
24 - Metanoia
"Ja dein Sohn ist ein verdammter Feigling!
Gerade, wo sich alles bessert, will er vor allem und jeden wegrennen! Ich kann nicht anders... ich... ich... habe Angst..."
Er nahm tief Luft, bevor er weiter an die Staubwolken gerichtet redete: "Ich habe Angst, den nächsten Menschen in meinem Leben zu verlieren! Ich habe auch Angst davor, im Leben zu versagen!
Ich gebe ja mein Bestes, aber all meine Mühen scheinen für nichts zu sein... ich mache nur ständig Fehler! Und das habe ich satt!"
Dai fühlte, wie der Kloss in seinem Hals grösser und seine Stimme zerbrechlicher wurde. Aber dennoch schaffte er es, seine Gedanken zu Ende zu sprechen: "Ich habe Angst zu LEBEN, Vater."
Der Staub um ihn herum verdichtete sich und sperrte ihm die Sicht.
Dai hielt schützend seine Arme um seinen Kopf und vergrub sein Gesicht darin.
Aber der Wind war einfach zu stark.
Dai war gezwungen, seine Augen zu schliessen.
Gleich darauf wurde er von einer unbändigen Kraft in den Boden gedrückt.
Dai klammerte sich am staubigen Boden fest und hoffte inständig, dass dieser Sturm aufhörte.
Tatsächlich, als hätte er Dais Bitten erhört, gab der Wind nach paar Minuten nach.
Dai öffnete langsam seine Augen.
Der Staub lichtete sich und dunkelrote Wände kamen zum Vorschein.
Der Junge stand augenblicklich auf.
Er realisierte, dass er in einem bekannten Zimmer gelandet war.
In das Zimmer von Makaira, seiner Mutter.
"Wieso bin ich hier gelandet?"
Dai kratzte sich verwirrt am Kopf und sah sich in der veränderten Umgebung um.
Eine kleine Tischlampe stand als einzige Lichtquelle mitten im Zimmer.
Dai schritt langsam näher und konnte im Schein des Lichtes das Gesicht seiner Mutter erkennen.
Sie schlief unruhig auf dem Sofa.
Ihr ganzer Körper zitterte und ihre Lippen bebten.
"Sie hat kalt... Verdammt, wo ist ihre Decke?"
Dai wollte schon auf sie zugehen, als plötzlich die Türe aufging und er sein jüngeres Ich am Türrahmen entdeckte.
Dai wollte sich zuerst verstecken, realisierte aber schnell, dass der andere Dai ihn nicht sehen konnte.
Der jüngere Dai ging auf Zehenspitzen auf seine Mutter zu. Mit einer dicken Wolldecke in einem Arm haltend und einen alten Teddybären im anderem gestemmt, kam er bei ihr an und beugte sich leicht vor ihr hin.
Er deckte sie zuerst liebevoll zu. Danach platzierte er den Bären vorsichtig zwischen ihren Händen.
Der Teddy gehörte ursprünglich seinem Vater, den er als Kindheitserinnerung aufbewahrt hatte. Jetzt diente er als Trostspender für Makaira.
Seine Mutter nahm den Teddy sofort an sich und fing unbewusst im Schlaf zu lächeln an.
Zufrieden stellte er die Lampe neben dem Sofa aus, schlich sich wieder aus dem Zimmer raus und schloss die Türe geräuschlos ab.
Dai erinnerte sich, dass diese Szene ein paar Monate nach dem Tod seines Vaters geschehen war. Damals lief noch das Gerichtsverfahren um das Geld der Lebensversicherung seines Vaters. Die Geschwister seines Vaters setzten teure Anwälte ein und schafften, den Gerichtsprozess zu verlangsamen. Da Makaira bis zum definitiven Urteil mit ihren eigenen Ersparnissen überleben musste, realisierte sie, dass das Geld längerfristig nicht ausreichte , um ihren bisherigen Lebensstil fortzuführen. Sie zogen aus ihrem alten Quartier in eine kleinere Wohnung ausserhalb der Stadt um.
Sie hatte die einzige Bettdecke, die sie noch hatten, an Dai vergeben, aber Dai wollte nicht zulassen, dass seine Mutter fror. So brachte er ihr jeden Abend heimlich seine Bettdecke, bis sie mit dem gewonnenen Versicherungsgeld wieder eins anschaffte.
"Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, dass ich so fürsorglich war... ich war doch nicht ein so schlechter Sohn, wie ich bis jetzt immer dachte..."
Als Dai in Gedanken versunken war, sah er plötzlich einen Basketball auf ihn zurollen. Er hob es auf und mustere ihn.
Es war der alte Basketball von Takeo.
Als er wieder aufsah, stand er plötzlich auf dem Sportplatz seiner Oberschule.
