Enttäuschung und Tränen
Es gab eine riesige Diskussion, ob ich in der Lage war, selbst zu fahren. Letztlich konnte ich Dean davon überzeugen, dass es mir gut ging und ich sehr wohl Autofahren konnte. Er dagegen wirkte alles andere als dazu in der Lage den Impala zu fahren. Er war immer noch sehr durcheinander und zu aufgewühlt, um auch nur den Schlüssel ins Zündschloss zu schieben. Dazu kam, dass er sich vor nicht einmal zehn Minuten den zweiten doppelten Whisky genehmigt hatte.
Allerdings musste ich gar nichts sagen, denn er entschied selbst, dass er Sam fahren ließ und sich auf meinem Beifahrersitz breit machte.
Sam bekam seinen Mund kaum zu, als Dean die Beifahrertür meines Wagens öffnete.
Vielleicht war das gar nicht so übel. So konnten wir nochmal ganz in Ruhe über die Sache sprechen. Dachte ich zumindest, bis der Engel sich meinem Wagen näherte.
Aber gerade als Castiel die Tür zur Rücksitzbank öffnen wollte, hörte ich Dean mit scharfem Ton zischen. »Cas, du fährst mit Sam!«
Verblüfft sah der Engel den älteren der beiden Brüder an. »Aber ich dachte...«
»Keine Widerrede.« Dean erwiderte seinen Blick fest und nickte dann kaum merklich in meine Richtung, eher er die Augen verdrehte.
Offenbar war Castiel nicht besonders gut darin, non-verbale Signale zu deuten.
Mit gerunzelter Stirn willigte er schließlich trotzdem ein und trottete zu dem Impala.
Seufzend und inzwischen doch recht müde ließ ich mich auf den Fahrersitz fallen. Vielleicht musste Dean nach halber Strecke übernehmen, aber erstmal wollte ich ihm den Sieg nicht so einfach überlassen. Ich konnte fahren und damit basta.
»Dean, ich...«, gerade als ich die Stille zwischen uns nach ein paar Meilen brechen wollte, ergriff auch er das Wort.
»Ich verstehe nicht, warum du es nicht gleich gesagt hast.« Er starrte stur aus dem Beifahrerfenster und sprach mehr mit der Welt da draußen als mit.
Da war sie also. Die Wut, die Enttäuschung, alles mit dem ich schon vor einer Stunde gerechnet hatte. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Er hatte jedes Recht dazu, mich zu hassen.
»Es tut mir leid. Du kannst dir nicht vorstellen, wie fassungslos ich war, als ich den ersten Test gemacht hatte. Ich habe gleich noch drei andere gemacht, falls es sich doch um einen Irrtum gehandelt hätte. Und ich habe es dir nicht sofort gesagt, weil ich dir nicht noch zusätzliche Probleme machen wollte.«
So plötzlich sich Dean mir zu wandte, so stark schrak ich zusammen. Beinahe hätte ich das Lenkrad verrissen.
»Meine Güte, Dean!«
»Nenn' unseren Sohn nicht Problem. Niemals, klar?« Sein Blick war noch wütender als zuvor und ich bekam eine Gänsehaut angesichts dieses Gesichtsausdrucks.
»Entschuldige, so war das nicht gemeint«, krächzte ich und spürte die Tränen in meine Augen steigen. Verdammt seien diese dämlichen Hormone. Sonst wäre ich sicher nicht so eine Heulsuse. Natürlich hielt ich unseren Sohn nicht für ein Problem!
»Was ich damit sagen will ist, dass wir beide Schuld daran tragen, dass wir in dieser Situation sind. Er kann absolut nichts dafür und wenn ich es eher gewusst hätte, dann hätte ich für ihn gesorgt, Sherin.« Seine Stimme klang schon wieder etwas versöhnlicher, aber die unterschwellige Wut war trotzdem nicht zu überhören. Und es schmerzte mich, dass er nur von dem ungeborenen Kind sprach. Aber was machte ich mir vor? Dean und ich kannten uns kaum. Deshalb war es nur selbstverständlich, dass es ihm hauptsächlich um unseren Sohn ging. Außerdem hatte ich ihn offensichtlich ziemlich verletzt. Ich konnte also nicht erwarten, dass er mich mit offenen Armen empfing.
»Ich weiß, ich wusste doch nur selbst noch nicht, was aus der ganzen Sache wird. Ich war wirklich selten mit etwas so überfordert wie mit dieser Situation. Und genau das wollte ich dir ersparen. Als dann die Engel an meine Tür klopften, bin ich ausgetickt. Ich bin gerade so entkommen, aber ich schaffe das nicht allein, Dean. Das ist eine Tatsache, die ich gern ignoriert hätte, aber das könnte nicht nur mich das Leben kosten und deshalb bin ich hier.« Ich versuchte krampfhaft, mich auf die Straße zu konzentrieren. Was gar nicht so leicht war, mit den Tränen in den Augen und dem Chaos in meinem Kopf.
