Glina oder Bojek?
Aufgemacht hatte man sich- Keiner wollte mehr abwarten.
Auch wenn sich die Lenzener Leute freundlich gezeigt hatten und jeder den Eindruck hatte, dass man mehr als willkommen war- das eigene Schicksal mussten die Flüchtigen aus dem Land der Brisanen doch selbst tragen und angehen.
Der neuerliche Marsch war schwer für die Leute, denn die Kälte und Anstrengungen forderten ihren Tribut.
Dem Flusslauf der Elda zu folgen erschien leichter, als es tatsächlich war. Oft mussten die Karren vom Fluss weit abschwenken, um schlammige Stellen der Niederung und Auen zu umgehen.
Dennoch- wie beschrieben konnte am späten Nachmittag der Burgwall von Glina zum ersten Mal gesehen werden.
Glina war eine recht groß erscheinende Anlage und lag direkt am Ufer des kleinen Flusses Elda rechterhand. Breit und flach erschien der Ringwall von Weitem schon- auch der innere und etwas höhere Wall war deutlich zu erkennen. Eine direkte Zuwegung über die Aue gab es anscheinend nicht mehr- wenn doch, so war sie seit dem Verlassen dieser alten Zuflucht völlig verwachsen.
Neugierig bahnten sich die Leute einen Weg durch hohes Gras. Die Karren und das Vieh ließ man derweil zurück. Es galt einfach nur, einen ersten Eindruck zu bekommen- einen Blick darauf zu werfen, was vielleicht die neue Heimat werden könnte.
Während die Männer zu aller erst die Wälle prüften, versuchten die Frauen im Inneren der Burganlage etwas zu finden, was schnell und einfach als Baumaterial dienen konnte oder aussah, wie ein Ort, an dem eine Hütte oder ein Haus erstehen könnte.
Die Männer fanden nur verrottetes Holz- dort wo ein vielleicht Palisaden standen. Und der innere Wall ließ nur wenig Platz im Innenraum- vielleicht für ein oder zwei größere Häuser. Wer auch immer hier früher gelebt hat, dieser Herr der Burg wollte sich wohl ganz bewusst abschotten oder aus militärischem Grund einen besonderen inneren Rückzug für Wenige schaffen. Durch die innere Burg und deren Wall wirkte der Platz, den die innere Burg hinter dem großen Außenwall bot, irgendwie beengt. Nicht so, wie man es von Slivor kannte.
Insgesamt schien es, als habe hier ein Feuer gewütet. Verkohlte morsche Reste von dickem Balkenholz lagen kreuz und quer verteilt. Das was wohl auch an Balken plündernden Leuten brauchbar erschien, hatte man als Beute oder Baumaterial mitgenommen und den Rest dem Feuer und Zeitenlauf überlassen.
Schlecht schien der westliche Wall- dort wo der Fluss sein Bett hatte. Ausspülungen hatten dort wohl vor längerem den Wall unterhöhlt und dann in den Fluss abrutschen lassen. Allein dieses Wallstück wieder zu befestigen gegen weiteres Abrutschen würde sehr viel Mühe und Material aufwenden.
Die Bauern unter den Flüchtlingen hatten einen anderen Blick- einen Blick auf das Umland. Hier waren gute Auen mit sicherlich sattem Grün für das Vieh vorhanden. Allerdings war die Niederung um die Burg und die Wiesen sehr feucht- das Vieh würde dies sicherlich nicht stören, es würde aber den Tieren Kraft kosten, Futterplätze zu wechseln in tiefen Schlamm. Platz für Ackerbau war nahe der Burg deshalb ebenfalls kaum. Doch die nahen Wälder stellten sicherlich Holz, dass man zum Einen selbst benötigen würde und zum Anderen auch für den Lenzener Fürsten zu erbringen hatte.
Am Waldrain hatte man sich auf festem Grund das Lager geschaffen bis zum Einbruch der Dämmerung.
Die Leute hatten viel zu reden: Was man vielleicht hier und dort an Arbeit aufzubringen hatte und wie Glina zu einer kleinen Siedlung erstehen konnte. Was mit dem Vieh zu machen sei, wo Gatter entstehen könnten. Wo ein Holzplatz angelegt werden könnte.
Doch auch wenn Burg Glina nicht schlecht war für einen neuen Anfang der Flüchtigen, man wollte dennoch die recht nahe liegende Burganlage von Bojek zumindest in Augenschein nehmen, bevor man sich festlegte. Glina jedenfalls schien bereits einige Stimmen der Zufriedenheit zu finden.
Zu dem Ort, wo der Wall der Burg Bojek nach den Beschreibungen liegen sollte, machte man sich vom Lager bei Glina aus ohne die Karren auf- man hatte am Morgen nicht weit zu laufen und wollte sich die Mühe ersparen, das Lager vielleicht umsonst abzubauen.
Der Morgen bot sehr klare und kalte Luft- jedoch zeigte sich die Sonne, die nach und nach immer wärmender das Land beschien.
