Kapitel 6
HANNAH
Wir bezahlten und machten uns auf den Weg. Er fuhr in ein Café, in dem er arbeitete und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Meine Eltern erwarteten mich sicher schon. Ich würde mir bestimmt etwas anhören dürfen, weil ich noch nicht zu Hause war. Mittlerweile war es halb sechs und meine Eltern würden sich zu einhundert Prozent darüber beschweren, dass ich erst so spät nach Hause kam. Wenn es nach meinen Eltern ging, sollte ich am besten direkt von der Schule nach Hause kommen und direkt mit den Hausaufgaben und dem Lernen beginnen. Freizeit gab es nicht. Freizeit wurde überbewertet. Im allgemeinen wurde Spaß überbewertet.
Ich war durch meine Eltern zu einer perfekten Lügnerin geworden. Ich hatte mich so daran gewöhnt, meinen Eltern nicht alles erzählen zu können, dass ich mehr Geheimnisse vor ihnen hatte, als vor sonst irgendjemandem. Meine Mutter liebte es, mir hinterher zu spionieren, was dazu führte, dass ich automatisch alles vor ihr geheim hielt und versteckte. Wenn ich ihr sagte, dass meine Dokumente, mein Laptop und mein Handy privat waren und es sie nichts anging, antwortete sie immer nur: „Ich bin aber deine Erziehungsberechtigte und habe das Recht, das zu wissen." Bei dem Satz wusste ich, dass ich am Besten nichts mehr sagen sollte, weil alles danach nur im Streit endete. Also hatte ich mit der Zeit gelernt, wann ich Widerworte, wie meine Eltern es so gerne nannten, geben durfte und wann nicht.
Als ich noch kleiner war, hatte ich das allerdings nicht immer verstehen wollen, was dann meistens damit geendet hatte, das meine Mutter enttäuscht von mir gewesen war und ich mir von meinem Vater mindestens eine Ohrfeige eingefangen hatte. Das war allerdings nicht einmal das Schlimmste daran gewesen. Das Schlimmste daran war, dass ich mir dann schlussendlich dachte, sie hätten das Recht dazu gehabt und ich hatte mich dann schlussendlich für Sachen entschuldigt, für die ich nicht verantwortlich gewesen war. Diese „Erziehungsmaßnahmen" redete er sich mit den Worten schön, dass ich dadurch Ordnung und Disziplin lernen würde.
Meine Eltern dachten damals und denken immer noch, dass sie mich so zu einem, höflichen und respektvollen Menschen erzogen haben, wobei ich dadurch einfach nur gelernt habe, dass es Momente im Leben gibt, in denen man einfach seine verdammte Klappe halten sollte.
Ich musste immer ein perfekt aufgeräumtes Zimmer haben, durfte nie länger, als bis um halb acht irgendwo sein, meine Eltern hatten mich zu allem hingebracht und von überall abgeholt, damit ich bloß nicht erst auf Umwegen nach Hause kam und mir so ziemlich alles verboten, was Spaß machte.
Nur hatten diese ganzen Regeln ausschließlich dafür gesorgt, dass ich eine erstklassige Lügnerin geworden war, worauf ich beim besten Willen nicht stolz war, meine Eltern an ihren Schritten erkennen konnte, wusste, welche Dielen unseres Holzparketts knarzten und welche nicht und das ziemlich viele Freunde nichts mehr mit mir machen wollten, weil ich für alles meine Eltern fragen musste und sie zu so gut wie allem nein sagten.
Aus diesem Grund, weil ich sowohl meiner Mutter, als auch meinem Vater einfach alles erzählen konnte, was ich wollte und mein Vater sauer werden würde, meine Mutter genervt wäre und am Ende beide enttäuscht sein würden, erzählte ich ihnen nur noch das Nötigste und hatte früher die meiste Zeit mit oder bei Freunden, oder alleine in meinem Zimmer verbracht.
Da sich mittlerweile alle meine Freunde nicht mehr mit mir abgeben wollten, weil ich ihnen zu kompliziert, nervig oder im Allgemeinen einfach zu viel war, hielten sie mir mittlerweile sogar Konflikte vor, die so nie passiert waren und gaben mir die Schuld daran, nur damit sie einen Grund hatten, sich nicht mehr mit mir treffen zu müssen. Wenn ich den ganzen Tag bei Freunden, oder eben alleine war, dann hatten meine Eltern etwas daran auszusetzen, dass ich ja lieber alleine sei, oder lieber etwas mit Freunden machen würde, anstatt mit ihnen. Woran das bloß lag. Ich war jeden Tag von Menschen umgeben, die mich und alles was ich tat schlecht machten. Das an sich störte mich nicht einmal, aber mir dann von meinen Eltern Ähnliches anhören zu müssen, das tat weh. Und wenn meine Freunde mich dann dafür verurteilten, dass ich strenge Eltern hatte und eben nicht alles machen durfte, waren sie sauer auf mich. Meistens kam dann so etwas wie: „Mach es doch einfach. Hat sie nicht zu interessieren." Stimmt, hatte es nicht, aber sie würden mich umbringen, wenn sie es erfahren würden.
Das hieß, wenn ich mit jemandem befreundet war und mir die beschissene Meinung meiner Eltern und die Konsequenzen wirklich egal waren, dann sollte diese Person das zu schätzen wissen, denn ich nahm das wochenlange Schweigen, die Beschimpfungen und den Ärger nicht für jeden auf mich.
Immer, wenn irgendetwas passierte, oder ich irgendetwas machte, was meiner Mutter nicht in den Kram passte, war sie mindestens für eine Woche sauer auf mich und sprach nur das nötigste mit mir. Sie hatte keinerlei Verständnis dafür, egal um was es ging.
Ich hatte mit der Zeit all meine Interessen verloren, mich immer mehr zurückgezogen und meine Noten hatten in zwei, drei Fächern zu wünschen übrig gelassen. Ich versuchte das wieder zu ändern, was nicht leicht war, aber ich gab mein Bestes. Meine Eltern sahen das allerdings nicht. Meine Eltern sahen nur die schlechte Note am Ende.
Meine Mutter war der Meinung, dass ich zu viel laß und mein Vater warf mir vor, dass ich mich zu sehr in die Geschichte hineinsteigerte. Ich laß nicht mehr, sondern guckte Serien und Filme. Meine Mutter sagte, ich würde zu viele Filme gucken, mein Vater beschwerte sich darüber, dass ich nur seltsame Serien gucken würde und das wollte er nicht. Also kaufte ich mir Filme. Mein Vater sagte, mein Filmgeschmack sei fragwürdig, meine Mutter wollte von dem ganzen Mist nichts hören. Ich nahm an so vielen AGs teil, wie möglich, weil ich dann länger nicht zu Hause war. Meine Mutter sagte dazu nur, ich hätte jetzt weniger Zeit, um zu lernen.
Alles in allem, machte ich es ihnen irgendwie nie gut genug. Wenn etwas passierte, war es immer meine Schuld und sie vertrauen mir nicht. Dabei hatten sie dazu gar keinen Grund. Sie verhielten sich aber so oft daneben, dass ich nach meinem Abschluss die erst beste Gelegenheit dazu nutzen würde, um auszuziehen, egal, wie ich das anstellen würde und die Tage bis zu meinem achtzehnten Geburtstag zählte.
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