40. Kapitel - Tod oder Verderben
Nach den mit Hector und einigen seiner Leute verbrachten Neujahrsfeierlichkeiten und einem Abschiedsbesuch, bei der er der staunenden Freundin ein völlig neues Projekt mit Schlagzeug und Streichern aber ohne Klavier vorführte, kehrte Anne nach England zurück, um den dreimonatigen Ausbildungskurs zur Lehrkraft in London anzutreten, den Dumbledore ihr abverlangte.
Bei der Feier zu Lilys 21. Geburtstag Ende Januar traf sie erstmals wieder auf Sirius. An seinem abweisenden Verhalten ihr gegenüber hatte sich nichts geändert. Entweder er ignorierte sie oder er starrte sie mit verachtenden Blicken an. Von Remus erfuhr sie, dass er sich seit Marlenes Begräbnis zurückgezogen hatte, nicht mehr ausging und gemeinsam mit James verbissen an den Angelegenheiten des Ordens arbeitete. Sie war froh, dass er zumindest nicht wieder angefangen hatte zu trinken, aber sie hatte keine Freude an dem Fest und verabschiedete sich zu Lilys größtem Missfallen schon früh, um nach Maple Court zurückzukehren und sich dort einen Abend voller Trauer um ihre verlorene Liebe zuzugestehen.
***
Erneut die Schulbank zu drücken war sehr ungewohnt, aber wie schon zu ihrer Zeit in Hogwarts kam Anne ihr fotografisches Gedächtnis zu Gute und sie hatte keine Mühe, sich den theoretischen Kram im Kurs gut zu merken. Die Praxis war da schon schwieriger, sie hatte kein großes Interesse an den langweiligen Fallbeispielen und lächerlichen Übungsgesprächen und war deshalb nur mit halbem Herzen bei der Sache, aber irgendwann gingen auch die vorbei und die Abschlussprüfungen rückten näher.
Am Tag der letzten praktischen Prüfung, als sie ihr vorläufiges Diplom in Händen hielt, erwartete Lily sie freudestrahlend vor den Toren der Akademie.
„Wo ist unsere frischgebackene Lehrerin?!", jubelte sie fröhlich und fiel der mussmutig dreinblickenden Freundin euphorisch um den Hals.
„Ich bin nichts dergleichen", wehrte Anne entschieden ab, ließ sich aber trotzdem gerne von Lily umarmen, bevor sie beide in Richtung Chelsea losmarschierten. „Ich habe lediglich die Prüfungen bestanden. Mehr nicht."
„Ach komm, stell dein Licht nicht so unter den Scheffel", rief Lily aufmunternd. „Deine Stelle bei Dumbledore hast du schon sicher und ab September bist du Lehrerin in Hogwarts! Findest du das nicht aufregend?!"
„Du warst diejenige von uns, die Lehrerin werden wollte."
„Ich bin auch als Heilerin ganz zufrieden und außerdem wäre es schwierig, neben dem Unterricht und den ganzen Aufsichten ein kleines Kind großzuziehen. Du bist wie geschaffen dafür!"
„Warum, weil du Mann und Kind hast und ich nicht?"
Kaum waren die brüsk und vorwurfsvoll ausgesprochenen Worte draußen, da taten sie ihr schon leid. Lily sah sie aber nur mitleidig an. Sie sah den überbordenden Frust in Annes Augen und konnte ihr nicht böse sein.
Dennoch erwiderte sie: „Du wolltest keine Kinder! Und dass Sirius sich von dir getrennt hat, dafür kann ich nichts. Das musst du schon selbst in Ordnung bringen."
Anne schluckte und die beiden traten in eine kleine dunkle Gasse, um den Weg abzukürzen.
„Tut mir leid, Lily, es war nicht so gemeint."
„Das weiß ich doch. Ich hab es aber schon ernst gemeint! Du solltest zu Sirius gehen und mit ihm reden. Er ist unglücklich. Und der Anblick, wie du leidest, ist wirklich kein Vergnügen!"
Ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf Annes Lippen, auch wenn sie wusste, dass sie niemals vor Sirius Füßen im Staub kriechen und um Vergebung betteln würde. Er war auch nicht besser als sie und sie brachte ihm sowieso kein Glück.
„Na dann sei froh, dass ich ab September in Hogwarts aufgeräumt sein werde ...", sagte sie ein wenig wehmütig.