Die Sonne schien hell über dem Himmel.
Kleine Schneehaufen standen verteilt am Rande des Platzes.
Das Wetter deutete auf Anfang März hin.
Etwas weiter vor ihm entdeckte Dai sich selbst mit Takeo.
Er ging etwas näher auf sie zu, um die Konversation der beiden besser lauschen zu können.
"Ich werde das nie schaffen Bro, ich bin einfach zu schlecht!"
Takeo seufzte und wischte den Schweiss aus seiner Stirn weg.
"Das neue Team ist echt talentiert, weisst du das? Und da gibt es diesen Oshin, der auch den Captain-Position möchte..."
"Ja und? Es spielt doch keine Rolle, wie gut die anderen sind!", konnte Dai sich selbst sagen hören.
Der andere Dai stand mit einer Krücke, was darauf hindeutete, dass dieses Ereignis kurz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus passiert war.
Zu Dai's Überraschung, stand der andere Dai mit erhobenem Kopf und gerader Statur da.
In seinen Augen konnte man pure Entschlossenheit erkennen.
Dai musste bei diesem Anblick lachen. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, solches Feuer beim Trainieren von Takeo gehabt zu haben.
Takeo war mit dem Körbewerfen nicht vertraut, da es bis jetzt immer Dai für ihn erledigt hatte. Aber da sein altes Team aufgelöst wurde und ein Neues mit Allroundern gebildet wurde, musste er treffsicher werden, um auch als Allrounder ins Team aufgenommen und erneut den Captain-Position ergattern zu können.
"Ich will keine Ausreden von dir hören, Mann! Wir üben jetzt, bis du es geschafft hast! Auch wenn es bis zum Sonnenaufgang dauern sollte!", rief Dai und zeigte mit dem Finger zum Korb.
"Stell dir jetzt vor, das schwarze Viereck wäre ein Portrait von Enji und mitten dieses Vierrecks deine Liebe zu ihm. Beweise mir, dass du ihn liebst, verdammt nochmal!"
Takeo liess sich das nicht zwei Mal sagen. Voller Entschlossenheit nahm er den Ball fest in die Hand, warf ihn direkt auf das Korb zu und zielte!
Dai und Takeo sahen sich ungläubig an, machten ein High Five und hüpften voller Freude auf und ab, bis Dai's Prothese plötzlich rausfiel.
Er fiel rückwärts hin und riss Takeo mit sich.
Auf dem Boden angekommen, brachen die beiden in ein grosses Gelächter aus.
Dai konnte bei dem Anblick nicht aufhören zu grinsen.
Er hatte tatsächlich dazu beigetragen, dass Takeo Captain wird. Diese Position vertritt er sehr gut, da er mit seinem neuen Team bereits beim nationalen Turnier im Sommer den 5. Platz erobern konnte.
Dai war glücklich, dass er seinem besten Freund zu seinem Traum verhelfen konnte.
Als Dai verträumt den beiden zuschaute, hörte er plötzlich seine Stimme "Kumikoo!" rufen.
Entgeistert, dass er sich selbst den Namen des Dämons liebevoll schreien hörte, folgte er der Stimme bis zur Sporthalle.
Zu seiner Überraschung kam er auf die Tribüne an, die voller Leute war.
Als er die Quelle der Stimme suchte, entdeckte Dai sein anderes Ich auf der vordersten Reihe mit anderen Fans stehen. Er hielt einen Fan-Banner in die Höhe und feuerte seine Ex lauthals an.
Dai wurde es bei diesem Anblick sofort schlecht.
"Mann, wie glücklich ich hier aussah... echt peinlich!"
Dai schritt näher, um jetzt auf das Spielfeld eine bessere Sicht erhaschen zu können.
Kumiko stand mit ihrem Volleyballteam auf dem Feld und wartete angespannt auf den Angriff von der Gegenseite.
Dai erinnerte sich wieder an diesem Zeitpunkt, als wäre es gestern gewesen.
Es war Mai 2016, als Dai mit Kumiko einen Monat zusammen war. Es war Kumikos offizielles erstes Spiel und sie war sichtlich nervös gewesen.
Dai half ihr beim Training und gab ihr auch Ratschläge, wenn sie als Captain nicht mehr weiterwusste. Sie hatte hart für diesen Tag trainiert und als fester Freund war er sehr stolz auf sie gewesen.
Um ihr eine glückliche Überraschung zu bereiten, hatte er heimlich mit anderen Unterstützern Fan-Shirts und Banner gebastelt und die erste Reihe für das Spiel gesichert.
Als Kumikos Team »Amaryllis« zum Platz erschien und die kleine Fan-Schar sah, erhellten ihre Gesichter augenblicklich.
