Das nichtausgesprochene Wort
Die beiden Ritter, Larno von Bojek und Lukas von Draburg, bahnten sich einen Weg durch die stinkenden und wenig einladend wirkenden Gassen Merseburgs- hinunter zum Fluss der Saale. Viele Leute bestaunten die zwei großgewachsenen Männer, welche die Annehmlichkeiten der Pfalz und des Klosters verlassen hatten, um hier entlang zu gehen.
Etwas abseits der neu errichteten hölzernen Saalebrücke führte Beide der Weg an einem Trampelpfad entlang. Die Männer waren im Gespräch vertieft.
„So steht es also um Euer Lehen? Keine Burg, kein Haus, kein Hafen und jede Menge Verpflichtungen gegenüber Eurem Fürsten?", fragte Herr Lukas nach, der das Beschriebene kaum glauben wollte. „Doch empfing man Euch mit offenen Armen, wie es einem guten Christen für sein Seelenheil von Vorteil ist. Mildtätigkeit ist eine hohe Tugend."
„Nun, es erschien meinem Fürsten, Herrn Berogast, wohl weniger eine Tugend der Mildtätigkeit als wohl erwogene Möglichkeit, die Lande wieder besiedelt zu bekommen. Zumindest hatte es mehr diesen Anschein auf die Leute. Doch klagen liegt mir hierüber fern, da wir jedweder Hilfe sehr offen sein mussten- ja auch noch benötigen. Erst Dank der Fürsprache der polnischen Prinzessin öffneten sich manche Lager für Uns- und auch, weil Herrin Reglindis so manche Zusage gab."
„Ihr habt Unbeschreibliches erlebt, Herr Larno. Flucht, den Tod Eurer Mutter und Not von Kind an selbst erlebt. Und doch steht ihr jetzt hier- ein Mann mit gutem Ruf und guter Kleidung."
„Das schlimmste Geschehen jedoch war der Kampf gegen den Redarierfürsten und seine Büttel, die uns lange trieben, wie Vieh. Dieser Kampf kostete mich den einzigen geliebten Menschen, meine Braut Nemanja."
Lukas schwieg hierzu, denn Herr Larno's Offenheit in seiner Beschreibungen über die Ereignisse dieses Kampfes und auch des Verlustes weckten sein Mitgefühl und Bedauern.
Und immer noch standen die nichtausgesprochenen Fragen zwischen Beiden. Larno hatte sich bislang nicht offenbart, wie viel er wusste über den leiblichen Vater- und wenn dieser Ritter Lukas vielleicht davon wusste, so behielt er auch ein Schweigen bislang dazu für sich.
Am Trampelpfad zeigte sich an diesem Nachmittag eine Trauerweide vor den Rittern, die weit ihr Blätter- Haupt über den Fluß neigte. Ein Baumstamm diente wohl den Leuten hier als Sitzgelegenheit.
Herr Lukas zeigte auf diesen Baum. „Kommt. Setzen wir uns. So will auch ich Euch eine Geschichte erzählen."
Larno tat wie ihm vorgeschlagen und hörte dem sächsischen Ehrenmann zu.
„Vor Jahren bekam ein Ritter von einfachem, niederem Adel ein Lehen im Harz und trat diese Aufgabe an. Was er vorfand gleicht Eurer Schilderung sehr- die Burg, welche er zugewiesen bekam, war ausgebrannt, zum großen Teil verfallen. Es gab kaum Gelegenheit sein Haupt in den verbliebenen Räumen zur Ruhe zu legen. Der Ort an der Burg fast aufgegeben von Gott und den Menschen. Doch dieser Ritter ging alles planvoll mit Hilfe seiner Leute an und baute sich und seiner Familie ein neues Heim auf. Und eben dieser Ritter hatte zu erdulden, was kaum andere Leute zu ertragen hatten. Auch seine Frau ging früh zu Gott und lies ihn in seiner Bitternis und Trauer mit zwei Kindern zurück. Sein weltlicher Herr war ihm nicht gut zugetan und dieser Ritter musste die Mißgunst ertragen. Der Mann kämpfte für seine Herren gegen Ungarn, Slawen, Italiener, Griechen- sogar gegen Byzantiner und Sarazenen zog er zu Feld. Und kämpfte er nicht in der Fremde, so daheim gegen Räubergesellen. Jeder seiner Waffenknechte stand ihm nah, und hätte ohne zu murren sein Leben für das Leben ihres Herren gesetzt. Die Einfachen liebten ihn und er trug Sorge auch für deren Wohl, wo es ihm möglich war. Sogar in Arrest ging dieser Ritter aus Treue und festen Glauben für seinen Kaiser. Und der weltliche und geistliche Herr sahen seine Treue und belohnten ihn. So wurde der Mann auf hohen Stand gesetzt und durfte einen friedvollen Lebensabend verbringen, bis er von der weltlichen in die geistliche Welt hinüber ging. Und jene, die ihn kannten, gaben ihm ein Geleit zu Gott, dass selbst Königen gerecht werden konnte."
Als Herr Lukas seine Schilderung schloss, spürte auch Larno eine tiefe Trauer und es schien ihm, als sei nicht nur Herrn Lukas das Wort im Halse durch Gram verwehrt.
„Ihr redet von Eurem Vater, Herr Lukas? Von Herrn Arno?", fragte Larno nach, wenngleich er die Antwort fast wusste.
