Quingenburg
Der Weg war Larno zwar grob beschrieben worden, jedoch schien das Ziel der Reise im schlesischen Eulengebirge so fern und versteckt, dass es keine leichte Reise war.
Auch der Anlass, die Todesnachricht verkünden zu müssen, sorgte für Gram.
Man hatte Larno als Reiseziele die größeren Siedlungen Legnitz und Schweidnitz benannt, welche im polnischen Tiefland am Eulengebirge lagen. Von dort sollte sich Larno durchfragen- die Bauern und auch Händler würden die Burg schon kennen, da sie nahe an der Heer- und Handelsstraße von Wroclaw über Glatz in die Böhmischen Herrschaftsgebiete liege.So war es denn auch, denn ein Händler in der Siedlung Schweidnitz konnte in der Tat einen guten Hinweis geben, dem Larno folgen konnte. Doch sei es ein beschwerlicher Weg in die Berge hinauf und durch viele Täler.
Und auch wenn dieser gute Mann davon sprach, dass man die Burg nicht verfehlen konnte- Larno gelang dies. Er war in den Tälern den falschen Weg geritten und etwas umher geirrt. So kam er erst zum Abend dort vor die Burg.
Die Quingenburg beherrschte einen Bergsporn und von Weitem fiel sie durch die zwei Türme auf, welche über den Palisaden in die Baumkronen eingebettet waren. Doch war sie weniger wehrhaft, als ihre Lage vermuten ließ. So waren nur das Torhaus, das Brunnenhaus der Vorburg und ein Turm in einem guten Zustand. Der alte Palas- aus Holz gebaut- der Turm für die Wachen in der Vorburg, die Ställe und ein Wirtschaftsgebäude waren alt. Auch die Palisaden, abgesehen von einer neueren, halbfertigen Steinmauer an der Westseite, zeugten davon, dass hier wohl der Burgherr in Ermangelung an Geld oder Material noch viel zu erledigen hatte.
Doch nun war der Herr von Quingenburg gefallen- und diese Nachricht zu überbringen fiel in Anbetracht der vorgefunden Lage noch schwerer.
Larno fand das Torhaus offen vor, so dass er ungefragt oder durch Wachen aufgehalten, frei den Zugang in die Burg hatte. Er sah dort vor der Palisade, welche ein weiteres Tor zur inneren Burg nahe dem großen Turm zeigte, drei kleinere Kinder spielen. Während sich die kleinen Mädchen Zöpfe flochten, schien der Junge mit einem Stock Hühnerdreck gegen die Palisadenwand zu werfen.
Der fremde Reiter erweckte das Interesse der Kinder, mehr noch jedoch sein Pferd. Grade die zwei Mädchen waren begeistert von Larno's Tier.
„Oh! Ihr habt aber ein gutes Pferd.", rief die größere der Beiden.
„Ja. Nicht wahr? Und es scheint mir großen Hunger zu haben. Doch vorher sollte es unter dem Sattel trocken gerieben werden.", sprach Larno belustigt. „Habt ihr dafür ein wenig Stroh für mich?"
„Dort am Stall liegt welches. Ich hole es Euch.", warf der Junge ein.
Während nun die Mädchen um das Pferd gingen und der Braune mit großen Augen um sich blickte, brachte der Junge zwei große Haufen.
„Seit ihr ein Ritter? So einer, wie Maria's Vater einer ist?", fragte der Junge.
„Ja. Ich denke schon.", gab Larno bekannt. „Im Dienst des Königs bin ich."
„Maria's Vater auch.", sprach der Junge.
„Ja. Mein Papa auch.", gab das kleinere der Mädchen bekannt und hob den Arm dabei. Sie war wohl die Maria, welche der Junge meint.
„So?", antwortete Larno. „Dann bist Du wohl ein edles Fräulein?"
Während Larno noch weiter mit den Kindern scherzen wollte, wurde dies Spiel durch den Zwischenruf einer jungen Frau unterbrochen, die wohl soeben aus dem alten Palas- Haus heraus getreten war und sich die hochgekrempelten, nassen Arme an ihrem einfachen Kleid abwischte.