»Willst du damit sagen, wenn die Engel ihn nicht haben wollten, hätte ich nie etwas von ihm gewusst?« Die Fassungslosigkeit war Dean ins Gesicht geschrieben, als er die richtigen Schlüsse zog.
Ich nickte und schluckte schwer. Am liebsten hätte ich das alles mit mir selbst ausgemacht. So wie immer. Aber unseren Sohn allein zu schützen war im Moment eine Aufgabe, die definitiv eine Nummer zu groß für mich war. Ich brauchte Dean an meiner Seite.
Besagter warf die Hände in die Luft und wischte sich dann übers Gesicht. »Du bist echt unglaublich!«
Seine Stimme klang erschöpft und normalerweise hätte ich jetzt etwas gekontert, dass die Stimmung gelockert hätte, aber heute fiel mir absolut nichts dazu ein.
Ich wollte mich zum wiederholten Mal entschuldigen, aber ich glaubte nicht, dass das einen Sinn gehabt hätte. Deshalb schwiegen wir, abgesehen von den gelegentlichen Richtungsanweisungen durch Dean. Richtig erinnern konnte ich mich an den Weg zum Bunker nämlich nicht mehr.
»Da vorn rechts abbiegen und dann sind wir da«, murmelte Dean nach einer Stunde beharrlichen Schweigens.
»Können wir jetzt nochmal in Ruhe reden?«, fragte ich, als ich den Wagen in die Tiefgarage gesteuert hatte.
»Ich kann das jetzt nicht Sherin«, entgegnete Dean, stieg aus und ging ohne zu warten in den Bunker. Direkt an Sam und Castiel vorbei.
Ich dagegen blieb im Wagen sitzen und konnte ihm nur im Rückspiegel dabei zusehen.
»Hey Sherin, komm ich zeige dir ein Zimmer, wo du dich etwas ausruhen kannst.« Ich hatte nicht bemerkt, dass Sam die Fahrertür geöffnet und mir seine Hand auf die Schulter gelegt hatte.
Mein Nicken war mechanisch und ich stieg wie ferngesteuert aus meinem Wagen aus.
Ich hatte mich darauf vorbereitet, dass es schlimm werden würde. Die Heftigkeit, mit der Deans Reaktion mich traf, riss mir jedoch den Boden unter den Füßen weg.
Langsam schob ich mich aus meinem Civic und ließ mich von Sam gestützt in den Bunker bringen.
Er brachte mich in ein spärlich eingerichtetes Zimmer, in dem nur ein Bett, ein Nachtschrank und ein Schreibtisch standen und setzte mich auf der alten Matratze ab.
»Willst du etwas trinken? Einen Tee vielleicht zur Beruhigung?«, fragte er und war schon auf halben Weg zur Tür.
Ich nickte und biss mir auf die Innenseite meiner Wange, um zu verhindern, dass ein Schluchzen aus meinem Mund drang.
Aber kaum, dass Sam beim Hinausgehen die Tür hinter sich geschlossen hatte, begannen die Tränen zu laufen.
Ich ließ mich seitlich auf das Bett sinken, zog die Füße an und legte die Arme um meinen Bauch.
Ein, zwei kleine Schluchzer schüttelten mich, ehe ich wieder zu Verstand kam. Was hatte ich schon erwartet? Dass wir eine glückliche kleine Familie wurden? Das war wohl kaum möglich. Dennoch hoffte ich sehr, dass er mir irgendwann verzeihen konnte. Denn auch wenn ich es nur sehr ungern zugab, empfand ich weitaus mehr für diesen Mann, als es für uns alle gut war.
Ein leises Klopfen an der Tür holte mich nach etwa zehn Minuten des stillen Weinens wieder in die Realität zurück. Langsam richtete ich mich auf, schniefte, und wischte hastig über mein verheultes Gesicht.
»Ja«, rief ich krächzend.
Meine Stimme wollte wohl nicht leugnen, was für ein Weichei ich war.
»Hey, darf ich reinkommen?« Zu meinem Erstaunen war es nicht Sam, der seinen Kopf durch den Türspalt steckte.
Ich nickte und starrte auf meine Hände in meinem Schoß. »Klar, es ist dein Zuhause.«
Dean betrat das Zimmer, als würde er auf rohen Eiern laufen.
Er stellte die Tasse mit dem dampfenden Tee auf den Tisch. »Kamillentee. Sammy sagt, das wäre jetzt gut für dich.«
Auch Deans Stimme klang anders. Weich und verletzt. Nicht mehr so hart und abweisend, wie vor einer halben Stunde.
»Dean, ich...«, begann ich aber er hob abwehrend die Hand.
»Sag bitte erstmal nichts.«
Ich nickte, während die Tränen weiter ihren Weg über meine Wangen fanden.
»Ich verstehe eventuell sogar ein wenig, dass du es mir nicht eher gesagt hast. Aber als ich dir geschrieben habe, einfach weil ich wissen wollte, ob du noch lebst - Warum hast du nicht geantwortet?«
Ich schluckte. War es nicht offensichtlich? Wenn ich geantwortet hätte, hätte mich das in einen ewigen Strudel aus Gefühlen geworfen.