Im nächsten Moment sahen sie, wie am Ende der Gasse, das sich sonnenhell vom Dunkel der sie umgebenden Mauern abhob, eine finstere Gestalt in ihren Weg trat. Sofort verlangsamten sie ihre Schritte und zogen beunruhigt ihre Zauberstäbe. Als sie vorsichtig näherkamen, erkannten sie Severus Snape, der in einen schwarzen Umhang gekleidet mit leeren Händen vor ihnen stand. Langsam ließen sie ihre Zauberstäbe sinken, jederzeit bereit, sie doch noch einzusetzen.
„Severus", sagte Lily überrascht.
„Lily", erwiderte er und sah sie schmachtend an, während er ein paar verhaltene Schritte näher kam. „Eastwood", zischte er mit einem kurzen Seitenblick zu Anne abfällig.
„Was machst du hier? Was willst du von uns?", fragte Anne feindselig und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen finster an.
„Ich will gar nichts von dir", spie er ihr ebenso streitlustig entgegen.
„Warum stellst du dich uns dann in den Weg?"
Sein Blick wanderte wieder zurück zu Lily und wurde milde. Dann griff er blitzschnell nach ihrer Hand, schob sie kräftig rückwärts und durch die Wand des benachbarten Hauses hindurch in dessen Inneres. Der herbeigezauberte Durchlass schloss sich lautlos hinter ihnen und die Wand sah fest und undurchdringlich aus, als wie zuvor. Im Bruchteil einer Sekunde stand Anne auf einmal alleine da.
Sie hielt einen Moment überrascht inne und sah ihnen überrumpelt nach, bevor sie erkannte, warum er das getan hatte. Im Halbdunkel der Gasse waren sie in eine Falle geraten. Vier maskierte Todesser traten im nächsten Augenblick um die Ecke und kreisten sie ein.
***
Severus war unterdessen mit Lily auf den Boden des Raumes gestolpert, der hinter der Wand lag, durch die er sie hindurchgestoßen hatte. Er hielt sie fest und legte ihr beruhigend die Hand auf den Mund, um ihr zu bedeuten, dass sie schweigen solle. Durch eine Ritze zwischen den Backsteinen, die er magisch vergrößerte, konnten sie nach draußen lugen. Als Lily die Übermacht erkannte, die ihrer Freundin gegenüberstand, wollte sie aufspringen und ihr zu Hilfe eilen, aber er hielt sie zurück.
„Lass mich los", zischte sie wütend, aber er griff nach ihr wie ein Schraubstock und zwang sie still zu sein.
„Lass mich los", versuchte sie erneut, leiser aber nicht weniger drängend.
„Nein."
„Aber ich muss ihr helfen!"
„Sie würden dich töten."
„Und stattdessen soll ich zusehen, wie sie meine Freundin töten?!"
„Sie werden ihr nichts tun."
„Was? Woher weißt du das?"
„Weil der Dunkle Lord es befohlen hat", antwortete er nur und obwohl er sie mit Gewalt davongezerrt und in ihr Versteck gezwängt hatte, glaubte sie ihm in diesem Moment.
Mit ängstlich geweiteten Augen starrte sie ihn entsetzt an, bevor sie erneut einen bangenden Blick durch die Mauerspalte warf.
***
Draußen stand Anne schreckensstarr den vermummten Gestalten gegenüber.
Bellatrix Lestrange war die Erste, die ihre Maske abnahm und auf sie zutrat. Anne machte keinen Mucks. Sie zitterte nicht einmal. Im Gegenteil, sie hatte sich schon lange nicht mehr so ruhig gefühlt, wie in diesem bedrohlichen Moment.
Die schwarzhaarige Todesserin hatte ein hübsches Gesicht mit dunklen, braunen Augen und verführerischen, vollen Lippen. Ihre Locken kringelten sich wild bis weit über die Schultern hinab. Anne erinnerte sich, dass sie die Schwester von Narzissa Black war, der blonden Mitschülerin, die sie in ihren ersten Tagen in Hogwarts ausgesperrt und später Lucius Malfoy geheiratet hatte, und sie befand, dass die beiden Schwestern nicht hätten unterschiedlicher aussehen können.
„Was findet er nur an dir?", dröhnte ihr da Bellatrix schrille Stimme ins Ohr und sie zuckte kurz, was die Todesserin zu einem boshaften Grinsen verleitete. „Fürchtest du dich? So ganz allein ... klein und schwach!"
„Was lässt dich glauben, ich wäre klein und schwach?"
Bellatrix lachte irre auf und die drei anderen traten näher an sie heran.
„Selbst wenn du es nicht wärst ... wir werden mit dir schon fertig. Ein Leichtes!", prahlte Bellatrix siegestrunken.
„Ach ja?", erwiderte Anne provozierend.
