Arkadiusz von Sirkowe
Kurz vor Poznan, bereits tief in den polnischen Gebieten, wurde Larno in den Abendstunden vor das Zelt des polnischen Herrschers Boleslaw Chrobny gebeten.
Obwohl der König Boleslaw I. am Lagerfeuer saß und sich dort die Hände wärmte, führte nur sein Übersetzer mit Larno das Gespräch. Boleslaw Chrobny hörte den Dialog zwischen dem Geistlichen und Larno mit ruhiger Haltung nur zu. Hierbei schien es, als würde er in Gedanken sein- er starrte mit erhabener Sitzhaltung ins Feuer und rieb sich die Hände.
„Herr Larno. Mein Herr hat entschieden, dass ihr uns ab hier nicht weiter bis nach Gnesen und an seine Burg begleiten werdet. Er hat für Euch einen anderen Weg vorgesehen. So werdet ihr von hier aus nach Süden reisen, wo die Siedlung Jarotschin an der Heerstraße von Gnesen nach Schlesien liegt. Einige Wegstunden nördlich der Ortschaft Jarotschin werdet ihr an einem See eine kleine Siedlung mit einer Kapelle finden. Diese Siedlung trägt den Namen Sirkowe. Mein Herr Boleslaw bittet Euch, sich dort bei dem Bruder Arkadiusz in der polnischen Sprache unterrichten zu lassen."
Larno warf einen kurzen Blick auf den anmutig am Feuer sitzenden polnischen König. Für diesen Moment erschien es Larno unangemessen, weitere Nachfragen zu stellen, obschon es ihn persönlich darauf ankam, zu erfahren, was nun mit ihm werden würde.
König Boleslaw schien diesen Moment des „betrachtet Werdens" intuitiv zu spüren, denn aus dem Augenwinkel des Königs fühlte sich Larno bemerkt.
Der geistliche Übersetzer sprach weiter.„Mein Herr fordert von Euch, den Anweisungen und dem Bemühen von Bruder Arkadiusz mit großer Aufmerksamkeit zu folgen. Er möchte, dass ihr bis zum kommenden Frühjahr unsere Landessprache so gut beherrscht, dass ihr den König auf der Rückreise in die deutschen Lande begleitet."
Larno war erschrocken. Konnte man diese Aufgabe binnen dieser Zeit bewältigen? Auch wenn er innerlich Zweifel daran hegte, so musste er dieser Aufforderung entsprechen.„Berichtet dem König, dass ich diese Aufgabe annehme. Ich werde mich unterrichten lassen und hoffe, ihm – wie gefordert- guten Dienst zu leisten."
Der Übersetzer sah zum Herrscher Boleslaw herüber. Doch gab er Larno's Worte nicht weiter. Larno missfiel dies innerlich, dennoch hörte er, was der Geistliche weiter berichtete.
„Herr Larno? Dies ist noch nicht alles, was mein Herr von Euch verlangt. Bruder Arkadiusz ist ein sehr belesener und hierzulande bekannter Eremit. Darüber hinaus ist er des Schreibens kundig und kann auch Karten zeichnen. Er soll Euch nicht nur in der polnischen Sprache unterrichten. Und dies ist die zweite Aufgabe, welcher unser König Euch überträgt. Ihr sollt dem Bruder Arkadiusz von der Ausbildung und den Militärischen Dingen berichten, welche ihr unter dem Lutizenbund in Rethra erfahren und erlebt habt. Bruder Arkadiusz hat dies alles niederzuschreiben. Und zudem werdet ihr gebeten- so gut ihr dies vermögt- dem Bruder Arkadiusz dabei zu helfen, möglichst genaue Karten der Lande zwischen Elbe und Oder zu fertigen."
Larno war erstaunt. Er konnte das erste Anliegen verstehen. König Boleslaw hatte bereits auf der Hausburg der Ekkehardinger- Burg Genea- offen sein Interesse an der militärischen Ausbildung der Lutizen gezeigt. Hierzu hatte er wohl Gründe, denn sowohl die Polen als auch die Sachsen trugen mit den Lutizen ihren Zwist im Kampf seit Jahren aus. Doch Hilfe beim Karten zeichnen?
Das Larno hierüber schweigend grübelte, schien auch dem polnischen Herrscher aufzufallen, er blickte über die Schulter zu Larno hin.„Es ist der Wunsch unseres Herrn Boleslaw mehr über die Kriegskunst der Lutizen zu erfahren. Und genau darstellende Karten könnten für Feldzüge gegen die Lutizen und deren verbündete Stämme von sehr großem Vorteil sein.", räumte der Geistliche ein.
