Vertrauliche Gespräche
Conia hatte die Unterkunft für die hochgestellten Mädchen und Frauen hergerichtet- so gut es ihr möglich war. Da die edlen Frauen noch im Herrenhaus waren und sie selbst zu warten hatte, hatte sich Conia ihren Sohn, den kleinen Bohumil, mit in die Hütte geholt.
Bohumil schien es zufrieden. Er plapperte mit sich selbst und wuschelte durch die dicken ausgelegten Felle.
Dir Truhen und Kästchen der Frauen getraute sich Conia nicht zu öffnen, wenngleich ihre Neugierde groß war. Was würden so edle Frauen wohl mit sich führen?
Ein Sehspalt in der Hüttenwand fiel ihr auf. Ein Schatten dort verbarg das Licht, was eben noch hereingefallen war. Conia bemerkte ein Auge, welches von außerhalb der Hütte versuchte, etwas im Inneren zu erspähen.
Sofort sprang sie auf und ging zur Tür heraus. Um die Seite der Hütte kommend sah sie einen Redarischen Krieger. Dieser versuchte immer noch, durch das kleine Loch zu schauen.
"He! Wirst Du das wohl lassen? Die hohen Damen sollen vollkommen ungestört von Euch bleiben! Hat Dir das Boran nicht gesagt? Ich werde mich über Dich bei deinem Herren Beschweren gehen!", geiferte Conia sofort los.
"Nein, Nein. Bitte nicht! Ich war nur neugierig! Wollte sehen, wie die Edlen so leben.", versicherte der Wächter.
"Frauen beschauen, das wolltest du! Verschwinde hier!" Conia drängte den verschüchterten Spanner ab, nahm etwas Stroh und Lehm und verstopfte den kleinen Sehschlitz.
Noch während Sie diese kleine Reparatur vornahm, sah Conia aus dem Augenwinkel, wie die vier jungen Frauen rechts zum Eingang der Hütte gingen und darin fast lautlos verschwanden.
'Bohumil!', ging es ihr gleich durch den Kopf, denn eigentlich wollte Conia den Kleinen sofort wegschaffen, wenn die Frauen zur Hütte kommen.
Schnell strich Sie daher noch den Lehm glatt und besah zufrieden ihre Ausbesserung. Dann ging auch Sie schnell zurück in die Hütte.
Ein seltsames Bild bot sich Conia dort, nachdem sie eingetreten war: Zwei der hochwohlgeborenen Mädchen- darunter auch die junge Edle mit dem rot- weißen Kleid und der edlen Kappe- hockten nahe Bohumil und redeten sanft mit dem kleinen Kind.
Die Sprache, mit welcher die Mädchen sprachen, war der eigenen Sprache ähnlich, jedoch nicht genau so, wie die örtlichen Stämme hier sprechen. Dennoch war sofort zu erkennen, dass ihnen der Kleine Bohumil- einem lieben Freund gleich- eine willkommene Abwechslung war. Sie scherzten wohl mit Bohumil auf ihre Weise. Dem kleinen Kerl gefiel dies allem Anschein nach. Bohumil bewunderte mit offenem Mund die fremden Mädchen und er versuchte nach der Kappe zu fassen.
Die beiden älteren jungen Frauen machten sich an den Kisten zu schaffen. Hier kamen andere Kleider, Kämme, weiche und auch warme Gewänder zum Vorschein. Zu Conia's Verwunderung stellte die Eine ein metallenes Jesus- Kreuz auf einen Sockel an der Wand.
"Komm mein Kleiner!", schob sich Conia als Mutter an den Damen vorbei zum freundlich mit den Mädchen schäkernden Bohumil. "Nicht das Du noch etwas in die Felle schmierst!"
Als Conia den kleinen Mann auf den Arm zog und gerade wegschaffen wollte aus der Hütte, da sprach eine der älteren jungen Frauen die Mutter an. Und dies in slawisch- polabischer Sprache! Wie eine Frau von hier!
"Ach lasst ihn doch. Er ist doch so lieb. Und lustig. Die Herrin scheint ihn zu mögen- sieh nur!", sagte die große, schlanke Schönheit mit dem braun- roten Kleid.