Aber der Kampf mit dem gegnerischen Team war hart. Jedes Mal, wenn sie ein Punkt verloren, rief Dai aufmunternde Worte zu, was Kumiko mit einem traurigen Lächeln annahm und weiterkämpfte.
Dai sah jetzt auf das Board. Sie hatten nur noch weniger als 30 Sekunden und waren um einen Punkt im Rückstand. Kumikos Gesicht war blass und sie schien ganz verunsichert zu sein. Sie war als das "arrogante Mädchen", die er heute kannte, kaum wiederzuerkennen.
"Kumiko, du schaffst das! Ich glaube an dich!", schrie der andere Dai ihr plötzlich zu, was in Kumiko etwas auslöste. Sie schien die negativen Stimmen aus ihrem Kopf wegzuschütteln. Sie blickte danach wieder fokussiert zum gegnerischen Team.
Sie war wieder da.
Als der Ball von der Gegenseite zugeflogen kam, nahm Izumi den Ball ab und ein Teammitglied spielte den Ball direkt auf Kumiko zu. Sie sprang hoch und schlug mit einem heftigen Smash den Ball auf die Gegenseite.
Der Ball war nicht mehr aufzuhalten! Er landete direkt auf dem Boden.
Anstatt zu feiern, veranlasste Kumiko die Gruppe direkt weiterzumachen. Sie mussten noch einen Punkt holen, um zu gewinnen.
Kumiko musste das Anspiel machen und sah kurz zu Dai rüber, der ihr ein sicheres Lächeln schenkte und beide Daumen nach oben gab.
Daraufhin nahm sie Anlauf und beförderte mit einem kraftvollen Schlag den Ball über das Netz in das gegnerische Feld. Die Gegner hatten keine Chance. Der Ball kam vor dem Rand auf und zielte somit den Siegerpunkt für Kumikos Team.
Das ganze Team und die Zuschauer jubelten ihr zu. Voller Freude hoben sie ihren Captain in die Lüfte. Der andere Dai strahlte und feierte mit den Fans den Sieg!
Dai konnte auch nicht anders, als zu lächeln. Es war rückblickend einer der schönsten Tage seines Lebens gewesen.
Er liess seinen Blick voller Nostalgie über die ganze Halle schweifen, als er plötzlich weiches Gras unter sich spüren konnte.
Dai sah sich um und realisierte, dass er jetzt auf dem kleinen Sitzplatz neben der Schule stand.
Direkt vor ihm sah er seine Kopie mit Kumiko händehaltend auf dem schwarzen Marmorbank sitzen. Obwohl es Frühling war, hatte der Kirschblütenbaum keine einzige Blüte getragen. Aber das schien den beiden nicht zu stören.
Dai näherte sich den beiden und spürte dabei heftiges Herzklopfen.
"Dieser Moment..."
Es war direkt nach dem Volleyball Spiel von Kumiko, wo sich die beiden aus der Sieger-Party rausgeschlichen hatten, zu Dai's Lieblingsplatz gingen und sich jetzt schüchtern ansahen.
"Dai... Danke, dass du für mich da warst... ich weiss nicht, was ich ohne dich ge-"
"Psst." Dai hielt seine Finger auf Kumikos Mund, um ihr das Wort abzuschneiden.
"Engel, das hast du alles allein mit deinem Team geschafft. Ich habe dich nur unterstützt, mehr nicht. Du hast dir den Sieg dir selbst zu verdanken."
Er sah sie voller Stolz und Liebe an.
Tränen kullerten über Kumikos Wangen, als sie wisperte: "Ich liebe dich Daisuke!"
"Ich dich auch, Kumiko."
Während er das sagte, wischte er ihre Tränen weg.
Ihre Gesichter kamen nun näher, nur Zentimeter voneinander entfernt. Er sah ihr nochmals in die Augen, als sie als Zustimmung nickte und ihre Augen schloss.
Dai's Herz klopfte nun heftiger.
Er sah dabei zu, wie die beiden langsam ihre Lippen verbanden und er seinen ersten Kuss erlebte.
Er erinnerte sich daran, dass es für ihn damals wie ein richtiges Feuerwerk angefühlt hatte. Ihre Lippen waren zwar etwas trocken vom Match gewesen, aber er fühlte sich dennoch angenehm und natürlich auf seinen an.
Dieses Kribbeln im Bauch, dieses unnatürlich heftiges Herzklopfen, diese innere Verbundheit, die er mit ihr fühlte... war ein Moment, die er nie vergessen wird.
Dai drehte sich beschämt von den beiden weg und lief davon. Während er lief, dachte er über dieses Ereignis und seine erste Beziehung zurück:
"Es war alles so schön, der Kuss fühlte sich echt an... unsere Liebe war echt! Auch wenn ihre Liebe sich später als Betrug herausstellte, so waren meine Gefühle und Liebe zu ihr echt. Ich war ein guter fester Freund für sie gewesen. Unsere Zeit miteinander war trotz dem schmerzhaften Ende wertvoll."
Dai realisierte, dass er aus seiner Beziehung mit Kumiko viel gelernt hatte und etwas «erwachsener» geworden war. Er verstand, dass es an der Zeit war, sie loszulassen und die negativen Energie gegenüber ihr zu beseitigen. Nur so konnte er neu anfangen und im Leben weitergehen.
In dem Moment sah Dai, wie Kirschblüten im Wind um ihn herum tanzten und er eine Geige spielen hörte. Dai erahnte beim Lauschen der Melodie sofort, dass es Hei-Ran sein musste.
Die Kirschblüten flogen nun an ihn vorbei.
Als die Blüten bei einer kleinen Menschenmenge ankamen, fielen sie auf den Boden. Dai folgte den Blüten und drängelte sich an die Menschen vorbei, als er plötzlich stehenblieb.
Vor ihm stand Hei-Ran.
Sie spielte vor einem kleinen Publikum eine wunderschöne Melodie, ohne Angst vor ihnen zu haben. Die Zuhörer jubelten ihr zu und warfen Münzen und Geldscheine in ihre offene Geigenkoffer hinein.
Dai lächelte. Er hatte es tatsächlich geschafft, Hei-Ran aus ihrer Komfortzone herauszuholen! Der Gedanke daran, machte ihn sehr glücklich.
Dai atmete tief durch, während er der Melodie lauschte und nachdachte.
Trotz Rückschläge in seinem Leben war er stets gegenüber sich selbst treu geblieben. Er war für die Menschen um ihn herum da und hatte für sie Gutes getan.
Sein Leben war nicht immer traurig und hoffnungslos.
Zudem hatte er sich nie selbst verloren, wie er es bis jetzt immer geglaubt hatte... er hatte sich nur neu gefunden.
Auch wenn er Mist gebaut hatte, so war das normal und menschlich.
In diesem Moment hatte er was Wichtiges realisiert:
"Ich habe keinen Grund über mein Leben Angst zu haben oder mich für meine Vergangenheit zu schämen. Was passiert ist, ist passiert. Es ist an der Zeit, mir keine Sorgen mehr über meine Zukunft zu machen. Ich werde ab jetzt mein Leben in vollen Zügen geniessen und mein Bestes geben!"
Dai rief den letzten Satz voller Selbstvertrauen heraus, als in selben Augenblick seine Umgebung dunkel wurde und er sich wieder in der Eiswüste voller Trümmer befand.
Dai drehte sich um und entdeckte die Dämonen an derselben Stelle, wie vor dem Sturz des Tunnels.
"Ich habe keine Angst vor euch! Ihr könnt mir nichts tun!", rief er ihnen siegessicher zu und blickte sie böse an.
Seine Angstdämonen verblassten daraufhin augenblicklich.
Völlig baff, was gerade vor seinen Augen geschehen war, realisiert er: "Das alles war nur Illusion, die ich aus meinem eigenen Geist erschaffen hatte?! Oh Mann..."
Er schüttelte ungläubig den Kopf, während er im gleichen Augenblick einen Kirschblütenbaum mitten in der Wüste entdeckte, dessen strahlendes Licht ihn blendete. Nur eine Handvoll Blüten schmückte seine Äste.
Dai betrachtete ihn aus der Ferne und wusste sofort, was zu tun war.
Er ging auf den Baum zu und pflückte alle Blüten, die noch an ihm hingen. Vorsichtig legte er sie in seine Handfläche und pustete sanft. Die Blüten flogen im Wind in alle Richtungen und verwandelten die gesamte Wüste in ein flammendes Meer.
Aber schon bald verwandelte sich das Feuermeer in ein wundervolles grünes Paradies.
Bäume und Blumen wuchsen.
Sterne glitzerten und tanzten über dem Himmel.
Dai spürte wieder weiches Gras unter sich.
Alles um ihn herum leuchtete und lebte.
Das dunkle Loch hatte sich aufgelöst.
Ein Lichtschein in Form einer Türe erschien vor ihm.
Was bedeutete, dass er dem Licht am Ende des eisigen Tunnels näher gekommen war. Es wird noch dauern, bis er das Ende erreichen wird, aber er war zuversichtlich, dass er es bald schaffen würde.
Bevor er auf die Tür zuging, blickte er nochmals zurück und flüsterte "Danke Papa" zu.
Metanoia:
«Änderung der eigenen Lebensauffassung, Gewinnung einer neuen Weltsicht.»
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