Erneut war Larno sehr überrascht. Dieses Mal jedoch wegen der deutlich erklärenden Offenheit des Königs hinsichtlich seiner Absichten. Und all dies, ohne dass der polnische König selbst sein Wort an Larno richtete. War dies eine Prüfung für Larno? Wollte König Boleslaw Chrobny der I. die Loyalität Larno's damit auf die Probe stellen? Daran bestand kein Zweifel.
„Ich werde nach bestem Wissen weitergeben, was ich gesehen habe, damit der Eremit die Schriften und Karten fertigen kann."
Und als wenn der polnische Herrscher selbst jedes Wort verstanden habe, bezeigte er durch ein kurzes Kopfnicken sein Wohlwollen auf diese Antwort.
„Doch wie finde ich nach Jarotschin und zu dem Ort, wo sich der Eremit aufhält?"
„Jarotschin liegt südöstlich von Poznan. Wenn ihr morgen früh aufbrecht, könnt ihr in einem oder zwei Tagen dort ankommen. Es führt ein Handelsweg von hier nach dort. Sirkowe ist etwas nördlich von Jarotschin. Die Leute dort kennen den Eremiten und den Ort mit der kleinen Kapelle und können Euch Hinweise geben.", antwortete der Übersetzer.
„Was wird aus meinem Begleiter Biello? Darf er mir dorthin folgen?", hakte Larno nach.
Boleslaw- in dessen Richtung Larno gefragt hatte- gab hierzu keine Antwort. Jedoch der Übersetzer .
"Es tut mir leid, Herr Larno. Mein Herr hat diese Aufgabe nur für Euch bestimmt. Euer Mitstreiter wird von Euch getrennt und wohl in Gnesen seine neuen Aufgaben erhalten."
Diese harte Regelung missfiel Larno. Doch Widerspruch- so viel hatte er unter den Polen gelernt- sollte er nicht geben auf diese Regelungen des Königs.Boleslaw stützte sich in stolzer Haltung auf sein rechtes Knie und blickte wortlos zu Larno herüber über die Feuerstelle. Da hatte er seine Antwort- Nachfragen nach einem Warum hatte es nicht zu geben.
Also polnisch Lernen- dieses über Herbst und Winter! Und Hinweise über alles Wichtige geben, was den Lutizenbund und dessen Verbündete betraf. Dies waren die Aufgaben.
„Ich werde morgen in der Früh aufbrechen nach Sirkowe!"
Der Geistliche nickte. Zuerst zu Larno- dann verhaltener zu seinem Herren, dem polnischen Herrscher Boleslaw Chrobny.
Auch Boleslaw nickte- zufrieden mit Larno's Antwort nun- und machte eine Handbewegung, die deutlich zeigte, dass Larno nun gehen durfte.
Larno und Biello hatten einen einfachen Lagerplatz- kein Zelt. Eine Stoffbahn hatte man ihnen gegeben, damit sie sich mit Stöcken einen keinen Verhau bauen konnten. Biello lag dort auf einer Strohschütte lang ausgestreckt und wartete bereits. Er war begierig darauf, zu erfahren, wie das Gespräch ausgegangen war, zu dem Larno gebeten wurde.
„Und Herr Larno? Was hat der Polenkönig gesagt?"
„Er selbst hat nichts gesagt. Doch haben wir neue Aufgaben. Du wirst enttäuscht sein, denn unsere Wege werden sich morgen schon trennen."
„Was? Aber warum?"
„Mich hat man angewiesen, einen Geistlichen südlich von hier zu suchen, wo dieser Mann mir das Polnische beibringen soll. Und für Dich wird es wohl in Gnesen eine neue Aufgabe geben. Welche kann ich Dir nicht sagen. Dies ließ man mir gegenüber unbeantwortet."
Larno band eine sperrige, zusammengerollte Decke vom Sattel los, um auch sein Lager für die Nacht aufzuschlagen. Mit einer wuchtigen Bewegung Larno's blätterte sich die breite Rolle auf und die Decke legte sich breit zu Boden aus.
„Wollt ihr nicht mit unter den Verschlag?", fragte Biello.
„Heut nicht, mein Freund. Zu viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Über Dinge die waren und das, was mich erwarten könnte. Die Sommernacht ist lau und klar. Ich werde mir den Himmel ansehen, um klaren Kopf zu bekommen." Larno blickte hinauf zum Himmel, der jetzt am späten Sommerabend in die Nacht übergehen wollte.
„Ihr denkt an Frau Nerin! Nicht war?"
