeier geschwelgt hatten.
So lieb Sirius seine Freunde auch hatte, so war er doch froh, als die beiden Anstalten machten, nach Hause zu gehen, weil er Anne endlich für sich haben wollte. Kaum hatten sie sich an der Wohnungstür verabschiedet, griff er nach ihrer Hand, zog sie fest an sich und begrub sie unter einer Flut leidenschaftlicher Küsse. Sie ließ ihn gewähren und begrüßte dankbar die Ablenkung von all den aufwühlenden Gedanken und Erinnerungen, die in den letzten Stunden über sie hereingebrochen waren. Ohne sich von ihren Lippen zu lösen, schob er sie durchs Zimmer bis zum Bett, drückte sie darauf nieder und begann ihren Hals und ihre Brust zu küssen.
Anne spürte, wie ihr heiß wurde und jede seiner Berührungen sie noch hitziger erregte. Sie knöpfte sein Hemd auf und er legte es ungestüm ab, bevor er ihr Kleid, ohne Rücksicht auf die schillernden Knöpfe, die bald in alle Richtungen absprangen, über ihre Schultern hinabschob und wie ein Verhungernder über sie herfiel. Schwer atmend ließen sie in dieser Nacht erst voneinander ab, als ihnen auch das letzte bisschen Kraft ausgegangen war.
Zärtlichen Blickes sah Sirius dabei zu, wie Anne langsam die Augen zufielen und sich ihr Brustkorb unter gleichmäßigen Atemzügen zu heben und zu senken begann. Erst als sie erschöpft und friedlich eingeschlafen war, begann er sich zu entspannen. Sein Brustkorb schmerzte höllisch und es hatte viel Anstrengung gekostet, den ganzen Abend über die angebrochenen Rippen vor ihr zu verbergen. Ihr Gesicht war sorgenvoll genug, sie brauchte nicht zu wissen, wie er unter den Misshandlungen seiner Ausbilder litt.
Die Leidenschaft, die sie in ihm weckte, hatte ihn den Schmerz klaglos ertragen lassen. Keine andere Frau konnte ein solches Feuer in ihm entfachen, auch wenn er zu seiner Schande gestehen musste, dass er es in den vergangenen Monaten mehrmals versucht hatte. Aber sein Herz zwang ihn stets zu ihr zurück und wenn ihre ständige Abwesenheit, ihre Unberechenbarkeit und ihre Distanziertheit ihn noch so sehr quälten. Niemals würde er eine andere so sehr lieben können.
Als Anne am nächsten Tag in den frühen Morgenstunden aufwachte und sich wohlig dem schlafenden Sirius zuwandte, fiel ihr Blick im Dämmerlicht auf die zahlreichen blauen Flecke und Blutergüsse, die seinen Brustkorb bedeckten. Vorsichtig legte sie ihre Hand darauf und murmelte nacheinander alle Heilzauber, die ihr in den Sinn kamen. Danach stand sie auf und setzte sich mit einer Tasse Tee ans Fenster, von dem aus sie die vor dem Haus vorbeiführende Straße überblicken konnte.
Sirius fand sie später am Küchentisch vor, wo sie das Faltblatt eines Muggelsupermarktes zu studieren schien, als er mit zerzaustem Haar und unwiderstehlich verwegenen Bartstoppeln an sie herantrat und ihr einen zärtlichen Kuss in den Nacken hauchte.
„Guten Morgen", flüsterte er liebevoll.
Sie drehte sich nicht zu ihm um. Sofort war ihm klar, dass die Zeit der Samthandschuhe nun vorüber war. Seufzend richtete er sich auf und trat schuldbewusst vor sie hin.
„Du hast gelogen...", sagte sie, ohne aufzublicken.
„Du fackelst nicht lange, was?", entgegnete er mit einem Anflug von Zorn in der Stimme, aber sie ging nicht darauf ein. Aus zusammengekniffenen Augen blickte er sie an. „Als James dich nach Remus gefragt hat, hast du auch mehr verschwiegen als gesagt, nicht wahr?"
Endlich sah sie ihn mit zusammengepressten Lippen an. „Das ist etwas ganz anderes."
„Finde ich nicht", konterte er aufbrausend.
Sie schwieg und senkte den Blick aufs Neue.
