Offenbarung
Der große Tag der Herrin Reglindis und des Herrn Hermann stand bevor. Viele Gäste- auch hohen Amtes- hatten sich hierfür angekündigt. Einige waren auch schon an der Burg Genea eingetroffen.
Larno hatte seine Kammer erneut geräumt und sich eines der am Ufer der Unstrut aufgestellten kleineren Zelte bezogen, welches er sich mit Stanielub und Biello teilen musste. Für mehr als diese Drei hätte das runde Zelt auch nicht getaugt.
Zur Sicherheit des Lagers waren auch die drei Slawen eingeteilt. Und so zog man bereits jetzt, da die ersten Gäste auch hier in den Zelten waren, gemeinsam oder allein seine Bahnen, damit sich die Gäste auch wenig Sorge um ihre persönlichen Dinge zu machen brauchten, wenn sie den Sitzungen im Palas oder den vielen Ablenkungen beiwohnten. Herr Manfred hatte jeden einzeln gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen, da die Geneaer Waffenknechte nicht überall ihre Augen haben konnten.
Larno ging herüber zum Palas, wo man den Leuten, welche nicht an die Tafel der Hohen durften in einer Kammer einen Tisch aufgebaut hatte, an welchem man sich von den Speisen und dem Bier nehmen konnte. Er vermutete die meisten Gäste im Saal, wollte diese Gelegenheit nutzen, ungesehen von den hohen edlen Leuten sich etwas zum Beißen mitzunehmen.
Als Larno gerade in die Tür hinein wollte, da kam von der Treppe das Fräulein Nerin leichtfüßig herabgesprungen.
„Huch? Larno, Ihr? Hab ich mich erschrocken! Entschuldigt bitte.", sagte sie. „Ich wollte nur schnell für die Herrin frisches warmes Wasser in die Kammer bestellen. Herrin Reglindis wünscht, Ihre Haare noch einmal auszuwaschen, bevor sie am Abend mit Hermann vor die Gäste tritt."
Larno lächelte verlegen. „Ist schon gut. Ich entschuldige mich."
Vielleicht sah Larno das Fräulein Nerin zu lange an, ohne etwas mit ihr zu reden, oder Nerin suchte ein Gespräch mit ihm- jedenfalls war es Nerin, die nun das Wort ergriff.
„Wir haben Uns lang nicht unterhalten. Nicht wahr? Die Herrin benötigt mich sehr oft, um wichtigen Leuten zuzuhören. Und wenn es dies nicht ist, so wünscht Sie entweder meinen Rat zu verschiedenen Dingen, meine Hilfe oder meine Begleitung."
„Ja. Dem ist so. Ich habe dies schon bemerkt. Doch wenn Ihr Zeit findet, so würde ich sehr gern mit Euch sprechen."
„Aber ich habe gleich ein wenig Zeit- zumindest, bis die Mägde das Wasser hinauf in die Kemenate schaffen! Ich sage in der Küche nur kurz Bescheid, dann können wir uns am Tor treffen? Einige Schritte im Kräutergarten gehen? Oder zum Fluss?"
Larno nickte lächelnd. „Sehr gern. Bis gleich- am Tor?"
„Ja."- so leichtfüßig Nerin ihm gerade vor die Füße gehüpft war, ebenso leichtfüßig lief sie nun mit langen und eleganten Schritten hinüber zur Küche.
Larno sah ihr nach und musste innerlich schmunzeln, als Nerin ihm beim Öffnen der Tür zur Küche ein Augenzwinkern zuwarf.
Schnell war Larno nun in die kleine Kammer, griff nach Brot und Käse. In aller Hast tunkte er das Stück Brot in den Gußtopf mit einer Brühe ein. Um nichts auf der Welt wollte er Nerin warten lassen.
Das Essen schlang sich jedoch dann doch nicht so schnell herunter, wie es sich Larno erhoffte.
Nerin kam dazu, als er mit vollem Mund den Käse kaute und hastig suchte, wohin er mit dem Brot könnte.
„Lass nur. Iss in Ruhe. Komm, wir gehen an der Mauer zum Fluss."
War Nerin eben noch schnell unterwegs, so ging sie nun langsam. Sie schlenderte fast dahin.
„Ich werde Dir erzählen, wie es mir erging- daheim in Lenzen. Soll ich?", fragte sie.
Larno nickte, immer noch bemüht, den Käse zu kauen.
Nerin lächelte darüber, wie gierig Larno zu essen suchte.
