Part 112
Immer noch Tom's Sicht
Obwohl ich am liebsten alles verschlafen würde, bekomme ich um mich herum alles mit:
Wie ich aus reiner Vorsicht auf eine Vakuummatratze gebettet werde, da sich Linus nicht sicher ist, ob mein Wirbel etwas abbekommen hat und wie Klaus alle stets ermahnt, besser aufzupassen, damit mir nicht noch mehr Schaden zugefügt wird.
Wie Robin im RTW ebenfalls schnell durchgecheckt wird und immer wieder Schmerzlaute von sich gibt, da seine Nase ordentlich was abbekommen haben muss.
Als die hinteren Türen unseres Rettungsgefährt geschlossen werden, öffne ich wieder meine Augen und verschaffe mir einen kurzen Überblick:
Zu meiner Linken, auf dem Notsitz, wurde Robin platziert, der eine Hand auf meinem Unterarm platziert hat, die ich bis gerade eben nicht einmal bemerkt habe.
Zu meiner Rechten wuselt Linus herum und breitet gerade eine Decke über mir aus, damit ich nicht friere, obwohl mir eher viel zu warm als kalt ist.
Kurz danach überprüft er meine Werte und klopft anschließend gegen die Trennscheibe, hinter der Nick am Steuer sitzt, als Zeichen dafür, dass wir losfahren können.
Ich schließe wieder die Augen, da ich in dieser fiesen Einengung der wundervollen Fixierung eh nichts anderes machen könnte, als geradeaus an die Decke zu starren.
Mein Inneres stellt sich schonmal auf einen Zornesregen der Ärzteschaft ein, da ich eigentlich hätte im Bett liegen und nicht eine Freifahrt mit dem RTW buchen sollen.
Bei genauerer Überlegung fällt mir ein, dass Oli jetzt Schicht hat und bei meinem Glück gleich meine Behandlung übernehmen wird.
Obwohl ich es nicht will, steigert sich mein Puls wieder rasant.
Ich versuche mir einzureden, dass Herr Dreier meine Worte verinnerlicht hat und mir nicht wieder unerlaubt Beruhigungsmittel spritzt oder es zumindest befürwortet.
Fahr mal runter...
Seit wann bist du so empfindlich?
"Tom? Was ist los?" Linus legt mir wieder eine seiner Hände auf mein Brustbein, während ich die Augen öffne und mich zunehmend unwohler fühle.
"Nichts!", grinse ich ihm wackelig entgegen und sorge damit nur für einen skeptischen Blick meines Gegenüber:
"Da sagt mir der Monitor aber etwas anderes!"
Wenn ich könnte, würde ich jetzt mit den Schultern zucken, doch das funktioniert leider nicht und darum bekommt Linus einfach gar keine Reaktion, denn gegen das Offensichtliche komme ich nicht an.
Da Ablenkung meistens die beste Lösung gegen Nervosität ist, will ich ein kleines Pläuschchen mit Herrn Sturm halten:
"Robin?"
"Ja?"
"Wie geht's dir?"
"Mach dir um mich keine Sorgen! Das wird schon wieder", näselt er kaum verständlich vor sich hin, was mir leider nicht gerade als zufriedenstellende Ablenkung dient.
Ich könnte mir vorstellen, dass sein Gesicht bei jeder Mundöffnung schmerzt und er deshalb auch nicht scharf auf sinnloses Geplänkel ist, weshalb ich dann doch einfach nur vor mich hinstarre und die restliche Fahrt schweigend verläuft.
"Wir sind gleich da!", verkündet Herr Hoffmann, kurz bevor unser Gefährt zum Stehen kommt und die hinteren Türen von Nick geöffnet werden.
Die beiden buxieren mich mit der Trage ins Freie, wo auch sofort Klaus an meine Seite tritt und mich keine Sekunde aus den Augen lässt.
Eins muss man ihm lassen, er hält sein Wort.
Als wir in den Räumen der KaS ankommen, höre ich schon Olis Stimme:
"Linus, ich bin sofort da!"