„Was ist in New York wirklich vorgefallen?!"
„Wenn ich es dir erzähle ...", sagte sie leise und berechnend, „... will ich auch von dir die Wahrheit wissen."
„Schön!"
„Du fängst an", verlangte sie und sah ihm auffordernd ins Gesicht.
„Welche Wahrheit hättest du denn gerne?" Er spie ihr die Worte geradezu entgegen, so sehr forderte sie ihn mit ihrem provozierenden Verhalten heraus.
Anne fixierte ihn mit ihrem Blick, so dass ihm unangenehm heiß wurde, bevor sie überraschend verkündete: „Dass du mich mit Marlene hintergehst, weiß ich bereits. Mich interessiert, woher die blauen Flecken und die Blutergüsse stammen."
Er wurde blass und musste kurz die Augen schließen, um Atem zu schöpfen. „Du weißt von Marlene?", presste er gequält hervor.
Sie lächelte schief. „Jetzt schon", höhnte sie und er schwankte für einen Moment gefährlich, bevor er auf sie zutrat und sie angiftete.
„Du hinterhältiges Biest!" Sie hatte ihn ausgetrickst und er war darauf hereingefallen! Obwohl ihm ihre Methode in der Aurorenausbildung bereits beigebracht worden war. Er wusste nicht, wen er in diesem Augenblick mehr hassen sollte, sie oder sich selbst.
Sie wich nicht vor ihm zurück und wartete schweigend darauf, dass er weitersprach.
Sirius setzte sich auf den zweiten Küchenstuhl und ließ die Schultern hängen. Da er keine Anstalten machte, ihr seine Verletzungen zu erklären, beugte sie sich zu ihm und erklärte: „Es macht mir nichts aus, dass du eine Affäre mit Marlene hast. Wenn du sie heiraten möchtest, werde ich mit Freuden auf eurer Hochzeit tanzen."
Das saß! Ihre offenbarte Gleichgültigkeit trieb ihm die Tränen in die Augen. „Was willst du eigentlich von mir, Anne?", entgegnete er zutiefst verletzt.
„Ich will wissen, woher die Rippenbrüche stammen, die du gestern vor mir verheimlicht hast", sagte sie bedrohlich leise.
Er schluckte und fasste sich an die Brust. Seine Schmerzen waren heute gänzlich verschwunden „Du hast sie zusammengeflickt", fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Danke", setzte er flüsternd hinzu.
Sie runzelte die Stirn. „Wie lange willst du diese Tortur noch über dich ergehen lassen? Wann wirst du einsehen, dass du dich vergeblich quälst?", brach es verzweifelt aus ihr heraus.
Er sah sie spöttisch an. „Weil niemals ein guter Auror aus mir werden wird. Willst du das damit sagen?"
Sie verdrehte die Augen. „Nicht so lange Crouch die Abteilung für magische Strafverfolgung leitet. Er hasst uns!"
„Nein, er hasst nur dich", entgegnete er kühl. „Mich nimmt er gar nicht zur Kenntnis."
„Dann bin ich also Schuld?!"
Er seufzte tief. „Vielleicht." Die abgrundtiefe Betroffenheit, die dieses kleine, unscheinbare Wort in ihrem Blick auslöste, überraschte ihn. Ihr Atem beschleunigte sich und sie jagte ihm Angst ein, gleich umzukippen. Vor seinen Augen begann sie heftig zu zittern.
„Nein, bitte nicht. Nicht jetzt ...", murmelte sie kaum verständlich vor sich hin und sprang auf, um zur Spüle zu hechten und sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. „Bitte, bitte", murmelte sie eindringlich weiter.
Seine Besorgnis wuchs. Er erhob sich und trat neben sie. „Anne, ist alles in Ordnung? Geht es dir nicht gut?"
Sie krallte sich angestrengt an der Küchenzeile fest. „Gar nichts ist gut", platzte es aus ihr heraus und sie brach in Tränen aus. Rasch legte er die Arme um sie und drückte sie an seine Brust, wo sie so herzzerreißend zu schluchzen begann, dass ihr nur halb ausgetragener Disput im Nu vergessen war.
Ein Song für Annabel: One Last Time von Jurrivh.
https://youtu.be/rrD7XMtPs0Q
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