„Die Reise verlief angenehmer, als ich es gedacht hatte mit dem Schiff. Es war beruhigend, alles so vorbeiziehen zu sehen. So aufgewühlt, wie ich war, beruhigte es mich und lies mich klare Gedanken fassen. Ich habe viel überlegt über manche Dinge. Meine Sorgen, meine Ängste- das alles brachte die Reise zur Ruhe in mir."
Da Larno's Mund ein wenig frei war nach heftigem herunterschlucken, konnte er zumindest kurz beweisen, dass er Nerin zuhörte. „Das freut mich.", kam aus seinem noch kauenden Mund- auch so, dass man es verstehen konnte.
„Am meisten habe ich mich auf meine Brüder gefreut, besonders auf Beromir. Mein älterer Bruder Berowin is bei meiner Ankunft noch auf Jagd mit Vater unterwegs gewesen. So hatte ich Zeit, Beromir über Erlebtes und Gesehenes zu berichten. Nach Euch hat er auch gefragt- ob es Euch gut geht und wie ihr mit den Sachsen und Thüringern auskommt, wollte er wissen."
„Und? Was konntet ihr ihm sagen?"
„Nur die Wahrheit. Das ihr Eure Pflichten hervorragend erfüllt, einmal die Wegelagerer mit zurückgeschlagen habt und auch, dass der Sohn des Markgrafen Euch wohl vertraut in vielerlei Dingen. Ich denke, ihr habt Berowin damals beeindruckt, als wir nach Wulfesal unterwegs waren."
„Es war für mich selbst eine sehr wichtige Reise. Ich denke viel daran zurück."
„Doch als mich Berowin fragte, ob ich wieder zur Prinzessin aufbrechen muss, da hat mich alles wieder eingeholt. Geweint habe ich. Berowin wollte mich trösten, aber wie sollte er denn- so jung an Jahren- Rat geben. Doch war es gut, ihn bei mir zu haben. ja- und dann kam die Unterredung mit Vater. ..."
Nerin hielt im Reden inne. Mit flacher Hand streifte sie durch einige Haferhalme, die im Kornstand hier wild an der Uferzone der Saale wuchsen. Larno bestaunte, mit welcher fließenden, sachten Bewegung Fräulein Nerin dies tat.
„Und? Wie verlief die Unterredung?"
Nerin blieb stehen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Lauer Sommerwind trieb die offenen dunklen Haare spielerisch zur Seite.
„Als ich Vater die Kunde gab, dass der Mann, dem ich für die polnischen Bündnisse versprochen war, verstorben sei und dessen Familie mich entpflichtet ohne das Vater hierzu Gegenleistungen zu erbringen habe an die Polen- da war Vater weniger erleichtert für mich, als ich es mir gewünscht hätte. Mutter hätte sich sicher verständnisvoller gezeigt. Gegrollt hat er. Das Bündnis mit den Polen dahin- Nachbarn von Norden und Osten, die das Fürstentum der Linonen bedrängen- ich sei schon viel zu lange bei Herrin Reglindis, werde keinen würdigen Mann mehr finden- nur die Dänen hätten noch einen dreizehn Jahre alten Erben im Fürstenhaus, die anderen Adligen im Umland sind schon vergeben... Dreizehn! Verstehst Du?"
Nerin drehte sich aufgebracht um. „Dreizehn Jahre ist der Däne! Noch ein Welpe! Und dann sprach er von Werbern, die man verpflichten müsse und welch Silber das kosten wird. Ich kam mir vor, wie Vieh, um das man auf dem Markt schachert und handelt!"
Larno konnte es sich ausmalen, wie das Gespräch verlief. Und Nerin stand das Ärgernis darüber in ihrem Gesicht geschrieben.
„Zumindest hat er nicht darüber gesprochen, mich in ein Kloster zu geben. Ich sei wohl ansehnlich genug, dass sich noch Einer für mich finden lassen könnte, sagt er."
So ist es, dachte Larno für sich mit aller Ehrlichkeit. Seit Nemanja war Nerin die erste Frau, die er selbst für äußerlich schön ansah und auch von ihrer Ehrlichkeit, Gutherzigkeit und Seele für schön ansah.
Nerin sah Larno mit tiefen Blicken in die Augen, als fordere Sie ihn um seine Meinung auf. Und war Larno für diesen kurzen Moment geneigt, ihr dies auch zu sagen, so unterlies er dies, da Nerin erneut sprach.
