47. Kapitel - Vertrauen
Anne wachte auf, als sie von einem qualvollen Hustenanfall übermannt wurde. Sie meinte, ihr Innerstes müsse sich nach außen kehren, so durchzog der Schmerz ihre Brust und entsetzt erkannte sie Blut auf dem weißen Kissen vor sich. Panisch wollte sie in die Höhe fahren, konnte sich jedoch kaum bewegen und schon spürte sie erneut stechende und pochende Schmerzen. Am Rücken, in der Brust, in der Hüfte. Der Kopf drohte ihr gleich zu zerbersten, jedenfalls fühlte es sich so an. Alles tat ihr weh!
Sogleich griffen warme Hände nach ihr und drückten sie sanft in die Kissen, zwischen denen sie ganz seltsam verdreht lag, wischten Spucke und Blut von ihren Lippen und streichelten beruhigend ihre Handrücken.
„Schschsch... ganz ruhig, Anne. Ganz ruhig. Bleib einfach liegen, es wird alles wieder gut."
Sie erkannte die samtweiche Stimme.
„Lily", hauchte sie verzweifelt und versuchte den schmerzenden Kopf in die Richtung zu drehen, aus der sie sie vernommen hatte.
„Nicht, Anne, beweg dich nicht so viel. Bleib ganz ruhig", rief Lily wieder und dann endlich trat sie in ihr Blickfeld.
Anne war so glücklich, sie zu sehen!
„Lily", krächzte sie erneut und versuchte die Hand nach ihrer Freundin auszustrecken. Schnell griff die rothaarige Hexe danach und drückte sie ganz leicht wieder zurück auf das Kissen.
„Ich bin hier. Es wird alles gut."
Anne musste erneut husten und spuckte Blut, was sie schwer nach Atem ringen ließ.
Wieder wischte Lily ihr vorsichtig das Gesicht sauber und nahm dann ein Kristallfläschchen vom Nachttisch.
„Hier, trink das", sagte sie leise und stützte ihr den Kopf, während sie ihr das Schmerzmittel einflöste.
Eine wohlige Wärme breitete sich alsbald in ihrer Brust aus und verdrängte den pochenden Schmerz. Immer weiter und weiter, bis sie ganz benommen und ruhig dalag und gleichmäßig ein- und wieder ausatmete.
Unterdessen sprach Lily leise mit jemandem, den sie nicht sehen konnte. Sie trug Bronson auf, den Hausherren umgehend darüber zu informieren, dass Anne aufgewacht sei.
„Siehst du", sagte sie als nächstes zu Anne. „Alles wird gut."
Die verzog das Gesicht zu einem missratenen Grinsen und zischte: „Lügnerin. Was ist mit mir? Warum fühle ich mich wie durch die Mangel gedreht?"
„Oh, Anne", seufzte Lily voll des Mitleids, als im nächsten Moment die Tür aufgerissen wurde und jemand polternd hereingestürmt kam.
Lord Voldemort persönlich.
„Mylady", rief er schon beim Eintreten erwartungsvoll und sah Lily auf der Bettkante sitzen und ihre Hand halten. Aber seine irrwitzige Erwartung, dass sie ihm gesund und munter entgegenlachen würde, wurde binnen Sekunden zerschlagen. Sie lag mit dem Rücken zu ihm und bewegte sich keinen Millimeter. Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie das nicht gekonnt.
Erst als er um das Bett herumging und sie bleich und schwer atmend in den Kissen liegen sah, wurde ihm das bewusst. Und auch, dass er selbst es gewesen war, der ihr das angetan hatte. Dass dies der Preis war, den sie für seine Erregung zahlen musste. Er spürte sofort das Bedürfnis jemandem Gewalt anzutun. Jemanden bezahlen zu lassen. Jemand anderen. Sein Blick fiel auf die Heilerin, aber die brauchte er noch. Er würde nachher in den Keller gehen und sich den anderen Gefangenen vornehmen.
Aber der sollte ein Geschenk sein. Für seine Tochter. Und sie hatte ihm bereits erklärt, wie sie ihr Präsent haben wollte.
Unwillkürlich ballte sich seine Hand zur Faust. Die erste Person, die ihm gleich vor der Tür begegnen würde, wäre fällig. Ganz gleich wer!
„Mylady", sagte er erneut, ganz sanft diesmal, und setzte sich teilnahmsvoll zu ihr aufs Bett.