Mein Herz nimmt wieder ungewollt volle Fahrt auf und dem blonden Notarzt scheint jetzt ein Licht aufzugehen, denn er verzieht sein Gesicht zu einer düsteren Grimasse und sieht abwechselnd von Oli zu mir.
"So! Wir gehen hier rüber. Was haben... Och nö! Tom? Echt jetzt?", wettert Herr Dreier gleich los und wirft mir einen bitterbösen Blick zu.
"Sie brauchen sich hier gar nicht so aufzuspielen! Herr Mayer ist aufgrund meines Befehls zu einer Mission aufgebrochen und hat leider die Quittung für uns alle kassiert!", verteidigt mich Klaus sofort, sorgt bei Oli aber nur für ein ungläubiges Schnauben:
"Klar doch. Hat er mal wieder seine Fäuste nicht bei sich behalten können? Unglaublich, dass er auch noch von seinem Chef in Schutz genommen wird!"
Meine Vorstellung, dass Herr Dreier mich jetzt mit allem an Beruhigungsmitteln vollpumpt, was er finden kann, drängt sich immer mehr in mein Bewusstsein und sorgt für schweißnasse Hände.
Die drei Männer nehmen aber nur den fast explodierenden Monitor in Augenschein, da ich mich immer weiter in meine Angst schaukele.
"OLIVER, AUF EIN WORT!", faucht Linus ihm entgegen, packt ihn am Arm und zerrt seinen Kollegen ein paar Schritte zur Seite.
Nick schiebt mich von der beginnenden hitzigen Diskussion weg und liefert mich mit Klaus' Hilfe in den freien Behandlungsraum ab.
Kaum kommen wir wieder zum stillstand, widmet mir Herr Bachmann seine volle Aufmerksamkeit:
"Versuch mal ganz ruhig ein- und auszuatmen! Das tut deiner Pumpe nicht so gut, wenn du dich dermaßen aufregst!"
Mit geschlossenen Augen versuche ich mich mit zittriger Atmung wieder in ein normales Herzrhythmusgebiet zu atmen, aber von vollem Erfolg ist das nicht gekrönt, da ich mir schon wieder vorstelle, dass Oli sicherlich nicht zimperlich mit meinem Rücken und dem lädierten Zeh umgehen wird, wenn er so sauer ist.
"Tom, was ist denn los mit dir? So kenne ich dich gar nicht! Hast du wieder Schmerzen?" Nick versteht die Welt nicht mehr und versucht mit ein paar Klatschern gegen die Wange, meine Aufmerksamkeit zu erregen.
"Lass das, Nick!", zische ich ihm zu, kann seinen Fängen aber leider nicht entkommen und werde jetzt mit beiden Händen an meinem Gesicht festgehalten:
"Du musst dich beruhigen, ok? Jetzt atmest du mal so, wie ich es dir vorgebe: Einatmen.... Ausatmen... Einatmen... nicht so schnell!.. Ja, so ist besser!"
Herr Bachmann schafft es tatsächlich von meinem hohen Roß runter zu holen, wenn es auch nur durch die kurzzeitige Ablenkung durch die Atemanweisungen ist.
"Nick, wie sieht es aus?" Linus kommt alleine in den Schockraum gelaufen und nimmt mich sofort in Augenschein.
"Irgendetwas stimmt nicht mit ihm...", nuschelt der Sani vor sich hin, was Herr Hoffmann sofort nickend bestätigt:
"Ja, er hat Angst.... Tom, du kannst dich beruhigen, ich habe einen anderen Arzt anfordern lassen. Wir lagern dich jetzt schnell um und bringen dich ins Röntgen, das wurde schon veranlasst.... Ihr zwei müsst das dringend regeln, ok? Das kann sonst unter gewissen Umständen ziemlich böse enden!"
