52. Kapitel - Der Fluch
In dieser Nacht begann Anne in die Bewusstlosigkeit zu fiebern. Madam Pomfrey versuchte stündlich Neues, um das Fieber zu senken, doch der Erfolg blieb aus. Schließlich bat sie Sirius, der versucht hatte, auf dem Sofa ein wenig Schlaf zu finden, aber jedesmal wenn er die Augen schloss sofort den Moment vor Augen hatte, in dem er in seiner Zelle gesessen und die Wände von Annes verzweifelten Schreien widergehallt hatten, seinen Patronus zu Dumbledore zu schicken.
Der stieg kurz darauf aus dem Kaminfeuer heraus, hatte er doch den Weg in seiner Eile abgekürzt. Wispernd berichtete Madam Pomfrey ihm von der Lage und ihren Befürchtungen und er runzelte sorgenvoll die Stirn. Wenige Minuten später traf der ebenfalls alarmierte Henry Murdoch ein, mehrere Bücher unter dem Arm und das Gesicht blass und grau, als hätte er sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen.
„Gehen Sie zum Professor für Zaubertränke und bitten Sie ihn um diesen Trank und diese Tinkturen. Er soll umgehend damit beginnen", bat er Madam Pomfrey und steckte ihr eine handschriftliche Notiz zu, die er zwischen den Büchern hervorzog. Sie nickte dienstbeflissen und machte sich sofort auf den Weg.
Dann begann er leise mit Professor Dumbledore zu diskutieren, so dass Sirius nichts mehr verstand. Deswegen erhob er sich hellwach von seinem Nachtlager und trat zu den Herren.
„Professor? Mr. Murdoch? Was ist mit ihr? Wieso ist Madam Pomfrey so in Sorge?", wollte er verunsichert wissen.
Dumbledore machte ein mitleidiges Gesicht. „Wir sollten uns auf das Schlimmste gefasst machen, Mr. Black", verkündete er ernst.
„Was?" Ungläubig wandte der sich an Murdoch. „Aber sie sagten doch, dass es bergauf ginge!"
Der Heiler verzog unglücklich das Gesicht und antwortete leise: „Das war bevor ich erkannt habe, dass sie mit einem Pestfluch verhext wurde."
„Ein Pestfluch?!" Verwirrt starrte Sirius ihn an. „Was ist ein ...?"
„Schwarze Magie", zischte Dumbledore erbost.
Murdoch atmete tief ein. „Die Pest ist eine Infektionskrankheit der Muggel, die vor Jahrhunderten zu schweren Epidemien geführt hat. Der danach benannte Pestfluch verursacht Symptome wie Kopf- und Gliederschmerzen, schweren Husten, Blutungen der Lunge, Wundheilungsstörungen, Fieber - bis hin zum sicheren Tod. Alles was sie hat. Es gibt keinen Zweifel."
„Bei Merlin!"
„Es gibt einen Heiltrank, aber er erfordert mehrere Tage Brauzeit und der Fluch ist schon weit fortgeschritten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir noch eine Chance haben", erklärte Murdoch gefasst, aber es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr ihn diese Entwicklung mitnahm.
Dumbledore strich sich mit einer fahrigen Bewegung sorgenvoll über das Gesicht und den langen Bart. In Sirius Augen spiegelte sich das blanke Entsetzen.
„Gehen Sie zu ihr", murmelte Dumbledore ihm betreten zu. „Noch ist nicht alle Hoffnung am Ende."
Sirius tat, wie ihm geheißen und setzte sich zu Anne ans Bett, nahm ihre Hand, streichelte behutsam über ihre glühend heiße Haut und sah zu, wie sie scheinbar friedlich schlief und doch gleichzeitig um ihr Leben kämpfte.
Er vertiefte sich in den Gedanken, dass sie weiterleben musste, für ihn, für Lily, für alle ihre Freunde. So viel hatten sie gemeinsam erlebt! Bilder zogen vor seinem geistigen Auge vorbei. Ihr verärgertes Gesicht, wenn die Herumtreiber ihr einen Streich gespielt hatten, ihre unkontrollierten Gefühlsausbrüche, die immer wieder Vorhänge und Tapeten in Brand gesteckt hatten. Das Leuchten in ihren Augen, als sie mit ihm in den verbotenen Wald geflogen war. Die skeptische Sorgenfalte zwischen ihren Augenbrauen, als er ihr zum ersten Mal gestanden hatte, dass er sie mochte ... Was hatten sie seitdem alles erlebt und durchgestanden! Er mochte sich nicht vorstellen, dass das alles nun zu Ende sein sollte.
