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Clay POV:
Die Beine an mich gezogen und beide Arme fest um sie herum geschlungen sitze ich auf einen der zahllosen Äste einer knorrigen Eiche. Langsam aber sicher beginne ich mir Sorgen zu machen, denn George hätte schon seit mindestens drei Stunden zurück sein sollen. Einzig das Wissen, dass noch keine Kanone abgefeuert wurde, beruhigt mich etwas. Vielleicht wurde er auf dem Rückweg durch etwas aufgehalten oder er ist einfach nur vorsichtig. Oder, oder, oder... Oder die Karrieros bereiten ihn einen langen und qualvollen Tod. Ich schlucke, und versuche, einmal tief durchzuatmen. Er wird einen guten Grund haben, mich warten zu lassen. Da bin ich mir sicher. Unbehagen kriecht in mir hoch und beginnt, mit meinen Gedanken zu spielen. Habe ich ihn etwa mit diesem Kuss vertrieben? Es schien doch so richtig an diesem Zeitpunkt.
Überfordert amte ich aus und lehne meinen Kopf zurück. Spätestens in einer halben Stunde erhalte ich Klarheit. Wenn sie die Portraits zeigen. Meine Gedanken driften ab, werden schwammiger. Ich denke an Drista, ob sie mir wohl gerade zusieht, daran, wie es ihr wohl ergehen wird, sollte ich sterben. Sie hätte niemanden mehr. Tantchen Lauren kümmert sich nicht um sie, stattdessen faselt sie ständig darüber, dass sie bald ins Kapitol gehen wird, um als Stylistin für die Spiele zu arbeiten. Innerlich schnaube ich. Von Distrikt sieben ins Kapitol, genauso realistisch, wie eine Zukunft für George und mich.
Ein lautes Fiepen reißt mich schlussendlich aus meiner Trance. Alarmiert sehe ich mich nach allen Seiten um, will die Quelle dieses Geräusches ausmachen. Aus den Augenwinkeln kann ich einen kleinen schwarzen Ball auf mich zusteuern sehen. Instinktiv ziehe ich den Kopf nach unten, gerade noch rechtzeitig, denn das Geschoss verfehlt mich nur um Zentimeter und knallt mit voller Wucht in den Baumstamm hinter mir. Das Ding gibt ein letztes schwaches Fiepen von sich, nur um dann langsam den Stamm hinunterzurutschen.
Mit gerunzelter Stirn hebe ich den schwarzen Flauschball hoch und begutachte ihn kritisch. Es sieht aus wie ein sehr pummeliger Vogel, der ein Stückchen Papier im Schnabel hält. "Wolltest du zu mir?", frage ich mit leiser Stimme, obwohl sich in fünf Kilometern Umkreis kein feindlicher Tribut befinden kann. Zur Antwort pieps das Vögelchen leise, um danach wieder in Ohnmacht zu fallen. Vorsichtig schnappe ich dem Flugobjekt das Papier aus dem Schnabel und falte es auf. Es ist arg mitgenommen und an den Seiten stark eingerissen, doch die geschwungenen Bleistiftbuchstaben sind immer noch einigermaßen lesbar.
ich bin okay, mach dir keine sorgen <3
-G
Ich beginne warm zu lächeln, denn viel weniger freue ich mich über diese sieben Wörter als über das hastig gekritzelte Herz. Ich seufze und schiebe die Botschaft in die Vordertasche meines Hoodies. Es geht ihm gut. Er ist in Sicherheit.
Und mit diesem Gedanken schlafe ich schlussendlich ein.
George POV:
Kaum habe ich einen Fuß auf die weiche Erde gesetzt, sehe ich mich hastig nach links und rechts um. Ich habe nicht lange Zeit, zu verschwinden, denn Punz wird bald bemerken, dass kein Hovercraft kommt, um die Leichen abzuholen, was im Umkehrschluss bedeuten muss, dass sich ein Tribut in unmittelbarer Nähe befinden muss.
Der Geruch der übel zugerichteten Leichen haut mich beinahe um, dennoch kann ich nicht umhin, mich zu dem leblosen Körper des Mädchens aus Distrikt neun herunterzubeugen und ihre Wunden zu begutachten. Ich kann keine offenen Wunden erkennen, deshalb gehe ich davon aus, dass sie entweder vergiftet oder, was wahrscheinlicher ist, überfallen und in einem Handgemenge überwältigt wurde. Beim Abtasten ihres Halsbereiches bemerke ich schließlich, was genau sie getötet hat. Genickbruch. Eindeutig durch die Hand eines besonders starken Menschen. Eins und vier können es nicht gewesen sein. Beide haben Schnittwunden in ihren Kehlen, eindeutig von Wurfmessern zugefügt. Bleibt nur noch Distrikt zwei. Ein kalter Schauer fährt mir über den Rücken und ich mache mich schnell daran, wegzukommen.
