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George POV:
Ich lehne mich gegen den rauen Baumstamm und erlaube mir, für einen Moment die Augen zu schließen. Ich bin in Sicherheit. Vorerst, denn mit Clay zusammen wird mir nichts passieren, so viel war mir bereits im Training klar. Wie lange er jedoch seine beschützerische Art aufrechterhalten kann, ist noch fraglich. Wie dem auch sei, bis es soweit ist werde ich seine Kampftechniken bereits ausgiebig studiert haben und alles über ihn und vor allem seinen Verstand wissen.
Ich zwinge mich, nicht einzuschlafen, obwohl ich nichts lieber tun würde. Ich bin müde, völlig ausgelaugt von dem langen Marsch und die Hitze ist unbeschreiblich qualvoll. Ich kann nur beten, dass Clay bald mit Wasser zurückkommt. Das leise knacken ausgetrockneter Ästchen und Blätter lassen mich vermuten, er sei schon wieder hier, doch etwas scheint merkwürdig zu sein. Das ist nicht Clays sanfter Gang, mit dem er beinahe keine Geräusche verursacht. Das sind die Laute eines Menschen auf der Flucht. Ein kleiner Mensch, noch ein Kind, vielleicht Tommy oder Tubbo, sollten sie das Blutbad überlebt haben.
So leise wie möglich rapple ich mich auf und greife nach dem Taschenmesser, welches ich vorsichtshalber an mich genommen habe. Mit einem leisen Klicken lasse ich die tödliche Klinge hervorsurren und umklammere sie fest mit der Faust. Ich sehe den Jungen aus Distrikt zehn bevor er mich sieht. Er hat den grünen Rucksack etwa fünf Meter links von mir im Visier und bewegt sich langsam auf ihn zu. Sein Blick ist gehetzt und sucht hektisch die Umgebung um sein Ziel ab. Nur weil ich den Atem anhalte bemerkt er mich nicht. Gerade als er nach dem Henkel unseres einzigen Besitzes greifen möchte, sieht er noch einmal nach links und rechts. Sofort lässt Purpled, sein Name fällt mir in dem Moment ein, in dem er mich ansieht, den Rucksack los als hätte er sich verbrannt und nimmt seine einzige Waffe, eine Heugabel, fest in beide Hände. Dagegen sehe ich mit meinem winzigen Taschenmesser geradezu lächerlich aus.
Einen Herzschlag lang starren wir uns einfach nur an, schätzen die Fähigkeiten unseres Gegenübers ab und dessen Waffen. Zu dumm das ich mich nicht mehr an seine Trainingswertung erinnern kann. Dann, ganz aus dem Nichts, greift er an. Überrascht von dieser plötzlichen Offensive kann ich nicht schnell genug ausweichen, strauchle und falle beinahe hin. Purpled steht nun über mich gebeugt, die spitzen Enden seiner Heugabel auf mein Gesicht gerichtet. Er könnte mich jetzt töten wegen einem dummen Fehler, was an sich gesehen nicht schlimm wäre. Ich war sowieso nie ein Anwärter auf den Sieg. Doch gerade als Purpled seine Waffe hebt, um mir den tödlichen Stoß zu versetzten, packt mich die Panik. Ich werfe mich herum, sodass ich nun auf der Seite liege, bin aber nicht schnell genug, weshalb mir Purpleds Waffe, die mich einen Bruchteil einer Sekunde zu spät erwischt, eine klaffende Wunde über meinen Nasenrücken zieht. Der Schmerz ist betäubend und ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wie tief er mit der Heugabel in mein Fleisch eingedrungen ist, als mit mein Messer wieder einfällt. Während sich Purpled damit abmüht, seine Waffe aus der staubtrockenen Erde zu bekommen, packe ich mein Messer fester und ramme es mit aller Kraft in Purpleds Knöchel. Er gibt einen lauten, lang gezogenen Schmerzensschrei von sich und taumelt nach vorne. Dabei zieht er die Heugabel mit sich. Von Panik gepackt dreht er sich auf den Rücken, doch anstatt aufzustehen, krabbelt er rückwärts von mir weg, bis er an einem Baum anstößt und nicht mehr weiterkann. Sein großer Fehler, denn jetzt stehe ich mit einem Messer in der Hand über ihn, während er die Heugabel immer noch abwehrend auf mich gerichtet hält.