„Ja. Mein Vater war dieser außergewöhnliche Mensch, Mann, Vater, Herr und Ritter. Ich bin derzeit viel auf Reisen- auch weil der Bischof von Halberstadt sich dafür einsetzt, dass man mir die Aufgabe meines Vaters in die Folge geben möchte. Vater war Graf der Kaiserpfalz Bodfeld. Doch wenn man mit den anderen Herren zusammen steht, so ist unter den Herren kaum jemand zu erkennen, der gleicher Ehre ist. Und sollte mein Vater im Leben Verfehlungen begangen haben, so sicherlich nicht bewusst oder in der Suche, Abhilfe zu schaffen. Ich selbst werde vielleicht seinen Titel erhalten können- doch der Mann, der mein Vater war, dieser Mann werde ich nie sein können. Niemals. Doch dies nicht zu meinem Unfrieden- nein. Denn mein Vater war ein ganz besonderer Mensch."
„Nun. Ich danke Euch für diese Beschreibung Eures Vaters. Sie gibt mir ein klares Bild von ihm, seinem Schaffen und Leben. Auch ich möchte Euch eine Geschichte erzählen, Ritter Lukas. Gestattet ihr mir dies?"
Larno wollte seinerzeit auch von der Seele sprechen. Fast schien es Larno, als wollte Ritter Lukas absichtlich so viel preisgeben und um seines Vaters Vermächtnis zum Schutz, begangenes wieder gut stellen.
Herr Lukas nickte zustimmend.
„So will ich Euch von einer einfachen Frau berichten. Sie war wunderschön vom Angesicht, schlank und nicht sehr groß. Diese Frau war eine Vollweise, die nur vom Wohlwollen anderer in ihr eigenes Leben fand. Sie war fleißig und herzensgut. Sogar zum Christengott ließ sie sich führen, wenngleich viele um Sie herum dem slawischen Glauben zugetan waren. Doch dort, wo diese ehrliche Frau lebte- auf Burg Wulfesal- war eine gute Welt der Eintracht der Menschen. In jungen Jahren schon war sie an der Gesundheit dennoch schwach. Und sie überstand wider fremden Erwartungen- Jahr um Jahr und Winter um Winter. Sie schenkte einem Mann ihre Liebe, der als Fremder nach Wulfesal gekommen war und sich dort als Freund bewies. Dieser Mann war die Liebe ihres Lebens- wie man mir als ihrem Sohn nach Jahren noch versicherte- und Beide- der Mann und meine Mutter lagen beieinander. Doch als der Mann weiterziehen musste, wollte die Mutter ihm und ihrer Liebe nicht folgen, wenngleich ihr dies in Aussicht gestellt wurde. Die Frau- meine Mutter- ging einen anderen Weg. Doch gebar sie mich- ein Kind der Liebe zu diesem Mann. Und Sie behielt dies Geheimnis für sich, denn Fremde sahen in dem Mann und in allem, wofür er einstand, nur den Feind der Slawen. So bewahrte sie das Geheimnis und suchte zu meinem und ihren Schutz einen neuen Anfang. Sie ging fort von Wulfesal in das Land der Brisanen, in welchem sie einfach lebten, bis die Frau verstarb. Erst dann offenbarte Mutter mir ein Geheimnis, welches ich erst nach vielen Jahren aufzulösen vermochte. Doch meinem Vater werde ich nicht mehr von Angesicht kennen lernen können."
Mehr wollte- mehr brauchte Larno nicht andeuten. Es war mehr als deutlich, dass Herr Lukas schon längst verstanden hatte.
„Dann war Eure Mutter auch ein besonderer Mensch. Und der Mann, dem sie Euch gebar, war gewiss ebenfalls ein guter Mann.", sprach Herr Lukas.
„Ja. Soweit ich von ihm erfahren konnte, war mein Vater ein guter Mann. Doch frage ich mich immer, ob ich vor seinem Blick hätte bestehen können."
„Euer Vater hat Gewiss Kunde von Eurer Geburt erhalten, da bin ich mir sicher. Und seht Euch an? Ein Mann, wie ihr es seid? Ihr hättet bestimmt in Eures Vaters Augen das Glück und auch Stolz erblicken können."
„Was macht Euch da so sicher?"
Herr Lukas lächelte verschmitzt. „Ich weiß es nicht? Und wie dem auch sei- Ich würde mich glücklich schätzen, einen Mann wie Euch meinen Bruder nennen zu dürfen. Und solltet Ihr einmal meiner Hilfe bedürfen, zögert nicht, mich aufzusuchen. Und mehr noch- ich will auch meiner Schwester und meiner Frau von Euch berichten, wenn ihr dies gestattet. Wenn ihr Der seid, den ich in Euch sehe, so sollten Sie davon erfahren, welchen besonderen Menschen Ich kennen lernen durfte."
Lukas stand auf und streckte den langen Arm aus, als Zeichen verbundenen Grußes.
Auch Larno erhob sich von Herzen gerührt und gab den mannhaften Handschlag zum Arm des Sachsen ebenso.
Am Folgetag reiste Herr Lukas bereits aus der Stadt Merseburg ab.
Larno hingegen erwarteten noch Aufgaben.
Den Ratschlag, welchen Ritter Lukas von Draburg ihm jedoch zum Abschied gab, würde er nicht vergessen. Ernsten Gesichts hatte Lukas zu ihm gesprochen: 'Larno, ihr lebt bei den Ekkehardingern. Einer mächtigen Familie im Reich und in der Gunst des Kaisers. Sollte der Kaiser kinderlos bleiben- worüber nur Gott befinden kann- so könnte Herr Ekkehard von Meißen die Königskrone zustehen. Und ihr habt der polnischen Herrin die Treue und Euren Schutz geschworen. Solltet ihr Euch bei einem Zwist zu entscheiden haben, so tut dies nach bestem Gewissen. Und solltet ihr Euch vor fremden Zugriff verbergen müssen, so sucht mich an meiner Burg auf- ich will dies für Euch veranlassen und auch vor Gott vertreten."
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