Die Sohlen der Macht
Eingedenk einer Gefahr für Herrin Reglindis blieben Biello und Larno zum Messgang nahe bei den edlen Damen und zeigten große Aufmerksamkeit auf jeden Mann und jede Kleinigkeit. Beide hatten sich gut abgesprochen und zeigten auf dem kurzen Weg der Damen zu jeder Zeit, dass Sie als Beschützer gewillt waren, sich möglichen Attentätern oder Unruhestiftern entschlossen entgegen zu stellen.
Da die kleine Hauskirche der Burg Meißen innerhalb der Burgmauern am südöstlichen Bereich war, konnte man nur die Leute zu den Verdächtigen zählen, welche hier gesicherten Zutritt bekamen oder Aufgaben in der Burg zu verrichten hatten.
Grimmig und entschlossen war Biello's Blick in die Runde.
Allein diesen großen slawischen Krieger als Gegner zu sehen- der zu überwinden war, um vielleicht nur in die Nähe der edlen Prinzessin zu gelangen- konnte selbst erfahrene und gute Kämpfer schrecken.
Und so war es ja auch beabsichtigt von Larno- man wollte sich auffällig als Schutz präsentieren.
An der Kapelle kam Larno eine weitere gute Eingebung. Wenn alle edlen Herrschaften in der Kirche versammelt waren, so wollte er in das Innere der Kirche folgen und den Edlen bei Gebet und Segensspruch auf die Schuhsohlen blicken, soweit es möglich war. Da die Gebete auf einer Bank kniend gesprochen wurden, war die Gelegenheit dazu vortrefflich.
Während Larno sich in den hinteren Kapellenraum begab und dort an der Wand lehnte, blieb Biello vor dem Kirchenbau.
Der kleine Raum war überfüllt, insbesondere dort, wo es Larno hinzog. Eng gedrängt standen hier Ritter, Voigte und Leute aus der Burg beieinander- auch deren bessere Knechte und Mägde suchten Platz.
Die schmalen Bankreihen vor dem Bereich am Altartisch waren bis auf den letzten Platz an hohe Ritter und hiesige Würdenträger vergeben, welche links und rechts in Sitznischen saßen. In Front des Altars waren dann noch zwei Bankreihen für verdiente Gefolgsleute und Ritter. Auch einige Verwalter höherer Ämter fanden sich in diesen Reihen sitzend.
Zur linken Seite war ein gesonderter kleiner Bereich den Damen der Ekkehardinger und den hohen Frauen vorbehalten. Auch dort ging es beengt zu. Einzig der Herrin Reglindis hatte ein wenig Raum um sich herum zugebilligt, wegen ihrer hohen Abstammung.
Als man sich zum Gebet auf die Knie niederlies, war auch Unruhe um Larno herum. Denn ein Jeder versuchte, vor seiner Brust mehrfach das Kreuz zu schlagen und sich demütig zu geben.
Larno senkte zwar den Kopf, doch schielte er unter den Augenbrauen gezielt auf die vielen Schuhe der Betenden hervor. Auch blickte er nebenbei zur Herrin Reglindis, wenngleich kein Attentäter den Wagemut besitzen würde, hier in einer vollen Kirche gegen Sie die Hand oder Schlimmeres zu erheben.
Es hätte einem Mann erweichen können- offenbar war die Not vieler Herren groß, denn deren Schuhe waren oft sehr verschlissen und viele haben eben auch eine beschädigte Sohle zu zeigen. Dies war auch nicht verwunderlich, da die meisten Herren mit gleichem Schuhwerk zu reiten hatten und das Reiben der Steigbügel oder Treibhilfe hierzu ein Übriges am Schuhwerk des Reiters nach einiger Zeit tat.
Auch trug mancher Herr spitz zulaufende Schuhe, welche bei den Edlen in hoher Mode stehen. Selbst der Markgrafensohn, Herr Hermann- der jedoch weit von jedwedem Verdacht der Heimlichkeit oder möglicher Schandtat anzusehen war- trug spitze Schuhe am heutigen Abend. Auch seine Ledersohle verriet, dass das Schuhwerk oft getragen war und beschädigt, jedoch nicht gebrochen.
