51. Kapitel - Peters Dilemma
Als Anne das nächste Mal aufwachte, drangen die Strahlen der kräftigen Mai-Sonne durchs Fenster und die Vorhänge bis in ihr Bett vor. Es musste später Nachmittag oder bereits Abend sein. Sie konnte Stimmen im Zimmer hören, aber nicht verstehen, was gesprochen wurde.
Jeder Teil ihres Körpers schien in diesem Moment grauenhaft zu schmerzen. Ihr Kopf pochte, die Atmung rasselte, der Rücken brannte wie Feuer und die Hüfte verbreitete bei der kleinsten Bewegung stechende Schmerzen, als läge sie immer noch in Trümmern. Brennende Tränen stiegen ihr in die Augen, als ihre absolute Hilflosigkeit ihr ins Bewusstsein drang. Sie konnte noch nicht einmal würdevoll auf sich aufmerksam machen, die einzige Möglichkeit war, um Hilfe zu rufen, wozu sie sich nicht herablassen wollte, oder einen neuen Hustenanfall vorzutäuschen.
Sie entschied sich für den Husten, auch wenn der eine erneute, kaum zu ertragende Schmerzwelle durch ihren geschundenen Körper jagte. Verdammter Stolz!
Sofort kam Lily um das Bett herum geeilt und trat mit erhobenem Zauberstab zu ihr. Überrascht registrierte sie, dass Anne sofort still wurde und sie bettelnd anblickte.
„Hey, was ist denn los?", fragte sie liebevoll.
„Ich muss auf die Toilette", gestand Anne und es war ihr furchtbar unangenehm.
Lily machte ein verständnisloses Gesicht. „Du hast aber doch ..."
Anne verdrehte die Augen. „Ich hab eine Windel an, ja ich weiß. Ich bin doch aber kein Baby, ich kann nicht einfach ... du weißt schon!", jammerte sie.
Da kam Henry Murdoch um die Ecke und fragte schwungvoll: „Wie geht es der Patientin?"
„Ich muss auf die Toilette", wiederholte Anne ihr Anliegen flüsternd und wollte vor Scham in ihren Kissen versinken.
Er sah sie verwundert an. „Ist doch kein Problem, dafür ist vorgesorgt!"
Sie schoss einen vorwurfsvollen Blick auf ihn ab. „Aber ich kann nicht ..."
Er lächelte spöttisch und zeigte ermahnend mit dem Finger auf sie. „Du wirst keinesfalls aufstehen, junge Dame! Heute nicht und in den nächsten Tagen nicht. Es sei denn du willst auf absehbare Zeit gar nicht und später nur hinkend laufen können", stellte er mit dröhnender Stimme klar. „Aber wenn du willst, kannst du die hier haben", grinste er und reichte ihr eine Pissente - eine Urinflasche. Angewidert nahm sie sie entgegen und warf ihm und Lily, die mitleidig daneben stand, schneidende Blicke zu.
„Ich hasse Euch. Euch alle, wie Ihr da steht", zischte sie wütend und besann sich darauf, dass ihr nicht alle Kräfte verloren gegangen waren. Mit einer wegwerfenden Handbewegung drängte sie die beiden zurück und schloss den Vorhang ihres Bettes, so dass niemand mehr zu ihr hereinsehen konnte. Dann sprach sie einen Muffliato-Zauber über die im Zimmer anwesenden Personen, damit sie ihr peinvolles Stöhnen nicht hören konnten, und machte sich daran, umständlich und unter Schmerzen, die jede Bewegung ihr verursachte, ihr Geschäft zu verrichten und das Ergebnis gleich darauf verschwinden zu lassen. Es dauerte lange, aber mit zusammengebissenen Zähnen und Tränen in den Augenwinkeln schaffte sie es schließlich und als die leere Flasche hochkant durch die Vorhänge hinaus auf den Boden flog, hörte sie Henry amüsiert schnauben.
„Kann ich wieder reinkommen?", fragte er daraufhin gut gelaunt. „Ich muss dich noch untersuchen."
Sie öffnete den Vorhang und blickte ihm missmutig entgegen. Er zog eine schuldbewusste Grimasse und als er die vielen Schweißperlen bemerkte, die auf ihrer Stirn standen und ihr Haar befeuchteten, bekam er fast ein schlechtes Gewissen. Sie musste sich wirklich gequält haben. Aber sie wollte es so!