Das schlechte Gewissen, weil ich ihm verschwiegen hatten, was er eigentlich längst hätte erfahren sollen. Dieses merkwürdige Kribbeln, das der Gedanke an ihn in mir freisetzte. Die Versuchung, ihn anzurufen und zu bitten zu mir zu kommen und mich nie wieder gehen zu lassen. Aber anstatt ihm das alles zu sagen, zuckte ich mit den Schultern.
»Ich konnte es nicht. Ich wusste ja selbst kaum mit der Situation umzugehen.«
Jetzt war es an Dean zu nicken.
»Gab es einen Punkt, an dem du darüber nachgedacht hast, dich gegen das Kind zu entscheiden?«, fragte er vollkommen ernst und überraschte mich damit.
Tief luftholend entschied ich mich, ihn für diese Antwort direkt anzusehen.
»Ja, für ein paar Tage habe ich daran gedacht. Es wäre besser für jeden von uns gewesen.« Ich strich abwesend über meinen Bauch und senkte den Blick erneut.
Deans geweitete Augen sprachen für sich. Offensichtlich begeisterte ihn meine Antwort überhaupt nicht.
»Das verstehe ich«, entgegnete er wider meine Erwartung. »Warum hast du dich dann doch dafür entschieden?«
Erstaunt richtete ich meinen Blick wieder auf ihn. »Ich konnte es nicht aufgeben. So sehr ich mir auch wünschen würde, niemanden mehr in Gefahr zu bringen, wollte ich den Kleinen unbedingt kennenlernen. Außerdem ist er auch ein Teil von dir und - es kam mir einfach nicht richtig vor.«
Und dennoch würde ich unserem Sohn nie ein sicheres und normales Zuhause geben können. Ich hatte ihn dazu verdammt, ein genauso einsames und schmerzvolles Leben zu leben, wie es seine Eltern bereits taten und eigentlich war es genau das Gegenteil von dem, was sich eine gute Mutter für ihr Kind wünschen sollte.
»Ich bin froh, dass du dich so entschieden hast.« Dean legte seine Hand auf meine, die noch immer auf meinem Bauch lag.
Es war eine so intime Geste, dass ich erschauderte.
»Dean, es tut mir wirklich so leid! Ich hätte es dir viel eher sagen müssen, aber ich hatte Angst.« Endlich gestand ich es mir selbst ein.
Ich hatte Angst. Davor, selbst verletzt zu werden. Angst, dass Dean mich für immer aus seinem Leben streichen würde. Angst, meine Chance auf ein winziges bisschen Geborgenheit, die mir die Brüder hatten zu teil werden lassen, zu verlieren, weil ich einen dummen Fehler gemacht hatte. Außerdem hatte ich Angst gehabt, Dean die Wahrheit zu sagen, weil es dann so real wurde und das hatte ich so lange wie möglich hinauszögern wollen. Aus reinem Egoismus hatte ich gehandelt und aus Egoismus und Sorge um unser Kind, hatte ich ihn dann schließlich doch angerufen.
»Wovor hattest du Angst?«, fragte er. »Vor mir?«
Sein Blick durchbohrte mich und ich fühlte mich unendlich klein. Langsam schüttelte ich den Kopf.
»Nicht vor dir. Viel mehr davor, dass es plötzlich real wird, wenn ich es dir sage. Allerdings haben mir die Engel das schon abgenommen. Dann kam die Angst dazu, ihn zu verlieren.«
»Ich werde euch beschützen. Niemand wird meinem Sohn etwas tun und wenn ich diesen geflügelten Mistkerlen eigenhändig die Federn ausreiße.« Deans Stimme klang eisig und eine Gänsehaut kroch meinen Nacken hoch. Ich war mir sicher, dass es nicht nur eine Floskel war. Er würde wirklich alles tun, um den Kleinen zu schützen.
»Und du sagst, sie können mich hier nicht finden?«
Dean nickte. »Nichts Übernatürliches kann hier hinein und die Sigillen schützen dich noch zusätzlich.«
Trotzdem nagte noch immer ein Gedanke an mir, der mich sicher nicht so schnell losließ.
»Und was ist mit Castiel? Er ist ein Engel, Dean. Was ist, wenn er doch irgendwie mit drinhängt? Er könnte Naomi verraten, wo ich bin.«
Dean runzelte die Stirn, ehe er den Kopf schüttelte.
»Wer ist Naomi?«, fragte er.
»Ein Engel. Sie hat mir ihr Angebot unterbreitet, wie sie es genannt hatte. Sein Leben für meins oder unser beider Vernichtung.« Dabei schaue ich auf meinen Bauch, auf dem noch immer Deans Hand verschränkt mit meiner ruht.
»Ich werde Cas nach ihr fragen. Mach dir keine Sorgen. Er wird nichts tun, was meinen Sohn gefährdet.«
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