Ihr Blick wurde traurig. Die Erinnerung war soeben wiedergekehrt. Sie sah es deutlich vor sich, wie er sie in den Keller gebracht, an die Wand gefesselt und dann mit aller brutaler Kraft auf sie eingeschlagen hatte. Plötzlich fühlte sie sich wie betäubt. Vorwurfsvoll fragend sahen ihre hellblauen Augen ihn an und am liebsten wollte er ihrem flackernden Blick ausweichen. Also lächelte er aufgesetzt, griff nach ihrer Hand und blickte dann nachdenklich aus dem Fenster. Als er sich ihr wieder zuwandte, sah er, dass sie weinte.
Mit den Fingern der rechten Hand, wischte er vorsichtig die Tränen von ihrer Wange, aber sie wollte ihn nicht mehr ansehen.
Er konnte sie sogar verstehen.
Abrupt stand er auf und wandte sich befehlsgewohnt an Lily. „Du wirst Severus Snape mitteilen, welche Tränke du für sie brauchst, damit sie morgen aufstehen kann."
„Aufstehen? Aber sie kann keinesfalls morgen aufstehen", wagte die zu protestieren. Voldemort baute sich bedrohlich vor ihr auf.
„Sie wird morgen aufstehen. Sie kann doch deine Hinrichtung nicht verpassen!"
Damit ließ er die zutiefst schockierte Heilerin stehen und rauschte auf und davon.
„Lily", rief Anne schwach nach ihr, aber sie stand wie angewurzelt und konnte keinen Schritt gehen, so war ihr der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
„Lily, hilf mir auf", bat Anne sie inständig und versuchte verbissen, sich aus eigener Kraft hochzurappeln.
Damit riss sie die Freundin aus ihrem Schockzustand und die lief zu ihr und begann keifend zu schimpfen, während sie sich über sie beugte und sie energisch in die Kissen zurückdrückte.
„Du sollst liegenbleiben, du hast innere Verletzungen, die heilen müssen. Du kannst nicht aufstehen!". Tränen der Trostlosigkeit und der bitteren Erkenntnis ihrer ausweglosen, todgeweihten Situation standen in ihren smaragdgrünen Augen und Anne ließ sich resigniert zurückfallen, hob die Hand und legte sie ihr sacht auf die Wange.
„Lily", hauchte sie angestrengt. „Vertraust du mir?"
Nun konnte Lily die bitteren Tränen der Entmutigung nicht mehr zurückhalten. Sie legte ihre eigene Hand auf Annes und heulte hemmungslos hinein.
„Ja, ich vertraue dir", schluchzte sie nach der ersten Welle.
„Gut", wisperte Anne heiser und ihre Augen funkelten verschwörerisch. „Weil ich dich morgen nämlich töten muss."
***
Sirius saß Stunde um Stunde auf der Pritsche in seiner kalten, einsamen Zelle. Anne war heute kein weiteres Mal erschienen. Überhaupt schien es im Keller völlig ausgestorben zu sein, seit gestern minutenlang laute, verzweifelte Schmerzensschreie durch den Gang gegellt waren.
Er hatte ihre Stimme erkannt. Er würde sie unter Tausenden erkennen! Genau wie er ihren Duft unter Tausenden erkannte. Wochenlang hatte er sich eingeredet, sie vergessen zu können, neu anfangen zu können. Aber das war nicht möglich. Er hatte seine Liebe niemals ablegen können. Marlene hatte er wirklich gemocht. Er hätte sie geheiratet und vielleicht hätte seine Zuneigung sogar ausgereicht, um gemeinsam glücklich zu werden. Aber geliebt hatte er sie nicht.
Sein Herz war seit jeher vergeben. Seit er Anne angeboten hatte, es vertrauensvoll in ihre Hände zu legen. Obwohl sie es da bereits unabänderlich besessen hatte.
Nun fraß sich nach und nach die niederschmetternde Gewissheit Bahn, dass er weiter würde um sie kämpfen müssen.
Und nach dem gestrigen Tag war die altbekannte, nagende Angst um ihr Leben wieder eingetreten. Sie hatte so laut und gequält geschrien! Was auch immer Voldemort ihr angetan hatte, er war sich sicher, dass es weit über die Grausamkeit des Cruciatus- Fluchs hinausgegangen war.
Und seitdem herrschte bedrückende Stille.
Ein ältlicher Hauself versorgte ihn dreimal am Tag mit einer Mahlzeit, aber der sprach nicht mit ihm. Und sonst war den ganzen langen Tag über niemand mehr zu ihm gekommen. Die Tür zu Lilys Zelle schwieg ebenso beharrlich, als hätte man sie woanders hingebracht.
Was auch immer hier vor sich ging, er stand kurz davor, in grenzenlose Verzweiflung und ausufernden Wahnsinn zu verfallen.
