35. Kapitel - Rote Briefe
Anne saß am Klavier, als Sirius am nächsten Vormittag in Maple Court auftauchte. Nachdem Marianne ihm Mantel und Schal abgenommen hatte, trat er in den Salon und legte ihr von hinten die kalte Wange an den Nacken. Sie lachte auf, drehte sich zu ihm um und schlang im nächsten Moment die Arme um ihn.
Er zog sie hoch und gab ihr einen dicken Begrüßungskuss. „Schön, dass du wieder da bist", sagte er leise und strahlte sie an. Sie legte vertraut den Kopf an seine Schulter, sog den vertrauten Duft seines herben Aftershaves tief in ihre Lungen und er freute sich, sie im Arm halten zu können.
„Was hast du mit Remus gemacht? Er hat mir die Tür vor der Nase zugeworfen, als ich ihn vorhin besuchen wollte."
Sie grinste. „Mit ihm - gar nichts."
Er verzog das Gesicht zu einer verständnislosen Grimasse.
„Wieso hast du Remus vor mir besuchen wollen?", neckte sie ihn daraufhin. Sie kannte die Antwort ganz genau, aber er würde seine Absichten niemals zugeben.
„Ich war ohnehin in Hogsmeade", erwiderte er stattdessen ausweichend und vielleicht stimmte das sogar.
Sie seufzte. Es hatte keinen Zweck es hinauszuzögern. „Remus ist wütend auf mich, weil ich mit Alain geschlafen habe. Zwei Mal", sagte sie kühl, als wäre es nur ein unwichtiges Detail und löste sich aus seiner Umarmung.
Sirius wurde es schwarz vor Augen und er taumelte von ihr zurück. Sie zog ihm den Boden unter den Füßen weg. „Wie bitte?" Er musste sich verhört haben. Sie hatte das nicht wirklich gesagt, oder? Seine Hände wurden schweißfeucht und seine Augenlider flatterten.
Sie antwortete nicht, sah ihm nur trotzig ins Gesicht. Er schloss die Augen und versuchte ihre Worte zu verstehen.
„Warum?", war alles, was ihm über die Lippen kam. Verwundert hob sie die Augenbrauen.
„Warum? Du weißt doch wohl aus welchem Grund zwei Menschen so etwas machen, oder?"
Er schluckte trocken. Die Spucke war ihm ausgeblieben und das Herz schlug ihm schmerzhaft bis zum Hals.
„Ja, aber ...", stammelte er weiter.
Sie sah ihn einen Moment lang mit einem undefinierbaren Blick an. Dann trat sie vorsichtig einen Schritt auf ihn zu und schwieg abwartend. Was erwartete sie von ihm? Wie angewurzelt stand er ihr gegenüber, unfähig auch nur die kleinste Bewegung zu tun.
„Heißt das, du verlässt mich?", fragte er schließlich.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein", antwortete sie leise. „Nicht wenn du es nicht verlangst."
„Was?" Er verstand die Welt nicht mehr.
Sie trat noch einen weiteren Schritt auf ihn zu und strich mit der Hand zärtlich über sein entsetztes Gesicht.
„Wieso sollte ich dich verlassen? Ich liebe dich doch", sagte sie sanft und gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf den Mund.
„Das verstehe ich nicht", sprudelte es aus ihm heraus und sie lächelte schuldbewusst.
„Nun ja", erklärte sie verlegen. „Ich denke ich liebe euch beide."
„Aber das geht doch nicht", empörte er sich entrüstet. „Du musst dich doch entscheiden!"
Wieder lächelte sie. „Nein. Ich will mich nicht entscheiden."
Er schob sie grob zurück. „Und Alain ist damit einverstanden?!" Sie schmunzelte. „Wie stellst du dir das vor?", fand er langsam zu sich selbst zurück und begann sich fürchterlich aufzuregen. „Eine Woche hier und eine Woche da? Oder willst du uns täglich durchwechseln? Oder jeden Monat?"
Sie sah ihn einen Moment lang überrascht an und dann begann sie ihn auszulachen. Völlig vor den Kopf geschlagen stand er ihr gegenüber und wusste nicht, wie ihm geschah. Entweder sie war verrückt oder er wurde es gerade. Sie machte ihn verrückt.
Und da plötzlich überwältigten ihn seine völlig durcheinander geratenen Gefühle und er stürmte auf sie zu, packte sie bei den Armen und drängte ihr einen besitzergreifenden Kuss auf. Grob stieß seine Zunge zwischen ihre Lippen und er drängte sie zurück, bis sie schmerzhaft gegen die Wand prallten. Dort ergriff er ihre Hände und drückte sie gegen die Mauer, während er begann hitzige Küsse auf ihren Hals und ihren Ausschnitt zu hauchen. Dann zerrte er an ihrem Kleid, bis er die Hand fordernd auf ihre Brust legen konnte. Er hob ihren Rock und nestelte zeitgleich an seiner Hose und schon im nächsten Moment spürte sie, wie er ihre Beine auseinanderschob und heftig zustieß. Sie stöhnte auf.