Die Spannung, die zwischen ihr und den Feinden herrschte, war beinah greifbar, sie knisterte in der Luft und Anne hörte laut und deutlich ihren eigenen Atem, jeden Atemzug, einen nach dem andern. Ihre Rechte umgriff fest den Zauberstab. Sie war bereit. Lange genug hatte sie in den Büchern über schwarze Magie geforstet, die Persephone Willis ihr in Vladimir Petrovs Auftrag in New York ausgehändigt hatte. Lange genug hatte sie beobachtet und studiert, wie die Todesser vorgingen, welche Flüche sie benutzten, wie sie sich schützten, mit welch blinder Wut sie ihre Gegner unterschätzten. Vier auf einmal waren eine Herausforderung, aber sie konnte sie meistern. Sie konnte es schaffen!
Sie war bereit.
„Ja", bestätigte Bellatrix und zog ihren Zauberstab. „Stupor!"
Ohne die kleinste Bewegung ließ Anne den Schockzauber abprallen und bescherte damit sogar der selbstsicheren und ungestümen Bellatrix einen kurzen Moment der Überraschung. Schnell jedoch legte diese ihre Stirn in wütende Falten und preschte erneut drauflos.
„Crucio!"
Diesmal musste Anne die Zauberstabhand heben, um den mächtigen Fluch abzuwehren. Zeitgleich traf ein weiterer Schockzauber von einem der anderen Todesser auf sie, den sie ebenfalls scheinbar mühelos abwehrte. Anschließend ging sie in die Offensive über. Sie stieß Bellatrix ihrerseits mit einem perfekt platzierten Depulso zurück, dass sie gegen die Mauer in ihrem Rücken prallte und für einen Moment benommen liegenblieb. Einen weiteren Todesser schaltete sie mit einer Ganzkörperklammer aus, während sie sich hochgradig fokussiert die Flüche der übrigen beiden vom Hals halten musste. Einen davon ließ sie mit Levicorpus in die Luft fliegen, aber der letzte war einen winzigen Sekundenbruchteil schneller als sie.
Er stieß sie zurück und wollte sie mit einem Imperius-Fluch gefügig machen. Den konnte sie jedoch gut abwehren und warf ihm zahlreiche andere Flüche entgegen, die er aber alle mit Leichtigkeit blockte, bis Bellatrix sie von hinten überfiel und erneut einen heftigen Cruciatus-Fluch auf sie wirkte.
Der grausame Schmerz, den sie so sehr fürchtete, überkam sie augenblicklich und sie sank jammernd auf die Knie. Zuckend wand sie sich zu Bellatrix Füßen im Staub der Straße, bis schließlich einer der anderen die Schwarzhaarige alarmiert zurückhielt.
„Hör auf, denk daran was der Lord gesagt hat. Willst du, dass er dich bestraft?", zischte er warnend und in diesem Moment holte Anne, die nun wieder klar denken konnte, sie mit einem weiteren Depulso von den Füßen.
Der große Todesser neben ihr erhob daraufhin bedrohlich den Zauberstab gegen die vor ihm auf dem Boden Liegende, doch Anne war schneller.
„Avada Kedavra!"
Grünes Licht blitzte auf und der Getroffene stürzte reglos zu Boden.
„Vater", brüllte der Vermummte, den Anne zuvor in die Luft katapultiert hatte und der herabgestürzt war, während Bellatrix sie gefoltert und danach seinen Mitstreiter von der Körperklammer befreit hatte.
Dieser hielt ihn nun angestrengt zurück und Anne weidete sich an dem Entsetzen in Bellatrix Blick. Augenblicklich machte die auf dem Absatz kehrt, griff nach den anderen und schon waren sie feige disappariert. Niemand hatte mit dieser Art der Wehrhaftigkeit gerechnet.
Anne rappelte sich zitternd vom Boden auf und trat unbehaglich an den toten Mann heran, der vor ihr auf dem Boden lag. Sie zog ihm die Maske vom Gesicht und stellte ohne jede Emotion fest, dass sie ihn nicht kannte.
„Du hast Lestrange getötet", hörte sie da ein fassungsloses Flüstern hinter sich und drehte sich erschrocken und mit erhobenem Zauberstab um.
Snape und Lily waren wieder in der Gasse erschienen und während Lily entsetzt und mit vors Gesicht geschlagenen Händen stehen blieb, kam Severus langsam auf sie zu und sah sie ungläubig an.
„Du hast einen Todesfluch gesprochen", sagte er, als wäre dies leichter zu glauben, wenn man es laut aussprach. „Woher ..."
