Rettung, oder?
Ich hörte ein leises Geräusch. Wie ein Klicken. So zart, dass ich es beinahe nicht bemerkt hätte. Langsam versuchte ich meine Augen zu öffnen, aber in meinem Kopf hämmerte der Schmerz so sehr, dass ich Angst hatte, mich dem grellen Licht zu stellen.
Als mich etwas an der Wange berührte, erschrak ich so sehr, dass ich geschrien hätte, wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte.
»Hey, hey, Süße. Ich bin's.« Die Stimme, die ich hörte, kam mir unheimlich bekannt vor, aber ich konnte sie nicht gleich zuordnen. Abgesehen davon, dass sie mich sofort mit Wärme füllte.
Ich versuchte wieder, meinen Kopf zu heben und diesmal gelang es mir, die Augen einen Spalt breit zu öffnen.
»Dean?« Ich fürchtete, dass mir meine Sinne einen Streich spielten. Vielleicht war ich so ausgelaugt, dass ich bereits halluzinierte. Wobei ich seine Stimme erkannte, jetzt da ich sie mit seinem Gesicht verknüpfen konnte. Aber woher konnte ich wissen, dass er wirklich hier war? Was war, wenn es nur ein Traum war?
»Ja! Cherry, komm schon. Du musst zu dir kommen!«
Ganz sanft strich er über meine Wangen, während er mein Gesicht anhob.
»Dean, bist du wirklich hier«, flüsterte ich und öffnete meine Augen vollständig.
Ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen, aber in seinen Augen loderte etwas. Etwas Dunkles und ich war mir sicher, dass es etwas mit Rache zu tun hatte.
»Ich bin hier und wir werden jetzt gehen.« Seine Hände lösten sich von meinen Wangen und sofort verließ mich die Wärme.
Dean zerrte an meinen Fesseln, aber die metallenen Schellen ließen sich nicht lösen.
»Verdammter Mist!«, knurrte Dean. »Okay, okay. Liebling, hör zu. Ich breche diese Scheißdinger jetzt auf. Du musst aber stillhalten, damit ich dir nicht weh tue.«
Ich nickte, bevor ich wieder schwach schmunzelte.
»Hast du mich gerade 'Liebling' genannt?«, krächzte ich und mein Lachen klang eher wie ein Husten.
»Schön, dass du dich über mich lustig machen kannst!« Dean wollte sicher nicht amüsiert klingen, aber genau das war der Fall und es gab mir Zuversicht. Wenn er so locker war, musste es doch mindestens eine winzige Möglichkeit geben, hier leben herauszukommen.
Für einen Moment kroch mir doch wieder die Angst den Nacken hoch, als Dean kurz aus meinem Blickfeld verschwand. Desto größer war die Erleichterung, als er mit einem Zangenähnlichen Werkzeug wiederkam.
»Halt still, Cherry«, betonte er nochmals. Dabei war das gar nicht nötig, denn ich konnte mich ohnehin nicht von der Stelle rühren.
Dean machte ein paar Handgriffe, was erstaunlich war angesichts der Tatsache, dass es sich um irgendein Engelsmetall handelte.
In dem Moment, als alle Fesseln gelöst waren, fühlte ich mich plötzlich leichter. So als wäre eine riesige Last von mir genommen.
Ich streckte meine Arme aus und ließ mich von Dean in seine ziehen.
»Ich bin so froh, dass ihr am Leben seid!«
»Ich bin froh, dass du da bist!«, entgegnete ich und untertrieb damit maßlos.
All die Gefühle, die mich in dem Moment durchströmten, konnten nicht in Worte gefasst werden.
»Jetzt bringen wir dich erstmal hier raus«, sagte Dean hastig, legte meinen Arm über seine Schultern und umgriff meine Taille.
Mit einem kräftigen Ruck zog er mich von dem Stuhl hoch auf die Füße.
»Komm schon, Cherry. Wir müssen uns beeilen«, drängte er.
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, murmelte ich.
Die Worte klangen verwaschen und ich fühlte mich so unendlich müde. Die Engel hatten mir jegliche Energie entzogen. Nichts war mehr übrig, um mich auf den Beinen zu halten. Da war ich mir sicher.
»Und ob du das schaffst. Los, einen Schritt nach dem anderen.« Dean zog mich mehr mit sich, als dass ich selber lief.
Meine Beine waren bleiern und einzig und allein der Gedanke daran, dass unser Sohn bald in Sicherheit sein konnte, hielt mich überhaupt bei Bewusstsein.
»Du machst das großartig. Komm schon, immer weiter.«
Gerade als Dean die Tür hinaus aus meinem Gefängnis öffnen wollte, brach davor die Hölle los.
Engel riefen Befehle und Schreie drangen zu uns herein.
Dean wandte sich mir zu und hielt mich an den Schultern. Sein Blick ließ bereits keine Widerworte zu und ich blieb muksmäuschen still.
»Pass auf Cherry. Wir kriegen euch hier heraus. Allerdings musst du jetzt wirklich selber laufen. Ich weiß, dass du das kannst. Ich habe dich die ganze Zeit schon für deine Stärke bewundert. Also reiß dich zusammen.«
Dean hatte recht. Ich war kein kleiner Jammerlappen, der beim ersten Anzeichen von Widerstand aufgab. Ich war stark. Und ich musste es auch sein. Für unseren Sohn, für Dean und für Sam, der dort draußen vermutlich nicht mehr lange durchhielt, wenn wir ihm nicht halfen.
Ich presste die Lippen aufeinander und nickte.
»Okay, dann los«, stieß ich so kraftvoll wie möglich aus.
