Teil 1
‚Last Christmas, I gave you my heart...'
(Last Christmas – Wham!)
Aus dem alten Küchenradio schepperte ein leises ‚Halleluja', während der würzige Duft des Weihnachtsbratens das kleine Haus erfüllte. Überall waren die Fenster mit kleinen Tannenzweigen und bunten Lichterketten dekoriert und während es draußen schon den dritten Tag in Folge schneite, war es drinnen mollig warm. Das Feuer im Kamin knisterte leise vor sich hin. Dann und wann konnte man den Wind hören, wie er um das Häuschen blies und feine Eisblumen auf die Fenster zauberte.
Der Weihnachtsbaum stand an seinem angestammten Platz und entfaltete seine Äste, nachdem Ruby ihn von seinen Fesseln befreit hatte. Es roch nach Tannennadeln und Harz. Weihnachtliche Stimmung lag in der Luft.
Um den Weihnachtsbaum standen allerlei Kisten mit altem Baumschmuck, der noch von Rogers Großmutter stammte. Überall glitzerte es im gedämpften Schein des Kerzenlichts, während das Radio ‚Silent Night' anstimmte.
Ruby wollte, dass dieses Weihnachtsfest etwas ganz Besonderes wird. Die letzten Jahre waren geprägt vom vorweihnachtlichen Stress und der Hetzerei nach Geschenken. Doch dieses Jahr würde alles anders werden. Genau zu diesem Anlass, hatte sich Ruby besonders schick gemacht. Als sie durch das Einkaufszentrum gewandert war, war ihr das kirschrote Kleid in der Auslage sofort aufgefallen. Es wirkte so simpel und dennoch, wie etwas ganz Besonderes. Der seidige Stoff und die kleinen Stickereien wirkten edel und teuer.
Was Roger wohl dazu sagen würde? Wahrscheinlich würde er fragen, was der Fetzen gekostet hatte und sie dann ausschimpfen, weil sie ihr knapp bemessenes Haushaltsgeld für derartigen Fummel ausgab. Doch dann würde sie ihm erzählen, dass das Kleid um die Hälfte reduziert war und sie somit sogar noch etwas gespart hatte.
Roger und Ruby waren nun seit fast zwanzig Jahren verheiratet. Sie war damals süße 19 Jahre alt gewesen, als sie dem stattlichen Soldaten begegnet war und sich auf der Stelle in ihn verliebt hatte. Nur wenige Monate nach ihrer ersten Begegnung, hatten sie geheiratete, was auf mächtig Gegenwind bei ihren Eltern gestoßen war. Immerhin war Roger schon 32 Jahre alt gewesen.
Doch sie hatte sich nicht beirren lassen und hatte stolz den Weg zum Altar bestritten. Noch immer träumte sie von dem weißen Kleid, das sie getragen und das ihre Unschuld widergespiegelt hatte. Sie war so jung gewesen und Roger so erfahren.
Die Ehe blieb zu, ihrem Leid, kinderlos. Dennoch hatten die beiden einiges gemeinsam erlebt und geschaffen. Erst letztes Jahr hatten sie das kleine Häuschen auf dem Land abbezahlt, dass sie liebevoll renoviert und sich vom Mund abgespart hatten. Jedes Möbelstück in diesem Haus hatten sie sich hart erarbeitet.
Roger hatte irgendwann sein Soll bei der Army erfüllt und war aufgrund einer Verletzung vom Dienst ausgeschieden. Seither arbeitete er in einer Fabrik, die Traktoren herstellte. Ruby dagegen hatte ihre Tage damit zugebracht, das Haus sauber zu halten, Wäsche zu waschen und für ihren hart arbeitenden Mann zu kochen. Ab und an hatte sie sich auch etwas Geld dazu verdient und in dem kleinen Diner am Ende der Straße ausgeholfen. Dennoch war Ruby immer Hausfrau mit Herz und Seele gewesen.
Doch noch dieses Jahr sollte sich das alles ändern. Sie hatte Großes vor und gerade deshalb war dieses Weihnachtsfest etwas Besonderes. Es würde das Letzte dieser Art werden.
Ruby entkleidete sich und zog sich das kirschrote Kleid über den Kopf. Der feine Stoff hüllte ihren schlanken Körper ein und schmiegten sich an ihre Haut. Sie wirkte älter als 38 Jahre und dennoch versprach das Kleid ihr Jugend und stille Begierde.