„Ich will ein stärkeres Schmerzmittel", verlangte sie denn auch. Aber er schüttelte den Kopf.
„Es tut mir leid, das geht nicht, du bekommst bereits das stärkste was möglich ist."
„Dann lass mich anders hinlegen, bitte", forderte sie und klagte: „Ich habe das Gefühl, mein Rücken steht in Flammen und ich liege in meinem eigenen Blut!"
Erstaunt sah er sie an. „Ich dachte, die oberflächlichen Verletzungen wären längst verheilt?", sagte er mehr zu sich selbst. „Das will ich mir anschauen."
Er nahm ihr die Bettdecke ab, legte sich ihre Arme um die Schultern und half ihr mit einem Schwebezauber vorsichtig, sich auf die linke Seite zu drehen, was sie sogleich gequält aufheulen ließ. Danach trat er an die andere Seite des Bettes hinter sie, schob mit dem Zauberstab ihr Nachtkleid, das tatsächlich Blutflecken zierten, auseinander und sog entsetzt die Luft ein. Ihr zerfetzter Rücken ließ ihn erschaudern, als hätte man ihn mit Eiswasser übergossen. Der verbissene Schmerz und die grenzenlose Verzweiflung in ihren Zügen schnitten ihn tief ins Herz, wie ein scharfes Messer in weiche Butter. Kein Wunder, dass sie kaum ruhig liegen konnte. All die Schnitte und Risse in ihrer Haut wirkten kaum älter als einen Tag. Ihm wurde ganz anders, wenn er bedachte, auf welche Weise diese Blessuren entstanden sein mussten. Warum waren sie nach mehreren Tagen und trotz korrekter Behandlung nicht geheilt? Was stimmte nicht mit ihr? Was hatte dieses Ungeheuer ihr nur angetan?
„Womit hat er dich geschlagen?", frage er mit bebender Stimme.
„Ich weiß es nicht, ich konnte es nicht sehen. Er hatte nur seinen Zauberstab in der Hand, denke ich. Er hat keinen Ton dabei gesprochen."
Erschüttert fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, machte sich dann aber sofort daran, sie mit Murtlapessenz zu behandeln.
„Die Flüche, mit denen er dich malträtiert hat, wirken ungewöhnlich lange", musste er beunruhigt eingestehen, während er vorsichtig Schramme um Schramme betupfte und erleichtert feststellte, dass dies besser zu wirken schien, als das bisher verwendete Diptam.
Unter seinen heilkundigen Händen ließ ihr Schmerz ein wenig nach und so verschaffte er ihr wenigstens an dieser Stelle kurze Erleichterung.
„Wie lange werde ich wirklich nicht aufstehen können?", fragte sie schließlich mit rauer Stimme.
Er merkte genau, dass sie ihre Verzweiflung nur mühsam unter Kontrolle halten konnte. Nachdem er den Rücken verbunden und das Nachthemd darüber wieder in Ordnung gebracht hatte, deckte er sie behutsam zu, schloss den Vorhang des Bettes hinter ihr und ging zurück zur anderen Seite. In ihren Augen glitzerten Tränen des Schmerzes und der Trostlosigkeit, die sie verbissen zurückzuhalten versuchte. Die grenzenlose Scham, die sie über ihre Schwäche empfand, brannte tief in ihrem Herzen wie Feuer und mit jeder Minute wuchs der Wunschgedanke, lieber zu sterben, als diesen Zustand länger ertragen zu müssen. Er konnte sehen, wie die Verzweiflung sie übermannte und ihr jeden verbliebenen Rest ihrer Kräfte raubte und er litt grausam mit ihr.
Nun konnte sie auch Sirius um die Ecke lugen sehen. Er hatte ihr versprochen zu bleiben und lächelte ihr jetzt aufmunternd zu.
Aber sie fühlte sich furchtbar, wie sie da so lag, bewegungsunfähig, verletzt und misshandelt, seinen mitleidig musternden Blicken preisgegeben. Deshalb drehte sie ihr abweisendes Gesicht ins Kissen und zeigte ihm deutlich, dass sie ihn gerade nicht sehen wollte.
Henry warf ihm einen bedauernden Blick zu, setzte sich wieder neben sie und zog den Vorhang so weit zu, dass niemand mehr hereinsehen konnte. Dann griff er nach ihrer Hand, die sich krampfhaft ins Laken gekrallt hatte und versuchte, ihr mittlerweile tränenüberströmtes Gesicht aus dem Kissen hervorzulocken, aber sie ließ es nicht zu.