Er umgriff ihre Taille, hob sie ein paar Zentimeter hoch und setzte sie sich auf die Hüften, ohne in seiner Bewegung innezuhalten. Keuchendes Stöhnen drang an ihr Ohr. Die kalte Mauer scheuerte an ihrem Rücken und zwei Bilder waren bereits klirrend zu Boden gefallen. Aber es war ihr egal. In wilder Leidenschaft gab sie sich ihm hin, ließ sich für einen kurzen Augenblick von ihm besitzen, um sich schon im nächsten Moment wieder zurückzuziehen. Aber er ließ sie nicht entkommen, so fest umfassten seine starken Hände sie und so drängend rückte er gegen sie vor. Und dann endlich ließ sie sich auf ihn ein und schrie lustvoll auf, kurz bevor sich sein ganzer Körper zwischen ihren Schenkeln versteifte und er seine Erleichterung hinausbrüllte.
Schwer atmend kamen sie zur Ruhe und er ließ sie zurück auf ihre Füße gleiten, die Stirn schwer gegen die ihre gelehnt, mit Schweißperlen auf der Haut und Sorge im Herzen. Er schloss die Augen.
„Fuck Anne, warum tust du mir das an", klagte er sie an.
„Was genau?", erwiderte sie frech und grinste atemlos, während sie ihr Kleid richtete.
„Alles! Das alles!"
„Keine Regeln. Kein Verzicht. Nur pures Leben", hauchte sie ihm ins Ohr. „Deine Worte!"
Fassungslos sah er sie an. In diesem Moment wusste er nicht mehr, ob er sie lieben oder hassen sollte.
***
„Kann ich dann gleichzeitig eine Beziehung mit dir und Marlene führen?", fragte er am nächsten Tag beim Frühstück und Marianne ließ beinah die Kaffeekanne fallen.
Anne wartete taktvoll, bis sie den Raum verlassen hatte, tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und sagte schnippisch: „Tust du das nicht längst?"
Zerknirscht musste er zugeben, dass sie damit nicht ganz unrecht hatte. Er wäre aber niemals auf die Idee gekommen, dass sie das gleiche für sich selbst einfordern könnte. Schließlich waren Männer und Frauen doch verschieden, oder? Er würde das dringend mit James diskutieren müssen!
„Wenn sie nichts dagegen hat ..." Anne biss mit Appetit in ihr Toastbrot und lächelte in sich hinein.
Er dagegen wusste immer noch nicht, was er von dieser neuen Konstellation halten sollte. Er hatte eigentlich gedacht, dass sie das mit der Verlobung hinter sich gelassen hatten. Aber dem war anscheinend nicht so.
„Und was ist mit der Hochzeit?", fragte er deshalb ratlos.
Sie zuckte mit den Schultern. „Lassen wirs."
Er mochte es nicht zugeben, aber es gab ihm einen Stich. Auch wenn er schon lange nicht mehr damit gerechnet hatte, dass sie ihn wirklich heiraten würde, tat es weh, das ausgesprochen zu hören.
„Ist deine Verbindung zu Hector auch eine Lüge? Warst du mit ihm auch im Bett?"
Der Bissen blieb ihr im Hals stecken. Sie las in seinen Augen, dass sie ihn verletzt hatte und dass er nun die Absicht hatte, das ebenfalls zu tun. Er war Sirius Black. Er hatte noch nie gut verlieren können ...
„Ich habe dich nie belogen, Sirius", seufzte sie. „Wenn, dann habe ich mich selbst belogen. Aber Hector ist wie ein großer Bruder für mich. Mit Geschwistern steigt man nicht ins Bett."
„Bei dir weiß man nie", antwortete er gehässig und sie schnappte kurz beleidigt auf. Aber er glaubte ihr. Hector hatte seine Schwester verloren und Anne an ihrer statt genommen. Er konnte das nachvollziehen. Er selbst hatte Regulus schon vor langem durch James ersetzt.
Er seufzte und setzte zu einer Entschuldigung an. Aber die Worte erstarben ihm auf den Lippen, als es ans Fenster klopfte und sie aufsprang, um Marina hereinzulassen. Die Schleiereule ließ drei Briefe auf den Frühstückstisch fallen, pickte dann kurz auf einer Scheibe Toastbrot herum und flatterte einen Moment später wieder davon.
Sirius gefrierender Blick, mit dem er die Briefe zu durchbohren schien, verwunderte sie.