Wahrscheinlich klang es nicht halb so fest, wie ich es gern gehabt hätte. Aber Deans Blick wurde sanfter. Auch er nickte kurz, reichte mir eine Engelsklinge und legte dann die Hand auf die silbrig glänzende Türklinke, die ich seit gefühlten Wochen angestarrt hatte. In der Hoffnung, sie würde heruntergedrückt werden und derjenige würde mich befreien.
Nun war es soweit und eine kühle Ruhe empfing mich.
Diese geflügelten Bastarde würden es bereuen, dass sie versucht hatten, mir mein Kind wegzunehmen.
»Hast du noch eine Engelsklinge?«, fragte ich ihn.
Ein Grinsen huschte über Deans Gesicht, als er seine Jacke hob und eine Klinge darunter hervorholte. »Wir schaffen das, klar? Eine Alternative gibt es nicht. Ich werde dich nicht verlieren.«
Ich umgriff das kühle Metall zwischen meinen Fingern fester und die Entschlossenheit umfing mich. Seine Worte hüllten mich ein wie ein Schutzschild. Mit Dean an meiner Seite fühlte ich mich so sicher wie nie zuvor.
Ich nickte ihm erneut zu und hielt die Engelsklinge bereit zum ersten Schlag.
»Das ist meine Kleine«, bemerkte Dean grinsend und öffnete schließlich die Tür.
Als wir nebeneinander heraustraten, bot sich ein Anblick, den ich so nicht erwartet hatte.
Sam stand zwischen einigen toten Engeln. Direkt gegenüber von Castiel. Beide hatten eine Engelsklinge auf den jeweils anderen gerichtet.
»Was ist hier los?«, stellte Dean die entscheidende Frage.
»Cas hat uns verraten. Nur deshalb wussten die Engel, dass wir kommen und deshalb wussten sie auch, wo sie Sherin finden«, berichtete Sam.
Deans Blick glitt in meine Richtung. Ich brauchte nichts weiter sagen, denn er schien auch so zu verstehen.
»Dean, bitte. So war das nicht«, begann der Engel, aber der ältere Winchester ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen.
Er stellte wohl gerade fest, dass er sich gehörig verbrannt hatte, als er die Hand für den Engel ins Feuer gehalten hatte.
»Du hast unseren Sohn in Gefahr gebracht! Und meine Freundin dieser Qual ausgesetzt. Was stimmt nicht mit dir?«, brüllte Dean über den hellen Flur.
Genau in der Sekunde erklang eine mir nur zu bekannte Stimme hinter Castiel.
»Na na na, sei mal nicht zu hart zu dem guten Castiel. An das meiste erinnert er sich ohnehin nicht.«
»Naomi«, flüsterte ich erschrocken und erkannte, dass uns eine Flucht wohl kaum mehr möglich war.
»Sherin, wie schön, dass der Vater des Kindes doch zu dir hält. Findest du nicht? Das kommt heute zu Tage nicht mehr oft vor bei ungewollten Schwangerschaften. «
Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Engel von höherem Rang waren sehr wohl in der Lage, emotionaler zu sein, als ein Engel von Castiels Rang.
»Du bist Naomi?«, fragte Dean zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Ganz recht. So ist es. Ich befehle eine Engelsgarnison und mein Auftrag ist es, euer Kind sicherzustellen. Der Kleine könnte von großem Nutzen für uns sein. Ich bin Castiel sehr dankbar dafür, dass er uns ermöglicht hat, Sherin wieder zu finden. Diese kleine Person war wirklich nicht so leicht aufzutreiben. Wobei ihr Castiel nicht verurteilen solltet. Er wusste gar nicht, dass er mir geholfen hat.«
Ihr Lächeln war kalt und ihre Worte ließen mich frösteln. Das war nun auch neu für mich.
»Wie sollen wir das jetzt verstehen, du Miststück?« Deans Augen funkelten wild.
Sam hatte sich inzwischen etwas vor mir platziert, sodass die beiden mich unmerklich immer mehr vor Naomi und Castiel abschirmten.
»Castiel erinnert sich nicht mehr daran, dass er mir geholfen hat und sagen wir es so: anders hätte er es auch nicht getan. Dummer kleiner Engel.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Immerhin haben wir so bekommen, was wir brauchten. Sherin, komm doch bitte her damit niemand mehr zu Schaden kommen muss.«
Gerade als Naomi die Hand nach mir ausstreckte, sah ich das Blitzen einer Engelsklingel in Castiels Jackenärmel. Sein Blick war finster. Nur Sekunden später hob er die Klinge und versuchte sie Naomi direkt in den Rücken zu rammen.
Aber der hochrangige Engel parierte den Angriff mit ihrer Klinge und hielt dagegen.
Castiels Blick heftete sich auf uns. »Lauft! Nehmt die gleiche Tür, durch die wir hereingekommen sind!«
Wir - Castiel musste Sam und Dean also hergebracht haben. Klar, wie sollten sie auch anders in den Himmel gelangt sein?
Ich brauchte einen Moment, ehe ich mich überhaupt bewegen konnte und ich befürchtete, dass wegrennen schon gar nicht in Frage kam.
»Sam«, rief Dean eindringlich, als die beiden schon an mir vorbeigestürmt waren.
Der jüngere Bruder drehte sich um und verstand sofort.
»Ich hoffe, ich tue dir jetzt nicht weh«, sagte Sam ehe er einen Arm um meine Taille und den anderen hinter meine Beine legte.
Mit einem kräftigen Ruck hob er mich hoch und rannte los.
Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Augenblick tummelten sich ein Haufen Engel in dem steril weißen, hellen Gang.
Dean öffnete eine Tür am Ende des Ganges und Sam trug mich hindurch, ehe ich auch nur mit der Wimper zucken konnte.
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