Tatsächlich schien die kleine, junge Frau sehr traurig zu sein, dass Conia ihr Kind an sich gerissen hatte. Das junge, edle Mädchen in rot und weiß machte einen Flunsch- Mund und redete weiter mit Bohumil, wie man es mit einem lieben kleinen Bruder oder einem kleinen Hundewelpen macht.
Conia war erstaunt.
"Ihr versteht mich?"
"Ja. Natürlich verstehe ich Euch. Als Mutter wollt ihr euer Kind sicher nicht unter uns Fremden belassen, oder? Wollt ihr den Kleinen zum Vater schaffen?", antwortete die nette junge Frau fragend und sehr leise- fast verschwörerisch.
"Ja, ähem Nein! Ich meinte nur, ihr versteht meine Sprache- edle Frau? Ich dachte, ihr seit alle aus der Fremde?", hinterfragte Conia ungläubig.
Die junge Frau lächelte warmherzig. "Bitte verrat mich nicht. Manchmal ist es für die Herrin und uns sehr nützlich, wenn die Anderen nicht wissen, dass wir sie verstehen können. Dein Herr, Boran, muss es ja nicht erfahren, oder?"
"Boran? Er mag hier mit seinen Kriegern vielleicht das Sagen haben, aber mein Herr wird er wohl nie werden." , auch Conia lächelte.
"Du magst ihn nicht?"
"Nein, edle Herrin. Boran kam mit Neromir vor mehreren Monaten hierher- und mit Ihnen hielt hier der Tod und das Elend in der Burg einzug. Neromir hat meinen geliebten Mann Wuko eigenhändig getötet und damit diesem Kleinen hier..." -Conia deutete auf Bohumil- " ... den geliebten Vater genommen. Wuko war mir ein lieber Mann!"
"Wie nennt man Dich, gute Frau?", fragte die Edle nach. "Mein Name ist Nerin."
"Conia werde ich gerufen, Herrin."
"Und wo genau sind wir hier, Conia? Kannst Du uns das vielleicht sagen? Ich frage nur, da Neromir uns stetig verlegen lässt, damit die Unsrigen uns nicht ausfindig machen und befreien können." besorgt sah dich die Frau in rot- braun mit Namen Nerin um, als könnte man sie belauschen.
Ebenso leise flüsterte Conia zurück: "Ihr Frauen seit hier auf der Burg Slivor- oder was davon noch übrig ist."
"Slivor? Ist dies Redarierland? Oder im Land der Heveller oder Dossanni?"
"Nein Herrin! Ihr seit im Brisanischen Land?", antwortete Conia.
"Was? Im Land der Brisanen? So weit im Westen? Aber dies ist doch eine Burg von Fürst Neromir? Dann seit ihr doch Redarier, oder?"
"Nein. Brisanen sind wir. Neromir hat diese Burg mit seinen Leuten durch eine List besetzt und an sich gebracht- im Herbst war das. Seither hat er die Burg zu unserem Gefängnis gemacht. Anfangs durften wir noch aus der Burg unter Bewachung. Bis die Rebellen den Holzdamm zur Burg abgebrannt haben. Mein Mann Wuko starb damals. Und seither ist es uns verboten. Auch fast alle Hütten mussten wir für die Redarier und Lutizenkrieger freimachen. Wir Brisanen sind nur noch auf der anderen Seite der Burg. In fünf Hütten leben wir- fast Zwanzig in einer Hütte und unter ständiger Bewachung durch die Redarier! Kaum Essen bekommen wir, nur das Nötigste damit wir nicht wegsterben können."
Conia rieb sich bei dem erzählen eine Träne aus dem Gesicht. Ihre Trauer und auch die Wut gegen die Leute von Neromir und Boran waren ihr anzusehen und auch ihren Worten zu entnehmen.
Dies war es wohl auch, was die junge edle Frau Nerin offen sprechen lies: "Conia. Wenn du die Redarier und Neromir so sehr verachtest, wie ich es tue- kannst du meiner Herrin, mir und den anderen adligen Frauen helfen? Bitte! Ich bitte Dich!" Nerin hatte dabei einen hilfesuchenden, ja fast flehenden Blick.