Dennoch streiften Larno's Blicke weiter suchend umher.
Mehrere hochangesehene Ritter – selbst aus dem Nachbereich von Hermanns Gunst- hatten zwei Herren gebrochene Sohlen zu zeigen.
Was für ein Trauerspiel!
Für die Herren- und gleichfalls für Larno, der noch im Gedächtnis ein genaues Abbild des zu suchenden Schuhwerkes hatte. Wie konnte man hier Gewissheiten erlangen? Kaum- wie es ihm schien.
Die Messe ging zu Ende.
Die Herren erhoben sich, während die Leute um Larno bereits nach draußen vor die Kirche drängten.
Im Gedränge der hinten umstehenden Leute zur Messe kam Herr Radomir nahe an Larno heran.
„Welch gute Worte, die hier gesprochen wurden. Findet ihr nicht auch, Herr Larno von Bojek?", fragte Herr Radomir leise, als man im Gedränge aus der Kapelle heraus musste.
„Jaja!", gab Larno nur kurz zur Antwort und suchte gleichzeitig nach Biello, dann mit einem Blick zurück nach den edlen Damen.
Radomir fiel wohl die Angespanntheit Larno's auf. „Ist alles in Ordnung? Ihr wirkt so-.... so angespannt?"
„Es ist nicht's , Herr Radomir. Ich halte nur die Augen offen zum Schutz der edlen Frauen. Dies ist ja meine Aufgabe hier- und wir wollen uns dieser Aufgabe mit Aufmerksamkeit stellen."
„Selbst hier? In der Burg Meißen?"
„Ja. Gerade hier in der Burg Meißen. Wo so viele Unbekannte ein- und ausgehen, da kann es einem Tunichtgut leicht fallen, der Herrin oder den Frauen etwas Übles zu wollen. Doch das wollen wir zu verhindern wissen."
Herr Radomir nickte und zeigte hochgezogene Augenbrauen.
Wie auf Bestellung erschien Biello und schob sich durch das Gedränge. Er reichte Larno sein gutes Schwert- welches in die Kirche zu tragen ja verboten ist- und dieser machte es schnell am Gürtel fest. Dann suchten Larno's Blicke wieder nach den Damen.
Radomir sah den kleinen Handgriffen Larno's schweigend zu- und auch die Entschlossenheit des Beschützers.
„Nun denn. So will ich hoffen, ihr müsst es nicht ziehen und es kann dort seinen Platz behalten." Radomir zeigte auf Larno's Schwert.
„Ja. Hoffen wir das Beste."
Herr Radomir wandte sich zum Gehen und folgte anderen Leuten zu den Gebäuden an der Nordseite, wo Palas und Wirtschaftshof waren. Obgleich nun die Leute einen Freigang für die hohen Edlen aus freien Stücken machten und Larno mit Biello gemeinsam ein wenig die Leute vor der Kirche musterten, drehte sich Herr Radomir noch einmal kurz um und kam näher zu Larno zurück.
„Herr Larno? Wenn ihr Nachrichten für Lenzen mitgeben möchtet oder Nachrichten für die Leute Bojek's? Die Gelegenheit dazu steht günstig, da Herr Hermann mir die Heimreise nach meinen Geschäften für den morgigen Tag erlaubt hat. Sollten wir uns nicht noch einmal sehen heute, so findet ihr mich morgen früh am Flusslauf der Elbe- unten, am Hafen der Siedlung. Ich werde auf einem Elb- Treidler- Schiff stromabwärts reisen und kann wohl in drei Tagen bereits in Lenzen an Land gehen. Also? Ihr könntet mir noch Nachrichten mitgeben. Frau Nerin auch, wenn ihr dies ausrichten könntet?"
Larno war zwar beschäftigt, nickte jedoch. Das Angebot, Nachricht von sich nach Bojek zu den Anderen geben zu können, erschien verlockend.
