Das neue Leben
Der Eremit Arkadiusz von Sirkowe war ein gewissenhafter Lehrer, welcher sofort auch nur den kleinsten sprachlichen Fehler kritisierte. „Nein, nein und nochmals nein. Larno, was hatte ich dir gesagt- diese Worte enden auf ow und werden aber ou ausgesprochen. So schwer ist das doch nicht. Du musst es Dir besser merken."
Larno prustete aus und lehnte sich auf der Holzbank zurück. So viel zu lernen! Und nur so wenig Zeit dafür.
Bruder Arkadiusz erhob sich. „Komm. Lass uns eine Pause machen mit der Sprache. Wir gehen hinaus und sammeln noch einige Birnen ab."
Larno empfand dies als eine gute Idee. Sein Kopf schien schon beinahe zu platzen von all dem Nachsprechen und Einsetzen von Fällen in die polnischen Worte. Warum erschien es ihm nur so schwer, dem Bruder genauestens zu folgen? An manchen Tagen schienen ihm alle Wörter gut eingegeben- an anderen Tagen, so wie es ihm heute erging, wollte einiges Larno nicht richtig gelingen, wenngleich er dieselben Worte wiederzugeben hatte.
So folgte er dem Eremiten hinaus vor das Haus. Die frische Luft des Herbstes atmete Larno tief ein. Wie lang er nun schon hier war. Die Tage hatte er nicht gezählt, doch bald schon würde der Winter sein weißes Tuch über das Land legen.
Arkadiusz streckte sich durch und nahm einen langen Stock zur Hand, der an einem Ende verzweigt war. Der Stab war hilfreich, noch an den Bäumen hängende Früchte leicht anzulesen.Ohne darauf hingewiesen zu werden, ergriff Larno den großen Weidenkorb und sammelte dort hineingelangte Blätter heraus.
„Wohin heute?"
„Wir gehen nördlich. Im Osten an der Heerstraße haben die Leute schon die Bäume abgelesen. Ich kenne da noch eine gute Stelle.", antwortete der Geistliche. „Folge mir einfach nach."
Es war erfrischend und tat gut, sich bewegen zu können und an der Luft zu sein.
Arkadiusz war aber nicht nur der gewissenhafte Lehrer- er war auch verständnisvoller als viele andere Geistliche, welche Larno bislang kennen gelernt hatte. Oft genug bat er Larno, von seinem Erlebten zu berichten und von den Menschen, welchen er begegnet war. Er war einfühlsam und verschloss sich nicht.
Natürlich hatte Larno in seiner Neugierde erfragt, wie es dazu kam, dass Arkadiusz dieses Leben in der ländlichen Abgeschiedenheit gewählt hatte. Es war überraschend, zu erfahren, dass Bruder Arkadiusz durch einen Handel mit König Boleslaw I. Chrobny diesen Weg sogar wählen durfte. Ursprünglich war Arkadiusz ein belesener Klosterbruder im polnischen Kloster Tyn. Dort hätte er es weit bringen können, doch nahm er auf Bitten des- damals noch Herzogs von Polen- Boleslaw Chrobny- eine Anstellung am Hof an. Boleslaw wollte seine Kinder unterrichtet wissen in weltlichen und geistlichen Angelegenheiten. Und Bruder Arkadiusz war einer von den Lehrern der hochgestellten Kinder in der herzoglichen Burg.
Wie Larno auch erfuhr, verbindet den polnischen Herrscher ein starkes Band der Freundschaft zu Kaiser Otto dem III. . Die beiden Herrscher waren vom Gedanken eines christlichen Gemeinschaftsreiches fast geradezu beseelt. Boleslaw bewunderte die großen deutschen Kaiser. Und so ist es wohl auch dazu gekommen, dass sich Boleslaw Chrobny in den Kopf gesetzt hat, seine zukünftige Hauptstadt im polnischen Königreich dem Vorbild der Kaiserstadt Aachen in den deutschen Landen nachahmen zu wollen. Man suche derzeit nach geeigneten Bauplätzen für dieses Unterfangen. Gnesen als kirchliches Zentrum des polnischen Landes eigne sich dafür ebenso, wie Poznan oder auch die östlich liegende Stadt Krakau. In diesem freundschaftlichen Bund der Herrscher des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation soll das Königreich Polen dann kein Vasallenstaat mehr sein, sondern ein gleichberechtigter und verbundener Eigenstaat- jedoch in Lehnstreue mit den Deutschen verbunden und mit der gemeinsamen großen Aufgabe der Missionierung der Slawen.
Eben dies ist ein hohes Ziel von Boleslaw I. Chrobny .
Dies hatte Larno schon festgestellt. Er würde sicher alsbald ein Teil der Missionierten sein. Innerlich fand Larno die Werte, für die der Christengott stand, als nahe am Menschen und deren Begehren. Doch in einigen Momenten haderte Larno mit der Art und Weise, wie mancher Orten zu diesem Glauben hingeführt wurde.
Nicht jedoch hier- in Sirkowe.