Durch einen schmalen Waldkorridor kürzte man den Weg ab, da man sah, dass der Fluss Elda hier einen weiten Bogen schlug. Man war fast zwei Stunden auf Wanderung, als man einen guten, festen und recht ausgefahrenen Weg in die Aue der Elda im Wald erblickte.
Dies musste wohl der Weg zur Furth bei Bojek sein.
Und so war es dann auch, denn als man aus dem Wald heraus trat, sah man eine in Sonnenlicht getauchte Niederung vor sich. Geradewegs ging der Weg dort zu dem Fluss hin- und nahe bei der Furth dort konnte man linksseitig davon - und auch auf gleicher Uferseite einen hohen Burgwall nahe am Fluss erkennen.
Vom Furthweg aus ging sogar ein schmaler Trampelpfad dort herüber, der fest erschien und vormals wohl auch breit genug war für Karren- die Rillen im Boden zeigten auf, dass selbst nach so langer Zeit, hier einstmals eine blühende und geschäftige Siedlung war.
Ein feiner Rauch stieg aus dem Inneren des Walles hinauf zum Himmel.
Hier schien bereits jemand sein Lager zu haben! Händler? Räuber vielleicht? Unruhe erfasst die Männer und Frauen- und sie wurde stärker, je näher man heran kam.
Doch schon nahe an der Burg von Bojek hörte und sah ein Jeder schon, was oder wer dort in der Burg Obdach gefunden hatte. Ein lautes Blöcken verriet es den Leuten.
Schafe! Und nicht wenige davon waren hinter dem Wall. Und kaum dass man die Stelle durchging, wo wohl einst der Zugang durch ein Tor ging, so sah man sie. Der Rauch kam von einem Feuerplatz in der Mitte der Burg. Zwei Männer und eine Frau hatten dort ein Lager mit zwei nahestehenden Stoffzelten. Sachen waren über einen Balken zum trocknen gelegt, ein anderer Balken nahe dem Feuer diente den Leuten, die wohl eine Familie waren, als Sitzplatz.
Nicht schlecht staunten sie, als dort an die Sechzig Leute durch den Wall und auch an manchen Stellen über den Wall hereinkamen.
Misstrauisch stellte sich der Bauer oder Schäfer auf. Er griff nach einem festen Knüppel, den er sonst wohl zum Treiben der Schafe nutzte. Auch bellten nun noch zwei Hunde, die der jüngere Mann kaum am Strick bändigen konnte.
So stand man sich gegenüber- die Vielzahl an erstaunten Flüchtigen, die mitgekommen waren und ein Bauer, der bereit schien, seine Familie und sein Vieh zu verteidigen. Alle blickten einander ratlos an.
Stanielub löste sich aus der Menge der Brisanen zuerst. Der Alte wollte hier nicht lange zaudern, wie es schien- sondern reden.
Auch Wibor, Larno und Andra gingen nun mit herüber zu den Leuten und bahnten ihren Weg durch die Schafe, die Reste von Gras und kleinen schwarzen Klumpen.
"Guten Tag!", entbot Stanielub schon den Gruß- auch wenn er noch einige Manneslängen von dem brummigen, kampfbereiten 'Herren der Schafe' entfernt war.
Der Mann kniff die Augen zusammen. "Was wollt ihr?"
Es schien Stanielub nicht der rechte Moment zum Scherzen. Nur zu gern hätte er zum Spaß und mit der Vielzahl von Leuten hinter sich gesagt: 'Dein Vieh!', jedoch wollte er hier keine Probleme schaffen- auch nicht nur zum Spaß seiner Leute.
"Wir? Wir wollen uns die Bojeker Burg besehen- oder dass, was davon noch für Uns taugt, mein Freund!", sagte Stanielub gelassen und ging zum Feuer, wo in einem Tiegel wohl eine Brühe mit Schaf- Fleisch brodelte. "Gemütlich habt Ihr es Euch hier gemacht!"
"Die Burg? Ihr wollt Euch hier umschauen? Wozu?", fragte der Bauer misstrauisch. "Bojek ist so lang ich denken kann verlassen?"
"Nun guter Mann, der Fürst hat Uns freigestellt, Bojek wieder mit Menschen zu füllen, anstatt mit Schafen.", rief Wibor herüber und schnitt Stanielub eine Antwort ab.
"Was redest Du da?"
"Es stimmt mein Freund!", Stanielub grüßte mit höflichem Kopfnicken die Frau des alten Bauern, die eingeschüchtert hinter ein Zelthaus zu ihrem Sohn mit den Hunden herum ging. "Der Fürst will uns die Wahl lassen, welches Land wir für Uns nehmen- Glina oder dieses schöne Fleckchen hier."
"Der Fürst also? Der war schon über einem Jahr nicht mehr hier gesehen worden."
"Ja. Das hat er Uns auch so gesagt." warf Larno nun ein. "Und auch, dass die Burg leer und verlassen sei."
"Das ist sie nicht! Und wer seit ihr?"
"Linonen sind wir- wie Du wohl auch. Freie Slawen. Und der Fürst will, dass wir hier ansiedeln. Wir haben seinen Handschlag darauf."
