37. Kapitel - Unter dem Dunklen Mal
Anne war unterdessen ebenfalls im Keller zugegen, jedoch in ihrem eigenen auf Maple Court. Sie hatte sich dort ein Arbeitszimmer eingerichtet, in dem sie eine so große Feuerstelle hatte, dass sie vier Kessel zugleich anheizen konnte.
Lose Haarsträhnen hingen ihr aus dem nachlässig hochgesteckten Dutt ins erhitzte Gesicht, während sie voller Konzentration in einem dieser Kessel herumrührte, in dem es leise vor sich hin brodelte.
Sie war dem Durchbruch so nah, sie spürte es! Von prickelnder Aufregung erfasst, warf sie einen Blick auf die fünf weißen Mäuse, die in einem kleinen Käfig vor sich hin dösten. Nicht mehr lange, bis sie ihr magisches Können und ihr Braugeschick an ihnen ausprobieren konnte. Sie hoffte inständig, keine Fehler begangen zu haben, denn sie wollte den unschuldigen Tierchen beileibe nicht wehtun!
Es war wichtig, dass dieser Trank gelang, an dem sie nun schon arbeitete, seit sie nach England zurückgekehrt war. Wichtiger vielleicht, als all die Kampfzauber, die sie sich Tag für Tag im Nebenraum stundenlang abverlangte und sogar wichtiger als die Okklumentik, die sie jeden Abend vor dem Zubettgehen penibelst studierte.
Und vor allen Dingen wichtiger, als ihre abschweifenden Gedanken, die beständig zu Sirius zurückkehren wollten. Er hatte sie verlassen. Sie war frei. Frei für ihre Rachepläne. Frei für die Vergeltung an ihrem Vater. Frei für die Erfüllung all ihrer Begehren, die tief in ihrem Herzen schlummerten. Genau was sie beabsichtigt hatte. Und doch tat es so unglaublich weh! Sie versuchte sich damit zu trösten, dass sie immer noch zu Alain flüchten könnte, aber im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass sie dann nur den gleichen dummen Fehler ein zweites Mal begehen würde und weder sich noch ihm damit etwas Gutes tun konnte.
Nein, sie brauchte alle Kraft und volle Konzentration für ihre Pläne. Und ohne einen ablenkenden oder intervenierenden Partner an ihrer Seite, war sie gleich ein ganzes Stück weit fokussierter und viel weniger angreifbar. Außerdem konnte ihr dann niemand auszureden versuchen, was sie im Schilde führte. Sirius würde sich niemals darauf einlassen ...
Und schon waren ihre Gedanken wieder bei ihm! Sie schalt sich selbst dafür, pfefferte wütend den Bund mit Alraunenblättern in die Ecke, wo er eine angebrochene Packung mit Blindwurmstacheln hinunterstieß und den Inhalt knisternd über den Boden kullern ließ.
Seufzend griff sie nach den Fläschchen, die vor ihr auf dem Tisch standen und las deren Aufschriften. Sie entschied sich für das Drachenblut und stellte die Demiguisetinktur zurück, auch wenn sie sich bei dieser letzten Zutat nicht ganz sicher war. Sie fand, dass die Wirkung von Fingerhut-Extrakt oder Venemosa-Tentaculasaft den Trank wirkungsvoller machen könnte, als Drachenblut. Aber die Dosierung wäre in diesem Fall viel gefährlicher, weil die beiden Zutaten hochgiftig waren. Sie beschloss daher, es erst einmal mit dem ungiftigen Drachenblut zu versuchen.
Nachdem sie fünf Tropfen in den Kessel geträufelt hatte, begann dessen blubbernder Inhalt zwischendurch zu dampfen und nahm eine purpurrote Farbe an. Das war vielversprechend.
Aber noch ehe sie sich überlegen konnte, ob noch ein sechster Tropfen die Wirkung verbessern konnte, entglitt ihr der Zauberstab und fiel mit einem leise platschenden Geräusch in den fast fertigen Zaubertrank, als sie mit Entsetzen den silbrig schimmernden Luchs durch die Wand hereinhuschen sah. Bevor er ihr seine beklemmende Nachricht mitteilen konnte, brachte sie sich vor ihrem Kessel in Sicherheit, der - als wäre er beleidigt - sich ausbeulte und in einem Schwall sämtlichen kochend heißen Inhalt, inklusive Annes Zauberstab, spritzend auf den Fußboden ergoss und laut hustend neben die Feuerstelle hüpfte. Froh, keine Spritzer abbekommen zu haben, die nur unnötig schmerzende Brandblasen hinterlassen hätten, zischte Anne dennoch erzürnt durch die Zähne, weil nun die Arbeit eines ganzen Nachmittags vernichtet war, aber schon im nächsten Augenblick wischte sie die Sauerei mit einer sanften Armbewegung beiseite und widmete sich besorgt dem Patronus und seiner alarmierenden Neuigkeit.