"Ja", um mich genauer zu diesem Thema zu äußern, fehlt mir gerade jeder Nerv und das scheint auch der Blondschopf zu merken, denn der zieht jetzt sein Programm mit Nick durch und befreit meinen Oberkörper von den Kabeln.
Robin wird in der Zwischenzeit von einer Schwester zu Herrn Dr. Dreier gebracht, da die beiden ja kein Problem miteinander haben und meinem Kollegen endlich geholfen werden sollte.
Meine Wenigkeit wird kurze Zeit später Richtung Röntgen geschoben, Wiebelchen dicht an meiner Seite.
Da er während dem Röntgen eh nichts machen kann und das CT seine Zeit dauert, bitte ich ihn um ein Gefallen:
"Klaus? Könnten Sie bitte, wenn es keine Umstände macht, zu Zoey und Leo aufs Zimmer gehen und ihnen Bescheid geben, dass ich da bin? Die machen sich sonst nur große Sorgen, wenn es so lange dauert und ich nicht auftauche!"
"Sicherlich, Mayer. Das bereitet mir gewiss keine Umstände! Wir sehen uns nach dem Fotograf!" Klaus macht sich tatsächlich sofort auf den Weg und ich bin überrascht, über so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.
Natürlich ist unser Chef kein Unmensch, aber so fürsorglich erlebt man ihn auch nicht alle Tage.
Als nächstes knöpfe ich mir Linus vor:
"Organisiert doch eine Schwester, dann könnt ihr wieder gehen. Ich halte euch nur auf!"
"Vergiss es. Ich bleibe so lange hier, bis ich dich einem anderen Arzt übergeben kann... Manche Einsätze dauern eben seine Zeit!", zwinkert er mir zu und schiebt mich durch die Pforten der Röntgenabteilung.
Eine halbe Ewigkeit später, nachdem ich den Röhrengang unbeschadet überstanden habe, werde ich von Linus und Nick wieder in einen Behandlungsraum geschoben, in dem ich von Paula empfangen werden:
"Hey, Tom. Was machst du denn für Sachen, mh? Wir schauen uns nachher gleich die Röntgenbilder an, die hoffentlich nur gute Nachrichten auf Lager haben!"
"Hey Paula. Weißt du, wie es Robin geht?"
Kopfschüttelnd und seufzend, da ich nicht auf meine körperlichen Schäden eingehe, gibt sie mir Antwort auf meine Frage:
"Robin's Nasenbein ist gebrochen, aber zum Glück nicht verschoben. Eine leichte Gehirnerschütterung hat er sich auch noch zugezogen, aber das wird mit viel Ruhe ziemlich schnell wieder werden. Jetzt kümmern wir uns aber wieder um dich! Was macht das Wohlbefinden?"
"Geht so. Mir ist ziemlich übel", ich entscheide mich für sofortige Wahrheit, da ich Angst habe, dass die Übelkeit bald schlimmer wird und ich den Anwesenden unter Umständen mein Abendessen, in abgewandelter Form, präsentieren werde.
"Kann ich mir vorstellen. Wie sieht es mit Schmerzen aus?"
"Kaum vorhanden!" Ich merke zwar, dass mein Zeh unangenehm pocht und ein gewisser Druck auf meinem Rücken lastet, aber bisher ist noch alles gut auszuhalten.
Wie das aber aussieht, wenn ich aus dieser Vakuummatratze befreit werde, will ich gar nicht wissen.
Zeitgleich mit einer Schwester, betritt auch Klaus den Raum und stellt sich sofort an meine Seite:
"Ich soll Grüße von den Chaoten ausrichten. Ihr Mädchen hätte sich fast auf meinen Rücken geschmissen, da sie unbedingt zu ihnen wollte, aber die Jungs haben das zum Glück noch verhindert. Robin ist jetzt bei der Bande und unterhält sie noch eine Weile!"
"Danke Klaus!"
