Kapitel 26
HANNAH
Ich konnte nicht glauben, was Thomas gesagt hatte. Ich hatte es gewusst. Ich hatte gewusst, dass es soweit kommen würde. Nie im Leben hätte ich ihm so viel über mich erzählen dürfen. Er verließ mich, so wie alle anderen mich verlassen hatten. Ich war ihm zu kompliziert. Ich war komisch. Ich war hässlich. Ich war klein. Ich war dick. Das war alles, woran ich denken konnte. Die Sterne vor meinen Augen ließen mich die Treppenstufen vor mir nur erahnen. Die Stimmen um mich herum verschmolzen zu einem einzigen Wirrwarr. Blind und taub stolperte ich die Stufen nach oben, drängelte mich an den Kindern um mich herum vorbei, warf mich gegen die Tür, um sie aufzudrücken und kam keuchend nach draußen. Die kühle, frische Luft schmerzte durch die Intensität, mit der ich sie in mich einsaugen wollte, beinahe in meiner Lunge.
Wie hatte es dazu kommen können? Wie hatte ich ihm vertrauen können? Wie hatte ich bloß so dumm sein können? Diese Geschichte mit Thomas entpuppte sich zu einer wahren Teen-Story, von denen man in den Büchern laß. Es war anstrengend. Dieses hin und her der Charaktere und mittendrin dieses eine Mädchen, dessen Leben komplett aus den Fugen geriet. Das Problem war nur, dass mein Leben leider keine tragische Love Story, sondern blanke Realität war. Und das hatte zur Folge, dass der Schmerz, der sich in meinem Bauch und in meiner Brust ausbreitete, ebenfalls real war. Ich konnte das Buch nicht einfach schließen. Ich konnte nicht einfach vor ihm wegrennen. Ich musste ihn über mich ergehen lassen. Ich hasste es.
Die nächsten vier Stunden Unterricht ließ ich über mich ergehen, ohne wirklichen Inhalt aufzunehmen zu können. Die Stimmen meiner Lehrer und meiner Mitschüler verschwammen zu einem einzigen, lauten Wirrwarr um mich herum und ich bekam Kopfschmerzen davon.
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Thomas und ich mieden uns die nächsten vier Wochen lang und sprachen nicht miteinander. In den Stunden, die wir zusammen hatten, was zum Glück nur zwei Fächer betraf, sahen wir uns nicht einmal mehr an, geschweige denn sprachen wir miteinander. Auch in den darauffolgenden zwei Wochen Ferien änderten wir nichts daran. Mir gefiel dieser Kontaktabbruch zwischen uns absolut nicht, aber Thomas hatte es nicht anders gewollt. Anscheinend wollte er es so und anscheinend war er der selben Meinung, wie sein Vater. Anscheinend legte er so großen Wert auf die Aussage und die Ansichten eines Menschen, der in schlug und demütigte, dass er ihnen nachgab und nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Der Schmerz über diesen Vertrauensverlust wich langsam mit der Zeit und ich versuchte mir einzureden, dass es so besser war.
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Am Dienstag, sechs Wochen später, saß ich alleine zu Hause, meine Eltern waren beide noch arbeiten, als ich Lust bekam, spazieren zu gehen, um mich von meinen Gedanken über Thomas abzulenken. Ich konnte einfach nicht aufhören, über seine Worte nachzudenken. Also nahm ich die U-Bahn, fuhr in den Schlosspark und lief intuitiv zu der Stelle, an der sich Thomas und ich vor wenigen Wochen hingesetzt hatten. Als ich dies bemerkte, drehte ich um und lief ein Stückchen davon entfernt zu einer Parkbank, auf der ich mich hinlegte und die Augen schloss.
Irgendwann schien ich, trotz der noch relativ frühen Uhrzeit, eingeschlafen zu sein, was sollte man auch anderes erwarten, wenn man drei Monate am Stück nur drei Stunden pro Nacht schlief, da ich durch das laute und unangenehme Summen und Klingeln meines Handys wieder meine Augen öffnete. Es war Mike. Ich ließ das Telefon klingeln und legte es wieder in meine Tasche. Doch er blieb hartnäckig und rief so oft an, bis ich so dermaßen genervt war, dass ich auf den grünen Hörer drückte.
„Was?", meldete ich mich schließlich genervt. Mike am anderen Ende der Leitung wirkte aufgebracht.
„Bitte, Hannah. Er hat es nicht mal annähernd ernst gemeint, was er letztens zu dir gesagt hat. Du kennst ihn noch nicht so lange, wie ich. Sein Vater... Ich... Er... Du bist ihm wichtig. Bitte versteh einfach, dass... Die Sache mit seinem Vater ist viel komplizierter, als du es dir vorstellen kannst.", stammelte er. Das konnte ich mir vorstellen. Sein Vater hatte auf mich nicht wirklich wie der reinste Sonnenschein gewirkt und Thomas hatte am Tag danach auch nicht ausgesehen, als sei sein Vater ein besonders guter und fürsorglicher Vater.
„Und warum kann er mir das nicht selber sagen?", fragte ich verletzt. Die Worte, die er mir an den Kopf geknallt hatte saßen tiefer, als ich es zugeben wollte. Er hatte genau meinen wunden Punkt getroffen. Mehrfach. Auf den Millimeter genau.