Doch sogleich zogen dunkle Schatten über seine Gedanken hinweg. Er saß wieder in seiner kalten, finsteren Kerkerzelle, verängstigt, allein - und spürte noch den Schmerz des letzten Cruciatus-Fluchs seiner Cousine auf der Brust, als unmenschliche Schreie die Stille durchzogen. Schreie, die ihm durch Mark und Bein drangen, die ihn erzittern und das Blut in den Adern gefrieren ließen. Ein Bild drängte sich ihm auf: Anne, wie sie von ihrem Vater misshandelt wurde. Wie sie schwer verletzt am Boden liegen blieb. So schwer verletzt, dass sie nun um ihr Überleben kämpfen musste.
„Mr. Black!"
Sein Atem ging schwerfällig und er merkte, dass er zitterte, als er von hinten vorsichtig angesprochen und aus einem unruhigen Dämmerschlaf gerissen wurde. Er wandte sich um und sah Henry Murdoch vor sich, der einen ganzen Arm voll medizinischen Materials mitgebracht hatte, welches er nun sogfältig auf Annes Nachttisch ausbreitete.
„Alles in Ordnung? Sie sehen gar nicht gut aus ...", meinte er nun besorgt und schickte sich an, Sirius genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber der winkte ab.
„Es geht mir gut."
Murdoch hob skeptisch eine Augenbraue. „Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sollten die Wirkung der Erlebnisse, die Sie und Mrs. Potter durchgestanden haben, nicht unterschätzen! Sie können nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren ..."
Sirius seufzte.
„Möchten Sie einen Beruhigungstrank? Oder ein Schlafmittel?"
„Nein ich ... ich denke, ich muss nur ein wenig an die frische Luft."
„Dafür wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt."
„Warum?"
Murdoch zog nun einige Schläuche und Röhrchen aus ihren sterilen Verpackungen und machte sich daran, diese für die weitere Behandlung vorzubereiten.
„Weil sie nicht sehen wollen, wie ich ihr einen Schlauch durch die Nase in den Magen schiebe."
„Was? Wozu?" Angewidert zuckte Sirius zusammen.
„Sie muss ihre Heiltränke bekommen."
Der Heiler sah ihn kurz an, dann ließ er seine Hände mit den Schläuchen einen Moment sinken und warf einen betrübten Blick auf Anne. Er atmete tief durch.
„Sie hat unsere Behandlungsmethoden damals aufs Schärfste kritisiert, wissen Sie?", brach es wehmütig aus ihm heraus. „Wie aus dem Nichts tauchte sie auf unserer Station auf, weil der kleine Junge darum bat, dass das Mädchen aus Hogwarts ihn besuchen kam. Alles meinte sie besser zu wissen. Eine Fünfzehnjährige! Und an allem hatte sie etwas auszusetzen. Die Zwangsernährung war zu unmenschlich, die Fixierung war zu grob, der Umgang zu wenig kindgerecht. Täglich wünschte ich mir, sie möge endlich verschwinden!"
Er schluckte schwer, während er sich daran erinnerte, wie er Anne kennengelernt hatte. Überrascht hörte Sirius zum ersten Mal diese Sicht der Dinge und konnte sich lebhaft vorstellen, wie die jugendliche Anne sich mit ihrem respektlosen Tatendrang ans Werk gemacht hatte..
„Vorsintflutlich. So nannte sie meinen Behandlungsplan. Ich hatte gerade die Stationsleitung übernommen und dann kam dieses freche Gör daher und nannte meine Vorgehensweise vorsintflutlich! Den Hals hätte ich ihr umdrehen wollen. Aber sie kam wieder. Jeden Tag, jede Woche, immer wieder. Und sie hatte tatsächlich Erfolg!" Sein Blick wurde mit einem Mal unendlich traurig. „Und plötzlich lag sie selbst auf meiner Station. Hilflos. Ohnmächtig. Verflucht." Schwermütig hielt er einen Moment inne. „Wissen Sie, wie sich das angefühlt hat?"
Sirius spürte einen dicken Kloß im Hals, der sich nicht hinunterschlucken ließ, während Murdoch den Blick stur auf Annes schlafendes Gesicht gerichtet hatte.
„Monatelang hatte ich sie einfach nur los haben wollen. Und dann lag sie vor mir und wachte nicht mehr auf." Er schüttelte den Kopf und nahm wieder sein Material zur Hand. „Die lebende Tote haben meine Leute sie genannt. Wochenlang kein Anzeichen auf Besserung, bis endlich der Durchbruch gelang. Und als sie schließlich die Behandlung, die sie zuvor so sehr bemängelt hatte, vor meiner Nase selbst ertragen musste und sich mit Zähnen und Klauen gewehrt hat ... da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, Mr. Black!"