Clay POV:
Mangels eines Zufluchtsortes bin ich förmlich dazu gezwungen, hier an unserem Treffpunkt zu warten, bis George sich blicken lässt. Ich verlasse meinen Baum lediglich wegen der Suche nach Nahrung. Um mein Lager habe ich eine Hand voll Fallen mithilfe des Drahts und der Seile aus unserem Rucksack gestellt, die in den vergangenen Stunden für einen Gürtel aus Wildhasen geführt haben. Außerdem habe ich an einem Bachbett, etwa fünfzehn Minuten Fußweg von hier, ein Nest Vogeleier entdeckt und geplündert. Beides habe ich über dem Feuer gebraten. Sollen die restlichen Karrieros bloß den Rauch sehen. Nur zu gerne würde ich ihnen persönlich den Hals umdrehen.
Nur einmal gerate ich in Bedrängnis, als mich das Knallen der Kanone fast aus meinen Baum reißt. Kurz darauf ertönt die Kanone noch zweimal. Sofort denke ich an George, ob ihn wohl etwas passiert ist. Gestern noch ging es ihm gut, doch jetzt? Langsam beschleunigt sich meine Atmung und der Appetit ist mir gehörig vergangen. In meiner gestrigen Ausgangsposition; die Beine angezogen und die Arme fest um sie geschlungen; sitze ich nun da und versuche, keine Panikattacke zu erleiden.
Irgendwann gerate ich in einen Zustand, der nicht ganz schlafen, aber auch nicht ganz wach sein ist. Irgendwo, mit einem Fuß schon im Land der Träume, mit dem anderen in meinen wirren Gedanken, reißt es mich hin und her, mal bin ich dort, mal da. Irgendwann bin ich schließlich ganz eingeschlafen, viel Erholung bleibt mir jedoch nicht, denn eine ausgesprochen lästige Hand rüttelt an meiner Schulter und versucht, mich wach zu bekommen. Ich aber murmle nur etwas unsinniges und versuche schlaftrunken, die Hand abzuschütteln.
Leise höre ich, wie eine Stimme meinen Namen flüstert. "Clay... Hey, es ist Zeit aufzuwachen" Sofort flattern meine Augenlieder auf und ich setzte mich auf. Georges haselnussbraune Augen sind nur Zentimeter von den meinigen entfernt, ich kann seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren, die an den Stellen, an denen er sie berührt, angenehm zu prickeln beginnt. Erleichtert falle ich ihm um den Hals. "Ich dachte du wärst...", murmle ich mit erstickter Stimme, den Kopf in seiner Halsbeuge vergraben. Er erwidert die Umarmung behutsamen und streicht mir beruhigend über den Rücken. "Ich nicht, dafür die zwei Karrieros aus Distrikt eins und vier. Und unsere Freundin aus neun"
Ich löse mich aus der Umarmung und sehe ihn mit großen Augen an. "Die mit den Messern?", frage ich schließlich, worauf er zur Antwort nickt. Ich versuche, einmal tief durchzuatmen. Drei Tode an einem Tag. Das wird das Kapitol für heute zufriedenstellen. Vielleicht haben wir dann morgen auch noch einen Tag Ruhe, bevor sie irgendeinen Trick aus dem Ärmel ziehen, um uns zusammenzupferchen. Die Arena ist schließlich riesig und wir sind ja nicht mehr viele.
Obwohl es gut tut, die Kanone zu hören und George gleichzeitig in Sicherheit zu wissen bereitet es mir Unbehagen. Was werden wir tun, sollten wir die beiden verbliebenen Tribute sein? Würde er es über sich bringen, mich zu töten?
Als hätte George meine Gedanken gelesen, erklingt seine Stimme so plötzlich und unerwartet, dass ich unmerklich zusammenzucke. "Was machen wir eigentlich, sollten wir die letzten beiden Tribute sein?" Seine Stimme ist leise, kaum mehr als ein Flüstern, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass wir belauscht werden. Abgesehen von ganz Panem natürlich, denn die Kameras sind hundertprozentig auf uns gerichtet.
