Kapitel 11
THOMAS
Als ich am Abend nach Hause kam und das Treppenhaus nach oben stieg, war meine gute Laune schon fast wieder verflogen. Ich hatte noch einen Haufen Hausaufgaben zu machen. Außerdem hatte ich Hunger und ich war mir nicht einmal sicher, ob wir noch einen Rest von dem, was Mike eingekauft hatte, übrig hatten.
So leise wie möglich schloss ich die Wohnungstür auf und trat ein. Aus der Küche drang Musik und der Geruch von Gulasch zog mir in die Nase. Ich legte meinen Rucksack in meinem Zimmer ab und lief dem Geruch des Essens nach. Mein Vater stand mit Kochschürze vor dem Herd und summte die Melodie des Songs mit, der gerade lief.
„Thomas, schön, dass du da bist. Ich habe Essen gemacht.", sagte er und deutete auf den Tisch hinter sich. Ich nahm zwei Teller aus dem Schrank und sah ihn immer noch perplex an. Was war bitte in meinen Vater gefahren? So hatte ich ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.
„Wie war dein Tag?", fragte ich vorsichtig. Irgendetwas musste heute passiert sein. Andernfalls wäre er nicht so gut gelaunt.
„Ich war heute arbeiten und mein Chef hat mir gesagt, dass er mit meiner Arbeit so zufrieden ist, dass er mir mehr zahlen will, wenn ich einen Tag mehr in der Woche käme.", sagte mein Vater freudestrahlend, während er das Essen auf unseren Tellern verteilte.
Diese Nachricht war großartig, allerdings wusste ich jetzt schon, dass mein Vater es nie im Leben durchziehen würde und könnte, zweimal pro Woche richtig arbeiten zu gehen. Ihm machte seine Anstellung als Koch zwar Spaß, das hatte es schon immer, aber seit der Sache mit meiner Mutter hatte er die Dinge eher schleifen lassen, um es nett zu formulieren.
Am Anfang war das noch verständlich gewesen. Ich hatte in der Zeit auch Sachen gemacht, auf die ich beim besten Willen nicht stolz war, allerdings war das jetzt schon vier Jahre her. Irgendwann musste dann auch mal Schluss sein.
„Das freut mich. Ab wann gilt das Angebot denn?", fragte ich und lächelte ihn an.
„Natürlich ab nächste Woche!", sagte mein Vater laut und ich senkte den Blick auf meinen Teller. Na gut, so gute Laune hatte er dann anscheinend auch wieder nicht.
„Ja, klar, warum frage ich überhaupt.", sagte ich und aß weiter von meinem Abendessen. „Schmeckt sehr gut. Du bist bist ein fantastischer Koch.", verkündete ich und schob mir noch einen Löffel in den Mund. Mein Vater grinste mich an und trank einen Schluck aus dem Weinglas neben sich. Wenn er dieses Angebot wenigstens ein paar Wochen aushalten würde, könnten wir einen Teil des Geldes beiseite legen und uns endlich eine neue Spülmaschine leisten.
Aber wie ich meinen Vater kannte, würde er das Geld sowieso nur wieder für Zigaretten, Bier oder Zeitschriften ausgeben. Sollte ich ihm das aber so sagen, oder ihn nach der genauen Geldsumme fragen, konnte ich es direkt vergessen, einen entspannten, stressfreien Abend zu haben.
„Worüber denkst du nach?", fragte mein Vater neugierig und sah mich auffordernd an.
„Über eine Partnerarbeit in Erdkunde. Ich muss noch was dafür schreiben.", erklärte ich ihm ausweichend und er nickte nur.
„Na dann geh mal, ich räume hier auf." Bevor er es sich anders überlegte, stand ich auf und ging in mein Zimmer. Sobald ich die Zimmertür geschlossen hatte, ließ ich mich auf den Boden sacken und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht und durch die Haare. Als ich mich wieder aufrappelte, setzte mich an meinen Computer, um meine Aufgaben zu machen. Als ich eine halbe Ewigkeit später endlich fertig war und auf die Uhr sah, realisierte ich, dass es wirklich eine halbe Ewigkeit später war und ich morgen früh, beziehungsweise später, ein Problem haben könnte. Ich öffnete so leise es ging meine Zimmertür und horchte nach einem Zeichen dafür, dass mein Vater schon schlief. Das Licht im Wohnzimmer war nicht eingeschaltet und aus dem Zimmer meines Vaters drang ein gedämpftes Schnarchen. Ich schlich ins Bad, machte mich fertig und huschte genauso schnell und leise wieder in mein Zimmer. Meinen Vater aufzuwecken, wenn er einmal schlief, war ungefähr genauso schlimm, wie wenn er nicht mehr genug Bier in seiner Reichweite hatte. Es war die reiste Selbstmordaktion. Ich schloss meine Tür wieder und legte mich ins Bett. Auf dem Display meines Handys leuchtete mir eine grelle 2:37 entgegen und ich stöhnte kurz auf. Fuck! Morgen früh würde ich so tot sein.