„Sirius? Geht es dir gut?", fragte sie besorgt während sie nach den Umschlägen griff. Er wandte nicht die Augen davon.
„Bei Merlin, drei auf einmal", murmelte er erschüttert. Als sie im Begriff war, den ersten Brief zu öffnen, griff er nach ihrer Hand und hielt sie auf.
„Was hast du denn?", fragte sie ungeduldig.
„Rote Briefe", hauchte er immer noch entsetzt dreinblickend.
„Das sind doch nur farbige Umschläge. Keine Heuler oder so", wehrte sie unwirsch ab. Aber er hielt ihre Hand mit den Briefen weiter fest.
„Nein, du weißt nicht, was das bedeutet", wies er sie scharf zurecht und schaute ihr jetzt in die Augen. Sein durchdringender, flackernder Blick begann sie zu ängstigen.
„Seit ich Mitglied des Ordens bin, habe ich fünf von diesen Briefen erhalten. Jeder enthält nicht mehr als einen Namen. Den Namen einer Person, die für immer verschwunden ist."
Anne glaubte, das Herz müsse ihr in der Brust zerspringen. Schockiert blickte sie auf die Briefe in ihrer Hand. Drei Briefe. Drei Namen. Drei ausgelöschte Leben. Sie ließ die Umschläge fallen, als hätte sie sich daran die Finger verbrannt und schnappte heftig nach Luft. „Nein", rief sie schockiert.
Er atmete einmal tief durch und griff dann nach dem ersten Umschlag, um ihn mit einem Messer zu öffnen. Betreten reichte er ihr die darin befindliche Karte.
Francis Bluebell
stand darauf.
Anne schlug die Hand vors Gesicht. Tränen traten ihr in die Augen beim Gedanken an die sommersprossige Hufflepuff-Mitschülerin. Sirius drückte ihr kurz die Hand und öffnete dann den zweiten Umschlag. Den Namen darin kannte sie nicht.
Rosamund Benning
„Die Dame aus dem Kräuterladen ganz hinten in Hogsmeade", wusste Sirius zu berichten, bevor er nach dem dritten Umschlag griff.
Anne wurde es schwarz vor Augen, als er ihr die letzte Karte überreichte. Heftiges Schluchzen schüttelte sie, bevor sie in bittere Tränen ausbrach. Endlich konnte er sich überwinden, sie in den Arm zu nehmen und an seine Brust zu drücken. Tröstend streichelte er ihr in der immer gleichen Bewegung über den Rücken, während sie sich ihrer Trauer hingab. Ihre linke Hand mit der in grüner Tinte beschrifteten Karte sank kraftlos herab und blieb zitternd auf dem weißen Tischtuch liegen.
Doris Bluebell
Ihre Weggefährtinnen der ersten Schuljahre. Unendlich wertvolle Freunde auf ihrem Weg in die magische Welt. Die Mädchen, die sie als erste neugierig und vorbehaltslos in ihre Gesellschaft aufgenommen hatten, ohne sie für ihre Herkunft, ihre ungestüme Magie oder ihre Zugehörigkeit zum Haus Slytherin zu verurteilen.
Und jetzt waren sie tot...
***
Sie brauchte lange, um sich zu beruhigen. Sirius brachte sie schließlich in ihren Salon, beauftragte Marianne ihr Tee zu kochen und ließ sie dann allein. Zu sehr überwältigten ihn seine eigenen Gefühle. Er wollte sie zugleich an sich reißen, trösten, im Arm halten, sie wütend anschreien und ihr den Kopf zurechtrücken. Deshalb musste er dringend fort von hier und den Kopf freikriegen.
Er konnte sich denken, dass die anderen inzwischen ebenfalls die Briefe und deren niederschmetternden Inhalt erhalten hatten. Und so trieb es ihn an jenen erinnerungsträchtigen Ort, wo sie sich schon früher oft getroffen hatten, wenn sie Kummer und Sorgen gehabt hatten. Zur heulenden Hütte. Dort traf er - nicht unerwartet - auf einen nachdenklichen James.
Schweigend blieben sie eine Weile nebeneinander stehen, an eine hölzerne Absperrung gelehnt, und blickten tief in Gedanken versunken auf die windschiefe, mit Holzbrettern vernagelte Kate, die noch immer im Ruf eines Spukhauses stand.
„Weißt du", begann James plötzlich seufzend, „jedes Mal, wenn einer dieser Briefe auf unserem Tisch liegt, beschwöre ich Merlin, es möge nicht dein Name darin stehen, oder der von Moony oder Wormtail. Und dann bin ich erleichtert, wenn Merlin meinen Wunsch erhört. Erleichtert, weil ein anderer Name auf der Karte steht. Der Name eines Menschen, der jemand anderem fehlen wird. Gleich darauf schäme ich mich für meine Erleichterung. Und doch ist es jedes Mal gleich..."