„Vater hat mich dennoch einstweilen hierher entlassen in Reglindis Dienste. Doch geht er davon aus, dass nach der Heirat Herrin Reglindis, oder Hermann als ihr Gemahl vor Gott oder auch Reglindis Vater meine Aufgaben als erfüllt ansieht. Und was dann? Fräulein Sania und Reglindis wollen vor Reglindis Vater für mich bitten, Frau Sania von Dobschitz danach folgen zu dürfen- auch um unserer Freundschaft als Freundinnen willen. So werde ich mich wohl alsbald entscheiden müssen, Larno. Einen dreizehnjährigen Dänen zum Mann gegeben zu werden oder Einem, der die Werber nicht wegjagt, oder vielleicht bei den Polen mein Glück suchen zu dürfen- allein."
Larno bot Nerin von seinem Brot an.
Obwohl Nerin sehr aufgewühlt war, so brach sie sich ein Stück davon ab.
Nun sprach Nerin mit vollem Mund. „Nun sag doch auch einmal etwas dazu. Du musst doch auch eine Meinung dazu haben, oder? Sag schon!"
Larno atmete lang und tief durch die Nase ein und aus. Es sollte seinen Kopf befreien- ihm Mut geben. Er wendete sich ein wenig ab und blickte zum Fluss. Er schloss seine Augen- und sprach frei heraus, was sein Herz im befahl.
„Ein junger Mann, den es innerlich wenig nach Abenteuern verlangt und der von Ansehen, Besitz, Gütern und Titel als gering angesehen wird, wurde vom Leben, den Göttern und seinem Herren mit Aufgaben betraut, die ihn weit weg führten von Freunden und dem Ort, an welchem er zu leben gedachte. Sein Weg im Leben war nie einfach und es gab nur wenige Momente, in denen er Zufriedenheit und Glück empfinden durfte. Die Zeiten waren gegen ihn- so wie er es sah- und müsste er den Sinn seines Lebens beschreiben, so würde er wohl keine Antworten geben können. Doch dieser Mann erkannte für sich, was ihm wichtig, lieb und teuer erschien. So will ihm das Leben ein weiteres Mal nicht gut gesonnen sein und ihm einen Menschen von der Seite reißen, der von ihm als sehr wichtig- ja fast unersetzlich für sein Lebensglück- angesehen wird. Doch dieser junge Mann ist nicht bereit, erneut eine Möglichkeit des Glückes für sich verstreichen zu lassen."
Larno zitterte in der Stimme- so wie er dies noch nie vorher erlebt hatte bei sich. Vollen Mutes wandte er sich zu Nerin herüber. Sie hatte ihm zugehört- stand jedoch wie versteinert mit hängender Schulter und fast fassungslos erscheinendem Blick.
Larno war daher unschlüssig, ob er weiter reden sollte. Doch nie mehr würde er das bereits Gesagte zu anderer Zeit beenden können. Nie mehr würde es vielleicht solch Gelegenheit für ihn geben, Nerin seine Gefühle zu gestehen.
„Es ist auch für Euch eine schwere Zeit, Nerin. Niemand kann Euch Gewissheit geben, wo ihr Euren Platz finden werdet. Ich möchte nicht, dass ihr schlecht von mir denkt oder mich gering schätzt, wenn ich Euch- jetzt und an diesem Ort- meine Liebe gestehe. Vielleicht war es am Anfang nur Freundschaft zu Euch, die langsam wuchs mit jedem Tag. Doch seit Wulfesal schon sehe ich Euch mit anderen Augen, auch wenn noch Trauer mein Gemüt verfinsterte. Wenn ihr nicht da seid- so wie es zuletzt gegeben war- so fehlt ihr mir. Und seid ihr da und in meiner Nähe- so genieße ich jeden Moment, Euch auch nur aus der Ferne anzusehen oder mit Euch ein Wort wechseln zu können. Ich gestehe mir ein, dass ich nicht mehr weiß, wann das Gefühl der Liebe zu Euch so groß wurde. Doch ist es nunmehr übermächtig. Es fällt mir nicht leicht, Euch all dies zu gestehen- und bitte, wenn Eure Gefühle nicht ebenso für mich bestehen, so sagt mir dies und denkt nicht gering und schlecht von mir."
Es war getan. Larno hatte all jenes, was ihm schon seit Wochen auf dem Herzen lag, nun auch über seine Zunge bringen können.
Doch zufrieden war er nicht damit, denn sicher hätte er bessere Worte finden müssen, um Nerin all die Gefühle ausreichend zu schildern.
Nerin schien traurig- zumindest wirkte es auf Larno so. Doch nun war es an ihr, etwas zur Antwort zu geben.
