Verrat
Boran hatte erwartet, erneut grobe Worte über sein Unvermögen zu hören. Unvermögen, die Widerständler im Wald zu ergreifen. Unvermögen, die Wege durch die Pregynica sicher für die redarischen Händler- und Versorgungskarren zu machen. Unvermögen, diese widerborstigen Bewohner der Burg gefügig zu machen.
Um so erstaunter war der redarische Herr, als er seinen Fürsten Neromir wie gefordert sofort aufsuchte und Neromir wohlgelaunt im Haupthaus der Burg Slivor an diesem Abend vorfand.
Neromir hatte sein schweres, schützendes Rüstungsgewand bereits gegen ein leichtes Leinenhemd getauscht. Auf dem Tisch seines persönlichen Gemachs stand ein Eimer. Hier hatte sich der Fürst bereits erfrischt und trocknete mit einem Tuch sein breit grinsendes Gesicht.
"Ihr habt mich rufen lassen, Herr?", fragte Boran devot.
Mit einer weiten Geste des Heranwinkens bat Neromir seinen Slivorer Burgherrn und Vasallen zu sich.
"Komm näher, mein Freund. Komm näher. Setzt Dich. Ich habe gute Neuigkeiten für uns!"
Boran verstand nicht. "Was meint ihr?"
"Ich denke, wir werden schon bald diese Rebellen der Wälder auf Knien vor uns haben oder tot.", sprach Neromir mit berechnendem Blick- sich weiterhin die Wassertropfen von Armen, Gesicht und Nacken wischend.
Boran verstand seinen Herren immer noch nicht- dies sorgte ihn. Wie sollte er als eingesetzter Burgherr auf Slivor die Wünsche seines Herrn verstehen, wenn er nicht wusste, was sein Herr wünscht oder unausgesprochen lässt. Gleichwohl setzte er sich in einen der Stühle am Tisch.
Neromir schien die Unsicherheit Borans zu erspüren, genoss es jedoch für diesen einen Moment, seine Pläne nicht zu offen gezeigt zu haben.
"Ich habe in Slepna heute ganz laut und für alle deutlich hörbar Forderungen an die Bauern gestellt. Du hättest den Ältesten dort sehen sollen- wie er geschäumt hat vor Wut. Wie ein gehetztes Pferd, das sich nicht reiten lassen will. Gedroht hab ich dem Dorf."
"Und? Herr?"
"Als ich kaum aus dem Dorf war- kam es, wie es kommen musste. Dieser Älteste war ebenso gekränkt durch meine Demütigung vor allen Leuten im Dorf, wie aufgebracht über die Forderungen, die ich an das Dorf stelle. Es gab für ihn nichts eiligeres, als alle im Dorf zu sich zu rufen."
"Ich verstehe immer noch nicht, Herr. Was hat das mit den Rebellen um diesen Larno zu tun?"
"Wirst schon sehen, warum. Gehen wir herüber, um uns zu stärken.", Neromir blickte verschlagen- wie ein Fuchs- und wies in Richtung des Saales. Dort wurde immer für Neromir und auch die Krieger aufgetischt.
Heute jedoch war kein Krieger dort im Raum. Ein älterer Mann saß dort am Tisch und gab sich Mühe, das Fleisch einer Hühnerbrust abzulutschen. Der Zahnlose blickte im halbdunkel des Raumes zu den hinzu kommenden redarischen Herren.
"Dieser kluge Mann hier ist mir schon seit längeren zu Diensten, Boran. Er ist in Slepna mein Auge und mein Ohr. Komm und erzähl nochmal dem Herrn Boran, was Du mir vorhin gesagt hast, Alter!", forderte Neromir den Mann freundlich auf.
'Ein Spion? Der Fürst hat einen Spion in Slepna?', dachte Boran für sich. Beeindruckt und auch besorgt darüber, dass der Fürst nicht alles offen erzählte bislang, zog Boran das Gesicht lang und setzte sich zu dem alten, zahnlosen Mann.
Der Zahnlose tunkte etwas Brot in die Fleischlake und begann sofort nochmals Bericht zu geben:
"Wie ich unserem Edlen Herrn Neromir gerad schon sagte- der Wibor hatte alle Männer in seine Hütte geladen. Drüben in Slepna! Beraten wollte er sich! Was man gegen die Forderungen von Herrn Neromir ausrichten könne. Zornige Reden haben sie geführt. Die Hütte des Wibor war voll mit den Slepnaern."
Boran wollte mehr erfahren. "Was haben sie besprochen?"
"Sie wollen Höfe zusammenlegen, um bei den Abgaben zu betrügen. Als sich Gelegenheit bot, habe ich versucht Unmut gegen die Rebellen im Wald zu schaffen- hab gerufen, dass die Rebellen und der Larno Schuld sind, weil sie die Belieferung der Burg ständig stören.", der Zahnlose lutschte das suppige Brot beim Reden.