"So sehr ich dies möchte- ich fürchte, ich kann Euch nicht helfen. Dies kann wohl niemand!" Conia war traurig, dieses Eingeständnis der Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit geben zu müssen.
Nerin sackte ein wenig in sich zusammen, als wenn es nun doch keine Hoffnung gäbe.
"Larno wäre der Einzige, der Uns hier auf Burg Slivor hätte helfen können.", sagte Conia noch leise hinzu- fast beiläufig und traurig.
"Larno? Wer ist das? Ein Händler?"
"Nein Herrin. Larno ist mein Schwager- naja, eigentlich ja nicht, da er nicht der leibliche Bruder von meinem Wuko war. Larno ist kein Händler, Herrin. Er, also mein Schwager Larno, hat alle die um sich gescharrt, die damals als Neromir den Fürsten tötete und die Burg an sich brachte, aus der Burg flüchten konnten. Doch er brachte die Leute nicht weg von hier, um seine Haut zu retten! Nein. Andere hätten dies getan- nicht so der Larno. Larno ist ein Krieger! Und schlau ist er! Er und die Geflohenen haben seither gegen Neromir, Boran und die redarischen Krieger gekämpft und viele von denen getötet, Herrin! Larno hat Neromir das Fürchten gelernt. Er war bislang unsere einzige Hoffnung auf Rettung."
"War? Wieso spricht du so, als ob dieser Larno nicht mehr helfen kann? Ist er tot oder doch geflohen?"
"Der Herr Neromir hat vor einigen Tagen einen blutigen Kampf gegen Larno und die Rebellen im Wald ausgetragen. Neromir hat wohl deren Lager nach langer Suche gefunden. Fast all seine Krieger hat Neromir mit in den Kampf genommen. Auch Herrn Boran und einen, der Ludo hieß und Bluthunde abrichtete. Der Kampf muss schrecklich gewesen sein, die Redarier sprechen kaum darüber. Viele von Denen sind nicht zurück gekommen. Aber man hat uns hier einen Toten gezeigt! Den Wencel, der auch zu den Rebellen geflohen war. Und den Sladko haben sie gefangen und verwundet hier in die Burg gebracht. Der Sladko wird vorn am Torhaus in der Hütte bewacht. Keiner kann zu ihm! Daher fürchten wir alle, dass man Larno und auch die Anderen vielleicht auch getötet hat. Neromir hat dies jedenfalls so vor Uns allen gesagt! Danach hat Neromir noch die ganze Siedlung Slepna niederbrennen lassen." Conia machte aufgeregte große Augen, beim geben dieses Berichtes.
Nerin, die edle Frau, schien nicht viel darauf zu geben, was Neromir sagt. "Ich denke, der Neromir spricht kein wahres Wort. Ich habe von meinem Vater gelernt, Menschen wie Neromir zu misstrauen. Wenn dieser Larno, wie du sagst, noch leben würde? Könnte er uns helfen?"
Conia zuckte mit den Schultern. "Ich wüsste nicht wie, Herrin?"
"Kommen denn keine Händler mehr in die Burg, denen du eine Nachricht mitgeben könntest auf den Weg?" fragte Nerin beharrlich nach.
"Nein. Kaum noch. Händler gehen dorthin, wo sie Geschäfte machen können. Hier auf Slivor gibt es nur den Tod- niemand will mit dem Tod verhandeln, Herrin."
"Conia! Du musst wissen- meine Herrin Reglindis hier- ist nicht irgendeine Adlige. Fräulein Reglindis ist die zweite Tochter des Herrn Boleslaw Chrobny und seiner Frau Emnild. Ich meine, ihr Vater ist Boleslaw I., König von Polen! Und ihre Mutter ist die Fürstentochter der Lusici- Stämme! Herrin Reglindis ist also eine Prinzessin der Piasten! Und auch wir Anderen sind Töchter hoher Herren! Es soll niemandes Schaden sein, uns zu helfen oder uns zu befreien aus unserer Gefangenschaft!"
Conia's Respekt vor den hohen Frauen wuchs für den Moment umso mehr. Eine Prinzessin? Hier auf Burg Slivor in Gefangenschaft der Redarier? Ihr kleiner Bohumil spielte dort drüben auf den warmen Fellen gerade mit einer Prinzessin der Polen?