Sirius sah seinen besten Freund beistehend von der Seite an. Er wusste ganz genau, was James meinte.
„Du brauchst dich dafür nicht zu schämen", erwiderte er voller Verständnis. „Das geht uns doch allen so."
James wandte sich ihm zu und Sirius sah Tränen in seinen Augenwinkeln schimmern. Etwas, das er noch nie an seinem Freund wahrgenommen hatte. Nicht so lange sie sich kannten!
„Drei auf einmal Sirius. Drei! Wer wird der nächste sein?"
Darauf wusste Sirius keine Antwort, die es nicht noch schlimmer gemacht hätte. James Blick wanderte erneut zur heulenden Hütte.
„Ich würde Harry gern aufwachsen sehen", sagte er mit bebender Stimme. „Aber mein Gefühl sagt mir, dass ich das nicht tun werde."
Sirius schnappte nach Luft. „James!"
„Erinnerst du dich an den Wahrsageunterricht?", fragte James.
Sirius zischte einmal laut und warf dann den Kopf in den Nacken. „Wie könnte ich diesen Unsinn je vergessen?!"
Das Bild von zahllosen Unterrichtsstunden in dem stickigen Klassenzimmer von Professor Ultima erschien vor seinen Augen. Die glitzernden Kristallkugeln, die glänzenden Teetassen und die fürchterlichen Räucherstäbchen. Die meiste Zeit waren sie so schläfrig gewesen, dass sie nach der Stunde nicht mehr gewusst hatten, was sie eigentlich gelernt hatten. Daran änderte selbst der starke Tee nichts, den ihnen die kleine, dicke Professorin mit den kugeligen Augen jede Woche vorsetzte. Sie hatte Sirius immer an einen Knuddelmuff erinnert.
„Professor Ultima hat mir immer einen frühen Tod vorausgesagt", erinnerte James ihn und er prustete abschätzig.
„Du wirst doch nicht plötzlich an Ultimas Vorhersagen glauben! Sie hat mir prophezeit, ich würde in Askaban landen! Und dem braven kleinen Wurmschwanz hat sie eine Karriere in dunklen Künsten angedichtet. Die Frau hatte nicht alle Teetassen im Regal", polterte er.
James zuckte mit den Schultern. „Was ist mit Eastwood?"
Sirius zuckte zusammen. „Was soll mit ihr sein? Sie war nicht dabei in Wahrsagen, sie hat Arithmantik belegt", antwortete er ausweichend, weil er nicht wusste, worauf James hinaus wollte.
„Sie glaubt an das, was sie in ihren Träumen sieht", entgegnete der.
Obwohl er nicht das befürchtete Thema ansprach, verzog Sirius das Gesicht, als hätte James ihm einen Schlag in die Magengrube verpasst.
„Vielleicht, weil sie ihre Träume nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden kann", meinte er schließlich bitter und James horchte auf.
„Habt ihr Stress?"
Sirius ließ wütend seine Faust auf das morsche Holz des Begrenzungspfostens niedersausen und schlug ein Stück davon ab. Dass es eine rot leuchtende, pochende Schramme an seinem Handrücken hinterließ, ignorierte er.
„Sie hat mich mit Alain betrogen."
James seufzte. Das hatte ja kommen müssen. Lily hatte Anne schon lange im Verdacht fremdzugehen. Und im übrigen war Sirius auch kein Ausbund an Treue. Ihm war klar, dass Eastwood dem nicht ewig zuschauen würde, während Sirius von ihr Enthaltsamkeit verlangte.
„Ich weiß genau was du denkst", sagte Sirius und sah ihn aus den Augenwinkeln heraus an.
Abwehrend hob er die Arme. „Ich habe nichts gesagt! Die Gedanken sind frei."
„Ja", gab Sirius zu, atmete tief durch und lehnte sich wieder auf die Absperrung. „Ich weiß nicht, was ich machen soll", gab er schließlich zu.
„Weil du sie trotzdem noch liebst."
„Was nützt es, sie zu lieben, wenn sie sich nicht darauf einlässt?"
Mitfühlend sah James seinen traurigen Freund an, der gedankenverloren mit dem Ring an seiner rechten Hand spielte.
„Sie will nicht heiraten. Sie weiß nie, was sie will. Sie weiß nur, was sie nicht will."
„Ich würde dir gerne sagen, dass die Zeit schon alles richten wird", sagte James mit rauer Stimme. „Aber ich fürchte bei euch beiden würde sie selbst dann nicht ausreichen, wenn wir noch alle Zeit der Welt hätten ..."
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