Erschüttert sah Sirius ihm zu, wie er mit zitternder Hand über Annes Haar strich und sie so wehmütig anblickte, dass es jedem Zuschauer das Herz zerreißen musste.
„Seitdem hat sich vieles geändert im St. Mungos. Und es ist allein ihr Verdienst", schloss er und sah Sirius in die Augen.
„Sie sollten jetzt gehen, Sie wollen das nicht sehen", sagte er und all die Wärme, die gerade noch zu spüren war, war aus seiner Stimme verschwunden.
***
Lord Voldemort saß an seinem Schreibtisch und starrte trübsinnig vor sich hin.
Er hasste es, zu scheitern. Aber genau danach fühlten die letzten Tage sich an. Nach Scheitern.
Er sehnte sich danach, dass seine Tochter wieder bei ihm war. Dass er sie bedingungslos beherrschen konnte. Dass sie ihn mit ihrer magischen Macht unterstützte.
Er sehnte sich danach, all das von ihr zu erzwingen und gleichermaßen ihren eigenen Willen dahin zu lenken. Der Wunsch nach einer gleichgesinnten Tochter, einer mächtigen Wegbegleiterin, die sich ihm sowohl anschloss, als auch unterwarf, beherrschte ihn von Kopf bis Fuß.
Alles war so vielversprechend gewesen. Sie hatte sich ihm geöffnet, hatte sich für die Erinnerung an ihre Mutter begeistern können. Ihre verdammte Mutter, die so völlig unerwartete Emotionen in ihm geweckt hatte. Sie hatte sie nicht erwidert, weil sie in einen anderen verliebt gewesen war. Aber ihre Eltern hatten ihr eine Heirat nicht erlaubt und sie hatte aus Trotz und Enttäuschung dem Werben des viel älteren Geschäftspartners ihres Vaters nachgegeben. Um ihre Eltern zu ärgern. Weil er auch nur ein Halbblut war.
Noch heute stieg die Wut in ihm hoch, wenn er sich an die Ablehnung seines Heiratsgesuchs durch ihren Vater erinnerte.
Es war ein Leichtes gewesen, den alten starrköpfigen Rassisten mit einem Imperius-Fluch zu unterwerfen, um die lebenslustige, hübsche Tochter zu bekommen. Ein Leichtes, den Widerling kurze Zeit später grausam dahinsiechen zu lassen, bis er schlussendlich langsam und qualvoll an seinem eigenen Blut erstickt war.
Dass er zarte Gefühle für das Mädchen zu entwickeln begann, war nicht vorgesehen gewesen. Er hatte sie im Keim erstickt und es war ein erregendes Vergnügen gewesen, sie mit dem Cruciatus zu traktieren, mit Schmerzen gefügig zu machen, mit Drohungen und Schlägen bei der Stange zu halten, mit Gewalt zu schwängern. Viel aufregender, als romantische Liebe. Was sollte daran zu finden sein, eine Frau zu küssen, zu streicheln und zärtlich zu lieben, wenn sie dabei nicht schmerzverzerrt stöhnte oder vor Entsetzen schrie? Dass sie ihn bald schon verachtet und sich widersetzt hatte, war noch viel erregender gewesen.
Bis sie plötzlich mitsamt seines ungeborenen Kindes von der Bildfläche verschwunden war. So gründlich, dass er fünfzehn Jahre gebraucht hatte, um sie am anderen Ende der Welt ausfindig zu machen. Sie hatte jede Spur beseitigt. Sogar der Magie hatte sie entsagt und sich völlig unsichtbar unter die Muggel gemischt, so dass er sie beinah noch länger übersehen hätte. Und als er sie dann endlich gefunden hatte, sie mit allem bedroht hatte, das er aufzubieten im Stande gewesen war, da hatte sie ihm ins Gesicht gelacht und nicht sagen wollen, wo sein Kind sich befand. Lieber hatte sie sich in die todbringende Tiefe gestürzt.
Wenig später war ihm der Zufall zu Hilfe gekommen. Als seine getreuen Todesser, diese idiotischen Rassisten, die tatsächlich glaubten, er würde ihnen zu Macht verhelfen, um ihre reinblütigen Ideale zu verherrlichen, sich abfällig über eine muggelgeborene Slytherin geäußert hatten, die ein Medaillon bei sich trug, dessen Beschreibung ihm so sehr bekannt vorkam. In jenem Moment war ihm klar geworden, was seine Verlobte getan hatte. Vor seiner Nase hatte sie das Kind bei nichtsnutzigen Muggeln versteckt!