***
Das Dunkle Mal war schon von Weitem sichtbar, als Anne etwa zeitgleich mit Remus Lupin und James Potter eintraf. Sie befanden sich südwestlich von London in einem kleinen Ort in der Grafschaft Surrey und eilten durch eine dicht mit Einfamilienhäusern bebaute Straße auf jenes Haus zu, über dem der giftig grün schimmernde Totenschädel mit der aus dem Mund hervorkriechenden Schlange unheilbringend am dunklen Abendhimmel thronte. Zahlreiche Auroren und Mitarbeiter des Ministeriums waren bereits vor Ort und kümmerten sich darum, die Muggelnachbarn zu beruhigen und deren Gedächtnisse zu bearbeiten, um die beunruhigenden Ereignisse des noch jungen Abends restlos daraus zu tilgen.
Das betroffene Haus lag ganz am Ende der Straße und als die drei außer Atem dort ankamen, stand Mad-Eye Moody vor der Haustür und verzog bei ihrem Anblick schmerzvoll das Gesicht.
„Mad-Eye, was ist passiert?" - „Wer ist es?", bestürmten ihn die jungen Männer sofort, aber er hatte nur Augen für Anne, die gar nichts gesagt, aber bereits eine fürchterliche Ahnung hatte. Als er sie so durchdringend ansah, durchzuckte beißende Furcht jede einzelne ihrer Körperzellen.
„Nein", rief sie kopfschüttelnd. „Nein, nein, nein!"
„Beruhige dich", redete er ihr gut zu und ergriff ihre Hände. „Ganz ruhig!" Dann wandte er sich an Remus und James. „Die McKinnons wurden ermordet. Alle. Sie haben die ganze Familie ausgelöscht", berichtete er mit Grabesstimme.
Anne rang panisch nach Atem und schniefte lautstark. Wieder drückte er fest ihre Hände.
„Marlene ist tot, aber Black lebt noch. Man hat ihn ins St. Mungo gebracht. Ihr solltet Euch beeilen. Hier könnt ihr ohnehin nichts ausrichten."
Schreckensstarr blickten Remus und James sich an. „Danke Alastor", sagte Remus schließlich leise und drückte Mad-Eye die Schulter.
„Geht zu ihm und verabschiedet Euch", raunte Moody ihm leise zu und legte ihm dann Annes kalte Finger in die Hand, die sich entsetzt abgewandt hatte. „Und kümmert Euch um sie", trug er ihnen noch auf, dann drehte er sich um und ging betrübt zurück ins Haus der McKinnons.
***
James trat sogleich entschlossen auf sie zu, hakte sich unter und sie apparierten zielstrebig zum Besuchereingang des St. Mungo Hospitals, wo er hektisch voraneilte und Remus die zitternde Anne hinter sich herzog.
Die Hexe am Empfang schickte sie umgehend in den vierten Stock zur Station für Fluchschäden. Anne wurde ganz blass, als sie den wohlbekannten Flur dort betraten. Remus musste sie beinah gewaltsam mit sich schleifen. Sie wurden in das fünfte Zimmer auf der rechten Seite verwiesen. Dort lag Sirius in einem makellos weiß bezogenen Bett und schlief - scheinbar unversehrt - tief und fest. Ratlos sahen sie sich an. Warum hatte Moody ihnen gesagt, sie sollten sich verabschieden, wenn er doch nur schlief?
Langsam trat Anne vor und ging näher an das Bett heran. Und dann sah sie es. Das Fluchmal. Oberhalb des linken Schlüsselbeins. Sie wusste, von welchem Fluch es stammte. Seine Auswirkungen hatte sie auf den Bildern und Zeichnungen in ihrer zerfledderten Ausgabe der encyclopedia magicae tenebris gesehen, die sie sich von einem zwielichtigen Händler in der Nokturngasse besorgt hatte, um darin nachzuforschen, wie Voldemort sein verfluchtes Leben so effektiv schützen konnte. Das alte, schwarze Werk hatte ihr diese Frage zwar nicht beantworten können, sich jedoch davon abgesehen als sprudelnde Quelle wertvollen Wissens bezüglich dunkler und unverzeihlicher Flüche erwiesen. Und so wusste sie, was Sirius jetzt erwartete. Binnen weniger Stunden, würde er so schnell altern, dass er bis zum Morgengrauen gestorben wäre. Runzlig und ausgetrocknet, ausgemergelt von einem Leben, das er nicht gelebt hatte. Sie schauderte, als würde ein kalter Luftzug ihr direkt bis ins Herz dringen. Einen kurzen Moment lang hatte sie das Gefühl in ein tiefes Loch ohne Boden zu fallen. Doch dann fing sie sich, machte wortlos auf dem Absatz kehrt und lief entschlossen hinaus auf den Flur, um nach Murdoch zu suchen. Der böse Fluch war noch aufzuhalten. Aber sie mussten schnell sein. Sehr schnell.
„Was war das denn?", fragte James verwirrt und sah ihr hinterher. Auch Remus konnte sich keinen Reim auf ihr Verhalten machen. Er trat näher an Sirius heran und versuchte herauszufinden, was an seinem Anblick sie so sehr aufgebracht hatte, dass sie Hals über Kopf davongestürmt war. Aber außer einem roten, herzförmigen Fleck links unter dem Hals konnte er nichts außergewöhnliches feststellen.
