Gehaltene Versprechen
Am gestrigen Tag gab es ein sehr ungewöhnliches und nicht ganz ungefährliches Schauspiel zu sehen.
Fünfzehn Männer aus Bojek hatten sich am Morgen aufgemacht, im nahen Wald nach brauchbarem Holz für den Bau der Hütten Ausschau zu halten.
Doch fanden sie etwas ganz anderes dort.
Zuerst hatte man einen wilden Keiler hochgeschreckt und vor lauter Schreck gemeinsam zur Strecke gebracht. Dies war gutes Fleisch für die Leute.
Doch hatte man kaum Zeit, sich um das frisch erlegte Tier zu kümmern.
Denn kurz darauf zeigte sich, bei welcher Rotte dieses Tier wohl der Keiler war: Drei Bachen und gut fünfzehn Jung- Wildschweine kamen aus dem Unterholz und hielten direkt auf die erschrockenen Männer zu. Mit lauten Schreien und Geschepper scheuchte man die Tiere- und für alle überraschend schwenkte die Leitbache in Richtung der Burg Bojek auf das weite Auengras hinaus.
Die verschrockenen Tiere wurden nördlich um den Burgwall Bojeks gescheucht, wo man den Wildschweinen Zeit gab, zur Ruhe und Besinnung zu gelangen.
Nur ein humpelndes Jungtier kam den Bachen nicht schnell genug nach und lief abseits. Da es in der Nähe blieb, war es später am Abend gejagt und erlegt worden.
Eilens kamen- angelockt durch den Trubel- weitere Bojeker hinzu, über den Wall oder von dort, wo man grade Grasnaben für Grubenhäuser zwischen Hafen und Burg abstach.
So hatte man die Tiere nun- im respektvollen Abstand- eingekesselt. Ohne viel Worte sagen zu müssen- einig war man sich, die Tiere schnell einzufrieden. Jeder, der nicht die erschöpften Tiere im Zaum halten musste, schleppte eilig Pflöcke, Seile und Holz heran- alles, was nötig war.
Den Bachen war nur schwer bei zu kommen. Bei jedem lauten Grunzen und Schnaupen der Bachen zuckten alle vor Angst und Erregung zusammen- doch man konnte die Leitbache und die anderen zwei Bachen letztlich binden. Die Jungschweine blieben nahe bei den Muttertieren.
Den ganzen Tag über waren die Leute beschäftigt, schnellstens ein Gatter zu einzuschlagen. Am Abend hatte man durch gemeinsames Tun das behelfsmäßige Gatter soweit. Bis in die gestrige tiefe Nacht hinein feierten sich die Leute, diese Leistung- gemeinsam und aus der Situation heraus- geschafft zu haben. Und es ging mit nur wenigen Wunden und Blessuren vom Gemenge aus.
Man hatte frisches Fleisch! Im Gatter und an den Feuerstellen!
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Ruhiger begann der heutige Morgen, denn nun gingen die Männer dann nochmals- und immer noch unter dem Eindruck der gestrigen Überraschungen- ins Holz.
Gemeinsam suchte man geeignete Stämme aus und markierte Sie mit Axt- Zeichen für den Einschlag.
Larno wollte aber auch nach dem Fortgang der Arbeiten für die ersten Grubenhäuser sehen, die außerhalb des Walles schnell gebaut werden sollten. So ging er mit Milorad gegen Mittag zurück zur Burg.
Und wieder gab es Überraschendes.
Vor dem Wall konnte man fünf Pferde sehen, die dort an einem umgestürzten Baum nahe dem Hafen festgemacht waren. Die Tiere waren abgesattelt und bereits versorgt. Mehrere Sättel lagen unweit unter einer Weide. Auch einige Säcke und umwickelte Sachen waren dort abgelegt.
Bei dem behelfsmäßigem Lager erkannte Larno die Lenzener Fürstentochter Nerin am Feuer. Sie unterhielt sich dort angeregt mit Neropolk und Wibor. Auch der Lenzener Kämmerer war dabei und zwei andere Männer. Während der jüngere Mann- ein Knabe noch- Larno auch von dem Gastmahl des Fürsten bereits vom Sehen bekannt war, war der ältere Mann wohl ein linonischer Krieger.
Gestenreich zeigte Wibor so einiges, auch Neropolk scheute sich nicht, mit der edlen Fürstentochter und dem Kämmerer zu reden. Von Weitem schon war zu sehen, dass Wibor und Neropolk Freude daran hatten, den interessierten Zuhörern Erklärungen zu geben- wohl auch zum Einfangen der Wildschweine.
Mit freundlichem Lächeln nahm Fräulein Nerin nun auch Larno wahr, der über die Ebene auf die Gruppe zukam. Sich entpflichtend löste sich die Fürstentochter aus der Gruppe und schritt Larno und Milorad entgegen.
"Wie ich höre, sind die Arbeiten auf Bojek bereits gut verteilt. Bei so vielen fleißigen Händen und all dem Lärmen- habt Ihr Zeit, mich ein Stück zu begleiten? Herr Larno Wulfesal?", fragte Nerin schon von Weitem.