„Nein. Heute Nacht wohl nicht. Ich mache mir Sorgen, was all dies zu bedeuten hat für mich. Der König will, dass ich ihm über die Lutizen, deren Bündnisse und deren militärische Ausbildung einen Bericht niederschreiben lasse. Ein Schelm, wer da nicht vermutet, dass es schon bald gegen die Lutizen ins Feld gehen wird. Ich habe nur Sorge, dass er vielleicht nicht mit mir zufrieden sein könnte. Immerhin ist er als Mitkönig des Kaisers Otto dem III. wohl der zweitmächtigste Mann im Reich- auch wenn Polen vom Gebiet gesondert steht. Boleslaw Chrobny ist ebenso mächtig, wie er schlau und weitblickend ist. Und doch ist er nicht unnahbar. Er scheint seine Leute zu erreichen- Ihnen Vorbild und auch naher Herr zu sein. Ich bewundere das."
Larno rollte sich in die Decke auf dem Grasbett ein. Man hörte ein leises und gleichmäßiges Knirschen. Larno's Pferd zermalmte in seinem Maul Gras mit völliger Ruhe und Zufriedenheit. Das Knirschen dieses Fressens wirkte seltsam beruhigend.
„Na doch. An Fräulein Nerin denke ich auch."
„Dachte ich es doch. Jeder Nichtsehende konnte erkennen, dass Frau Nerin Euch zugetan ist. Mag sein- da ich sie schon als Kind auf Burg Lenzen gesehen habe- das es mir vielleicht mehr als anderen Leuten auffiel. Allein wenn Sie ungezwungen in Eurer Nähe ist, ist sie viel freier und fröhlicher, als dass Sie es unter den edlen Frauen bei Herrin Reglindis schien. Sie fühlte sich auch auf Burg Lenzen wenig wohl- fast eingesperrt. Deshalb ist Sie auch mit ihrem jüngeren Bruder viel lieber in der Natur der Umlande unterwegs. Die Zeit in Polen jedoch hat Frau Nerin sehr verändert."
„Ich vermisse ihren frohen Blick.", gestand Larno ein. Starke Erschöpfung und Müdigkeit ließ ihn gähnen. „Bis morgen früh, mein Freund. Morgen ist dann Tag des Abschiedes für Uns- und hoffentlich sehen wir uns wieder- irgendwann."
Am Tag darauf herrschte eine übliche und fast schon gewöhnte morgendliche Geschäftigkeit im Lager. Alle bauten Zelte ab, fütterten die Pferde und das Vieh, versorgten sich irgendwoher mit dem Nötigsten für den Tag an Ausgabewagen.
Der Abschied fiel den Männern schwer, doch Larno hatte früh aufzubrechen. So ließ er Biello beim Tross zurück, der noch zwei Tage nach Nordosten in Richtung Gnesen ging.
Larno's Weg ging nach Süden, entlang einer Handelsstraße von Poznan nach Jarotschin. Es ließ sich gut an. Das Pferd ging kraftvoll seines Weges hier- kaum das Larno gefordert war, dem Tier die Richtung zu geben. Erste Rast machte er gegen Mittag an einem Fluß, wo er auf einen Fährflößer geduldig abwartet musste. Das Übersetzen auf dem Kahn war seltsam. Mehrere plappernde polnische Frauen und deren Rinder wurden mit Larno über den Fluss gebracht. Das Verladen dauerte fast länger als die Überfahrt.
Seltsam ist auch dieses Land- sehr flach und weitläufig schien alles. Auch die Menschen- wenn Larno sie auch kaum verstand- wirkten fremd. Die Bäuerinnen oder Händlerinnen- genau war es nicht heraus zu finden- schienen stetig und ohne Unterlass zu reden. Larno, den man wohl augenscheinlich als edlen Ritter ansah, war offenbar angesehen- ohne das Fährmann oder die Frauen ihn kannten. Sogar die Passage über den Fluss war frei für ihn.
Der Ort Jarotschin war nachdem auch noch am ersten Tag erreicht. Doch hielt es Larno hier nicht lange. Gemäß der Beschreibungen suchte er hier schnell den Durchgang und die Heerstraße, um sich nach Norden zuzuwenden. So konnte er es vielleicht noch zu der Siedlung Sirkowe zu schaffen.
Und dies gelang- wohl auch Dank des langes sommerlichen Tageslichtes.
Sirkowe lag etwas abseitig der Heerstraße links des Weges. Ein alter Mann hatte auf Befragen nach dem Bruder Arkadiusz bereitwillig den Weg aufgezeigt.
So kam am Spätabend der See und die Ansiedlung in Sicht. Viele Häuser gab es nicht- und all dies war von der Spitze der beschriebenen Kapelle nah am See überragt. Dorthin richtete Larno den Weg seines Pferdes.