"Und?", Boran wurde ungeduldig. "Was haben sie dazu gesagt? Kennen sie das Versteck? Kannst du uns sagen, wo wir in diesem verfluchten Wald suchen müssen?"
Der Zahnlose schüttelte den Kopf. Lake tropfte aus einem Mundwinkel. "Nein, Herr. Ich denke nicht, dass einer von denen das Versteck kennt. Der Wibor aber, was der Älteste ist, will diesen Larno suchen und um Hilfe für den Ort bitten. Auch Waffen will er wohl erbitten. Es war genug Gelegenheit für die Leute, zu sagen, wo Wibor suchen soll- keiner gab einen Hinweis. Auch nach der Versammlung nicht. Bevor ich hierher gelaufen bin, hab ich noch abgewartet und belauscht."
"Dann sind deine Informationen nutzlos, Alter!" Herr Boran lehnte sich zurück und blickte zu Fürst Neromir.
"Nicht so ganz, Boran!"
Neromir nickte dem Zahnlosen zu, dass er weiter reden soll. Ein Grinsen zeigte sich im Schein des Feuers dabei.
"Einige aus dem Dorf hatten wohl schon Kontakt zu dem Larno und seinen Leuten. Der Nepolki soll redarisches Vieh im Stall haben, wurde gesagt. Wohl eine Sau. Und ein anderer Bauer- Zwanko genannt- hat wohl Getreide von den Rebellen bekommen. Getreide, was man Euch zu liefern hatte. Die Rebellen haben es sich geholt. Zwanko's Hof liegt westlich- am Wald."
Boran legte die Stirn in Falten.
"Ich will heut noch zurück- nicht das einer Fragen stellt, oder mich im Dunkeln umher schleichen sieht!", sprach der zahnlose Mann und schien dabei Fürst Neromir bittend anzusehen- als fordere er einen Lohn für den Dienst.
Neromir wollte jedoch noch etwas wissen: "Hör zu Alter! Hat der Wibor gesagt, wann er die Rebellen und den Larno aufsuchen will? Oder wo er suchen will?"
"Nein Herr. Doch lange wird er nicht zaudern- wird bald gehen wollen. Vielleicht schon morgen, oder die nächsten Tage. Wohin? Das blieb offen. Er wird sicherlich am Hauptweg suchen! Will sich vielleicht finden lassen!"
"Gut Alter. Dann geh Du zurück. Du sollst das Verabredete bekommen.", gab Neromir bekannt.
"Danke Herr. Ich seit so großmütig!", zischte der Zahnlose verbeugend und steckte sich Brot vom Tisch in den umhangenen Beutel.
Dann verwandt der Mann am Ausgang der Halle, sich in alle Richtungen umsehend.
Nach kurzem Moment fragte Boran seinen Fürsten. "Was verlangt der Alte?"
"Witwer ist er. Ein Redarier, der hier in Slepna eine Frau hatte. Die Tochter soll in Tolkow an der Burg sein. Er will dorthin- jetzt im Alter. Doch will er nicht mit leeren Händen kommen, damit die Tochter ihn willkommen heißt und aufnimmt. Zwei Viecher, Stoffe und etwas Silber kostet der Verrat."
"Aber die Auskunft hat wenig Wert, Herr!", gab Boran zurück. Im Lichtschein sah man die Narbe im Gesicht deutlich.
"Nein, Du Narr! Wertvoll ist sie!"
Neromir setzte sich dorthin, wo eben noch der zahnlose Alte gesessen hatte- direkt neben Boran an den Tisch. Der Fürst tat es dem Alten gleich, riss ein Stück vom Brot ab und tunkte es in die Fleischlage der Essenrester des Alten.
"Wir wissen nun, dass die Slepnaer mit den Rebellen verbunden sind. Sie machen gemeinsame Sache! Und dafür wollen wir uns auch dort noch einmal sehen lassen. Vorerst jedoch gilt es , diesen Larno auszuschalten. Die Rebellen müssen sterben- Alle!"
"Aber..."
"Du wirst mit den Lutizen und dem Hundemann dem Wibor folgen und aus sicherer Ferne sehen, was sich tut. Sollten die Rebellen den Wibor mitnehmen in ihr Lager- dann haben wir, was wir wissen wollen. Wir sammeln unsere Krieger und die Hetzhunde und schlagen los. Spuren im Schnee werden uns den Weg weisen dieser Tage noch- wie beim Rehwild, was man verfolgt im Winter. Genau so machen wir es- wir jagen sie, bis wir alle haben und das Lager von denen brennt! Dann soll Slepna für den Verrat an mir bezahlen. Dann habe ich, was ich will. Die Burg und das Umland - sicher in meiner Hand! Und die Verräter und Rebellen? Tot oder vertrieben! Dann werden sich die Slivorer hier endlich auch beugen. Mir als Fürst und Dir als meinem Burgherrn hier. Dann kann ich zufrieden zurück zu meiner Frau nach der Burg Tolkow."
Boran verstand.
Der Plan schien listig und durchdacht.
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