„Ich werde es dem edlen Fräulein Nerin ausrichten.", sicherte Larno zu.
Radomir schien es zufrieden und gemächlich schlenderte er davon.
Zu diesem Moment trat auch Herr Hermann vor die Kirche durch das Portal und wartete dort. Andere folgten und gingen weiter zum Palas, wo die kleine Abendmahlzeit die Gäste erwartete.
Erst als Reglindis gefolgt von den hohen Damen die Kirche verließ, trat Hermann näher zu ihr hin.
„Lasst mich Euren Weg begleiten!", bot Hermann seiner Anverlobten an, die dieses Angebot mit Verzückung nicht ausschlug.
Nerin suchte nach Larno- und fand ihn am Rande der Bittsteller und Almosennehmer.
„Und? Habt ihr Neuigkeiten?"
„Nein, edle Nerin. Wir halten die Augen offen. Ihr könnt dies an der Tafel auch sogleich tun- und bitte, behaltet alles und jedem im Blick."
Nerin nickte.
Larno war es nicht erlaubt, der Abendvesper im Saal beizuwohnen, da er nicht zu den engen Vertrauten Hermanns zählte. Nur höheren Herren und den Geistlichen war jetzt Zutritt gestattet- andere, auch mittleren Standes, konnten in der Küche noch Speisen erhalten.
Erst nach dem Abendmahl konnte Larno dann wieder Geleit in die Kemenate geben- sogar dort vor den Pforten wachen, war ihm erlaubt.
Die Mahlzeit der Damen war heute nicht von gezeigtem Hunger und fiel mäßig aus. Die Frauen beschränkten sich auf etwas Obst und einige ungekochte Karotten.
Nach dem Geleit bat Larno die edlen Frauen, die Tür der Kemenate doch von innen zu verriegeln für die Nacht. Gleichwohl würden sich Biello und Larno über die Nacht vor der Kammer aufhalten- nur um sicher zu sein, dass diese Nacht kein Ungemach schafft.
Larno war beruhigt, als die Frauen- eine nach der anderen- in der Kemenate durch die Pforte verschwanden.
Nerin blieb kurz. „Wir haben nur einige Äpfel und Karotten gegessen- alles andere haben wir auf Euren Ratschlag gemieden. Getrunken haben wir nichts mit den Herren um Herrn Hermann. Und seit bedankt für den Schutz. Ich denke, Herrin Reglindis weiß dies zu werten."
Larno nickte zufrieden.
„Wir werden hier wachen, wenn ihr die Kammer verriegelt habt. Eines noch: Habt ihr Nachrichten für Burg Lenzen mitzugeben? Herr Radomir reist morgen ab."
Nerin nickte eifrig. „Ich will alle grüßen lassen- Vater und die Brüder daheim. Vielleicht könntet ihr mich zum Hafen begleiten morgen früh, wenn ihr nicht zu müde seid?"
„Ich werde mich mit Biello abwechseln mit der Wachgestellung hier im Wehrgang. Sicherlich ergibt es sich, da auch ich noch Grüße an die Bojeker bestellen möchte."
Nerin's Blick verriet Larno, dass es Nerin wohl ebenso schwer fiel, sich zu verabschieden zur Nacht- wie es auch ihm nicht gefiel. Dennoch entbot er seinen Wunsch für einen ruhigen, ungestörten Schlaf.
Die Nacht war lang.
Nachdem die letzten Herren über die Treppe zu ihren Betten gefunden hatten war es – abgesehen von einem Katzenkampf im Innenhof der Burg, der zu hören war- sehr ermüdend, von der Treppe in den Wehrgang zu starren. Erst als am Morgen drei Mägde in die kleine Kammer neben der Kemenate kamen, war es so, dass Larno und Biello alles mit Frieden überstanden hatten.
Was immer vielleicht geplant war- es konnte nicht die Herrin und die Damen hier bei ihr etwas anhaben.
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