Nahe bei der Kapelle war ein Haus, welches Larno als die Wohnstatt des Eremiten vermutete. Ein schön anzusehender und gut gepflegter Kräutergarten lag zwischen Haus und Kapelle. Larno schwang sich aus dem Sattel und band das Pferd an einen Baum. Sich am Ziel der Reise wähnend, zog er den Sattel ab und entlastete das Tier bis auf den Strick.
Erst jetzt konnte er sich umschauen. Niemand war im Haus und dem Garten, der seltsame und angenehme Düfte gab. So rieb Larno an manchen Blättern, so dass die Finger seltsame verschiedene Gerüche annahmen. So etwas hatte er noch nie vorher erlebt.
Ein dürres Männlein in Leinenkutte stand mit einem Male unversehens neben Larno. Larno- sonst immer aufmerksam und umblickend- hatte nicht dessen Hinzukommen bemerkt. Insgeheim ärgerte es ihn sogar- ihn einen Krieger und Waldläufer.
Der Mann mit den langen Haaren und dem Spitzbart lächelte fragend, als er Larno so zwischen den Pflanzen sah und an seinen Fingern riechend.
Nach einem „Djen dobrui!" fragte der Eremit etwas und amüsierte sich darüber, wie erstaunt Larno tat.
„Es tut mir leid, guter Mann. Ich wollte hier nichts beschädigen, falls ihr dies vermutet. Ich suchte nur jemanden- den Bruder Arkadiusz von Sirkowe. Und ich denke, Ihr seid dieser Mann?"
Der Geistliche lächelte jetzt noch breiter. Dann antwortete er in fast klarer deutscher Sprache: „Ja. Eure Suche nach mir hat wohl nun Erfolg gezeigt. Ich bin der, den man Arkadiusz von Sirkowe nennt. Doch warum habt ihr den Wunsch, mich zu sehen?"
„Ich bin auf Geheiß des König Boleslaw Chrobny zu Euch bestellt. Ihr sollt mich bin zum nächsten Frühjahr im Polnisch unterweisen. Zudem sagte man mir, ihr seid auch Schreiber. Der König wünscht es, dass ich Euch Informationen niederschreiben lasse und auch beim Zeichnen von Karten Hinweis geben soll, so gut ich es vermag."
„Der tapfere Boleslaw also? Soll ich also nun schon die Deutschen unterweisen." Der Eremit wackelte leicht mit dem Kopf.
„Ich bin kein Deutscher."
„Aber ihr sprecht wie ein Deutscher und tragt Kleidung der Sachsen, will ich meinen."
„Ich bin Slawe- ein Linone. Doch war ich zuletzt zum Schutz der Herrin Reglindis, König Boleslaws Tochter, nur in den Landen der Sachsen und Thüringer unterwegs, da Herrin Reglindis dort den Ehebund mit einem Markgrafensohn eingegangen ist."
„Reglindis? Wie geht es ihr?"
„Als ich Herrin Reglindis zuletzt sah- kurz nach der Eheschließung mit Hermann von Meißen- war sie bei sehr guter Gesundheit und wirkte glücklich- ja und auch sehr verliebt. Ihr kennt sie auch?"
„Ja. Ich war ihr Lehrmagister. Damals am Herzoghof auf der Inselburg Lednicky bei Gnesen."
„Wie kommt es dann, dass ihr hier- so weit abseits der Hofburg nun lebt? Entschuldigt meine Neugier.", fragte Larno vorsichtig nach.
„Ich hatte meine Pflicht am Hof erfüllt. Zwei Töchter des Herzogs Boleslaw- der sich nun König nennen darf- habe ich unterrichtet. Reglindis war noch die Gelehrigere von den Beiden. Und der Herzog Boleslaw hatte mir versprochen, dass ich danach einen selbst gewählten Weg der Missionierung gehen durfte. Und so ist es nun. Seltsam, dass ich nunmehr Euch unterrichten soll."
„Dies war sein Wille."
„Hmm. Nun kommt erst einmal ins Haus.- Und erzählt mir von Euch. Wie ruft man Euch?" Der Eremit erfasst Larno an der Schulter und schob ihn vorsichtig aus dem Kräutergarten heraus.
„Larno."
„Larno? Sonst nichts? Habt ihr keinen Titel? Ihr seid gekleidet wie ein Herr. "
„Nennt mich einfach Larno. Oder Herr Larno- auch wenn ich solcher vielleicht nicht bin."
„Das verstehe ich nicht. Hierüber müsst ihr mir Klarheit verschaffen." forderte der Eremit.
So gingen sie ins Haus und Larno berichtete- aus seinem Leben und von den Ereignissen, welche ihn hierher nach Sirkowe verschlagen hatten.
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