Auf Nimmerwiedersehen?
Der Abschied am Morgen verlief heimlich, still und leise. In aller Herrgottsfrühe raffte ich mein Zeug zusammen, lud es möglichst leise in meinen Civic und fuhr ohne ein Wort des Abschieds. Ich hatte noch keine Ahnung wohin, aber ich musste einfach Abstand zwischen Dean und mich bringen. Denn ich befürchtete, dass ich sonst meiner eigenen Aussage widersprechen würde.
Ich erwartete nichts von Dean. Das war auch noch weiterhin so, aber mein Körper und vielleicht auch meine Sehnsucht nach Geborgenheit dachten da ein wenig anders. In der letzten Nacht hatte ich keine Alpträume gehabt und das hatte vermutlich nicht ausschließlich an den Schmerzmitteln gelegen. Ich hatte mich außerdem lange nicht mehr so wohl gefühlt. Nachdem Dean Dinge mit mir gemacht hatte, die ich nicht mal aussprechen konnte, ohne zu erröten, haben wir noch eine Weile geredet, bevor er mich wieder geradewegs in den Himmel befördert hatte.
Dadurch verstand ich nun auch, warum er auf mein Angebot ihnen zu helfen, so abweisend reagiert hatte. Viele ihrer Freunde waren umgekommen, weil sie einen Fehler ausgebügelt hatte, den die Brüder begangen hatten. Es hatte ganz offensichtlich mit der Abwendung der Apokalypse zu tun gehabt. Ich glaubte, dass noch wesentlich mehr dahintersteckte, aber er wollte nicht weiter mit der Sprache herausrücken. Vermutlich dachte er sogar, dass ich über all das im Bilde war, aber weil ich am liebsten allein arbeitet, bekam ich nur sporadische Informationen von anderen Jägern. Jedenfalls wollte er mich vor eben jenem Schicksal bewahren, auch ein Opfer ihres Fluchs zu werden, wie er es nannte, indem er mich zurückgewiesen hatte.
Vermutlich wäre es auch besser gewesen, wenn er es dabei belassen hätte. Allerdings nicht, weil er mich verletzt oder in Lebensgefahr gebracht hatte, sondern weil er mir für diese Nacht etwas gegeben hatte, dass ich von nun an wieder sehr schmerzlich vermissen würde. Er hatte mir zugehört, hatte sich für mich interessiert und mir Zuwendung geschenkt. Denn im Gegenzug für seine Ehrlichkeit, hatte ich ihm erzählt, dass mein Vater bei einem Fall ums Leben gekommen war, den wir beide gemeinsam bearbeitet hatten. Ich hatte zusehen müssen, wie er zerfetzt wurde und war nicht in der Lage gewesen, etwas dagegen zu unternehmen. Ich hielt es mich noch immer vor, dass ich so schwach gewesen war. Ich würde es nie wieder sein. Das hatte ich mir geschworen.
Wir wurden damals auf sehr brutale Morde aufmerksam, bei denen Teile der Leichen gefressen wurden. Es hatte sich herausgestellt, dass es sich um einen Rugaru gehandelt hatte. Dummerweise hatte mein Vater die Kraft dieser Dinger unterschätzt. Die Falle, die wir gestellt hatten, brach noch bevor er das Monster hatte in Brand setzen können. Ich hatte in einem Baum gesessen, weil mein Vater nicht gewollte hatte, dass ich mich in Gefahr brachte. Der Rugaru sprang aus unserer Falle direkt an die Kehle meines Vaters und riss mit seinen fauligen Zähnen ein Riesenstück aus ihm heraus. Das gurgelnde Geräusch, dass meinem Vater kurz darauf entwichen war, verfolgte mich noch immer, wenn vollkommene Stille herrschte. Genauso wie sich das widerliche Schmatzen des Rugarus in meinem Hirn festgesetzt hatte. Überall war Blut verteilt und ich wie gelähmt gewesen. Nicht aus Angst, aber der Schock saß tief. Mein Vater, der immer alles gemeistert hatte - der mir alles beigebracht hatte, was ich wusste, sackte einfach in sich zusammen. Mit starrem Blick lag er auf dem Boden des Parks in dem wir uns befanden.
Das Monster hatte ihn fast zur Hälfte verspeist, als ich mich endlich rühren konnte und beinahe hätte es mich auch erwischt, hätte ich nicht das Sturmfeuerzeug in meiner Tasche zu fassen bekommen. Bis zum Morgengrauen hatte ich neben meinem Vater in seinem Blut gesessen. Ich hatte nicht geweint. Ich hatte es nicht gekonnt. Es war meine Schuld gewesen, dass er es nicht überlebt hätte. Wenn ich früher reagiert hätte, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen. An dem Morgen hatte ich mir geschworen, dass ich nur noch allein arbeiten würde. Es war also auch eine Art Selbstschutz. Ich wollte so etwas nicht noch einmal erleben müssen und es auch niemand anderem zumuten, falls es mir zustieß.
Deshalb hätte ich Dean unter dem Bann des Hexenbeutels auch niemals in dem Motelzimmer allein gelassen. Es musste immer einen Weg geben, die Menschen zu retten und solange das so war, wollte ich es auch tun. Selbst wenn ich selbst Gefahr lief verletzt zu werden. Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn Dean etwas passiert wäre, weil ich zu schwach gewesen war, um etwas zu tun. Er sah die Dinge ähnlich, weswegen er sich unheimliche Vorwürfe gemacht hatte, mich so verletzt zu haben. Dabei waren seine Finger immer wieder über die Würgemahle und an meine Schläfe entlang gestrichen. Sein Blick war traurig gewesen, aber ich hatte ihm versichert, dass es das geringste Übel für mich war - und auch für ihn.