"Larno Wulfesal?", fragte Milorad spitzbübisch und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
"Ja. So nennt Sie mich, seit ich Ihr von meiner Vergangenheit erzählte." Larno war etwas beschämt, dem Freund diese Erklärung geben zu müssen.
"Nun? Soll sie dich ruhig so nennen, wenn es der edlen Dame so gefällt. Hauptsache, wir stehen in der Gunst Ihres Vaters und er lässt Uns nicht mit leeren Worten hier bestehen.", räumte Milorad ein. Dann schwenkte er seinen Weg zu den bei Wibor umstehenden Leuten ab, grüßte jedoch die Fürstentochter überschwänglich freundlich.
"Was ist mit Ihm?" Nerin war nicht entgangen, dass die beiden Männer wohl über sie gesprochen hatten.
"Es ist nicht's. Er wollte mir nur raten, bei Euch auch über die Hilfeversprechen Eures Vaters nachzufragen.", umschrieb Larno vorsichtig die Hinweise des Freundes, als er nahe bei Nerin war.
Nerin ging hinüber zu den Pferden. Dabei schien sie Larno ohne Worte aufzufordern, ihr zu folgen.
"Genau aus diesem Grund sind Herr Radomir und ich auch heute hier erschienen. Mein Vater will seinen Worten auch Taten folgen lassen- nun, da wir erfahren haben, wo Ihr Euch niedergelassen habt. Herr Radomir und Vater haben mit vielen Leuten in Lenzen gesprochen- und ich denke, Vater hat auch einiges an Silberstücken ausgegeben. Noch heute werden mehrere Karren an Eure Burg kommen, Herr Larno. Wir waren zu Pferd nur um Einiges schneller unterwegs. Daher sind wir schon hier."
"Das freut mich sehr, Fräulein Nerin. Und noch immer- ich bin kein Herr!", versuchte Larno zu erklären.
"Doch Larno! So will es nun einmal der Brauch. Und vergesst nicht- Eure Leute haben dies bestimmt. Mein Vater hat Euch nun zum Herrn von Bojek erklärt! Damit - ob Ihr dies gutheißt oder Euch unter den Euren nur mit dem Namen anreden lasst- seit Ihr ein Herr, oder zu einem solchen Herrn über eure Leute erhoben! Ihr könnt den Titel Larno von Bojek führen- auch wenn Larno Wulfesal für mich netter klingt." Fräulein Nerin schien dabei ernst, um dieser Erklärung ein notwendiges Gewicht geben zu wollen.
Larno verdrehte den Kopf zur Seite und biss sich etwas auf die Lippen, um seine Verlegenheit zu verdecken. Bestimmt wurde er rot, denn er wollte von Fräulein Nerin nicht noch mehr höfische Nachhilfe über Titel. Daher nickte er letztlich nur.
"Wichtiger für Euch hier auf Bojek ist, dass ihr mit der Lieferung ordentliche und zugeschnittene Bauhölzer und auch Balken erhaltet. Zudem ist ein Karren mit Saatgut und Getreide- zumeist Hafer und Weizen- beladen. Grobe Eisenstangen sind auch dabei. Ich hörte schon den Schmiedehammer schlagen, daher denke ich, es ist von großem Nutzen. Baumeister Svenislav wird mit weiteren Karren auch bald folgen. Er wird einige Tage hier auf Bojek zubringen, um Balken einzumessen und Ratschläge zu geben."
"Das ist eine gute Hilfe. Zumal wir hier nur langsam zu gutem Holz kommen werden.", dankte Larno.
"Ja. Und dabei abgelenkt werdet, wie ich vorhin von Wibor hörte. Schweinetreiben und Gatter schaffen?"
"Ein Spaß war dies, jedenfalls im Nachhinein gesehen. Mich schauerte bei jedem Grunzen der Bachen. Angst hatte ich- um die anderen Leute und um mich. Die Leit- Bache war wohl zu erschöpft für großen Widerstand. Zu unserem Glück."
Fräulein Nerin nickte zustimmend. "Doch lasst Euch nicht vom Großmut und freundlichen Gaben blenden, Herr Larno. Mein Vater- und mehr noch Herr Radomir- werden sicherlich erwarten, dass ihr Gleiches mit Gleichem entlohnt und die Holzplätze bei Lenzen auch mit Eurem Holz für den Handel wieder aufgefüllt werden. Herr Radomir hat mir nicht erzählt, was ausgehandelt und abgesprochen wurde zwischen Euch Männern. Und es steht mir auch nicht zu, darüber zu urteilen. Aber Radomir wird wachsam bleiben, dass Euer Teil auch erfüllt wird- nach der gegebenen Hilfe hier."
Fräulein Nerin sprach sehr offene und deutliche Worte- wohl auch ehrliche Worte.
Larno beeindruckte, wie wortgewandt und weitblickend die edle Fürstentochter ist. Andere Frauen Ihres hohen Standes hätten derlei Dinge nicht bekümmert oder interessiert. Darüber hinaus gab es nur wenige Frauen, welche den Mut hatten, sich überhaupt in die Angelegenheiten der Männer einzumischen oder eine Meinung dazu zu beziehen.