***
Als es an Remus Wohnungstür spät abends noch laut klopfte, zog er vorsichtshalber seinen Zauberstab, bevor er herantrat.
„Wer da?", schallte es durch die Tür nach draußen.
„Ich bin es, James!"
Er öffnete die Tür einen Spalt breit und reckte dem Freund den erhobenen Zauberstab entgegen.
„Welches war unser erstes Passwort im Gryffindorturm?", fragte er misstrauisch.
James überlegte kurz. „Carpe Diem. - Welches war mein Lieblingsbuch in der Abschlussklasse?"
„Die Weltmeisterfibel in der Ausgabe von 1974", antwortete Remus erleichtert und ließ endlich den Zauberstab sinken, um einen Moment später dem Freund um den Hals zu fallen. „Prongs, verdammt siehst du scheiße aus! Komm rein, wo hast du Harry untergebracht?"
„Bei Marianne."
Remus stutzte. „Marianne? Dann warst du also bei Anne? Was sagt sie?"
James schüttelte den Kopf. „Eastwood ist nicht zu Hause. Schon seit Tagen nicht."
„Wie lange genau?"
„Was?"
„Wie lange genau ist sie weg?"
„Ich weiß nicht genau. Marianne sagte, was von ... von vier Tagen glaub ich."
„Vier Tage, das ist einer weniger, als Lily und Sirius."
Nun war es an James überrascht innezuhalten. „Denkst du, da gibt es einen Zusammenhang?"
„Wo wollte sie denn hin?"
„Zum Landsitz eines Bekannten, hat Marianne gemeint. Klang etwas schwammig, wenn du mich fragst."
Remus Augen leuchteten.
„Glaubst du ...?", fragte James und wurde plötzlich ganz aufgeregt.
„Wär gut möglich, oder?"
„Sie hat Marianne auch gesagt, dass sie nicht weiß, wie lange sie fortbleiben wird und dass sie sich keine Sorgen machen solle."
„Jetzt bin ich mir ziemlich sicher!"
„Was? Wieso?"
„Anne hat immer schon gesagt, man solle sich keine Sorgen machen, wenn etwas im Argen lag. Denk nur daran, wie sie uns die Sache mit dem Destruianten damals verschwiegen hat."
„Ich bin in Behandlung, ihr müsst euch keine Sorgen machen. Ich erinnere mich. Lily hatte ihr geglaubt und ist später aus allen Wolken gefallen. Aber so wie Marianne es erzählt hat, wollte sie ganz gezielt einen bestimmten Ort aufsuchen. Woher sollte sie wissen, wo sie hin muss?"
Remus schaute eine Weile nachdenklich drein. „Vielleicht weiß sie etwas ..."
„Was soll sie schon wissen? Der Aufenthaltsort von Voldemort ist das bestgehütetste Geheimnis von ganz Großbritannien."
„Was wenn er sie aufgesucht hat?"
„Dann hätte er sie mitgenommen. Marianne sagte, sie sei von selbst gegangen. Und ..." Plötzlich wurden seine Augen ganz groß.
„Was?"
„Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, aber jetzt ... jetzt ergibt es plötzlich einen Sinn. Sie trug ganz merkwürdige Kleidung, als sie fortging. Marianne konnte es nicht so recht beschreiben. Sie meinte es sah aus, als wolle sie auf eine Jagd gehen!"
Remus runzelte die Stirn. „Das ist ungewöhnlich, du hast recht. In den letzten drei Jahren hab ich sie keine fünf Mal ohne elegantes Kleid und klappernde Absätze gesehen."
„Aber ..."
Da griff Remus plötzlich über den Tisch nach seiner Hand und sah ihm entgeistert in die Augen. „Was, wenn er sie erpresst hat?"
„Erpresst?"
„Er hat wahrscheinlich Lily und Sirius in seiner Gewalt. Was wenn er sie damit gezwungen hat, ihn aufzusuchen? Er sucht schon seit Jahren nach ihr!"
„Aber warum?"
„Das sollten wir vielleicht Dumbledore fragen."
James verstummte einen Moment. Es war ungeheuerlich, was Remus da zusammenfantasierte. Aber nicht unmöglich.
„Das sollten wir tun."
„Wir sollten gleich heute noch gehen", verkündete Remus und zog dann den auf dem Tisch stehenden Weinkrug heran.
„Möchtest du auch einen Schluck? Zur Beruhigung..."
***
Severus Snape hatte alle Hände voll zu tun, um all die verschiedenen Tränke herzustellen und herbeizuschaffen, die die beiden Frauen ihm auftrugen. Der Stärkungstrank war da noch einfach, den konnte er literweise in wenigen Stunden brauen.