Ich kann diesem Jungen, diesem Kind nicht in die Augen sehen, während er stirbt, dennoch höre ich seine letzten Worte:
"Bitte nicht"
~
Der Wind wird schneidender, kälter. Ich friere und wickle die Jacke enger um mich. Die unerträgliche Hitze, die noch vor wenigen Stunden brütete, hat sich verflüchtigt, nicht jedoch die Blutspuren, der letzte Teil des Jungen aus zehn. Sein Tod, seine letzten Worte spielen sich immer und immer wieder vor meinem inneren Auge ab, bis ich es nicht mehr aushalte. Clay sage ich immer wieder, alles sei okay, obwohl natürlich nichts okay ist. Ich will nicht das er denkt, ich sei schwach. Und was ist schon ein Tribut, der nicht einmal dazu Fähig ist, seine Konkurrenten zu töten? Genau, rein gar nichts.
Die Sonne hat ihren Zyklus beendet und der Mond geht hinter einigen Baumspitzen von Tannenbäumen auf. Ein schöner, runder Vollmond, wie ich ihn gerne im Wald um Distrikt zwölf herum betrachte. Ob es der selbe ist? Aus irgendeinem Grund wünsche ich es mir. Wünsche mir ein Stück von Zuhause, an das ich mich festklammern kann und das mir in dieser finsteren Arena halt gibt.
Clay bleibt abrupt stehen und fast laufe ich gegen ihn. In der letzten Stunde haben wir kein Wort gewechselt und hingen eher unseren eigenen Gedanken nach. Er räuspert sich. "Ich denke, wir sollten uns ein Plätzchen zum Schlafen aussuchen" Ich nicke, immer noch unfähig etwas zu sagen, weil ich in Gedanken immer noch Distrikt zehn nachhängen. Ich beobachte, wie Clay auf eine knapp dreißig Meter hohe Eiche zugeht und deren Stamm prüft. Dann dreht er sich zu mir um. "Meinst du, du kannst da rauf?" Für ihn, der in seiner Kindheit wohl nichts anderes getan hat, als auf Bäume zu klettern und Äxte durch die Gegend zu werfen ist der Baum natürlich kein Hindernis. Aber für mich? Ich bin leicht genug, damit die Äste unter meinem Gewicht nicht brechen und ich weiß vieles über alle Arten der Gaben Mutter Naturs. Also nicke ich und bewege mich auf den stämmigen Baum zu. Clay beginnt bereits, sich nach oben zu ziehen und auch ich mache mich für den Anstieg bereit. Es ist schwerer als ich gedacht habe, aber nach gut fünf Minuten bin ich etwa auf der selben Höhe wie Clay.
Der ist bereits damit beschäftigt, unseren Schlafsack auszurollen und bequem in einer Astgabel zu drapieren. "Du kannst in den Schlafsack, wenn du willst", murmelt er abwesend, als er mich bemerkt. Ich schüttle bloß den Kopf. "Was ist mit dir?" Er sieht mich einen Moment lang mit schiefgelegtem Kopf an, dann antwortet er. "Mir geht's gut. Dir nicht, oder glaubst du etwa, ich hätte dich nicht frieren sehen?" Mein Blick huscht zum Schlafsack hinüber. Er ist groß, wir würden problemlos beide hineinpassen. Als ich meinen Gedanken laut sage, grinst er schief, widerspricht aber nicht. Er muss selbst froh sein, nicht in der Eiseskälte schlafen zu müssen.
Die Wärme, die im Schlafsack herrscht tut mir gut und automatisch kuschle ich mich näher an Clay. Seine Nähre spendet mir Sicherheit und wenigstens für den Moment will ich vergessen, dass er getötet werden könnte oder das er nicht getötet wird und wir beide die letzten Überlebenden sind.
1126 Wörter
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