Nun war man bei den Pferden an der Weide und dem umgestürzten Baum angelangt.
"Und hier...." Nerin zeigte auf ein dunkles und kräftiges Pferd dabei. ".... Hier ist noch ein Geschenk meines Vaters. Ich weiß, ihr habt drei Pferde. Aber dieses hier soll nur für Euch- den Herren von Burg Bojek- bestimmt sein, samt Sattelzeug und Geschirr. Würdig einem Ritter oder Edelmann- so hat Vater es angewiesen. Dieser Sattel dort ist der Eure."
Doch damit nicht genug.
Die Fürstentochter löste die ledernen Gurte, um etwas Umwickeltes frei zu legen. Ein Slawischer Spitzschild und eine metallene Langaxt kamen zum Vorschein. Zudem ein schön gearbeiteter Langspeer.
Hierzu sagte Frau Nerin: "Ich hatte bemerkt, dass Ihr schon ein besseres Schwert tragt, als viele andere Männer hierzulande. Da ich nicht so erfahren damit bin, habe ich diese zwei Geschenke an Euch durch Herrn Radomir aussuchen lassen. Meine Herrin Reglindis macht Euch dies zum Geschenk- als Dank für Ihre Rettung. Der Speer allerdings soll mein Geschenk an Euch sein."
Voller Stolz über das seltene Reittier klopfte Larno das warme, erhitzte Fell des Tieres. Das Pferd nahm dies ruhig kauend hin, blickte mit seinen großen dunklen Augen jedoch den neuen Besitzer an.
Auch der Schild war von guter Güte. Larno hielt ihn zur Probe fest eingezogen, bevor er den feinen Speer dazu an sich nahm und sich in starker Pose vor Fräulein Nerin gab. Ein edler Herr war Larno also in ihren Augen? Dies konnte er nun zeigen.
"Eine gute Wahl- alles! Pferd, Speer, Axt und Schild. Meinen Dank an Euch und eure Herrin Reglindis dafür. Jedoch muss ich gestehen, dass ich mit Sattelzeug noch nie auf solch einem Tier saß. Geritten bin ich schon- leider nicht sehr gut. Doch werde ich mich darin üben."
"Dazu wird es Gelegenheit geben, Herr Larno. Ich möchte mein Versprechen an Euch einlösen und Euch nach Wulfesal bringen. Mein jüngerer Bruder Beromir wird uns begleiten und auch der alte Spyshek dort."- Nerin zeigte auf den jungen Mann, der wohl vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt war und den älteren Krieger, welche dort noch bei Wibor im Gespräch standen.
"Beromir und mich zog es früher schon oft ins Land zu den Leuten. Jetzt, da wir Uns wieder haben, war eine seiner ersten Bitten, wieder mit mir hinaus zu reiten. Das es nach Wulfesal gehen soll, war mein Wunsch."
Verschmitzt lächelte die Fürstentochter dabei.
Da Larno den Schild ablegte, bemerkte er dies jedoch nicht. "Ich weiß nicht, ob ich die Leute allein lassen sollte. Es gibt hier so viel an Arbeit für Alle- auch für mich."
Doch Nerin hatte dies wohl schon abgesprochen. "Ich habe Herrn Radomir und auch Wibor und Stanielub schon gebeten, Euch für diese kurze Reise frei zu geben. Stanielub will sogar zu Fuß mitkommen, weshalb wir auch nicht lange mit dem Aufbrechen warten sollten. Wir können noch vor Dunkelwerden auf Burg Wulfesal ankommen- so weit ist dies nicht entfernt. Und da wir kaum Gepäck mitnehmen, sollte dies auch gelingen."
Sowohl Nerin als auch Larno blickten zum Bojeker Lager.
Fräulein Nerin winkte ihren Bruder heran, der offenbar froh erschien, nicht länger Wibor's und Neropolk's Worten zuhören zu müssen. Er kam schnell angelaufen.
"Und Schwester? Geht es jetzt weiter? Nach Wulfesal?", drängte der junge Fürstenspross.
Nerin blickte Larno fragend an.
Larno war begierig, seinen Wunsch nach Wulfesal- zu seinen Wurzeln und denen seiner Mutter- reisen zu können. Darauf hatte er seit der Kindheit- seit dem Tod der geliebten Mutter- gewartet. Sollte er sich nun dagegen stellen? Nein.
"Kommt und zeigt mir, wie man dieses Pferd in sein Geschirr legt, junger Fürstensohn!", bat Larno daher.
Sofort war der Beromir mit seiner Schwester beim Fertigmachen der Pferde. Auch der Linonenkrieger Spyshek löste sich nun, um nach Herrin Nerin und dem jungen Herrn Beromir zu sehen.
Larno behielt dabei die Burg Bojek im Auge. Dann kam auch Stanielub, der neben einem Speer nur einen großen Beutel umgehangen hatte.
Andra und Wibor winkten zum schnellen Abschied vom Lager.
Nur Herrn Radomir's Pferd blieb allein an der Weide zurück.
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