„Glaubst du, nur Todesser wissen, wie das geht? Jeder Auror lernt das in seiner Ausbildung", sagte sie schneidend.
„Aber du bist kein Auror", erwiderte er angespannt.
„Nein. Ich bin kein Auror."
„Dafür schicken sie dich nach Askaban!"
„Wer sollte das tun? Niemand weiß davon. Und dir würde man ohnehin nicht glauben", warf sie ihm kaltherzig vor die Füße.
Er sah ihr einen kurzen Moment lang in die kühlen hellblauen Augen, bevor er sich abwandte und zu Lily umsah. „Sie weiß davon", hauchte er bevor er ohne ein weiteres Wort disapparierte.
Annes Blick blieb an ihrer schockierten Freundin haften. Lily zitterte am ganzen Körper und sie konnte nicht anders, als den toten Mann im schwarzen Umhang zu ihren Füßen anzustarren.
„Was hast du getan?", stammelte sie erschüttert und blickte schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich auf.
Anne hatte ihre Augen noch immer beschwörend auf sie gerichtet, auch wenn ihre Lider nervös flatterten und sie schwer atmete.
„Du hast ihn getötet", wisperte Lily fassungslos.
„Es war Notwehr", verteidigte Anne sich verbissen. „Er hätte sonst mich getötet."
Lilys rotes Haar flatterte um ihr kreidebleiches Gesicht, als sie den Kopf schüttelte. „Nein. Severus sagte, sie würden dir nichts tun ..."
Annes Blick wurde starr. „Wie bitte? Und das glaubst du ihm?! Bellatrix Lestrange hat mich gefoltert! Vielleicht erinnerst du dich noch daran, wie sich das anfühlt?!"
Betroffen sah Lily sie an. Tränen glitzerten in ihren Augen und sie schien noch blasser zu werden. Anne trat auf sie zu und wollte ihr tröstend den Arm streicheln.
„Es tut mir leid Lily, das war nicht so ..."
Aber Lily zuckte zurück und starrte ihr aufgebracht ins Gesicht. „Fass mich nicht an!"
„Lily, ich ...", setzte Anne mit Verzweiflung in der Stimme nach.
„Du sollst mich nicht anfassen!" Lilys Lippen bebten. „Du hast einen Todesfluch gesprochen. Ich erkenne dich nicht wieder. Niemals würde meine Freundin so etwas tun!"
„Aber ich ..."
Die Rothaarige machte einige Schritte rückwärts und Anne konnte den Abscheu und die Verachtung in ihrem Gesicht lesen, die ihr Handeln ausgelöst hatten und die sie auch schon so oft bei James hatte beobachten können.
„Damit bist du zu weit gegangen", sprach Lily aus, was sie gerade selbst erkannte. „Dafür wird man dich nach Askaban stecken."
Furchtsam zuckte Anne zusammen und der bloße Gedanke an das Zauberergefängnis irgendwo weit draußen in der Nordsee ließ ihr die Kälte der Dementoren, die es bewachten, bis in die Knochen kriechen.
„Aber Lily, ich ..."
„Spar dir deine Rechtfertigungen! Ich werde es Dumbledore sagen, er soll entscheiden, was mit dir geschieht."
Damit zog sie ihren Zauberstab und schickte ihren Patronus, eine im Sonnenlicht glitzernde Hirschkuh, auf den Weg, bevor sie wutentbrannt in dieselbe Richtung davonstürmte und Anne alleine stehen ließ. Die konnte nicht begreifen, was soeben geschehen war. Sie hatte sich doch nur verteidigt. Alles andere war fehlgeschlagen, sie hatte diesen drastischen Fluch ergreifen müssen, um sich zu wehren! Oder?
Wieder warf sie einen Blick auf den am Boden liegenden Toten. Sie beugte sich zu ihm hinab und schloss in einer behutsamen Bewegung seine Augenlider.
Die Tränen, die sich bei Lilys schneidenden Worten in ihren Augen gesammelt hatten, tropften stumm über ihre erhitzten Wangen. Es war dies nicht der erste Mensch, der von ihrer Hand gestorben war, aber es war zum ersten Mal auf diese Art und Weise geschehen. Und es war, als wäre ein Stück ihrer Seele heute mit ihm gestorben.
Schließlich raffte sie sich auf, machte kehrt und ging die Gasse entlang zurück. Bevor sie den Ausgang erreichte, war sie mit einem kaum hörbaren Ploppen disappariert.
***
Hectors neuestes Projekt: Nate's Theme von Greg Edmonson.
Der Kampf in Londons Gassen: Kingdom of Avillion (Jo Blankenburg).
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