George sieht zu Boden, die Finger in seinem Schoss verschränkt, als wäre ihm die Frage unangenehm, als würde ihm mein langes Schweigen verunsichern. Langsam lege ich zwei Finger meiner rechten Hand an sein Kinn und drücke seinen Kopf nach oben. Jetzt ist es an ihm, große Augen zu machen. Für einige Herzschläge sehen wir uns einfach nur an, mir fallen Dinge an ihm auf, die mir bisher noch nie aufgefallen sind. Die winzigen goldenen Sprenkel in seinen braunen Augen zum Beispiel... Ich bin wie in einer Trance, neige meinen Kopf immer näher zu ihm hinunter, wohl wissend, dass ich damit alles hundert mal komplizierter machen werde.
Dennoch streiche ich ihm langsam eine Strähne das rabenschwarzen Haares hinters Ohr, worauf hin er errötet. Nicht dieses hässliche, fleckige Rot das im Gesicht erscheint, wenn man lange Zeit gelaufen ist. Es ist ein blassrosa, was ihm ungemein gut steht. Wunderschön zu den ebenfalls roséfarbenen Lippen. Perfekt geschwungene Lippen.
Wir sind und immer noch nah. Sehr nah. Ich kann seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüren-nah. Ich kann seinen Geruch nach Wildblumen und Wald deutlich wahrnehmen-nah. Ich könnte ihn küssen-nah. Ich könnte ihn küssen.
Und das ist der Moment, an dem mein Gehirn endlich ausschaltet.
Seine Lippen fühlen sich weich auf meinen aufgesprungenen, rissigen an. So richtig, so perfekt. Ich habe die Augen geschlossen, alle Geräusche um uns herum ausgeblendet. Es ist, als ob die Spotttölpel aufgehört hätten, zu singen. Als wären wir gar nicht mehr in der Arena. Und ob wir das sind. Die Einsamkeit ist trügerisch, denn das Kapitol sieht zu und seufzt vermutlich gerade mit tränennassen Augen.
Ich spüre, wie eine eiskalte Hand über meine Seite nach oben Streift, zu meinem Nacken hinauf, um mich weiter nach unten zu ziehen. Ich verliere mich förmlich in der Berührung, unsere Nasen berühren sich sacht, und der kleinere Junge schmiegt sich enger an meine Brust. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, doch das ist mir in diesem Moment herzlichst egal. Ich lasse mich in den Kuss sinken, so lange bis wir uns lösen müssen.
Hastig senkt George den Blick erneut, vermeidet mich anzusehen. Ich erkenne, dass er die Lippen fest aufeinander gepresst hat und verunsichert wirkt. Langsam berühre ich seinen Oberarm mit den Fingerspitzen und ich bin erleichtert, dass er mich nicht abschüttelt. Er zittert kaum merklich, worauf hin ich ihn behutsam in eine Umarmung ziehe. Ich spüre, wie eine einsame Träne über seine Wange rollt und auf meinen Hoodie tropft. Ganz vorsichtig verstärke ich die Umarmung und flüstere ihm beruhigende Worte ins Ohr.
"Oh Georgie, es wird alles gut... Es tut mir leid... Das war dumm von mir..."
Er löst sich und sieht mich nur mit wässrigen, rot geränderten Augen an. Dann schüttelt er langsam den Kopf.
"Nein", flüstert er kaum hörbar. "E-es war..." Er holt einmal tief Luft. "Es war wunderschön. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal so gefühlt habe. Ob ich jemals so gefühlt habe" Er versucht sich an einem Lächeln, mit genau dem richtigen Tick Schüchternheit. Sofort fährt mit etwas Warmes durch den Magen und ich kann nicht umhin, zurück zulächeln.
Ich greife nach seiner Hand und male mit dem Daumen kleine Kreise auf dessen Außenseite.
"Wir finden einen Weg hier raus", murmle ich während der Junge in meinem Armen langsam weg zu dämmern beginnt.
Und genau das ist meine größte Sorge. Ich weiß, dass wir hier nicht beide rauskommen und ich habe es gerade umso schlimmer gemacht. Ich habe dafür gesorgt, dass ich Drista nie wieder sehen werde. Das ich mit meinem Leben dafür Sorgen werde, dass George es schafft.
(A/N: DFAHBFAHBFB AHHHHHHH ICH KANN KEINE KUSSSZENEN SCHREIBEN musste grad googen "gute kussszenen schreiben anleitung" 😭✋anygays ich hoffe ihr seid nicht zu sehr angecringed :') baiii)
1783 Wörter
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