„Seine Hände sind ganz kalt", stellte James gerade fest, als im nächsten Moment ein junger Heiler ins Zimmer stürmte. „Mr. Potter?"
James schreckte auf und drehte sich herum. „Ja", antwortete er verhalten.
„Mr. Murdoch bittet Sie, Ihre Frau herzuschicken. Sie soll ihm und ... und der Hexe, die mit Ihnen hergekommen ist, bei der Herstellung eines Zaubertranks assistieren."
„Ein Zaubertrank? Wofür?"
Der Heiler warf einen Blick auf das Krankenbett. „Für Mr. Black. Und er ... er hat gesagt es eilt", haspelte er unbehaglich weiter.
James brauchte nur eine Sekunde, um zu reagieren. In Windeseile war er hinausgestürmt, um sofort in seine Wohnung heimzukehren und Lily herzuschicken.
Keine fünf Minuten später stand diese mit Anne und Murdoch in der Apotheke des Hospitals und rührte nach Annes detaillierten Anweisungen eine Mischung aus Diptamessenz, Acrumantula-Gift und Alkohol an, während Murdoch Alraunen dünstete und Anne in zwei Kesseln gleichzeitig rührte. Sie war ja wirklich fit in Zaubertrankkunde, aber sie hatte keinen blassen Schimmer, was Anne hier in aller Eile zusammenfabrizierte und wofür es gut sein sollte.
„Was wird das, wenn es fertig ist?", fragte sie deshalb und hob irritiert die Brauen, als die Freundin kurzangebunden antwortete: „Ein Jungbrunnen."
„Ein Jungbrunnen? Wie bitte soll der Sirius helfen? Mit so einem Rezept kann man höchstens schnelles Geld mit leichtgläubigen, alternden Mitbürgern machen", schnaubte sie.
Anne eilte zwischen den Kesseln hin und her, regulierte das Feuer des einen und gab eine Prise Antimon in den anderen, der daraufhin ein paar grüne Funken ausstob.
„Mit einem Jungbrunnen vom Wirkungsgrad, wie wir ihn hier herstellen, lässt sich kein Geld verdienen. Du würdest deine Kundschaft in Säuglinge verwandeln und wegen Betrugs in Askaban landen", klärte die Freundin sie nüchtern auf.
Lily machte ein verständnisloses Gesicht. Sie reichte Anne die angerührte Paste und diese maß zweieinhalb Löffelchen davon ab und gab sie in den kleineren der beiden Kessel.
„Rühr das fünfzehnmal gegen den Uhrzeigersinn", trug sie der Freundin befehlsgewohnt auf und Lily gehorchte sofort.
„Sirius wurde mit dem Senexus-Fluch verhext", erklärte Anne schließlich mit grimmiger Besorgnis. „Sein Körper altert rapide. Etwa alle fünf Minuten um ein Jahr. Bis morgen früh wird er tot sein. Der Jungbrunnen soll das aufhalten. Und hoffentlich umkehren."
Lily machte große Augen und schluckte schwer. „Das ist tiefschwarze Magie! Wieso weißt du so etwas?", hauchte sie fassungslos.
Anne blickte sie aus kalten Augen ungerührt an. „Weil ich mich gründlich damit befasse, was Voldemort uns alles antun kann und wie es sich verhindern lässt, während der Orden sich in effektloser Planung von halbherzigen Abwehrmanövern verliert", zischte sie aufgebracht.
Lily warf einen beschämten Blick zu Henry Murdoch, aber der sagte nichts dazu, sondern tat so, als wäre er geflissentlich in Annes Zaubertrankrezept vertieft. Er würde Anne nicht für ihre Kenntnisse der schwarzen Magie rügen, so lange sie damit seinem Patienten das Leben retten konnte, so viel war ihr klar. Also schluckte sie das beklemmende Gefühl der Angewidertheit hinunter und führte stumm Annes präzise Anweisungen aus.
Eine Stunde lang arbeiteten sie hochkonzentriert zusammen, dann war der Zaubertrank fertig. Anne füllte zwei Kristallfläschchen damit und kühlte sie vorsichtig auf Zimmertemperatur, bevor sie diese an Murdoch weiterreichte, der sofort damit hinauseilte, und sich dann erschöpft auf den Boden sinken ließ. An die Wand gelehnt blieb sie sitzen und verbarg das gerötete Gesicht in ihren zitternden Händen.
Lily fühlte sich hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, sie tröstend in die Arme zu nehmen und sie für ihre weitreichenden Kenntnisse der Dunklen Künste streng zu kritisieren. Schließlich überwog jedoch ihr Mitgefühl und sie setzte sich zu ihrer Freundin auf den Boden, um ihr den Arm um die Schulter zu legen. Anne bettete ihren Kopf an Lilys Seite und begann vor Kummer und Erschöpfung haltlos zu schluchzen.
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