Kapitel 12
HANNAH
Auf diese eine Nachricht hatte ich so unglaublich lange gewartet und jetzt, wo ich endlich mit meinem Leben weiter machte, kam sie. Nur leider war das ungefähr ein Jahr zu spät. Was zur Hölle dachte sich dieser Kerl verdammt noch mal. Aber warum warf mich dieser eine kurze Text jetzt so dermaßen aus der Bahn, dass ich anfing zu zittern und fast mit der Fahrradfahrerin und ihrem Kind kollidiert wäre. Ich dachte, ich hätte mich wieder einiger Maßen unter Kontrolle. Auf der anderen Seite, fragte ich mich, wie ich sonst hätte reagieren sollen. Ich musste jetzt mit jemandem darüber reden. Jetzt gleich. In einer halben Stunde hatte ich sowieso eine Verabredung mit Christina. Diese Gelegenheit bot sich doch perfekt dafür an.
Christina war ein herzensguter Mensch und mein Fels in der Brandung. Wir kannten uns seit sechs Jahren und trafen uns so oft es ging. Sie ging auf eine andere Schule, zwar ebenfalls in Berlin, aber dadurch sahen wir uns seltener, als wir gerne wollten. Christina war die einzige Person, der ich zu einhundert Prozent vertraute und die Person, die mit Abstand am Meisten über mich wusste. Ich angelte mein Handy aus meiner Tasche und klickte auf ihren Kontakt. Es dauerte keine drei Sekunden, da hörte ich auch schon ihre aufgedrehte Stimme.
„Können wir uns schon etwas früher treffen? Ich muss dir etwas erzählen."
„Bin in zehn Minuten da." , antwortete sie sofort ohne zu zögern.
Ich lief den Ku'damm hinunter, bog in eine kleinere Seitenstraße ab, lief über den Walter-Benjamin Platz, auf dem wir uns gerne in die Sonne setzten, lief links die Straße hinter bis zur Ecke und bog in den Starbucks ein. Ich wusste nicht, wann ich zu einem dieser Starbucks-Mädchen geworden war, aber es war eine Art Tradition von Christina und mir, uns hier in diesem Laden zu treffen.
Ich setzte mich an unseren Stammtisch und bestellte, was wir immer bestellten: eine Hot Chocolate und einen Mocca Frappuchino. Keine fünf Minuten später trat eine kleine Person mit kastanienbraunen Haaren und Brille durch die Tür und sah sich um.
„Chrissy!", rief ich und hob meine Hand. Sie kam auf mich zu geeilt und fiel mir um den Hals.
„Och, Süße, ich hab dich so vermisst!", sagte sie und drückte mich noch enger an sich.
„Ich habe schon bestellt.", sagte ich, nachdem wir uns gesetzt hatten und genau in dem Moment brachte uns eine Bedienung unsere Getränke.
„Was musst du mir erzählen?", fragte Christina interessiert und begann an ihrer hießen Schokolade zu nippen. Also fing ich von vorne an. Ich erzählte ihr von meinem ersten Tag und dem komischen Typen in meinem Mathe-Kurs. Vom Erdkunde Projekt und dass genau ich eben diesen Typen als Partner abbekommen hatte.
„Ist er denn wirklich so ein Kotzbrocken, oder kann er auch nett sein?", fragte Christina und trank noch einen Schluck ihres Kakaos. Ich lachte kurz auf.
„Er ist ein Kotzbrocken, der auch nett sein kann, wenn er will.", sagte ich und sie nickte kurz. Dann erzählte ich ihr die Geschichte mit Jesse, wobei ich sie allerdings ein wenig abmilderte, um sie nicht unnötig zu sorgen. Doch es dauerte nicht lange, da sah man die Besorgnis in ihren Augen mehr als deutlich. Sie griff über den Tisch nach meine Hand und ich hielt sie ihr hin.
„Wie schlimm war es wirklich?", fragte sie und sah mir in die Augen.
„Es war gar nicht so schlimm. Thomas, Jesse und ich wurden nur für den Rest des Tages nach Hause geschickt.", erklärte ich ihr und sie sah mich mahnend an.
„Guck mich bitte nicht so an.", sagte ich leise, doch sie ließ sich nicht davon abbringen. „Tut mir leid, dass ich so bin.", fügte ich leise hinzu und das Mitleid in ihrem Blick wurde immer unerträglicher.
„Süße, du musst dich nicht entschuldigen. Ich war nicht da und das tut mir unendlich leid. Dir sollte nicht so viel Scheiß passieren." Sie hatte Tränen in den Augen. „Es tut mir so leid, dass ich dir diesen Typen ins Leben gebracht habe." Ich stand auf, setzte mich neben sie und legte meine Arme um sie.
„Christina, du bist der beste und wichtigste Mensch in meinem Leben. Nichts davon ist deine Schuld. Du kannst nicht immer zur Stelle sein, wenn es mir schlecht geht und das erwarte ich auch garnicht. Wirklich nicht. Das Jakob so ein Mensch ist oder auch werden würde, wer kann das schon sagen, konnte keiner von uns beiden ahnen. Dich trifft dabei die wenigste Schuld. Apropos...", begann ich und sie sah mich abwartend an. „... er hat mir geschrieben.", beendete ich meinen Satz, als ich ihr wieder gegenüber saß. Ihre Augen wurden so riesig, dass ich mir schon Sorgen machte, dass sie herausfallen würden.