„Das ist Sie!", stellte die Frau schlicht fest. „Und ihr seid?"
„Nur ein Bote, gute Frau. Nur ein Bote. Und für diese Kinder keine Gefahr, wenn ihr dies von mir denken solltet.", versuchte Larno zu erklären.
Die Frau schien dennoch vorsichtig mit diesem Fremden. Erklärungen schienen ihr wenig zu genügen, denn sie befahl die Kinder ins Haus und darum, einen Mann namens Andrash dazu zu holen.
Larno gefiel diese überraschende Wendung der Begrüßung auf der Burg nicht. Sollten die Leute hier wirklich so unfreundlich sein, wie es die Burg ebenfalls schien?
„Was treibt Euch hierher auf den Berg? Sucht ihr ein Nachtlager? Dann zieht weiter- im Tal ist eine Mühle, die Reisenden offen steht für ein Mahl, ein Bett und andere Dinge."
Larno war beschämt, für solch einen Mann gehalten zu werden. Er blickte an sich herunter, ob er durch Schlamm oder Dreck als ehrloser Geselle anzusehen war.
„Ich bin nicht solch ein Mann. Und weniger noch habe ich Lust, nach dem langem Tag im Sattel und fünf Tagen der Reise hierher von den deutschen Landen, mich erneut in den Sattel zu setzen und abgewiesen zu werden. Nicht bevor ich Eurer Herrin von Quingenburg die Nachrichten überbringen konnte, wie es mir von König Boleslaw Chrobny aufgetragen ist." , beharrte Larno seinerseits.
Die junge Frau- kaum zwanzig Jahre- verwirrte dies. Vielleicht hatte sie über ihre unbedacht gesprochenen Worte nachgedacht, denn sie sprach: „Verzeiht. Die Zeiten sind hier schwer."
Aus dem Turm neben dem Torhaus – dort, wo die Treppe in den Turm durch eine hohe Tür hineinführte- blickte ein älterer Waffenknecht heraus. Es handelte sich wohl um den Andrash, den der Junge von dort herbei zu holen hatte.„Alles in Ordnung Herrin?", fragte der Mann von oben hinunter und versuchte sich- im Angesicht des Fremden- stark zu geben, auch wenn er von Statur her wenig wehrhaft wirkte.
„Das wird sich zeigen, Andrash. Bleib bitte wachsam dort oben. Und schau auch vor die Burg in die Wälder vom Turm."
„Herrin?", fragte Larno ungläubig nach. „Seit ihr die Gemahlin von Herrn Athenulf?"
Die junge Frau war verunsichert. Sollte dieser Ritter wirklich Nachrichten bringen? Ein ehrbarer Mann sein und vom König gesandt?
„Ja. Dies bin ich. Barbara von Quingenburg. Herr Athenulf ist mein Gemahl.", erklärte sich die junge Frau.
Obwohl Larno überrascht war, versuchte er dies nicht zu zeigen. Er hatte Ritter Athenulf auf der Reise nach Werla ja kennen gelernt. Athenulf jedoch war bereits ein Mann hohen Alters gewesen. Eine so junge Gemahlin dieses Mannes hatte Larno nicht vermutet, eher eine lebensältere Frau, denn die Herrin auf der Quingenburg war um einige Jahre noch jünger als Larno selbst.
„So sind meine Berichte für Euer Ohr bestimmt. Und – ich bitte Euch dies zu überdenken- ich halte es für ratsam, dass ihr vielleicht einen tröstenden, geistlichen Beistand hinzu zieht.", sprach Larno mit ernster Miene.
„Ist Athenulf .... verstorben?", fragte Frau Barbara nach- mit Vorsicht, wie es schien. Doch gleichsam fordernd auf eine Antwort.Larno antwortete hierauf erst einmal nicht.
Er beobachtete die Witwe und band sein Pferd erst einmal am Stall fest, wo er auch den Sattel abschnallte.