"Nichts zu danken. Wie sieht es denn jetzt bei Ihnen aus?" Diese Frage beantwortet uns im Handumdrehen Paula, die zusammen mit Linus auf das Display eines Tablets starrt:
"Die Wirbelsäule hat so weit wir sehen können keine Schäden genommen. An dem Punkt des Hämatoms können wir das leider nicht genau beurteilen, das wird sich erst nach dem Abklingen ganz genau feststellen lassen. Der Bruch des kleinen Zehs ist leider verschoben und muss gerichtet werden!", der mitleidige Blick der beiden Mediziner verstärkt meine Übelkeit nur noch mehr, da das schon aussagt, wie unangenehm die nächsten Minuten werden.
Mir selbst sind diese Informationen gerade einfach viel zu viel und ich würde mich am liebsten irgendwo vergraben.
Klaus scheint das auch zu bemerken und nimmt einfach die weitere Unterhaltung in die Hand:
"Muss er operiert werden?"
"Nein. Wir betäuben lokal, richten den Bruch und legen einen Verband an." Paulas Worten zu urteilen, ist das alles mit einem schnellen und schmerzlosen Handgriff erledigt und alles ist wieder beim Alten, was mir mein Kopfkino aber so gar nicht bestätigen kann.
Mein Chef bringt noch einige Dinge in Erfahrung, die mit meiner Rückenverletzung einhergehen, und bittet darum, alles bildlich festzuhalten, da er John das nicht durchgehen lassen will.
Linus befreit mich in der Zwischenzeit aus der fixierenden Matratze und verschafft mir damit leider keine Freude.
Jede Bewegung und sei es nur tiefes Einatmen, schmerzt fast unerträglich und ich bin mir ganz sicher, dass ich an diesen Schmerzen innerhalb der nächsten Stunden zu Grunde gehen werde.
"Paula, kannst du bei Tom nochmal was nachspritzen, bitte!" Herr Hoffmann muss meine tränengefüllten Augen bemerkt haben, denn ich habe bisher keinen Ton verlauten lassen.
Paula und auch Klaus drehen sich gleichzeitig zu mir um und verziehen sofort ihre Gesichter, als sie mir in die Augen sehen.
Die Ärztin kommt der Bitte des Notarztes natürlich sofort nach, worauf mein Chef seine Jacke ablegt und sich einen dieser Drehhockerchen schnappt.
Was hat der denn jetzt vor?
"Jetzt gucken sie doch nicht so! Ich hätte bei ihren Schmerzen sicherlich schon die ganze Notaufnahme zusammengebrüllt. Wir stehen das jetzt beide zusammen durch", bringt mir mein Chef fest entschlossen entgegen und schnappt sich wie selbstverständlich meine Hand, um sie fest zu drücken.
Im ersten Moment ist mir das unwahrscheinlich peinlich und ich würde liebend gerne einfach vom Fleck wegsterben.
Als Paula mich dann allerdings mit Nicks Hilfe zur Seite rollt und ich merke, dass die Schmerzmittel nicht so wirken, wie ich es gerne hätte, bin ich doch froh um die Hand, die ich jetzt drücken kann.
Die Ironie der ganzen Prozedur ist, dass egal was ich auch tue, alles Schmerzen hervorruft und ich es nur durch Entspannung halbwegs erträglich gestalten könnte.
Wenn da nicht die Schmerzen durch das Drücken von Paulas Finger wären, die wiederum die Anspannung meines Körpers begünstigen.
Kurz bevor ich verrückt werde und vor lauter Schweißproduktion wegschwimme, ist die Frau Doktor endlich fertig:
"Gut... Zurück auf den Rücken. Tom, wenn es für dich unangenehm ist, dann kannst du auch auf der Seite oder dem Bauch liegen. Was hättest du denn gerne?"
"Den Tod, bitte!", stöhne ich leise vor mich hin und flippe fast aus, als ich wieder diese penetrante Übelkeit verspüre:
"Könnt ihr mich nicht einfach in ein Koma versetzen und erst wieder wecken, wenn alles verheilt ist?"
"So leid es mir tut... Das können wir nicht machen, Tom!"