"Aber- Herrin, versteht mich nicht falsch- aber wie kommt ihr hierher? Nach Slivor?"
Die edle Nerin erzählte Conia die Geschichte- eine lange Geschichte voller politischer Hintergründe. So habe der deutsch- römische Kaiser Otto der Dritte ein Jahr zuvor eine Wallfahrt nach Gnesen ins Polnische gemacht. Über Meißen sei er gereist, wo er einen seiner Herzöge mit Namen Ekkehard traf. Ekkehard hat den Ruf, ein Schützer von Kaiser Otto III. und Kaiserinnen- Mutter Theophanu zu sein- auch soll Markgraf Ekkehard auf dem Feldzug nach Italien den Kaiser begleitet haben und sich hierbei bei der Erstürmung Roms und der päbstlichen Engelsburg hervorgetan haben. Der Kaiser Otto der Dritte habe im Zuge der Wallfahrt- in Gnesen, an heiliger Stelle- dem Vater der Reglindis, die Souveränität Polens als Bündnispartner des heiligen römischen Reiches deutscher Nation erklärt, wodurch ihr Vater Boleslaw Chrobny zum König von Polen erhoben wurde. König Boleslaw hat seit jeher ein gutes Bündnis zu den Markgrafen von Meißen- auch wenn es immer wieder zu Streitereien kommt. Dieses Bündnis soll nun- mit Fürwort des Kaisers Otto und des polnischen Königs- durch eine Heirat gefestigt werden. Die edle Reglindis ist die Anverlobte des Hermann- Sohn des Markgrafen Ekkehard von Meißen. Doch die Reise der Braut Reglindis wurde durch List und Hinterhalt des Lutizenbundes und der Stammesherren der Lusitzi und Milzener unterbrochen- das Gefolge wurde vollständig getötet! Nur Herrin Reglindis und ihre Hofdamen, wozu auch Herrin Nerin zählt, blieben verschont und werden seither als Geiseln des Lutizenbundes gegen die Polen von einem Versteck in das Nächste verbracht. Mit der Geisel will man den König von Polen abbringen, ein Bündnis mit den Deutschen- den Sachsen und den Meißenern einzugehen. Zudem hilft es dem Lutizenbund, die Polen vom eigenen Machtgebiet fern zu halten, das König Boleslaw auch schon vor Jahren angegriffen hatte.
Die anderen Hofdamen der Prinzessin Reglindis seinen ebenfalls Töchter polnischer Fürsten.
Die jüngere Herrin sei Lieschna von Masowien- die freundlich winkte, als sie ihren Namen hörte. Die Andere, etwas Ältere mit achtzehn Jahren, sei die edle Sania von Dobschitz, Tochter des königlichen Kämmerers und Kriegsherren.
Naja- und Nerin selbst? Nerin war etwas ganz besonderes in Conia's Augen. Sie sei die Tochter von Beroslaw von Lenzen, des Fürsten der Linonen- eines Stammes der Elbslawen- nordwestlich von hier und im Bündnis mit den Abodriten- Slawen, den Dänen und den Sachsen. Sie sei mit der Wallfahrt des Kaisers an den polnischen Hof gekommen. Nerin sollte dort eigentlich dem Wunsch des Vaters nach mit ihren neunzehn Jahren endlich vermählt werden, aber durch die Reise nach Meißen mit ihrer Herrin Reglindis und die Gefangenschaft blieb ihr dies wohl vorerst erspart- wofür sie Gott dankte.
Und ja- all die edlen Damen sind von christlichem Glauben- wie Nerin der Conia gestand.
Wenn also - egal in welcher Art und Weise- Conia oder dieser Larno den Frauen helfen würde- ihr Schade würde es gewiss nicht sein.
Conia blickte auf den kleinen Bohumil, der soeben der polnischen Prinzessin ein Band am Kleid aufzog.
'Mein kleiner Bohumil. Da spielst Du mit so feinen Damen! Mit Fürstinnen und sogar mit einer Prinzessin spielst du und weißt nichts davon! Wie können wir den Mädchen nur helfen? Wie?', fragte sich Conia selbst.
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