„Was?!", schrie sie schon fast und sämtliche Köpfe im Starbucks drehten sich zu uns um. „Zeig mir die Nachricht!", forderte sie leiser und ich reichte ihr mein Handy. Da ihr Fingerabdruck gespeichert war, musste ich es ihr nicht einmal mehr entsperren. Innerhalb von Millisekunden war sie auf seinem Account und las, was er mir geschrieben hatte.
Hey, ich weiß, wir haben ewig nicht geredet. Aber ich weiß, dass ich damals echt Mist gebaut habe. Könnten wir uns vielleicht irgendwann nochmal sehen und, ich weiß nicht, reden oder es vielleicht sogar nochmal versuchen? Ich meine, zwei Jahre sind eigentlich schon echt lange und so weiter... ich dachte nur, dass das vielleicht für uns beide ganz nice wäre
„Ist das sein verdammter Ernst?", fragte sie, erwartete diesmal aber wieder keine Antwort. „Wie kann man so dämlich sein?" Ich zuckte nur mit den Schultern.
Jakob und ich waren zwei Jahre lang in einer Beziehung gewesen. Er ging auf Christinas Schule. Wir hatten uns auf einer Party kennengelernt. Jakob war zwei Jahre älter als ich und damals fünfzehn und in der Achten gewesen. Ich mit meinen dreizehn Jahren hatte ihm blind vertraut.
Nach zweijähriger Beziehung war er dann vor einem Jahr auf die glorreiche Idee gekommen, unser Verhältnis damit zu beenden, mich zu betrügen. Es war irgendein Mädchen gewesen, dass nichts mit mir gemeinsam hatte.
Sie war älter als er gewesen und war, wie er selbst gesagt hatte, nicht so anhänglich wie ich. Ungefähr zwei Monate später, nachdem sie dann mit ihm Schluss gemacht hatte, weil er ihr zu unreif geworden war, waren wir zufällig auf der selben Party gewesen. Er hatte mit mir reden wollen. Dummer Weise hatte ich mich darauf eingelassen, weil ich ihm eine letzte Chance geben wollte, sich zu erklären und so waren wir ein wenig abgelegen vom Rest in einen anderen Raum gegangen.
Das Ende vom Lied war gewesen, dass er zu high gewesen war, um ein richtiges Gespräch mit mir führen zu können. Als ich hatte gehen wollen, hatte er mich festgehalten, mich zurück gezogen und mich zwischen sich und die Wand gedrückt. Während er versucht hatte, mich auszuziehen und sich immer stärker an mich gedrückt hatte, hatte ich mich mit aller Kraft zu wehren versucht, doch auch wenn er high gewesen war, hatte er immer noch ziemlich viel Kraft gehabt.
Zu meiner Rettung war im letzten Moment Christina hereingekommen, weil sie mich gesucht hatte. Sie hatte ihn von mir weggezogen und mich, paralysiert und panisch wie ich war, zu sich nach Hause gefahren.
Seither war ich nicht mehr die Selbe. Ich hatte mich das letzte Jahr über fast jeden Abend in den Schlaf geheult, bekam ständig Panikattacken und hatte mir bis vor zwei Monaten jedes Mal, wenn irgendwo Alkohol in meiner Reichweite gewesen war, komplett die Kante gegeben.
Noch dazu hatte ich stärker geraucht, als es für mein Alter oder auch für irgend ein Alter in irgend einer Weise normal oder gesund sein könnte. Mittlerweile konnte ich alles trinken, was ich wollte, ohne wirklich betrunken zu werden, was ein Nebeneffekt des vielen Trinkens zu sein schien. Außer es war Whiskey. Diese Sorte Alkohol riss mir immer noch den Boden unter den Füßen weg und lies mich den Abend quasi noch einmal von vorne durchleben. Zusammen gefasst war mein Leben ein einziger Haufen Mist gewesen. Und jetzt, wo ich endlich versuchte, wieder auf die richtige Bahn zu kommen, schrieb er mir.
Christina gab mir mein Handy zurück. „Mistkerl.", sagte sie nur, zerriss ihre Servierte in konfettigroße Stücke und fuhr sich anschließend durch die Haare.
„Was glaubst du, wie ich reagiert habe, als ich das gelesen habe?", fragte ich. „Thomas saß neben mir und dachte sich glaube ich auch nur: Was ist denn mit der los? Ich denke, seit der Sache mit Jesse, hat er sowieso den Verdacht, dass irgendwas nicht mit mir stimmt. Und als ich dann aufgestanden bin und gehen wollte, bin ich fast in zwei Fahrradfahrer hineingelaufen. Heute war nicht mein bester Tag." Chrissy nickte verständnisvoll.
„Aber wehe, denk nicht mal eine Sekunde lang daran, dich mit diesem Schwein zu treffen, hörst du?", befahl sie und sah mich bestimmend an. Ich zog eine Augenbraue nach oben.
„Was denkst du von mir?"
„Ja, ich wollte es ja nur sagen."
Wir saßen eine ganze Weile schweigend nebeneinander, bis ich leise sagte: „Je älter ich werde, desto mehr deprimiert mich dieses Leben." Christina sah mich traurig an.
„Hey Süße, irgendwann wird das wieder. Irgendwann triffst du jemanden, der dich so liebt, wie du liebst." Ich musterte sie skeptisch. Wie gerne ich das doch glauben würde.
„Hey, sag mal. Am nächsten Freitag ist eine Feier auf dem Teufelsberg. Thomas geht mit ein paar ein Freunden da hin und die haben mich eingeladen mitzukommen. Willst du mir Gesellschaft leisten?", fragte ich und Christina sah mich kurz verwirrt an, bevor sie lachte und meine Einladung annahm.
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