"Warum wirkt denn dann dieses scheiß Schmerzmittel nicht richtig?", jetzt werde ich etwas pampig, da sich der Schmerz mit der Angst vermischt.
"Mayer, bleiben Sie ruhig. Es bringt jetzt nichts, sich aufzuregen!", versucht mir Klaus gut zuzureden, doch mit der Aussicht, dass auch mein Zeh bald wieder bearbeitet wird, komme ich gerade einfach nicht klar und würde am liebsten flüchten.
"Kann ich vorbeugend weggebeamt werden oder muss ich erst ausflippen, um ein Beruhigungsmittel zu bekommen?", mir ist klar, daß ich gerade ziemlich widersprüchlich handle und bis vor kurzem Angst hatte, dass Oli mir etwas zur Beruhigung durch meine Blutbahnen jagt.
Jetzt bin ich mir aber sicher, dass ich das alles nicht verkrafte und lieber geistig weggebeamt werden möchte, als dass ich diesen ganzen Mist miterleben muss.
"Tom, du schaffst das! Du musst nur..", redet Linus mir gut zu, doch auch dem will ich nicht gehorchen:
"NEIN! ICH WILL DAS GAR NICHT SCHAFFEN UND HABE AUCH... AUA... GAR KEINE LUST DARAUF..."
"Was ist denn jetzt los? Du gibst doch sonst nicht so schnell auf", redet jetzt auch noch Nick auf mich ein, den ich allerdings gekonnt ignoriere:
"Zieht mir irgendwas über die Rübe, vergiftet mich oder schläfert mich ein... Mir scheißegal, aber macht irgendwas!"
Klaus legt seine freie Hand auf meiner Schulter ab und rüttelt leicht an mir, um mich etwas zur Vernunft zu bringen:
"Jetzt schalten Sie mal einen Gang runter und beruhigen sich wieder. Wir beide stehen das gemeinsam durch. Wäre doch gelacht, wenn wir zwei sture Esel das nicht schaffen, oder?"
Keine Ahnung, welcher Dämon gerade Besitz von mir ergriffen hat, aber er sorgt dafür, dass mir jetzt die Tränen in Sturzbächen die Wange hinunterlaufen.
Ich bin einfach fertig mit der Welt und möchte nicht mehr reden, niemanden mehr sehen und nichts hören.
Dem Geräusch der Türe nach, verlässt einer der Anwesenden den Raum.
Mir kommt das gerade recht, denn dann habe ich schon einen Zuschauer weniger.
Natürlich könnte ich mich auch einfach zusammenreißen, aber mein Wille dazu ist überhaupt nicht mehr existent.
"Das sind die Nerven. War in letzter Zeit einfach auch zu viel!", mutmaßt Linus und holt sich damit eine brummende Bestätigung von Paula.
Der brodelnde Vulkan in mir will einfach nicht aufhören und speit unaufhörlich negatives Feeling, das sich felsenfest in meinem Gehirn verankert.
"Lassen Sie ihm doch kurz Zeit!", nörgelt Klaus neben mir und sorgt dafür, dass ich mich in Ruhe ausheulen kann und keiner auch nur einen Finger an mich anlegt.
Nach ein paar Minuten entzieht mir Wiebelchen seine Pranken und bewegt sich von mir fort.
Eine zierliche Hand legt sich in meine und drückt sanft zu.
Ohne hinzuschauen weiß ich genau, wer sich an meine Seite gesellt hat.
Als sich eine Stirn gegen meine Wange drückt und eine Hand in meinen Bart verirrt, kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
"Ich bin jetzt da und helfe dir, das zu überstehen", flüstert Zoey in mein linkes Ohr und schafft es tatsächlich, dass ich mich ein Stück weit entspanne und die Tränen aufhören zu fließen.