„Anne", flüsterte er und ihre Qual ging ihm ungewöhnlich nahe. Sanft streichelte er über ihr Haar. „Gib nicht auf. Es wird wieder gut. Du musst nur Geduld haben!"
Seine Hand ruhte auf ihrer glühenden Wange und das ohnmächtige Verlangen, ihr ihren Schmerz zu nehmen, drohte ihm fast den Verstand zu rauben.
„Du darfst nicht aufgeben, hörst du?", hauchte er beschwörend und spürte, wie sie unter seiner Berührung hoffnungslos in ihr Kissen schluchzte.
***
Peter Pettigrew zuckte schreckhaft zurück, als Bellatrix Lestrange ihn am Arm packte und sich ihre langen Fingernägel in seine Haut bohrten.
„Jetzt komm schon, schneller", keifte sie geduldlos und zog ihn eilig mit sich.
Er hasste die ausweglose Lage, in die er sich gebracht hatte. Vor etwa zehn Tagen war er auf dem Heimweg von seinem langweiligen Job als Bibliothekarsgehilfe in der Diagonallee mehreren Todessern in die Hände gelaufen. Einer davon hieß Crabbe, der andere Goyle und der dritte Travers. Travers war gemeinsam mit ihnen in Hogwarts gewesen, einige Jahrgänge über ihm und den Herumtreibern. Er hatte ihn rasch als Freund von Sirius Black und dessen früherer Verlobten Anne Eastwood identifiziert und daraufhin hatten sie ihn zu den Lestranges geschleift, die sich im Auftrag des Dunklen Lords auf der fieberhaften Suche nach der jungen Gräfin befanden und sie nicht zu fassen bekamen, ja sogar ein Todesopfer wegen ihr zu beklagen hatten.
„Wo wohnt sie?", hatten sie ihn gefragt, aber er konnte ihnen keine Auskunft erteilen, weil er es ehrlich nicht wusste.
Wohl war ihm bekannt, dass es irgendwo in der Nähe des Hotels sein musste, in dem Lily und James Hochzeit gefeiert hatten, aber so schlau waren die Todesser auch selber schon gewesen und hatten trotzdem nichts finden können.
„Wo sonst können wir sie finden?", hatten sie weiter nachgebohrt und waren dabei nicht zimperlich gewesen.
Er hatte - um die Schmerzen des Cruciatus-Fluchs nicht weiter ertragen zu müssen - jeden Winkel seines Gehirns auf der Suche nach einer zufriedenstellenden Antwort durchforstet, aber keine gefunden. Sirius hatte sich von ihr getrennt, in seiner Wohnung war sie also nicht mehr zugegen. Die Potters tingelten durch die Gegend und es war nie vorauszusehen, wo sie gerade anzutreffen waren. Sie waren bereits im Winter umgezogen, aber sie hatten alle darüber im Unklaren gelassen, wo sie jetzt lebten. Peter vermutete insgeheim, dass sie jetzt das Haus von James Eltern in Godric's Hollow bewohnten, die vor über einem Jahr kurz nacheinander an einer ominösen Krankheit verstorben waren, über die James nicht hatte reden wollen. Aber außer Sirius war niemals jemand von ihnen in diesem Haus gewesen und es lagen bestimmt vielerlei Schutzzauber darauf. Der Orden hingegen traf sich in Hogsmeade, aber der Raum im Keller des Eberkopfs war versteckt und konnte nicht preisgegeben werden und außerdem hatte Dumbledore angekündigt, Eastwood aus dem Orden ausschließen zu wollen. Am kommenden Samstag ...
Nach jedem Strohhalm greifend, hatte er berichtet, dass sie sich am Samstag in Hogsmeade befinden würde und dass sie jedes Mal, wenn sie das Dorf besuchte, den örtlichen Friedhof aufsuchte um dem Grab von Professor Hawthorpe einen Besuch abzustatten. Daraufhin - er hatte sein Glück kaum fassen können - hatten sie ihn tatsächlich gehen lassen, nicht ohne vorher heftig darüber zu diskutieren. Bellatrix hatte ihn „aus dem Weg räumen" wollen, aber ihr Mann hatte darauf bestanden, ihn laufen zu lassen, weil ein solcher „Singvogel" vielleicht noch öfter zu gebrauchen sei.