Die gesamte Restwoche zog sich wie Kaugummi endlos lange hin und die einzig guten Momente waren die Mittagspausen, die ich mit Julian, Artur, Mike und Hannah gemeinsam verbrachte. Wir saßen draußen in der Sonne und erzählten uns von unseren Lehrern und Mitschülern, wenn sie unnötige oder witzige Kommentare gemacht hatten. Ansonsten saßen wir einfach nur nebeneinander, waren am Handy, zeigten uns immer mal wieder Bilder und Videos und hörten Musik.
Am Donnerstag hatten Hannah und ich früher Schluss, da unser gemeinsamer Mathekurs tragischer Weise ausgefallen war. Wir fuhren in den Tierpark, setzten uns ans Ufer des Landwehrkanals unter eine Linde und schrieben weiter an unserem Portfolio. Ich legte mich neben sie, schob meine Arme unter meinen Kopf und schloss die Augen.
„Gib mir mal dein Handy, dann kann ich die Fotos rüberziehen.", forderte mich Hannah auf und ich reichte es ihr, ohne meine Position zu verändern. „Gemütlich?", erkundigte sie sich und ich nickte.
Mein Klingelton ertönte und ich blinzelte in Hannah's Richtung. „Es ist Artur.", las sie vor und reichte mir mein Telefon, bevor sie weiter auf ihre Tastatur einhämmerte. Ich wischte den grünen Hörer nach links und hob es an mein Ohr.
„Was ist, Idiot.", begrüßte ich ihn.
„Haltet mal die Fresse, ich telefoniere." Hörte ich am anderen Ende der Leitung. Nach einem zehnminütigen Gespräch, das man ohne weiteres auf drei Minuten hätte verkürzen können, hatten Artur, Julian und wer auch sonst noch im Hintergrund war sich darauf geeinigt, dass wir uns in ein einer Stunde in der monkey bar treffen würden.
„Willst du später mitkommen?", fragte ich an Hannah gerichtet. Sie sah mich an und für den Bruchteil einer Sekunde wirkte sie verwirrt. Doch dann schüttelte sie den Kopf.
„Sorry, ich treffe mich später noch mit jemandem." Ich nickte und richtete mich wieder an Artur. Hannah nahm ihr Handy in die Hand und im Augenwinkeln nahm ich war, dass sie durch ein paar ihrer Nachrichten wischte. Plötzlich weiteten sich ihre Augen und sie starrte perplex auf einen Text. Ihre Hand, in der sie ihr Telefon hielt, begann zu zittern und es rutschte ihr aus der Hand. Sie starrte in die Leere und schnippte sich erneut mit dem Haargummi um ihr Handgelenk gegen den Arm, bis sie sich wieder fing.
Sie griff nach ihrem Handy, pfefferte es in ihre Tasche und schüttelte kurz den Kopf, bevor sie ein paar mal blinzelte und sich wieder unserer Arbeit widmete.
„Alter, hörst du mir zu?", beschwerte sich Artur an meinem Ohr jetzt.
„Ne, sorry. Verbindung war gerade schlecht. Was hast du gesagt?", antwortete ich schnell und er wiederholte seinen Satz.
„Ich habe gesagt, dass die Party, auf die wir gehen wollten, nächste Woche Freitag auf dem Teufelsberg ist." Dieser Junge lebte aber auch wirklich nur von Party zu Party. Das es auch noch andere, vielleicht wichtigere Dinge im Leben gab, ging irgendwie komplett an ihm vorbei.
„Ok, wollen wir da später drüber reden? Wir sehen uns.", beendete ich das Gespräch und Artur grummelte nur noch ein Ciao und legte auf.
„Kann ich dir noch irgendwie helfen? Ich will nicht, dass du die ganze Arbeit alleine machen musst.", bot ich an, doch Hannah reagierte nicht. „Blub?" Sie starrte weiterhin auf ihr Handy Display und nahm mich nicht im Geringsten wahr. „Hannah?" Jetzt erst drehte sie ihren Kopf in meine Richtung. „Ich hab gefragt, ob ich dir irgendwie helfen kann. Beim Schreiben, meine ich."
„Du kannst mal drüber lesen, ob es dir so gefällt.", sagte sie und reichte mir ihren Laptop. Der Text war genial geschrieben, das musste man ihr lassen. Nachdem ich fertig war, hielt ich ihr das Gerät wieder hin.
„Ich finde es super." Sie lächelte kurz, klappte ihn zu und stopfte ihn in ihre Tasche.
Ich sah auf mein Handy und stellte fest, dass es mittlerweile bereits halb fünf war.
„Ich denke, ich muss los. Ich muss noch mit jemandem sprechen.", sagte sie und stand auf. Ich tat es ihr gleich und schulterte meinen Rucksack.
„Na dann. Wir sehen uns Montag?" Sie nickte, verabschiedete sich und ging. Ich sah ihr nach und beobachtete, wie sie beinahe in eine Mutter mit Kind auf dem Fahrrad hineinlief und im letzten Moment gerade noch ausweichen konnte. Ich fragte mich, was gerade passiert war, dass sie so dermaßen durch den Wind war.
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