"Ich bin gerade sowas von durch... Das Schauspiel solltest du dir wirklich nicht reinziehen!", flüstere ich ihr zu, doch meine Warnung wird von der Chaosqueen sofort zunichte gemacht:
"Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft ich so ziemlich über der Grenze von "durch" war und du trotzdem an meiner Seite geblieben bist. Nur weil du erwachsen bist, heißt das nicht, dass du nicht auch mal schwach sein darfst. Außerdem bist du mein Papa und da ist es doch fast schon meine Pflicht, dir zur Seite zu stehen!" Zoey rundet ihre Worte mit einem Kuss auf meine Schläfe ab und kitzelt mir somit doch wieder ein paar Tränen aus meinen Augen.
Dass sie das Wort "Papa" benutzt hat, gibt mir den letzten Rest. Obwohl ich niemals in Erwartung gestellt habe, dass sie mich direkt so bezeichnet, bedeutet es mir jetzt umso mehr, nachdem sie das ausgesprochen hat.
Was ist denn nur mit dir los?
Warum bist du nur am rumheulen?
"Warum weinst du denn jetzt so?" Zoey versteht meinen erneuten Augenschauer genauso wenig wie ich:
"Weis ich auch nicht...", schluchze ich vor mich hin und schüttel über mich selbst den Kopf.
"Schaffen wir es denn jetzt, Paula deinen Zeh richten zu lassen?"
"Muss wohl..." Meine Stimme gleicht nur noch einem Krächzen, da ich mich selbst aller Kräfte beraubt habe und total fertig bin.
Zoey schmiegt ihren Oberkörper an meine Brust und wuschelt mit ihren Fingern nonstop in meinem Bart herum.
Zoeys Sicht
"Jetzt hatte er so viel Angst und schläft dann dabei einfach ein!", lache ich vor mich hin und schaue Paula zu, wie sie einen Verband um Toms Fuß anlegt.
Nachdem Herr Mayer sein Bewusstsein ohne Mühe weggebeamt hat, sind Linus, Nick und Klausi abgezogen und haben eine Schwester, Paula und mich zurückgelassen.
"Weißt du, ich denke, dass er zu viel unbewussten emotionalen Streß hat. Muss nicht alles negativer Natur sein, auch positiver Stress kann einen fertig machen!"
"Was ist denn positiver Stress? Stress definiere ich immer als negativ!"
"Naja, zum Beispiel ist euer geplanter Umzug ein positiver Stressfaktor. Tom freut sich darauf, muss aber natürlich viel organisieren und managen!", erklärt Paula und betrachtet zufrieden ihr Werk.
Die Kinderplanung ist sicherlich auch in dieser Kategorie einzuordnen, doch das spreche ich vorerst mal nicht an, da ich nicht weiß, ob Tom und Rebekka das schon rumposaunen oder lieber erst für sich behalten wollen.
Dafür fällt mir aber auch gleich noch ein anderer Faktor ein:
"Das mit Oli und Freddy macht ihm bestimmt auch zu schaffen!"
"Mhm. Da muss ich eh mal mit Rebekka reden... Die soll ihm auf den Zahn fühlen und dafür sorgen, dass er sich ein bisschen Luft macht. Unser Tom ist einfach ein großer Sorgenfresser!"
Phil's Freundin grinst mich schief an und ordert nebenher bei der Schwester ein Bett für Herrn Mayer.
"Darf er jetzt wieder zu uns aufs Zimmer?"
"Nein, Zoey. Ich möchte ihn ein paar Stunden auf Intensiv haben, zwecks dem Hämatom. Wenn es an Umfang zunehmen sollte und auf die Wirbelsäule drückt, kann das unangenehme Folgen haben! Das wirst du selbst leider gut kennen, mh?"
Mit dieser Aussicht bin ich natürlich überhaupt nicht einverstanden, egal in welcher Hinsicht und versuche einen Deal rauszuschlagen:
"Wenn er bei uns im Zimmer liegt, dann wird er von drei Leuten bewacht. Das ist doch fast noch besser als Intensivstation!"