So hatten Dean und ich uns gegenseitig Trost gespendet und Halt gegeben. Dummerweise hatte ich eine Verbindung gespürt, die nicht da sein sollte. Denn das konnte uns beide in Gefahr bringen. Deshalb hatte ich mich ohne ein Wort verdrückt. Alles andere hätte es mir zu schwer gemacht. Und dennoch war ich dankbar dafür, dass er mich für ein paar Stunden hatte vergessen lassen, was ich war, was für ein Leben ich führte und immer führen würde. Denn zu nichts anderem war ich mehr fähig.
Ich wusste nicht genau, ob ich es mir nur eingebildet hatte, aber kurz bevor ich eingeschlafen war, hatte ich Dean summen hören. Ich kannte das Lied, es war ein alter Rocksong, der auch öfter noch im Radio lief. Leider erinnerte ich mich nicht an den Namen der Band, aber eine paar Zeilen aus dem Song ging mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf.
»Feels like the first time
Like we've opened up the door
Feels like the first time
Like it never will again«
Jetzt war ich auf dem Freeway in Richtung Wyoming und summte genau jenes Lied mit einer Schwere im Herzen, die ich gehofft hatte, verdrängen zu können. Denn schon mitten in der Nacht war mir klar geworden, dass ich einen folgenschweren Fehler begangen hatte, als ich mich auf Dean Winchester eingelassen hatte.
In mir manifestierte sich nämlich bereits die hartnäckige Hoffnung, dass Dean Wort hielt und es wirklich nicht das letzte Mal war, dass wir uns gesehen hatten. Nur war das mit der Hoffnung immer so ein Ding. Meistens wurde sie schneller zerstört als man gedacht hätte.
҉
Dean wurde von dem Geräusch eines anspringenden Motors geweckt. Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo er sich eigentlich befand. Noch im Halbschlaf drehte er sich im Bett um und stellte fest, dass etwas fehlte. In der Nacht war es noch dagewesen, da war er sich sicher. Aber in seinem duseligen Kopf wusste er nicht sofort, was es war. Bis sich die Erinnerung einschlich.
Ihre Hände auf seinem Körper, ihre Lippen an seiner Haut, ihr heißer Atem auf seinen Lippen. Wie sie sich in seinen Händen angefühlt hatte, wie er durch ihr Haar gestrichen hatte. Ihre Stimme direkt an seinem Ohr. Sofort regte sich etwas in ihm. Sherin.
Hastig richtete er sich in dem klapprigen Bett des Motelzimmers auf und sah sich um. Im schummrigen Licht der Morgendämmerung konnte er nicht viel erkennen, aber weder neben ihm noch in dem zweiten Bett lag sie.
»Sherin?«, fragte er in die Stille des Zimmers hinein.
Keine Antwort.
Dean stand auf, zog sich ein T-Shirt über und öffnete die Tür zum Bad, dabei wusste er eigentlich schon längst, dass sie nicht dort sein würde. Seine Vermutung bestätigte sich, als er den Vorhang vor dem Fenster zum Hof mit einem Finger ein Stück zur Seite zog. Der kleine silberne Civic war vom Parkplatz verschwunden und damit auch seine Hoffnung, Sherin heute noch einmal zu sehen.
Normalerweise war er derjenige, der sich am nächsten Morgen einfach davonmachte. So herum war es ihm bisher noch nie passiert, aber das war nicht der Grund warum er sich nicht gerade gut bei der Sache fühlte.
Er hatte ihre Gesellschaft mehr genossen, als es ihm recht gewesen wäre. Aber so war es das Beste für sie beide, so viel war sicher. Also sollte er Sherin vermutlich sogar dankbar sein, für das was sie da gerade getan hatte. Er duschte, zog sich an und beschloss Sam zu wecken, damit sie frühstücken konnten.
Dean fuhr bereits auf den Parkplatz des Diners als Sam die Stille zwischen ihnen durchbrach.
»Summst du Foreigner?« Die Frage klang fast ein wenig anklagend, was Dean hellhörig werden ließ.
»Ja, ist ein guter Song«, antwortete er mit hochgezogener Augenbraue.
»Alter, das ist totaler Kuschelrock.« Sam lachte und legte die Stirn in Falten, was Dean nicht gerade begeisterte.
»So ein Blödsinn. Das ist guter alter Rock und jetzt lass mich in Ruhe«, brummte er und schaltete den Motor aus.
»Ich sag schon nichts mehr.« Sam grinste immer noch. »Hat bestimmt auch gar nichts mit Sherin zu tun. Ich meine, ihr habt euch ja scheinbar doch ganz gut verstanden. Sie war also wirklich deiner Meinung.«
Dean war inzwischen ausgestiegen und schlug die Tür des Impalas zu.
»Wann ist sie denn gefahren?«, begann Sam ihn zu löchern, aber Dean wollte gar nicht erst darauf eingehen.
»Im Morgengrauen. Könnten wir es jetzt dabei belassen?«
Sam zuckte mit den Schultern und hielt ihm die Tür zum Diner auf. »Wenn du meinst.«
Das dämliche Grinsen war Sam wie im Gesicht festgewachsen.
Dean seufzte, setzte sich auf die Bank des erstbesten Tisches und hoffte, dass das Thema Sherin damit erstmal beendet war. Sie ging ihm so schon den ganzen Morgen nicht aus dem Kopf, da musste Sammy nicht auch noch drauf herumreiten.
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