Sie fragte sich, ob sie Roger in dem Kleid mit den langen Ärmeln und dem tiefen Ausschnitt gefallen würde. Vielleicht würde er sie hungrig ansehen und sich vorstellen, wie er ihr das Kleid vom Leib riss und sich auf sie stürzte.
Lächelnd wischte Ruby den Gedanken beiseite und legte sich die Perlenkette an, die sie zu ihrer Hochzeit getragen hatte. Es waren keine echten Perlen, sondern solche aus Plastik, die man überall günstig kaufen konnte. Sie hatten damals nicht das Geld gehabt, um sich echte Perlen leisten zu können. Dennoch liebte sie die Halskette, die wie gemacht zu dem roten Kleid passten.
Selbst die Schuhe hatte sie auf dieses Kleid abgestimmt. Wie lange war es her, dass sie Schuhe mit Absätzen getragen hatte? Ruby nahm sich fest vor, dass sie in Zukunft öfter hohe Schuhe tragen würde.
Das leicht ergraute Haar band sie sich zu einem Knoten nach hinten und steckte die Strähnen an der Seite mit Haarnadeln fest. Doch als sie sich so im Spiegel betrachtete, lächelte sie und entschloss sich schließlich, das Haar offen zu tragen. Zu lange schon, hatte sie es hochgesteckt und die schönen Locken versteckt.
Erst als sie vollkommen zufrieden mit ihrem Aussehen war, verließ sie das kleine Schlafzimmer und lief zurück zur Küche. Der Braten würde noch eine ganze Stunde im Ofen vor sich hinbraten und auch Kartoffel und Gemüse waren soweit vorbereitet, dass sie sie nur noch erwärmen musste. Der Tisch war liebevoll gedeckt mit den schönen Kristallgläsern, die sie als Hochzeitsgeschenk von Rogers Schwester bekommen hatten. Das edle Geschirr mit dem Goldrand und das Silberbesteck ihrer Schwiegereltern funkelten regelrecht im Schein der Weihnachtsbeleuchtung.
Schmunzelnd stellte Ruby fest, dass die Servietten denselben Rotton ihres Kleides widerspiegelten. Es hätte nicht perfekter sein können. Das Entzünden der Kerzen, behielt sie sich für später vor. Jetzt kam der schönste Teil des Weihnachtsabends. Das gemeinsame Schmücken des Weihnachtsbaumes.
Die letzten Jahre hatte sie diese Aufgabe allein bewältigt, weil Roger oftmals an Weihnachten arbeiten musste. Das war das erste Mal seit Jahren, dass er zuhause war. Sie würde diesen Abend zu etwas ganz Besonderen für ihn machen.
Wie beschwingt, betrat sie das kleine Wohnzimmer mit der Holzvertäfelung und dem geblümten Sofa. Von hinten ging sie auf den hohen Ohrensessel zu, in dem Roger die Sportsendung verfolgte. Es war sein Stammplatz, der nur ihm vorbehalten war.
Vorsichtig lugte sie um den Sessel herum und rief: „Na? Hast du mich vermisst?"
Ruby wartete Rogers Antwort gar nicht erst ab, sondern drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, der Roger aufstöhnen ließ. Sein Gesicht war gerötet und er hatte einen Schweißfilm auf der Stirn: „Du solltest nicht so nah am Feuer sitzen, mein Schatz. Was hältst du von meinem neuen Kleid?"
Ruby trat einen Schritt zurück und drehte sich stolz im Kreis. Der edle Stoff wehte um ihre schlanken Beine und ein Lächeln huschte über ihre Lippen, während die Augen vor Aufregung glänzten.
„Wir sollten anfangen, den Baum zu schmücken, sonst kann Santa uns gar keine Geschenke bringen." Heiter lachte Ruby über ihren eigenen Witz, während Roger nur die Augen verdrehte.
Ruby wühlte in einer der Kisten und brachte das Lametta zum Vorschein: „Ach herrje, das muss ich unbedingt noch bügeln. Dieses Jahr hab ich ein ganz besonderes Geschenk für dich."
Aufgeregt drehte sie sich um und zwinkerte ihrem Ehemann zu. Er würde staunen, wenn er das Paket öffnen würde.
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