Frau Barbara folgte nach kurzem Zögern.„Sagt es mir- und ohne Zögern. Ich kann mit jeder Nachricht, die ihr zu überbringen habt, umgehen und schwöre Euch bei Gott, dass ich mir nichts antun werde- auch schon für mein Kind nicht."
Obgleich Larno immer noch zögerlich war, so schien die Burgherrin auf Antwort jetzt zu bestehen.
„Ja Herrin. Euer Gemahl ist tot. Doch nicht friedlich entschlafen vom Weltlichen. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, aus freiem Willen bei dem Markgraf Ekkehard von Meißen im Geleit zu bleiben. Als der Markgraf in einem Hinterhalt fiel, war es auch um Euren Gemahl geschehen. Er war wohl in des Markgrafen Kampf auf dessen Seite gefallen und gemeuchelt. Ob Euch der Leichnam erreichen kann, ist ungewiss."
Die Quingenburger Herrin, die mehr Sorge als Trauer zeigte, stand in ihrem einfachen Kleid auf dem staubigen Grund des Hofes.„Und? Was wird nun aus meiner Tochter und mir? Darüber hat sich Athenulf schon zu Lebzeiten kaum gesorgt. Und nun? Was soll nun werden? Hat Boleslaw schon eine Nachfolge auf das Lehen bestimmt? Seit ihr es vielleicht sogar?", fragte Frau Barbara.
Barbara von Quingenburg war trotz ihrer mädchenhaften Erscheinung sehr fordernd. Larno hatte in dem Gespräch mit ihr immer das Gefühl, sich ihr erklären zu müssen- und mehr noch. Denn ihr mit Augenkontakt Rede und Antwort zu geben war das Eine, hier erschien es Larno jedoch so, dass er dieser Frau aus einem inneren und nicht zu benennenden Grunde die volle Aufmerksamkeit im Gespräch zu geben hatte. Dies verunsicherte ihn in einer Art und Weise, wie er es vorher noch nicht erlebt hatte.
„Ich habe Urkunden an Euch zu übergeben, die hierüber in gewissem Maße Klärungen bringen werden. Doch bitte ich Euch, lasst mich zuerst noch mein Pferd versorgen."
„An der Burg ist niemand, der des Lesens kundig ist. Ich muss dafür nach dem Pater aus Glatz schicken lassen. Wenn ihr etwas wisst, so sagt es mir bitte.", forderte Frau Barbara weiterhin.
Larno legte das Geschirr des Pferdes beiseite und zog das Seil an einem Balkenlauf des Stalles in einen festen Knoten.
„Ich kenne nicht den ganzen Inhalt."
„Dann sagt, was ihr wisst, denn bis der Pater hier ist, kann es mehrere Tage dauern. Oft hat er andere Pflichten."
Larno atmete tief aus. „Nun gut. Euch wird vorerst ein Wohn- und Bleiberecht auf der Burg zugesichert- wohlgemerkt vorerst. Um die Dienste Eures verstorbenen Ehemannes zu würdigen wird ein Forst und eine Ansiedlung zum Lehen Quingenburg geschenkt mit der Urkunde."
„Und ihr?"
„König Boleslaw hat mich angewiesen, als Schutzritter in Friedenszeiten auf der Quingenburg zu sein. Um Obdach und Kost soll ich Euch bitten- mit allem nötigen Respekt. Der König bat mich, hier für einige Tage auszuruhen- von den letzten Strapazen. Zum neuen Lehnsherrn der Burg bin weder ich noch ein anderer Herr ernannt worden."
Larno hatte erkannt, dass die junge Barbara von Quingenburg nur wenig in Trauer wirkte. Das die Belange der jungen Edlen nun im Wunsch nach Sicherheit für die Zukunft lagen, dies sah auch er ein.
Und das es um den Zustand der Burg augenscheinlich schlecht stand, dies war für die junge Frau zudem eine Last.
Frau Barbara überlegte. „Wir haben Quartier für Euch. Ich kann Euch eine Kammer geben, die Euch zur Verfügung stehen wird- auch für spätere Aufenthalte. In der Oberburg ist das alte Wirtschaftshaus, dort sind drei Kammern im Leerstand. Sucht Euch eine davon aus und richtet die Kammer für Euch her. Doch erwartet hier nicht das lustige Leben, wie es am Königshof geführt wird. Ihr werdet anderes gewohnt sein. Jeder hier muss arbeiten. Und die Mahlzeiten sind bescheiden- für jeden von uns."