"Hahaha. Das ist wirklich ein tolles Angebot, aber es gibt keine Alternative. Ich kann ihn ja zu Alex legen lassen, dann können die beiden aufeinander aufpassen. Was hältst du davon?"
Die Aussicht, dass Alex etwas Gesellschaft hat, lässt mich dann doch etwas zufriedener werden und die Hoffnung, dass Dr. Ontsheim in nächster Zeit wieder auftaucht und sich um Tom kümmert, ist mir sogar sehr recht.
Während Tom auf seine neue Koje umgelagert wird, schlage ich bei Paula eine zehnminütige Aufenthaltsgenehmigung raus und kann Herrn Mayer somit noch ein klein wenig mit meiner Anwesenheit beglücken und auch in Erfahrung bringen, wie es Herrn Hetkamp denn so geht.
Als wir das Zimmer betreten, ist es mucksmäuschenstill.
Alex' Überwachungsmonitor wurde auf lautlos gestellt und der Herr atmet kaum hörbar, so dass ich erst einmal überprüfen muss, ob er überhaupt noch Luft aufnimmt.
Man weiß ja nie, ob die Technik eine Macke hat.
Kaum habe ich mein Gesicht in die Nähe des ehemaligen Brokkolis gebracht, erschrecke ich fast zu Tode, da seine Stimme ertönt:
"Was machst du hier? Es ist mitten in der Nacht!"
"Boah, Alex... Erschreck mich doch nicht so! Du bekommst Gesellschaft!"
Der Notarzt richtet sich etwas auf und mustert mich von oben bis unten, bis ihm dann mal auffällt, dass neben ihm eine Schwester rumwuselt und ein paar Kabel an einem Oberkörper anbringt:
"Wer ist das?"
"Tom!"
Ächzend setzt sich Alex auf seine vier Buchstaben und lehnt sich ein Stück nach vorne, um seinen Kumpel sehen zu können:
"Was ist mit ihm?"
"Der Bruch im Zeh hat sich verschoben und er hat ein Hämatom neben der Wirbelsäule. Schätzungsweise wird er aber durchschlafen, da er komplett durch war!"
Sofort schleicht sich Sorge auf Alex' Gesicht, weil er sich natürlich die gegebenen Umstände nicht zusammenreimen kann.
"Wie geht es dir denn?", will ich wissen, worauf Herr Hetkamp seinen Blick wieder auf mich lenkt und mir leicht zulächelt:
"Gerade wirken die Schmerzmittel noch und ich habe kaum Schmerzen. Es wird besser, aber auch noch eine Weile brauchen, bis es wieder ganz in Ordnung kommt... Jetzt geh ins Bett und schlaf. Du solltest dich auch noch ausruhen! Ich pass auf Tom auf, versprochen!"
"Okay. Schlaf gut und bis bald!" Nach einem Schmatzer auf die Backe, laufe ich nochmal schnell zu Herrn Mayer und drücke ihm ebenfalls einen Kuss ins Gesicht.
Unser lahmgelegter Notarzt platziert sich nun seitlich in seinem Bett, damit er seinen Kumpel im Blick hat und winkt mir anschließend lächelnd nach, als ich das Zimmer verlasse.
Auf dem Weg zurück zu Leo und Sam grübel ich über Tom's Probleme nach.
Zu den mit Paula erörterten Punkten fällt mir tatsächlich noch ein weiterer Punkt ein:
Der Brief!
Ich bin mir sicher, dass das ebenfalls ein belastender Faktor ist und nehme mir vor, wenn ich endlich wieder nach Hause darf, dieser Sache auf den Grund zu gehen.
Vielleicht kann ich ihm bei irgendeiner Sache helfen und somit seinen Stressfaktor etwas mildern.
Zufrieden mit meinem Plan und voller Zuversicht, schleiche ich in mein Zimmer und schlüpfe zu dem schlafenden Leo unter die Decke.
Erst jetzt merke ich, wie müde ich eigentlich bin und als Leos Körperwärme auf mich übergeht, bin ich innerhalb von Sekunden im Traumland.
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