Eine Antwort, die Larno ersehnte- aber auch fürchtete. Eine Antwort, die ihm jede Hoffnung nehmen konnte. Oder auch eine Antwort, die sein Glück in den Himmel hinauf tragen konnte. Doch befreit vom Stein des Geheimnisses war sein Herz. Es lag nun an Nerin.
Sie atmete hastiger, fast schwer und lang. Fast schien es so, dass die junge Frau vor ihm zusammenbrechen würde und ihre lange Freundschaft würde für immer verloren sein.
Nerin legte den Kopf weit nach vorn – fast auf die Brust hinab und man konnte im Nacken die Knochen durch die zarte Haut hervorstechen sehen.
Langsam schloss Nerin nun die Augen in dieser Haltung und atmete ebenfalls tief durch- als müsse Sie sich überwinden zu sprechen.
In keinem Moment vorher hatte Larno solche Angst gespürt bei sich, denn jedes Wort, dass Nerin nun zu ihm sprechen konnte und wohl auch wollte, konnte ein scharfes Schwert der Enttäuschung und des Zweifels sein, welches Nerin ihn sein Herz bohren könnte.
„Ich glaube diesen einfachen jungen Mann zu kennen.", sprach Nerin. „Und stände er jetzt in diesem Moment vor mir, so müsste auch ich dem Mann ein Geständnis machen."
Sie öffnete kurz die Augen und sah mit gesenktem Kopf zu Larno. Er nickte- zu mehr war er nicht in der Lage, denn seine Sprache war wie abgeschnürt im Halse.
Erneut schloss Nerin die Augen und redete weiter.
„Eine junge Frau, von Geburt an aus hohem Stand, hat viele Erwartungen ihrer Familie zu erfüllen. So wurde sie ihr von Geburt an gelehrt, dass ihre eigenen Wünsche und Belange zum Wohl ihres Volkes und auch zum Erhalt von Frieden und Macht ihrer Familie als gering anzusehen sind. Pflicht und Erfüllung dieser Aufgaben sollten von da an ihr Leben bestimmen. Ohne Murren und an eigene Freiheit und Wünsche zu denken, ließ sich daher diese Frau in die Fremde einem Mann versprechen und war entschlossen, das Ihre zu tun nach ihren Möglichkeiten. Auch der Weg dieser Frau war schwer und manchmal ohne Hoffnung auf eigenes Glück. In Gefangenschaft und Angst gefangen, begab es sich jedoch, dass sich dieser jungen Frau etwas offenbarte. Dies war als Freiheit und Glück von ihr empfunden worden- und zum ersten Mal schien diese junge Frau von Herzen frei atmen zu können. Und mehr noch- ein Mann, der ihr all dies ermöglicht hatte und ihr neuen Lebensmut gab, trat in ihr Leben und war fortan oft in ihrer Nähe. Im stetigen inneren Zwist, ihre Aufgaben erfüllen zu müssen und andererseits selbst die Freiheit zu suchen, reichte es ihr, diesen Mann nahe bei sich zu wissen, um sich sicher und geborgen zu fühlen. Doch auch diese Frau bemerkte, dass ihr Herz einer starken Sehnsucht mehr und mehr verfiel. Und sie hatte diese Sehnsüchte zu verbergen vor Jedermann- und die Sehnsucht wurde übermächtig, wollte heraus geschrien werden, damit alle es hören. Im Herzen war es ihr schwer, da ihre Pflicht noch nicht getan war. Doch kam der Tag, da sich Erhofftes zeigte und auch die junge Frau sich –schwer im Herz und für die Ewigkeit durch diesen Pfeil der Liebe auch zu jenem Mann getroffen- entscheiden musste. Und befahl ihr Herz auch, all dem Herzensdrang nachzugeben und ihre große Liebe zu beweisen, so war sie gebunden an elterlichen Schwur und Erlaubnis für ihr Glück."
Damit hatte auch Nerin alles gesagt. Ihre Liebe- die wohl schon lange in ihrem Herzen wohnte und ebenso stark war, wie die Liebe Larno's- wollt sie hinausschreien in die Welt und allen Kund tun- doch durfte sie dies nicht. Nicht jetzt jedoch.
Doch nahm Larno- so wie es sein Herz ihm für richtig befand- Nerin an der Hand und hielt diese- und ohne sein Zutun kam Nerin ganz nahe an ihn und legte ihren Kopf auf seine Brust.
Eine Glocke ertönte in der Burg Genea.
Es war wie ein Zeichen, zurückzukehren.
Gäste näherten sich der Burg- und jeder hatte seine Aufgaben zu erfüllen.
Doch seit heute, seit diesem Moment waren sie für einander bestimmt- dies war nun Beiden gewiss.
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