Die hochwirksamen Arzneitränke jedoch konnte er nicht selbst herstellen. Die musste er aus London herbeischaffen und das war gefährlich. Die zwielichtigen Apotheken und Händler, die ihm Trankzutaten und Elixire für den dunklen Lord verkauften, hatten zwar allerlei Mixturen, aber nicht das, was Lily bestellt hatte. Er konnte sich aber nicht in ehrbareren Einrichtungen sehen lassen.
Also hatten ihm die beiden Frauen einen zerknitterten Zettel mit einer hastig hingekritzelten Nachricht an Henry Murdoch, den Leiter der Station für Fluchschäden im St. Mungo Hospital mitgegeben. Nachdem er sich als runzlige alte Frau verkleidet an den Empfang des Hospitals gewagt und das versiegelte Schreiben dort abgegeben hatte, blieb ihm nichts anderes übrig als draußen in einer dunklen Ecke verborgen zu warten.
Er hatte Glück. Es dauerte gerade einmal eine halbe Stunde, dann eilte ein großer, schwarzhaariger Mann strammen Schrittes aus dem Krankenhaus und direkt auf ihn zu. Er hatte ein kleines Paket in der Hand, in dem es vielversprechend klirrte.
„Wer sind Sie und wo sind Miss Eastwood und Mrs. Potter?", fragte er Snape und richtete drohend den Zauberstab auf sein Gegenüber.
„Mein Name ist Severus Snape und Miss Eastwood und Mrs. Potter befinden sich in der Hand des Dunklen Lords", gab er ohne Umschweife Auskunft.
„Sie sind ein Todesser", stellte Murdoch misstrauisch fest. „Wieso sollte ich ihnen glauben?"
„Welchen Grund hätte ich, Ihnen diese Geschichte zu erzählen, wenn sie nicht wahr wäre? Ich habe keinen Nutzen davon."
„Sie wollen äußerst wirkungsvolle und teure Heiltränke von mir. Sie könnten sie sich erschwindeln, um einen verletzten Todesser-Kollegen zu heilen."
„Haben Sie den Brief gelesen?"
„Ja."
„Also warum zögern Sie dann?"
Murdoch hielt bedrückt inne und ließ seinen Zauberstab sinken. Mit einem unschlüssigen Blick auf den Karton mit einem halben Dutzend Kristallphiolen in seiner Hand reichte er diesen schließlich an den schwarz gekleideten Mann weiter.
„Was ist passiert? Warum ist Anne so schwer verletzt, dass sie diese Tränke braucht?", fragte er bewegt.
Snape trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. „Ich weiß es nicht genau. Er ist ausgerastet und hat sie ... Er hat sie schlimm zugerichtet."
Murdoch schluckte. Dann trat er ganz nahe an Snape heran. „Wird sie überleben?"
Der Todesser zögerte. „Ich hoffe es", meinte er schließlich verhalten.
Murdoch schenkte ihm einen schneidenden Blick aus seinen grün glitzernden Augen. „Wieso helfen Sie ihr?"
Snape stand ihm wie eine Salzsäule gegenüber. Er konnte dem Heiler ja schlecht erklären, dass es ihm vollkommen egal war, ob Anne Eastwood überlebte, wenn sie nur Lilys Leben rettete. Erschrocken zuckte er zusammen, als der dunkelhaarige Heiler, der fast einen Kopf größer war als er, ihn unvermittelt grob am Kragen packte, gegen die Hauswand drängte und erneut mit dem Zauberstab bedrohte.
„Sie ist eine Muggelgeborene. Früher oder später wird er sie töten. Sie müssen sie rausholen!"
Snape starrte ihn aus dunklen Augen an und schüttelte dann langsam den Kopf.
„Sie ist selbst zu ihm gegangen. Ich fürchte, sie steckt zu tief drin, als dass ich ihr helfen könnte."
„Wenn sie stirbt, werden Sie teuer bezahlen. Dafür werde ich sorgen."
Murdoch spie ihm die Worte tonlos entgegen. Es war ihm todernst.
Snape spürte einen drückenden Kloß im Hals, doch da ließ der Heiler ihn auch schon wieder los und die Kristallfläschchen in dem Kistchen, das er sich an die Brust gedrückt hielt, klirrten laut.
„Sie irren sich", hauchte er kaum hörbar, als der andere sich umdrehte und zurück ins Hospital gehen wollte.
Murdoch blieb stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihm um.
„Sie ist nicht, was sie zu sein scheint. Und sie wäre längst nicht mehr am Leben, wenn er sie hätte töten wollen."
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