Von diesem Tag an hatte er das Ziel verfolgt, ihrer habhaft zu werden. In der Hoffnung, sie würde Weihnachten außerhalb der Schule verbringen, hatte er in den Ferien nach ihr suchen lassen. Danach hatte er im Sommer in einem klugen Schachzug ihren wertlosen Muggelvater beseitigt. Noch besser war es mit ihrer Stiefmutter gelaufen, die ganz von selbst gestorben war! Dann hatte er seine Tochter heimbringen wollen. Aber da war ihm zu Ohren gekommen, dass sie sich bereits vor Ende der Sommerferien wieder in Hogwarts aufhielt. Also hatte er es wagen müssen, sie von dort zu holen.
Das hatte der verdammte alte Professor vereitelt!
Und dann war sie plötzlich verschwunden gewesen. Erst war sie in den unerreichbaren, bewachten Tiefen des St. Mungo Hospitals wieder aufgetaucht, doch schon bald hatte sich ihre Spur von dort verloren. Bis sie unvermittelt in Hogwarts wieder in Erscheinung getreten war. Und mit ihr die Gerüchte über eine ganz besondere magische Macht, die ihr zu eigen war.
Also hatte er gewartet bis zum nächsten Sommer. Aber sie war ihm erneut entwischt, als plötzlich ihre Wohnung nicht mehr auffindbar gewesen war. Schon da hatte er erkennen müssen, dass sie wesentlich klüger und begabter war, als alle seine hochnäsigen, reinblütigen Anhänger.
Sie war besonders, genau wie er selbst es immer schon gewesen war!
Ein weiteres Jahr hatte er also verstreichen lassen, bis er es gewagt hatte, sich ihr zu zeigen. Und sie hatte ihn nicht enttäuscht. Sie hatte ihm ihre immense Macht gezeigt, von Angesicht zu Angesicht hatte er sich davon überzeugen können.
Aber sie hatte sich ihm nicht anschließen wollen. Und es hatte keine Möglichkeit gegeben, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Bis der junge Barty Crouch, der sich ihm zu seiner großen Befriedigung schon während seiner Schulzeit angeschlossen hatte und ihm unschätzbar treu und fanatisch ergeben war, ihm vom Vorhaben seines tyrannischen Vaters, dem Leiter der magischen Strafverfolgungsbehörde berichtet hatte, der jungen Frau ihre besondere Kraft entziehen zu wollen.
Er hatte nicht geglaubt, dass das Zaubereiministerium das bewerkstelligen konnte, aber er hatte zumindest damit gerechnet, dass es sie schwächen würde und er dann zuschlagen könne.
Aber sie war daraufhin von der Bildfläche verschwunden. Monatelang. Bis sie in Magacapeton plötzlich und unerwartet vor ihm gestanden hatte und er sie gegen das Leben ihrer Freunde hatte eintauschen können. Er hatte sein Glück kaum fassen können!
Bis heute wusste er nicht, wie sie ihm damals hatte entkommen können. Der Verdacht war früh auf den jüngeren der Black-Brüder gefallen, aber der war seit jenem Tag so spurlos verschwunden, dass er sich dessen nicht gewiss sein konnte.
Schließlich hatte es viele weitere Monate gedauert, bis er endlich durch die Entführung ihrer Freunde erneut an sie herangekommen war. Nachdem sie einen seiner Todesser mit einem Todesfluch zur Strecke gebracht hatte, war er sich sicher gewesen, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Und hätte der verdammte andere Black es nicht verhindert, wäre er das auch gewesen.
Er war so nah dran gewesen!
Die Prügel hatten sie von ihrem hohen Ross heruntergeholt. Die Krankheit zu der er sie verflucht hatte, hätte sie ihm unterworfen. Er hätte ihr zugesehen, wie sie jeden Tag schwächer geworden wäre. Wie sie langsam dahinschwand, wie schon ihr Großvater vor ihr. Und dann hätte er ihr Leben für sie verlängert. Stückchen um Stückchen. Bis sie alles getan hätte, was er von ihr verlangt hätte. Bis sie ihn verehrt und geliebt hätte, so wie alle seine Anhänger dies taten.
So sehr hatte er sich in seinen Besitzwunsch gesteigert, dass er die Sache mit der Prophezeiung ganz aus den Augen verloren hatte ...
Und nun war er gescheitert. In den stümperhaften Händen ihrer Verbündeten würde sie sterben. Bald schon.
Und das Kind, das ihm gefährlich werden konnte, lebte munter weiter!
Er rang mit sich, was er nun tun sollte, da klopfte es an der Tür und Severus Snape trat ein. In diesem Moment war die Entscheidung gefallen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro