07 - Einklang
Liebe Leser❤
Im folgenden Kapitel habe ich an einigen Textstellen die entsprechenden Zeitstempel zum Video hinzugefügt (sie sind fettgedruckt).
Lasst mich bitte in den Kommentaren wissen, ob Ihr die Idee gut findet oder es euch beim Lesen eher gestört hat.
Vielen Dank für eure bisherige Unterstützung und viel Spass beim Lesen!
Dai gähnte und streckte sich. Es war bereits Samstagmorgen und er hatte irgendwie keine Lust, an einem Wochenende in die Schule zu gehen.
Na ja, es werden ja schliesslich noch andere Schüler aus seiner Musikklasse kommen, oder?
Als er an den Wettbewerb dachte, ergriff ihm plötzlich Angst und Aufregung. Er zitterte.
Dieses Projekt, diese Chance bei JMCA mitmachen zu können, war wichtig für ihn. Er wollte um jeden Preis sein Eintrittsticket zu diesem Wettbewerb nicht verlieren!
Aber Hei-Ran schien das genaue Gegenteil zu wollen...
"Oder hat sie, sowie ich auch, einfach nur Angst und weiss nicht so recht, wie sie damit umgehen soll?"
Dai seufzte und humpelte auf einem Bein ins Bad, um sich für den Tag fertig zu machen.
Frisch geduscht und die Zähne schneeweiss geputzt, zog er seine Prothese an und durchsuchte sogleich seinen Kleiderschrank.
Es wird das erste Mal sein, dass Hei-Ran ihn ohne seine Schuluniform sehen wird.
Deshalb wollte er einen sympathischen ersten Eindruck machen.
Vor allem wollte er ihre unverständliche Angst vor ihm wegnehmen. Sonst würde es ganz schwierig werden, etwas zusammen hinzubekommen.
Auch wenn er die Zusammenarbeit seines Erachtens als ziemlich anstrengend einstufte, wollte er auf Professor Yoshiaki's Instinkte vertrauen und einen Versuch wagen.
Nach einer Weile entschied er sich für ein hellblaues Hemd und dazu passende schwarze Jeans.
Um seinen Look noch ein bisschen zu verfeinern, steckte er sich am linken Ohr einen ringförmigen silbernen Ohrring ein.
Er blickte das Endresultat im Spiegel an und lächelte zufrieden. Jetzt kann der Tag beginnen!
❀❀❀
Als Dai ins grosse Musikzimmer hineintrat, konnte er Haruto, Yami und noch drei weitere Schüler an ihrem Projekt arbeiten sehen. Aber von Hei-Ran war keine Spur.
Bevor er von den anderen bemerkt wurde, zog er sich sofort zurück und sah prüfend den langen Schulflur entlang. Niemand ausser Dai war hier.
"Vielleicht ist sie im kleinen Musikzimmer nebenan" , hoffte Dai und schritt zum nächsten Zimmer. Er klopfte kurz an die Tür und machte es auf. Aber zu seiner Enttäuschung war Hei-Ran nicht da. Stattdessen waren es zwei weitere Schüler aus seiner Musikklasse. Dai entschuldigte sich und schloss die Türe wieder zu.
"Heute scheinen viele Schüler an diesem Projekt arbeiten zu wollen", stellte Dai fest.
Die Angst, die er kurz am Morgen verspürte, kam wieder in ihm hoch. Schnell schüttelte er das Gefühl wieder ab und holte sein Handy heraus.
Als er gerade seine Kontakte durchsuchen wollte, kam plötzlich ein Anruf vom "Ängstlichen Mäuschen" höchstpersönlich.
Erleichtert atmete er auf und drückte auf den grünen Hörer.
"Oh Hei-Ran, ich wollte dich gerade anrufen... Wo bist du denn?"
"Hey Daisuke... ehm... ich bin im Musikzimmer", flüsterte Hei-Ran.
"Da hab ich doch gerade nachgeschaut u-"
"Ich meine das alte Musikzimmer im Keller"
"Ach so..." Lange Pause. "Hää, wieso bist du eigentlich dort?"
"Kannst du bitte kommen? Es ist zu still hier..."
"Oh hast du Angst?", fragte Dai leicht amüsiert.
"Ein bisschen"
"Dann komm doch raus?"
"Draussen ist je-mand... ich habe Angst nachzusehen."
Dai musste sein Handy förmlich in sein Ohr pressen, um Hei-Ran's Worte hören zu können.
"Hä aber vorhin hast du doch gesagt, dass es still ist? Woher willst du..."
"Bitte!", hechelte sie.
"Ok, ich komme ja schon! Leg nicht auf, bis ich da bin, klar?"
"Danke-e" sagte sie noch kaum hörbar zu Dai.
Mit dem Hörer in der Hand schritt Dai auf die Treppe zum Keller zu. Obwohl er am Telefon so klang, als würde er sich über ihre Angst lustig machen, hatte er in Wahrheit grosse Sorgen um sie.
"Ausser der Hausmeister betretet hier sonst niemand wirklich den Keller. Hoffentlich ist ihr kein Creep oder so gefolgt", dachte Dai beunruhigt.
Während er durch den schwach beleuchteten, langen Gang lief, konnte er keine Menschenseele sehen oder hören.
Als er ein paar Schritte vor dem alten Musikzimmer entfernt war, blitzten plötzlich zwei leuchtend gelbe Augen vor ihm auf und landeten auf den Boden. Er zuckte kurz vor Schreck, merkte aber schnell, dass es keine Bedrohung war. Als er das kleine Wesen erkannte, lächelte er und beendete das Telefonat. Er steckte sein Handy wieder in seine Hosentasche und bückte sich zu dem kleinen schwarzen Fellbüschel hin. Er streckte seine Hand danach aus und streichelte es, als es an seiner Hand leckte.
"Du bist also der Übeltäter hmm? Du wolltest bestimmt nur hallo sagen..."
Er hob das kleine Ding auf und ging auf die Tür zu. Ohne vorher auch anzuklopfen, öffnete er die Tür und tritt einfach ins Zimmer hinein.
Hei-Ran hockte zusammengekauert in einer Ecke und fiel vor Schreck nach hinten um. Dabei stiess sie sich mit dem Hinterkopf an die Wand an.
"Hey Hei-Ran, es ist alles gut... ouu, bist du okay?" Dai wollte schon zu Hei-Ran eilen, als sie ihn mit einer leichten Handbewegung abwies.
"Mir geht's gut... es war nur ein leichter Schlag", versicherte sie ihm und setzte sich wieder auf.
"Okay, wenn du meinst..." sagte Dai leicht genervt.
Als er plötzlich ein Miauen unter seinen Armen hörte, änderte sich seine Miene wieder.
"Schau mal, ich habe den Angstmacher gefunden... die Katze des Hausmeisters!"
Dai hob stolz die Katze hoch und präsentierte sie wie Simba bei "König der Löwen" an Hei-Ran. Sie lächelte erleichtert.
Er setzte das kleine Fellbüschel wieder vorsichtig ab. Die Katze schlenderte auf Hei-Ran zu und machte es sich auf ihrem Schoss gemütlich. Hei-Ran streichelte sie.
"Oh Charlie, es tut mir so leid! Ich dachte schon, du wärst jemand anderes." Die Katze miaute zur Antwort und ging wieder von ihr ab.
Dai sah Hei-Ran baff an. Es war das erste Mal, dass er sie normal sprechen hörte. Ohne Stottern, ohne Pausen und mit klarer Stimme. Jetzt kam Dai in den Sinn, dass sie auch am Telefon ganz flüssig geklungen hatte.
"Sieh mal einer an, das ängstliche Mäuschen kann doch reden, was?"
Hei-Ran lief bei dieser Anmerkung plötzlich rot an.
Sie zog rasch ihre Beine ein, grub ihren Kopf dazwischen und schloss mit beiden Armen um ihren gesamten Körper. Sie kniff ihre Augen zusammen, sagte aber nichts.
Es sah so aus, als wolle sie sich am liebsten unsichtbar machen. Oder so schnell wie möglich vom Erdboden verschluckt werden.
Dai besänftigte seine Stimme "Hey, hör schon auf. Ich ha..."
"Es ist mir alles zu peinlich... es tut mir so leid..." krächzte Hei-Ran und fing zu schluchzen an.
"Oh Gott, jetzt fängt das schon wieder an... Bevor sie wieder wegläuft, verschwinde ich lieber", dachte Dai genervt.
Er verstand nicht, wieso sie, egal was er tat oder sagte, so sensibel reagierte. Sie wich immer seinen Fragen aus oder unterbrach ihn, bevor er mit seinem Satz fertig war.
"Nein, mit so einer Person kann ich nicht arbeiten!"
Dai stand entschlossen auf und wollte schon zur Türe hinausgehen, als er ein lautes Klirren hörte.
Dai blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam und entdeckte Charlie, welcher auf einem Klavier Flügel landete und mit seinen Pfötchen über die Tasten stolzierte.
Dai bekam plötzlich eine Idee.
"Vielleicht waren meine Herangehensweisen erfolglos, weil ich es immer mit Worten und Taten versuchte..."
Er lief energisch auf das Klavier zu und setzte sich auf dem Hocker hin. Charlie sprang auf Dai's Schoss und musterte seine ausgestreckten Arme neugierig an.
"Na Charlie, willst du was Entspannendes hören?"
Die Katze miaute zur Bestätigung und legte sich hin. Dai blickte schnell rüber zu Hei-Ran, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte und immer noch am Schluchzen war.
"Hoffentlich klappt es..." dachte sich Dai und fing an, die Anfangsmelodie von "River flows in you" zu spielen (00:05 – 00:20).
Er stoppte kurz und sah wieder zu Hei-Ran, die im gleichen Augenblick mit vertränten Augen zu ihm hochblickte. Dai drehte sich wieder zum Klavier um.
"Gut, sie hat aufgehört zu weinen. Hoffentlich kann ich sie jetzt beruhigen und ihr das Gefühl geben, dass alles okay ist und sie sich nicht vor mir schämen oder fürchten muss."
Mit diesen Gedanken setzte Dai wieder seine Finger über die Tasten und spielte das Lied weiter. Als er zum berühmten Chorus kam (00:51), schloss er die Augen und versuchte seine Gefühle durch seine Hände hindurch an die Klaviertasten zu übertragen. Während er das zweite Vers spielte (1:22 – 1:35), hörte er plötzlich jemanden auf ihn zukommen.
Dai schmunzelte, als die nach Kirschblüten duftende Person neben ihm stehenblieb.
"Ja, es hat geklappt!" freute sich Dai.
Als er zum zweiten Chorus ansetzte, hörte er plötzlich eine Geige, die mit seiner Melodie harmonierte (1:38).
Dai öffnete überrascht die Augen und sah neben sich Hei-Ran, welche ihre Geige auf der rechten Schulterseite hielt und mit der linken Hand mit dem Bogen über die Saiten streifte. Sie hielt ihre Augen geschlossen.
Dai lächelte und spielte jetzt nur die Begleitung, um Hei-Ran's Klänge besser hervorstechen zu lassen.
"Mann, spielt sie gut!" dachte Dai fasziniert. Er schloss wieder seine Augen und liess sich in Hei-Ran's Universum verführen.
Die Melodie änderte sich langsam in etwas anderes, aber das störte den beiden nicht. Sie passten sich gegenseitig an, füllten die Leere oder erzählten die Geschichte ganz neu... so als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
Nach einiger Zeit, kamen sie wieder auf die ursprüngliche Melodie zurück und spielten gemeinsam das wundervolle Werk von Yiruma zu Ende.
Dai öffnete wieder seine Augen und kam in die Realität zurück.
"Was war das gerade?", dachte er und fuhr sich verwirrt über die Haare.
"Musik hat seine eigene Sprache, seinen eigenen Stil, seine eigene Geschichte. Musik ist vielseitig, mehrschichtig und unendlich!", kam ihm das Zitat von Yoshiaki wieder in den Sinn.
Dai verstand damals nicht, was der Professor mit diesen Worten gemeint hatte. Er dachte, er würde nur was von sich brabbeln, um seine Klasse ruhig stellen zu können. Aber jetzt, nach diesem Ereignis, begriff er langsam, was der alte Mann damit sagen wollte.
"Mann war das ein magisches Erlebnis!" schwärmte Dai und blickte zu Hei-Ran, welche ihr Instrument in den Geige-Koffer legte.
"Ja, war es", gab Hei-Ran leise zu und nahm einen Stuhl, um sich neben Dai zu setzen.
Dai schmunzelte und spürte plötzlich Charlie, welcher auf Dai's Schoss eingeschlafen war.
"Oh Gott, ich hab sie ja total vergessen!" gab Dai beschämt zu und hob das Kätzchen wieder vorsichtig hoch. Er legte sie auf einem runden weichen Kissen, welches neben dem Klavier lag und streichelte sie nochmals zur Entschuldigung übers Fell.
Als er seinen Hocker gegenüber Hei-Ran stellte und sich wieder hinsetzte, sprach sie: "Danke Daisuke, einfach für alles!" sie lief leicht rot an und senkte ihren Blick.
"Ist schon gut Hei-Ran. Ich hoffe, dass es dir jetzt besser geht."
Hei-Ran hob ihren Kopf wieder hoch und sah Dai schüchtern an.
Diese Angst, die er sonst immer in ihren Augen gesehen hatte, war verschwunden. Dai überkam dabei ein warmes Gefühl im Bauch.
"Wieso bist du so nett zu mir Daisuke? Obwohl ich immer weggelaufen bin und mich kom-"
Dai hob seine Hand, um sie zu unterbrechen.
"Was geschehen ist, ist geschehen. Vergiss es einfach und zerbrich dir über unsere anfänglichen Schwierigkeiten nicht den Kopf, okay? Es würde dich nur noch mehr in Verlegenheit bringen... und das will ich nicht."
Dai nahm seine Hand wieder runter.
"Du sollst wissen, dass dieses Projekt für mich sehr wichtig ist und ich unsere Zusammenarbeit und dich als Partner ernst meine... du fühlst dich sicher unter Druck gesetzt und hast Angst... aber du sollst wissen, dass ich das auch habe... sehr sogar."
Tränen kullerten über Hei-Ran's Wangen.
Sie war von Dai's gefühlvollem Geständnis zutiefst gerührt.
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