„Er denkt, es wäre besser für dich, wenn er sich von dir fern hält.", sagte Mike leise, was allerdings keine Antwort auf meine Frage war. Jedoch stellte sich mir jetzt noch eine neue. Weshalb war Thomas der Meinung, es sei besser für mich, wenn ich mich von ihm fern hielt? Verwundert schüttelte ich den Kopf.
„Mike, er hat mich verletzt. Tief verletzt." Das Schlimmste daran war allerdings, dass er genau gewusst hatte, wie sehr er mir damit weh tun würde, wenn er aussprach, was er ausgesprochen hatte und das verletzte mich noch viel mehr, als die eigentliche Tatsache, dass er es gesagt hatte.
„Bitte Hannah. Gib ihn nicht auf. Er braucht dich. Ihm geht es so viel besser, seit ihr befreundet seid. Man kann sehen, wie er...", er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „... aufblüht und glücklicher ist, wenn du in seiner Nähe bist. Er ist wie ein anderer Mensch bei dir. Bitte, gib ihm noch eine Chance.", flehte Mike schon fast und ich spürte, wie ich weich werden wollet. „Er braucht dich. Auch, wenn er es sich nicht anmerken lassen will.", wiederholte Mike sich, doch ich konnte nicht einfach so vergessen, was Thomas mir gesagt hatte.
„Nein, Mike. Es tut mir leid. Auch wenn er es laut dir nicht so gemeint hat, war es seine Entscheidung mir diese Sachen zu sagen und er kennt mich mittlerweile lange genug um zu wissen, was er mir damit gesagt hat. Außerdem ist es eine Entscheidung, jemanden zu verletzten. Es ist nicht eben mal so nebenbei passiert." Nachdem ich das laut ausgesprochen hatte, herrschte längere Zeit Schweigen auf beiden Seiten der Leitung.
„Bitte, gib ihm noch eine Chance. Er braucht dich." Mike klang verzweifelt, doch ich konnte seiner Bitte einfach nicht nachkommen. Er legte nach langem Schweigen meinerseits auf und ich blieb mit meinem Handy in der Hand auf der Bank sitzen. Ein leichter Wind kam auf, der mich allerdings wieder daran erinnerte, dass es mittlerweile beinahe Winter war. Ich bemerkte erst jetzt, wie kalt es eigentlich um mich herum war und stand deshalb auf und packte meinen Kram zusammen. Leicht fröstelnd machte ich mich auf den Weg aus dem Park hinaus. Ich hatte Hunger, was eher untypisch für mich war, aber ich hatte große Lust auf einen warmen Latte-Macchiato, weshalb ich zur U-Bahn lief und zum Zoo fuhr.
Mit Kopfhörern in den Ohren und durch die warme Luft im U-Bahn-Wagon aufgewärmt, stieg ich gut zehn Minuten später die Treppe des U-Bahn Hofes nach oben und kam neben dem Kino und der Mall an die frische Luft. Ich lief in das große Gebäude hinein, um mir im Supermarkt sowohl einen Kaffee, als auch ein belegtes Brötchen zu holen. Das Bikini Berlin war wie immer voll. Überall wo man hinsah liefen Menschen verschiedener Statur und verschiedenen Alters umher, die gerade dabei waren, ihren Dienstagseinkauf zu erledigen. Als ich im Erdgeschoss des mehrstöckigen Gebäudes in den Supermarkt einbog und mich anschließend vor das Kühlregal stellte, sah ich die riesige Auswahl an Energy Drinks vor meiner Nase und entschloss mich dazu, mir sowohl einen Kaffee, als auch einen Energy Drink zu kaufen. Gerade als ich mich umdrehen wollte, stieß ich äußerst unsanft mit einer Person zusammen. Ohne auf sie zu achten murmelte ich ein unverständliches sorry und wollte gerade weitergehen, als ich mich doch intuitiv zu der Person wandte.
Thomas sah mich mit einer Mischung aus Trauer, Wut und Entschuldigung an. Zumindest bildete ich mir das ein. Ich wollte einfach, dass es so war. Wir sahen uns für mindestens eine Minute einfach nur schweigend an, bis ich mich dazu überwinden konnte, wegzusehen und mich umzudrehen. Das durfte einfach nicht wahr sein. Ich hatte so sehr alles mögliche versucht, um ihn weder zu sehen, noch über ihn nachdenkenden zu müssen, und dann traf ich ihn zufällig.
Berlin war so eine verdammt große Stadt. Er hätte in jeden der ich weiß nicht wie vielen Supermärkte Berlins gehen können. Warum genau in diesen. Warum genau zu der Zeit, wo auch ich hier war. Ich lief zu den Fertiggerichten, nahm mir einen Salat und ging zur Kasse. Es überraschte mich nicht einmal, dass Thomas der Kunde vor mir war. Wenn schon, dann wenigstens richtig. Die Kassiererin zog seinen Einkauf, der aus einem Bier, einer Packung Cookie-Dough, einem belegten Brötchen und einem Energy Drink bestand, mühsam über das Band und nannte ihm den Preis. Thomas kramte verzweifelt in seinem Portemonnaie. Anscheinend hatte er nicht genug Geld.
„Ich bezahle für ihn mit.", sagte ich, bevor ich darüber nachdenken konnte. Warum tat ich das bloß. Kein Mensch wusste es. Die Kassiererin sah nicht einmal in meine Richtung. Sie kassierte einfach nur stumpf ab, nahm das Geld und drückte mir den Kassenbon in die Hand. Ich schnappte mir meinen Einkauf und wollte gehen, doch Thomas sprach mich an.
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ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen
lots of love
TPWK
Lou
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