Jetzt, da die junge Herrin einlenkte und nicht mehr diesen fordernden, abweisenden Blick zeigte, wollte auch Larno sich weniger abweisend geben.
„Ich danke Euch. Und ich möchte mich entschuldigen, falls ich aus Unbedachtheit zu grobe Worte gefunden habe."
Frau Barbara nickte. „Wir werden auch bald essen können. Wenn ihr Eure Kammer bezogen habt, so kommt in den Palas. Wir sitzen dort nachher alle im Rund zu Tisch. Das gibt Euch Gelegenheit, alle Leute hier kennen zu lernen."Mit diesen Worten nahm Sie die Urkundsrollen an sich und ging zurück in das alte Haupthaus der Burg.
Larno's Gedanken kreisten. Er wusste, dass es schwer sein konnte, eine Todesnachricht zu überbringen. Und hatte er sich vorab auf die Aufgaben hier gefreut, so war er jetzt über den kühlen Empfang verwirrt und enttäuscht.Weniger als stolzer Rittersmann war er hier angesehen, wohl mehr als Arbeitskraft willkommen. Und Arbeit schien es hier in Hülle und Fülle zu geben.
Mit einem Gefühl der Unerwünschtheit ging er hinüber zum Tor in die Oberburg. Der Sattel und die zwei Packtaschen mit der Habe waren schwer.
Auch die Kernburg war wenig ansehnlich. Hier am Tor war der große Bergfried. Wie der Torbogen war auch dessen niederes Erdgeschoss aus Stein. Darüber eine innere Konstruktion aus starken Holzbalken, welche sich jedoch nur mit mäßig wehrhaften Langholzbrettern nach Außen zeigte.
Im Innenhof der Oberburg stand nur ein eingeschossiges Gebäude mit einem Strohdach. Dies war wohl das Wirtschaftshaus.
All dies wenige war eingefasst durch eine neuere, steinerne Ringmauer, welche jedoch an mehreren Stellen unfertig wirkte. Diese Mauerung war auch zu niedrig, um jemanden davon abzuhalten, in die Burg zu gelangen- mehr noch: Wer unachtsam war, der konnte hier schnell zwei Meter in die Tiefe stürzen.
Larno legte am Wirtschaftsbau die Sachen ab, um von der niedrigen Mauerkrone einen guten Blick in das weite Land zu bekommen und für sich tief durchzuatmen. Dabei erkannte er, dass ein kleineres Baugerüst noch außen an der westlichen Mauerung zum Tal aufgestellt war. Doch Werkzeuge, Steine oder Lehmmörtel war nicht zu sehen- hier hatte schon lang niemand mehr gearbeitet.
An der Hofseite des Bergfried war eine Leiter angelehnt. Doch Larno lud dies nicht ein, sich den Turm von innen zu besehen, auch wenn dort keine Tür war.
Jetzt ging er erst einmal in dieses Wirtschaftshaus. Zur Linken war eine größere Kammer mit einem Tisch und mehreren Holzbänken. Ein alter Holzzuber stand an der hinteren Seite. An den Nägeln der Holzwände waren an Stricken mehrere Kräuter angebunden, welche hier trockneten.Zur Rechten befanden sich drei schmale Kammern, wobei nur zwei Räume ein gezimmertes Holzbett hatten.
So nahm sich Larno dann die hintere, südliche Kammer. Sie hatte auch ein schmales Fenster oberhalb, so dass man Luft in den Raum bekam, wenn man nur die Klappe zur Seite auf schob. Das Bett knackste bedrohlich, als er sich darauf setzte. Doch wollte er zufrieden sein und sich für die Kammer noch einen Schemel in die Kammer schaffen. Platz für eine Truhe war hier nur am Fußende des Bettes- doch hier stand ein kleines Regal an der Wand. Es würde genügen müssen.
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