Kein Wort wollte der Bauer glauben. Misstrauisch schaute er in die Gesichter der Männer und Frauen.
Daher sprach Larno weiter. "Wir haben unser Lager nahe bei Glina aufgeschlagen. Doch wie es mir scheint, ist Bojek besser erhalten, um all unsere Leute aufnehmen zu können. Ihr müsst wissen, am Lager sind noch einmal so viel, wie hier an Menschen- zumeist unsere Alten und Kinder und diejenigen, die keine Lust oder Kraft hatten, heute mit hierher zu kommen."
"Was? Ihr seit noch einmal so viele? Aber wie....?", fragte der Bauer erstaunt.
"Wir sind aus dem Brisanenland! Sind geflohen dort vor dem Krieg. Redarier und Lutizen haben uns vertrieben dort. Der Fürst nimmt uns als die Seinen auf- als Linonen!", sprach Stanielub zu dem ihm nahen Bauern.
Jetzt gab er Ruhe, fragte nicht mehr. Dafür aber seine Frau: "Ein Krieg? Wirklich? Dann habt ihr Schlimmes erlebt. Wer kämpft dort?"
"Wir! Wir haben dort gekämpft!", sprach nun eine Slepnaer Frau. "Alles hat uns der Krieg dort genommen! Das Haus, den Hof, das Vieh- Freunde auch!"
Da nun die Frauen sprachen- und sich weniger zornig miteinander gaben, ließ der Bauer seinen Knüppel sinken- und er setzte sich wieder an sein Feuer auf den Balken, als wenn es keinen Zwist geben soll. Stanielub gesellte sich zu ihm. Er sprach mit dem Mann, als würden sie einander schon ewig kennen.
"Stanielub nennt man mich. Bitte gräme dich nicht. Jeder von Uns versteht, das ein Mann seine Familie und sein Hab und Gut zu schützen versucht."
"Stanielub? Dann warst du wohl nicht sonderlich beliebt unter den Deinen? Vor wem seit ihr geflohen? Den Sachsen- Rittern? Denen gefällt es, sich immer mal zu zeigen?", sprach der Bauer- behielt aber die seltsamen Besucher im Auge.
"Nein. Keine Ritter. Ein Slawe war es. Ein redarischer Fürst mit Namen Neromir. Hat ein ganzes Dorf niederbrennen lassen. Die Burg Slivor hat er besetzt und den Herren dort getötet. Wir, alle die hier stehen, haben schwere Zeiten erlebt. Ich selbst musste mein armes Kind überleben. Kein Vater sollte das erleben."
Der Bauer zog die Augenbrauen hoch.
"Janko heiße ich. Milla dort ist mein Weib, der Boris mein Sohn. Auch ich habe schon ein Kind verloren- weiß, wovon Du sprichst. Der Jüngste ist vor zwei Wintern krank geworden und nichts konnten wir tun."
"Nun Janko. Dann lass Uns gute Nachbarn sein.", bot Stanielub an.
Janko nickte. "Wir sind von dort am Wald- nördlich, nicht weit. Doch Linonen sind wir nicht. Sind Bethenici! Davon gibt es hierzulande jedoch nur noch wenige, soweit nördlich. Wir haben gestern morgen die Schafe durch den Fluss getrieben. Die Herde ist recht groß geworden. Futter ist da knapp, wenn man Saatgut zurückhalten muss. Und hier gibt es noch Futter für die Tiere."
Wibor setzte sich dazu. Er hatte mit angehört, was Janko sagte. "Ja. Diese Sorgen kenne ich, bin auch Bauer."
Nachdem nun doch der erste Widerspruch verflogen war, besahen sich die ehemaligen Slivorer und Slepnaer die Burg und das Land hier um Bojek.
Janko war hierbei auch ein guter Ratgeber- besonders wenn es um den Boden um die Burg ging. Die Bojeker Gegend und der Landstrich hier waren besser, als die Auen bei Burg Glina- soviel stand fest nach dem Gesehenen und Beschriebenen.
Auch wirkte Burg Bojek in besserem Zustand und man könnte den Ort wohl mit weniger Aufwand wieder herrichten. Auch stand der Innenraum dieser Burg der Burg in Glina kaum nach und war offener gehalten. Der Wall war fest und seltsamerweise nicht so stark durchnässt wie in Glina.
Bojek.
So entschieden die Leute in überwiegender Mehrzahl!
Bojek würde die neue Heimstadt werden.
Es gab frisches Wasser, der nahe Weg durch die Furth war für Handel gut und auch hier gab es einen nahen Wald, der gutes Holz und Wild versprach. Nur was von dem Hafen noch da sein sollte, war nicht mehr dort oder nicht mehr zu erkennen. Das Stück des Elda- Altarmes war verwachsen und überwuchert.
Also Bojek!
Und die ersten neuen Nachbarn hatte man auch schon kennen gelernt.
Larno war also nun Burgherr von Bojek geworden ab dem heutigen Tag.
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