Peter war an jenem Abend in seiner Wohnung heulend zusammengebrochen, aber er begann sich bald darauf einzureden, dass Anne Eastwood nicht seine Freundin war, dass Sirius sie nicht mehr heiraten wollte und er somit niemanden von Wert verraten hatte.
Dass seine Freunde mit hineingezogen werden könnten, hatte er nicht kommen sehen.
Heute nun hatten sie ihn erneut nach der Arbeit abgepasst und waren mit ihm zu einem unbekannten Anwesen appariert. Durch ein Tor mit silbernen Schlangen hatten sie ihn auf einen Kiesweg geschubst und Bellatrix drängte ihn nun zur Eile, bis sie an einem großen Wohnhaus ankamen, das friedlich in der Abendsonne inmitten eines gepflegten grünen Gartens lag. Er schauderte beim Gedanken daran, was ihn in diesem Gemäuer erwarten mochte.
Sie führten ihn in den Keller, in einen Raum am Ende eines spärlich von Fackeln erleuchteten Ganges, mit rohen Steinwänden, an denen diverse eiserne Ringe angebracht waren. Von manchen hingen Ketten, deren Anblick ihn erzittern ließen. Am schlimmsten war jedoch die blutverschmierte Wand am hinteren Ende des Raumes. Klobige Handschellen befanden sich etwa auf Kopfhöhe eines ausgewachsenen Mannes, vielleicht ein wenig höher. Der graue Stein, aus dem die Wand gemauert war, glänzte von dunklen, fast schwarzen Flecken und Spritzern und auch der Boden war übersät davon. Es sah aus, als wäre jemand an dieser Stelle hingerichtet worden.
Ihm wurde schlecht und er begann ängstlich zu wimmern, da erst bemerkte er die große, dunkle Gestalt, die an einen Tisch vor der Wand gelehnt kauerte. Das Herz rutschte ihm in die Hose. Der Dunkle Lord persönlich stand vor ihm!
Der schaute ihn nun aus rötlich glimmenden, bösartigen Augen lauernd an.
„Wo ist sie?", fragte er schneidend. „Wo ist Lady Eastwood?"
Peter zitterte wie Espenlaub. Vor Angst brachte er kein Wort heraus und bekam das sofort zu spüren.
„Wo ist sie?!", schrie Voldemort ihn an und hieb mit dem Zauberstab auf ihn ein.
Wimmernd fasste der kleine, etwas untersetzte junge Mann sich an die schmerzende Wange.
„Sie haben sie nach Hogwarts gebracht. Sie ... sie war fast tot", stammelte er angsterfüllt.
„Aber sie lebt noch?"
„Ja, sie lebt noch. Sie kann nicht aufstehen und ... und auch sonst nichts. Aber sie lebt noch."
Voldemort wandte sich ab und schien nachzudenken. In Hogwarts war sie für ihn unerreichbar. Und ein zweites Mal würde sie nicht zu ihm kommen, egal wen er dafür tötete oder entführte. Außerdem schien sie ihre alten Verbindungen erneuert zu haben und wieder den Schutz von Albus Dumbledore zu genießen.
Seine Pläne waren nicht aufgegangen. Es war ein verdammter Fehler gewesen, seiner Tochter auch nur einen Funken Vertrauen entgegenzubringen. Dennoch musste er ihren Mut und ihre Machtfülle honorieren. Sie war nicht wie andere Gegner. Sie war klug und schreckte nicht vor ungewöhnlichen Manövern zurück. Sie war wie er! Er konnte sie noch nicht aufgeben. Aber sie würde bezahlen müssen! Wenn sie noch lang genug überlebte...
„Ich will über jeden ihrer Schritte informiert werden", forderte er den entsetzten Peter auf. „Über jeden einzelnen."
„Aber ich ..." Brennender Schmerz durchzog seine Brust, kaum hatte der Versuch eines Widerspruchs seine Lippen verlassen.
„Das war keine Bitte, das war ein Befehl", hauchte der dunkle Lord ihm bedrohlich zu.
„Ja."
Wieder der Schmerz, noch heftiger diesmal.
„Ja Mylord!", dröhnte Voldemorts gebieterische Stimme in seinen Ohren.
„Ja Mylord", gab er verängstigt zurück.
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