Arkadiusz stand für eine harmonische Vermittlung des christlichen Glaubens. Die Slawen- als Naturvolk- konnten leicht den festen Argumenten Arkadiusz folgen. Sie glaubten hierzulande an ihn und kamen sogar von weit her, um in der kleinen Kapelle von Sirkowe seinen Gottesdiensten zu lauschen.
„Hier. Diesen Apfel steck ein. Jedoch nicht für Dich- für den Vogel soll er sein.", beharrte Arkadiusz.
Neben seinem Kräutergarten und dem Gebet hatte der Eremit eine weitere Leidenschaft. Er pflegte einen Singvogel in seiner Stube. Eine Lärche war dies. Arkadiusz hatte den verletzten Vogel von einem Jahr gefunden. Seither hatte er ihn aufgezogen und bewahrte den Vogel in einem Korb aus feinem Weidengeflecht in seiner Stube auf.
„Ah. Wir sind da! Sieh nur, wie voll die Bäume noch tragen."
Man hatte einen Hain aus wilden Obstbäumen erreicht. Arkadiusz hatte zu Recht vermutet, dass sich hierher nur wenige Leute verirren konnten. Die Bäume waren nahe einer wild wuchernden Böschung gewachsen, welche einen kleineren Fluss dahinter im langen Halbkreis schützte. So abseits stehend hatten sich die Bäume hier ihr Reich erschaffen.
Mit der langen Gabel des Stockes drehte man nach und nach die reifen Früchte leicht ab von den Ästen der Bäume. Schnell kam eine beachtliche Menge an Birnen so zusammen.
„Larno? Lass mich Dir eine Frage stellen. Wie gefällt Dir dein neues Leben- hier bei uns Polen?"
Diese nachforschende Frage beim Ernten der Baumfrüchte begleitete Arkadiusz mit einem zur Seite gelegten Kopf. So konnte er Larno beobachten und lies gleichzeitig nicht die Früchte am Baum aus den Augen.
„Viel hab ich noch nicht gesehen von Eurem Land. Und verzeiht- auch habe ich nicht viele Leute kennen gelernt oder gesprochen, um mir ein Urteil zu erlauben."
Obgleich dem Eremiten diese Vorsicht in der Antwort gefiel, wollte er es nicht dabei belassen.
„Aber Du musst dir doch eine Meinung geschaffen haben- über Land und Leute. Und denke immer daran: Polen ist nicht nur mein Land- es ist nunmehr auch deine Heimat."
Larno nickte. Lächelnd gestand er dies ein. „Bruder Arkadiusz, ich vergesse dies zuweilen. Nun, Polen gefällt mir. Hierzulande gibt es nicht diese Wälder, wie in den slawischen Landen. Und hier wie dort machen die Leute das Beste aus dem, was die Natur ihnen gibt. Doch fehlt mir die Offenheit, mit welcher bei Uns gesprochen wird. Hier scheint es, dass die Leute verschlossener sind."
„Nur auf den ersten Blick, junger Schüler. Nur auf den ersten Blick!"
Larno dachte an die Leute, die er im linonischen Bojek am Flusslauf der Elda zurück gelassen hatte. Sofort dachte er auch vor allem an Stanielub, der auch ein Leben weit ab vom Leben der Burg Slivor und der dortigen Leute im Wald gewählt hatte. Wie wird es ihm wohl ergehen? Und Biello? Wohin wird es ihn hier verschlagen haben? Und letztlich gingen die Gedanken zu Nerin. Werden sich Beide wiedersehen können? War sie noch bei Frau Reglindis im Gefolge oder musste sie in die Linonenlande an den Fürstenhof ihres Vaters Berogast nach Lenzen zurückkehren? Wie wird es wohl Nerin ergehen?
Arkadiusz bemerkte, dass Larno in Gedanken weit weg und nicht beim Ablesen der Früchte war.
„Es wird nicht einfacher. Sieh es als „das Vergangene" an, Larno. Dein neues Leben- hier in Polen- wird Dir auch schon bald gefallen und ausreichen.", sprach Arkadiusz mit ruhiger Stimme und voller Zuversicht.
„Doch weiß ich immer noch nicht, was dies Leben mir bringen wird."
„Nur das, was Gott für Dich vorgesehen hat. Erwarte nichts, dann kannst du nicht enttäuscht werden. Doch denke ich, wenn König Boleslaw dich zu mir entsandte, so wird er Aufgaben für Dich haben. Er sieht etwas in dir, was auch ich erkenne- Du hast innere Stärke und Kraft. Und so, wie du es mir berichtet hast, sehen dies auch viele Andere. Denk an die vielen Leute, die du vor den Redariern und Lutizen gerettet hast. Doch alles benötigt seine Zeit- Du wirst sehen."
„Nach Karten und Hinweisen ist dem König wohl mehr der Sinn."
„Nein. Glaub dies nicht. Boleslaw ist ein tapferer Kriegsherr- und er erkennt, wenn jemand für eine gerechte Sache eintritt. Dies wird er sicher wertschätzen." Ernsten Blickes war der Eremit hierbei. „Und nun komm. Lass uns zurückgehen. Und grüble nicht so viel. Lern die Sprache der Leute hier, dann wirst du sie auch besser verstehen und kennen."
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